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Das Fähnlein Fieselschweif

Potsdam, Orangerie im Neuen Garten. Ein spätsommerlicher Sommertag im September. Wahltag beim BDA. Der Präsident wird mit großer Mehrheit bestätigt. Auch die Wahl der Mitglieder des Präsidiums, durch einige neue Kandidaten ergänzt, verspricht Kontinuität und Verstärkung. Zurück zur Tagesordnung. Oder lieber doch nicht? Zehn Minuten Pause. Zeit, darüber nachzudenken, welchen Weg der Wahlbund in den kommenden Jahren gehen wird. Denn trotz der guten Bilanz, die das Präsidium für seine Arbeit auf Bundesebene ziehen kann, gibt es kaum Grund zum Ausruhen auf dem Erreichten (siehe der architekt 5/17, S. 62). Denn trotz der derzeitigen Hochkonjunktur im Bereich der Architektur ist das Berufsbild des Architekten seit mindestens zwanzig Jahren in eine immer enger schließende Zange geraten, die die Freiheit seiner Tätigkeit beschneidet und die Qualität seiner Arbeit bedroht.

Auf der einen Seite gibt es ein Zuviel: Stadtbau und Architektur sind durch Gesetzgebung und Verordnungsfülle so komplex geworden, dass architektonische Originalität und damit Qualität bei diesem Regelungswahn auf der Strecke bleiben. Die juristische Komplexität des Bauens ist höher, die gedankliche, künstlerische und soziale Komplexität offensichtlich geringer geworden: Immer häufiger, so scheint es, greifen Architekten – und Bauherrn natürlich auch – zu bewährten, rechtlich abgesicherten, weil erprobten Standardlösungen: Bauen wird zu einer Unterkategorie eines Verwaltungsakts, der Kreativität im Zweifelsfall noch bei der Einfärbung des Wandputzes zulässt.

Andererseits beginnt die Gesetzgebung da auszusetzen, wo sie verbindlich Gutes bewirken könnte: Inzwischen hat die EU-Kommission die angedrohte Klage gegen die Bundesrepublik beim EuGH wegen eines Verstoßes der HOAI gegen die Niederlassungsfreiheit eingereicht: Das Ergebnis des Verfahrens ist nicht vorhersehbar, aber fraglos von weitreichender Bedeutung.

Die Honorarordnung stellt sicher, dass architektonische Arbeiten durch Teilleistungen in verschiedenen Leistungsphasen erbracht und honoriert werden. Sie beschreibt damit auch den geregelten Verlauf eines Planungs- und Ausführungsprozesses und stellt die einzelnen Schritte untereinander in ein Verhältnis, das durch Honorierung ausgedrückt wird. Fällt die HOAI, fällt weniger ein illegitimes Versorgungssystem deutscher Architekten, wie Brüssels Juristen glauben, sondern ein sozial wirksames Instrument der Qualitätssicherung: Ein „Aus“ für die HOAI bedroht darüber hinaus insbesondere die Existenz mittelständischer Strukturen der Architektenschaft, deren hochqualitative Arbeit unter dem Preisdruck der Großbüros kaum mehr konkurrenzfähig sein wird.

Diese Gefahr für ein soziales und kulturelles Gut und deren Erzeuger wird verstärkt durch ein Zuwenig: Zuwenig Verständnis, zuwenig Vertrauen der Bauherren – ein teilweise selbstgemachtes Problem der Architektenschaft, deren Funktion sich im Laufe der selbstinszenierten Dienstleistungsdebatte in Teilen des öffentlichen Ansehens mitunter auf die Rolle von zu teuren Fassadenbehübschern reduziert hat. Zu dieser weit verbreiteten Unkenntnis über das, was Architekten eigentlich tun und können, kommt die Tendenz zur vollständigen Kapitalisierung der Architektur hinzu – ohne Ansehen ihrer gesellschaftlichen Bedeutung – und der schon lange beklagte Verlust des Bauherrn, der durch „Auftraggeber“ mit nur selten im Sinne der Architektur argumentierenden Gremien samt hohem Rechtsanwaltsanteil ersetzt wird.

Eine gesetzliche Vereinfachung des Bauens ohne Qualitätsverlust; der Kampf um den Erhalt der HOAI als Qualitätssicherungsinstrument und als Garant für eine Vielfalt möglichst breit zugänglicher architektonischer Leistungen; die Herausforderung, in der Öffentlichkeit und bei Bauherren ein angemessenes Bild von Architekten und ihrem Leistungsbild zu vermitteln: Das sind herkulische Aufgaben, die dem BDA ins Haus stehen. Es ist halt wie im richtigen Leben. Der Bund wird gute Koalitionen schmieden müssen, ohne sein Ziel zu verraten: Architektur als gesellschaftlichen Wert zu verstehen, zu entwerfen und zu vermitteln.

Das könnte unter heutigen Vorzeichen mitunter auch ein Kampf gegen Windmühlen werden. Vielleicht hilft dem Bund und seinem frisch gewählten Präsidium die Erinnerung an das „Fähnlein Fieselschweif“: Das ist jene fiktive Pfadfindervereinigung, der Tick, Trick und Track Duck angehören, und die sich – ganz ähnlich wie der BDA – für das Verständnis von Lebewesen und Natur und für die Bewahrung tradierten Wissens einsetzt. Ständiger Gegner der weltweit organisierten Pfadfinder ist kein anderer als Dagobert Duck, der durch seine Ignoranz, Ichbezogenheit, durch Geiz und Skrupellosigkeit auffällige Besitzer von drei Kubikhektar Geld: die reichste Ente der Welt. Aber auch er hat den pfiffigen Enten vom „Fähnlein“ und ihrem „Schlauen Buch“, in dem das Wissen der Welt verzeichnet ist, meist nichts entgegenzusetzen. Ach, wenn es denn so einfach wäre…

Andreas Denk

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