neu im club

Raum, Situation und Atmosphäre

Sohrab Zafari, Architekt BDA, Atelier Zafari, Berlin

Über den Dächern Neuköllns schweift unser Blick in alle vier Himmelsrichtungen. Nicht weit im Süden ragt die obskure Silhouette des Mega-Hotels Estrelle über die Giebel, im Westen Wasserturm und Antennen des ehemaligen Flughafens Tempelhof, im Norden die Hochhausneubauten zwischen Ostbahnhof und dem Treptower Park. Von unten dudelt Musik aus dem Radio der Handwerker. Hier baut der Berliner Architekt Sohrab Zafari derzeit ein Dach aus. Wir stehen dort, wo sich demnächst die Dachterrasse der Aufstockung befinden wird. Rundherum prallen die Zeiten aufeinander: Am Rande des sogenannten Böhmischen Dorfes, wo die fünfgeschossige Blockrandbebauung des gründerzeitlichen Berlins auf die ein und zwei Stockwerke messenden Häuschen des ehemaligen Dorfes vor der Stadt trifft, steht der Bau aus den frühen 1970er Jahren. Zafari führt mich über die Baustelle auf dem Dach.

Um die bestehende Bausubstanz nicht über Gebühr zu belasten, kommt eine Art Sandwich-Tragstruktur zum Einsatz, die in die seitlich begrenzenden Brandwände eingelassen ist: die umlaufende Terrasse und einige Einbauten schweben mittels Trägern über dem Bestand, die Wände sind von einem komplexen Tragwerk abgehängt. „Ich habe mich oft gefragt, wie ich diese aufwendige Konstruktion auf dem schwachen Dach zeigen kann“, erklärt Zafari. Aber eigentlich geht es ihm bei diesem Unternehmen – wie bei den allermeisten seiner Projekte auch – um etwas anderes. „Ich will räumliche Situationen schaffen. Mich interessieren Atmosphären viel mehr als die Konstruktion oder Architektur im Sinne eines Objekts.“ Dafür hat der Architekt zwischen den beiden tragenden Schichten ein Raumkontinuum geschaffen, bei dem Innen- und Außenraum differenziert in einander übergehen und verschwimmen.

Wie ein U legt sich der Wohnraum um das nach oben verlängerte Treppenhaus des Bestandsbaus. Er wird im neuen Teil ergänzt um einen Kern, dem alle dienenden Funktionen wie die notwendigen Schächte mit den wasserführenden Leitungen, ein Bad und ein WC angegliedert sind. Rund um diesen Kern fließt der allseitig von Glas umgebene Wohnraum: Küche, Wohnzimmer und Schlafbereich sind nicht durch Türen getrennt. Ihre Zusammengehörigkeit wird vielmehr noch durch eine umlaufende und als Sitzbank nutzbare Podeststufe unterstrichen. Dieses Podest erweitert sich im Schlafbereich so, dass es das Bett aufnimmt, und an den Stellen, wo sich die äußeren Glaswände als Schiebetüren öffnen lassen, dient es als Stufe hinaus zur umlaufenden Terrasse.

Atelier Zafari, Dachaufstockung „Floating Penthouse“, Berlin 2016–2017, Grundriss, Abb.: Zafari

Atelier Zafari, Dachaufstockung „Floating Penthouse“, Berlin 2016–2017, Grundriss, Abb.: Zafari

Auch baurechtlich kommt diesem Element eine besondere Bedeutung zu. Erlaubt war hier oben nur ein Staffelgeschoss mit einer maximalen Wohnfläche von wenigen Quadratmetern. „Wenn ich die Flächen als lineare Streifen mit Terrasse vorne, Neubau in der Mitte und einer weiteren Terrasse hinten entwickelt hätte, wäre wegen des bestehenden Erschließungskerns mit Treppenhaus und Fahrstuhlüberfahrt kaum noch Raum für den Neubau geblieben,“ so Zafari, nachdem wir vom Dach wieder in die Aufstockung herabgestiegen sind. So aber verringert die umlaufende Stufe mit ihren integrierten Möbeln die Raumhöhe so, dass sie der Wohnfläche nicht zuzurechnen ist. Mittensymmetrisch lässt sich der Wohnraum zudem durch zwei große Schiebeelemente in der Außenwand öffnen. Dahinter jedoch kommt nur teilweise der Blick über die Dächer Berlins zum Vorschein. Ein Winkel, der Wand und Decke verbindet, erweitert hier den Innenraum über die Terrasse hinaus bis an die Gebäudekante. Ein weiterer Kniff: „Baurechtlich ist das eine Gaube“, erklärt Sohrab Zafari lachend.

Nicht nur hier verschwimmen Innen und Außen. An den Brandwänden entwickeln sich zwischen Alt und Neu, zwischen Bodenaufbau und Dachtragwerk, zwei kleine Lichthöfe – einer davon wird genutzt, um eine Stiege nach oben auf die Dachterrasse zu führen. Davor und dahinter gibt es immer wieder Öffnungselemente, die den späteren Bewohnern mehr oder weniger private Innen- wie Außenräume erschließen werden. Die Terrasse soll an vielen Stellen begrünt werden. Dafür, so Zafari, habe sich der Bauherr extra einen Gärtner an die Hand genommen, der den speziellen Lichtverhältnissen zwischen den Brandwänden und unter den Deckenelementen bei der Pflanzung besondere Beachtung zukommen lassen wird.

Der Boden aus geschliffenem Estrich, schwarz angestrichen, die Wände schwarz verputzt, alles im Außenraum mit schwarz lackiertem Blech verkleidet. Ursprünglich wollte Sohrab Zafari alles in schwarz lasiertem Holz ausführen, das jedoch ließ der Brandschutz nicht zu. „Und warum schwarz“, frage ich den Architekten auf dem anschließenden Gang durch das Quartier. „Bob Dylan soll gesagt haben, er fände Farben scheußlich“, erläutert der Architekt lachend, um dann hinzuzufügen: „Nein, im Ernst. Ich mag die Auseinandersetzung mit dem Licht. Und auf Schwarz oder Weiß kommt das einfallende Licht samt seinen Reflexionen und Schattenwürfen eben einfach sehr gut zur Geltung.“

Das Spiel mit dem Licht, der bewusste Umgang mit den Schwellen zwischen Innen und Außen, dem Verschleifen beider an der einen und dem Trennen an anderer Stelle, zieht sich als zentrales Element auch durch die anderen Projekte des im Iran geborenen Architekten. Schon seit seiner Schulzeit ist Zafari in Deutschland, während seines Studiums wohnte er in Heidelberg. Hier hat er in großer Eigenleistung ein Art Minihaus für sich, seine Frau und die beiden gemeinsamen Kinder in einen bestehenden Atelierraum eingebaut. Auch hier verschwimmen die Wohnbereiche, einzelne Raumkompartimente aber werden teilweise explizit durch eingestellte Elemente voneinander getrennt.

Atelier Zafari, Minimalwohnung, Heidelberg 2006, Grundriss, Abb.: Zafari

Atelier Zafari, Minimalwohnung, Heidelberg 2006, Grundriss, Abb.: Zafari

„Die klassische Architekturausbildung hat mich eigentlich wenig interessiert“, sagt Sohrab Zafari. Stattdessen habe er selbst viel experimentiert, sich immer auf sein Bauchgefühl verlassen und eigene theoretische Begründungen für seine Entwürfe entwickelt: „Geschrieben habe ich schon immer viel.“ In diesen Texten geht es um eine Zusammenführung der Gedankenwelt des Architekten und dem, was seine Entwürfe beim Nutzer, Passanten und Bewohner auslösen sollen. Im luftleeren Raum bewegt sich Zafari mit dem, was er architektonisch tut, demnach nicht – was sich nicht zuletzt in der Gastprofessur ausdrückt, die er im Wintersemester 2016/2017 an der FH Erfurt bekleidete. Dennoch ist ihm eine gewisse Unabhängigkeit von Strömungen und thematischen Festlegungen wichtig. „Im Studium habe ich Tadao Ando bewundert“, gibt er zu. „Nicht nur wegen seines Umgangs mit dem Licht, sondern auch und vor allem, weil er als Quereinsteiger in die Architektur gekommen ist, weil er als Autodidakt solch beeindruckende Situationen und Atmosphären geschaffen hat.“

Beim Tee in einem Café in der Nähe erklärt Zafari schließlich seine Beweggründe für den Umzug nach Berlin. „Es gab zwar viele Leute, die unser Minihaus irgendwie interessant fanden, aber das waren junge Leute wie wir – ohne Geld.“ Wieder lacht der Architekt. „Ich hatte das Gefühl, dass in Heidelberg das Verständnis für das fehlte, was ich mache.“ Nach der Übersiedlung nach Berlin war es dann vor allem das Projekt an der Berliner Stadtmauer, mit dem Sohrab Zafari für Aufsehen sorgen konnte. Ein privater Investor hatte ihn damals, obschon noch nahezu unbekannt, auf Empfehlung eines gemeinsamen Bekannten zu einem Wettbewerb eingeladen, den das Atelier Zafari für sich entscheiden konnte. Auch hier finden sich immer wieder Situationen, die deutlich vom Standard des Investorenbaus abweichen: intelligent entwickelte Raumgefüge, deren komplexe Geometrien oft einige Erklärungen benötigten, so Zafari: „Auf der Baustelle stand ich oft mit dem Bauherrn und den Handwerkern zusammen und musste verschiedene Bilder dazu zeigen, damit klar wurde, wie sich hier am Ende die Räume, das Innen und Außen, darstellen werden.“ Neben einer Anerkennung beim BDA-Berlin Preis 2015 wurde das Ensemble in Folge mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet.

Und die nächsten Projekte nach der Aufstockung? Ein weiteres Dachgeschoss und mehrere Wohnhausprojekte werden derzeit vom Büro bearbeitet, dazu zwei Wettbewerbe, zu deren Teilnahme das Atelier Zafari eingeladen wurde. Einer davon ist bereits mit dem ersten Preis des Verfahrens ausgezeichnet worden und so macht sich der Architekt Hoffnung, dass im Anschluss auch gebaut wird. Nicht nur ein Haus, sondern ein Raum, Situationen und Atmosphären.

David Kasparek

www.atelier-zafari.com

neu im club im DAZ-Glashaus
Talk mit Sohrab Zafari: 10. Mai, 19.00 Uhr
Werkschauprojektion: 11. Mai bis 10. Juli
Deutsches Architektur Zentrum DAZ
Köpenicker Straße 48 / 49
10179 Berlin

www.daz.de
www.neuimclub.de
www.derarchitektbda.de

neu im club wird unterstützt von dormakaba, Erfurt, den BDA-Partnern und den Unternehmen des DAZ-Freundeskreises.

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