kern und these

Die Stadt, die ich brauche – die Stadt, die ich liebe

Was macht Städte eigentlich so anziehend? Ist es die Fülle der Angebote, die unser Leben ermöglichen und vereinfachen? Die Verfügbarkeit von Infrastrukturen, von Behausungen und Arbeitsstätten, die Anwesenheit vieler anderer Menschen, die uns das Gefühl sozialer Geborgenheit geben können? Geht es bei unserer Neigung zur Stadt, die gerade in den letzten Jahren immer neue Höhepunkte erlebt, nur um die Deckung eines „Bedarfs“? Oder ist es mehr, was das Leben in der Stadt so attraktiv macht? Was sind die Faktoren, die die Stadt zum Identifikationsort, zur Heimat von Menschen werden lässt? Welche geistigen, psychologischen, sozialen und ästhetischen „Bedürfnisse“ haben wir, die die Großform der menschlichen Siedlung bis heute offenbar immer wieder neu erfüllt? Wann und warum können wir sagen: „Ich liebe diese Stadt“?

Einerseits prägt der menschliche Wille Struktur und Gestalt der Stadt, um seine Lebenswelt zu sichern. Andererseits drückt Stadt das kulturelle Selbstverständnis der Bürger als Ausdruck einer Gemeinschaft aus. Wie kann diese zugleich pragmatische und idealistische Stadt, die sich aus „hard facts“ und „soft skills“ ergibt, zu „unserer“ Stadt werden? Die Bürger und die Stadt sind untrennbar verbunden – der Bürger ist das Bindegewebe der Stadt. Aus dem Miteinander der Menschen in der Stadt wächst Gemeinschaft, entsteht das Gemeinwesen, in dem die Bürger ein eigenes Bewusstsein für den Zweck ihres Daseins finden, der gleichermaßen im Allgemeinen und im Individuellen wurzelt. Dieser Zweck manifestiert sich im Handeln und im Erleben, im Ritus wie im Kultus, in Ereignissen genauso wie im materiell Dauerhaften: in den Strukturen und den Häusern der Stadt, die gleichermaßen den lebensnotwendigen Bedarf wie auch die empathischen, die intellektuellen, die kulturellen Bedürfnisse der Menschen sicherstellen sollen.

Zum Wesen der Stadt gehört beides: Die Sicherung der Lebensgrundlage und der geistige Überbau. Für die „Stadt des Bedarfs“ kann metaphorisch der Begriff der „sicheren“ Stadt stehen: Er soll hier für die Übersichtlichkeit der Räume, die Organisation der Nutzungen, die Vielfalt der Gesellschaft und für das vitale Bewusstsein eines Gemeinwesens gelten. Das Schlüsselwort für eine gerechte Bodenpolitik, eine bürgerorientierte Eigentumsstruktur, für die Bestärkung nur temporärer Nutzungsrechte und für die Vorsorge für ein markt-unabhängiges Wohnrecht ist die „behausende“ Stadt. Die „produzierende“ Stadt wiederum bezeichnet die enge Verknüpfung von Wohnen, Verwaltungs- und Produktionsstätten, die „mobile“ Stadt zielt auf Entflechtung, auf kurze Wege und verschiedene Geschwindigkeiten. Die „versorgende“ Stadt meint ein umfassendes Sozialwesen, eine regionale Lebensmittelversorgung, den fairen Handel in Geschäften und auf Märkten sowie zweckmäßige und nachhaltige Ver- und Entsorgungspotentiale. Und schließlich subsumiert die „bildende“ Stadt eine dynamische Infrastruktur als zentrale Funktion für Wohnungsbau, Kindergärten, Bildung und Kultur, Sport und Freizeit.

Foto: David Kasparek

Foto: David Kasparek

Doch erst eine andere Kette von Eigenschaften macht das „Mehr“ der Stadt jenseits des bloßen funktionalen Bedarfs erkennbar. Die „integrierende“ Stadt bezeichnet die Ausprägung des Gemeinwesens als aktiven öffentlichen Raum mit gemischten Gesellschaftsschichten, der gleichermaßen institutionell durch transparente Entscheidungsebenen und topologisch durch Orte des Treffens und Verweilens, des Austauschens und Begegnens gekennzeichnet wird. Die „identitätsstiftende“ Stadt wird zum Ausdruck des Bürger- und Gemeinschaftsbewusstseins, ihrer impliziten Bestimmung von Grenzen, ihrer lebendigen Nachbarschaften, ihres Gemeinsinns und ihres Selbstbewusstseins. Die „kulturelle“ Stadt mit ihren Kirchen, Theatern, Konzerten, Museen, ihrer Kunst, den Bibliotheken, Kinos und Festen hat Schnittmengen mit der „schönen“ Stadt, die sich durch ein ausgeprägtes Bewusstsein für die städtischen Raumfolgen, ihre Architektur, ihre Parks, Gewässer und Alleen, ihre Verflechtung und ihre Gestalt aus Statik und Bewegung ergibt. Die „historische“ Stadt wiederum besteht als Erzählung, als lebendige Geschichte, als Gegenwart der Ereignisse, ihrer Menschen und der Leistungen ihrer Bürger. Und nicht zuletzt können wir unter der „atmenden“ Stadt nicht nur ihre günstige Durchlüftung, sondern ihre Verschneidung mit der Vegetation und ihren Bezug zur umgebenden Landschaft verstehen.

Eine „zufällige“ Stadt wollen und brauchen wir nicht. Aber eine Stadt, die geprägt ist von demokratischer Mitbestimmung, die mehr ist als der temporäre Gewinn der Mehrheiten von Bürgern – eine solche Stadt sollte es sein, die wir „lieben“ können. Dass die Stadt so wird, dass wir sie brauchen und lieben können, dafür ist eine ständige Mitwirkung aller drei Handlungsebenen unserer Gesellschaft vonnöten: Es ist zunächst das Engagement der Bürger für eine gemeinsame Zukunft, ihre Empathie und ihr „Aufgeschlossensein“ für die Formung der notwendigen Strukturen, die der gebauten Umwelt, dem Lebensraum und der geistigen Lebensform ihre Gestalt verleihen. Die Stadt hängt auch am politischen Willen der demokratisch gewählten Volksvertreter, ohne deren vernunftgewandtes Tun der Wille der Gemeinschaft nicht erkennbar wird. Und es ist das kreative und wohlwollende Handeln der damit beauftragten Verwaltung, die zwischen dem Gewollten, dem Wünschenswerten und dem Möglichen den besten Weg finden muss.

Ein utopischer Traum? Vielleicht. Der 13. BDA-Tag findet am 1. Juli 2017 in Münster statt: „Die Stadt, die ich brauche – die Stadt, die ich liebe“ ist sein Motto. Dort können wir darüber diskutieren…

Erwien Wachter

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