Zwei gemeinwohlorientierte Quartiersprojekte im Portrait

Freiheit in Gemeinschaft

Anhand der Beispiele der Urbanen Nachbarschaft Samtweberei in Krefeld und der KoFabrik in Bochum beschreibt Henry Beierlorzer einige wesentliche Bausteine und Instrumente für eine dem Gemeinwohl dienende Immobilien- und Projektentwicklung. Diese schaffe neue Chancen dafür, Zukunft und Lebensumstände im Quartier zu gestalten, so Beierlorzer, und eröffne damit neue Freiheiten für Einzelne und für die Gemeinschaft.

Der Wunsch nach Freiheit stand nicht am Anfang der Projektüberlegungen zu gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklungen. Oder doch? Chancengerechtigkeit mit gesellschaftlicher Teilhabe und Selbstgestaltungsspielräumen im Quartier; Koproduktion von Stadt, mit Freiräumen für gemeinsames Tun und für Experimente; Unabhängigkeit von Renditedruck zugunsten einer sozialen Rendite für das Quartier; Immobilien, die sich nützlich machen für sozialen Zusammenhalt, nachbarschaftliche Begegnung, gutes Zusammenleben und Gemeinwohlengagement – diese Ziele haben auf den zweiten Blick viel mit Freiheit zu tun. Freiheit, die nicht vom Eigeninteresse des Einzelnen, sondern vom Gemeinwohlinteresse im Quartier ausgeht; die für das Leben und Zusammenleben im Quartier neue Optionen schafft, Stadtentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe begreift, in Prozessen und Projekten zum aktiven Mittun ermächtigt und die Zukunft ermöglicht: über langfristig gesicherte, spekulationsfreie Verfügung über die Grundstücke.

Nachdem die Montag Stiftung Urbane Räume bereits Erfahrungen bei der Beratung und Förderung von Beteiligungs- und Mitwirkungsprozessen in sozial benachteiligten Quartieren gesammelt hatte, entschloss sie sich 2013, selbst in die Immobilienentwicklung zu gehen. Mit den oben genannten Zielen im Blick wurde der Schritt in eine aktive Investoren- und Trägerrolle gewagt. Pilotprojekt der gemeinwohlorientierten Quartiersentwicklung, einer Strategie „Initialkapital für eine chancengerechte Entwicklung“, war die Nachbarschaft Samtweberei in Krefeld. Der Erfolg des Projekts machte Mut: Mittlerweile befinden sich fünf weitere Projekte in der Umsetzung oder sind bereits realisiert. Weitere sind in Vorbereitung und Entwicklung.

Urbane Nachbarschaft Samtweberei in Krefeld

Bauherrin: Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH; Architektur: Böll Architekten, Essen / Strauß + Fischer – Historische Bauwerke, Krefeld; Kooperationspartner: Carl Richard Montag Förderstiftung / Montag Stiftung Urbane Räume / Stadt Krefeld / NachbarschaftStiftung Samtweberviertel

Bei der Reaktivierung eines jahrelang brachliegenden Textilareals in Krefeld mit zum Teil denkmalgeschützter Bausubstanz im Zeitraum 2014 bis 2018 wurden rund 4700 Quadratmeter Nutzfläche sowie 3000 Quadratmeter öffentlicher Raum wiedergewonnen und dafür acht Millionen Euro investiert. Dabei konnten 37 Wohnungen in bunter Mischung, Büros und Ateliers für kooperatives Arbeiten sowie Freiräume und Orte für Begegnung geschaffen werden. Minimalinvasive Eingriffe ermöglichten dabei kostengünstige Flächen. Doch die Besonderheit des Projekts liegt im Beitrag zur gemeinwohlorientierten Quartiersentwicklung. Die Immobilie befindet sich in einem sozial belasteten, innerstädtischen Stadtquartier, in dem rund 7000 Menschen leben. Soziales Wohnen und kooperatives Arbeiten sind Ergebnis von Partizipation und Teilhabe. „Neuer Platz fürs Viertel“ und ein „Nachbarschaftszimmer“ sind neu geschaffener öffentlicher Raum. Die „NachbarschaftStiftung Samtweberviertel“ hat sich als Bürgerstiftung vor Ort gebildet und betreibt die Begegnungsräume mit Projekten aus dem Quartier. Aus der Vermietung der Immobilie werden Überschüsse erwirtschaftet, die in Form von Projektgeldern und Raumüberlassungen vollständig ins Gemeinwesen fließen. Zudem verstehen sich die Nutzer des Areals nicht als „Inselbewohner“, sondern leisten mit rund 2500 „Viertelstunden“ auch praktische Beiträge für gute Nachbarschaft und sozialen Zusammenhalt im gesamten Samtweberviertel.

KoFabrik in Bochum

Bauherrin: Urbane Nachbarschaft Imbuschplatz gGmbH; Architektur: Böll Architekten, Essen; Kooperationspartner: Carl Richard Montag Förderstiftung / Montag Stiftung Urbane Räume / Stadt Bochum / Quartiershalle in der KoFabrik e.V.

Die zum Teil denkmalgeschützten Verwaltungsgebäude der ehemaligen Eisenhütte in Bochum wurden nach jahrelangem Leerstand durch Entrümpelung, behutsamen Um-, Rück- und Ausbau mit energetischer Ertüchtigung zur KoFabrik entwickelt – ein Haus für kooperatives Arbeiten und nachbarschaftliche Begegnung. Zwischen 2018 und 2021 entstand so ein dem Gemeinwohl im innerstädtischen Imbuschviertel dienender Ort mit rund 2000 Quadratmeter Nutzflächen. Darin befinden sich Büro-, Werkstatt, Probe- und Atelierräume, Physio-Studio, Café, Buchladen und das Herzstück: die Quartiershalle. Hier begegnen sich die Nachbarschaft, Projektemacherinnen und kooperativ tätige Unternehmen, Freiberufler und Kreative, in sozialen und kulturellen Projekten Engagierte und Gewerbetreibende des Viertels. Koordiniert über einen gemeinnützigen Verein entwickeln sie gemeinsam soziale, kulturelle und nachbarschaftliche Projekte, gestalten den öffentlichen Freiraum um das Haus und das gute Miteinander der Menschen im Viertel. Die Immobilie, in die rund 3,8 Millionen Euro brutto investiert wurden, bietet dazu gute Räume. Überschüsse aus der Bewirtschaftung unterstützen das gemeinnützige Engagement des Vereins, Mieterinnen des Hauses tun dies über ihre „Viertelstunden“ ebenso. Dafür wurde das Projekt 2022 mit dem Polis-Award für Soziale Quartiersentwicklung ausgezeichnet.

Freiheit von Verwertungsdruck und Spekulation – Rendite für das Gemeinwohl

Die wohl wichtigste Grundlage für die gemeinwohlorientierte Entwicklung beider Projekte war und ist die langfristige Verfügung über die Grundstücke und Immobilien frei von spekulativen Verwertungsinteressen und Renditeerwartungen. Die Räte der Städte Krefeld und Bochum trafen bodenrechtlich und strategisch bedeutsame Entscheidungen, indem sie die städtischen Grundstücke der Alten Samtweberei und der KoFabrik nicht meistbietend verkauften. Stattdessen vergaben sie diese im Erbbaurecht mit 60-jähriger Laufzeit und setzen den Erbbauzins so lange aus, wie das Projekt gemeinnützig arbeitet. Für die Umsetzung wurden im Gegenzug von der Carl Richard Montag Förderstiftung eigene, gemeinnützige Projektgesellschaften gegründet und mit nicht rückforderbarem Eigenkapital in Höhe von 30 Prozent der Gesamtinvestitionen ausgestattet. In den Satzungen der „Urbanen Nachbarschaften“ wie auch in den Erbbaurechtsverträgen und gemeinsamen Kooperationsvereinbarungen ist verankert, dass Überschüsse aus der Immobilienbewirtschaftung in gemeinnützige Projekte und Aktivitäten des jeweiligen Quartiers fließen sollen. Die Rendite der Immobilien ist dann eine soziale Rendite für Chancengerechtigkeit im Quartier und diese ist langfristig, auch für die nächsten Generationen, gesichert.

Verfügbarkeit, chancengerechter Zugang zu und Bezahlbarkeit von Raum begründen wesentlich die Freiheit der Menschen in ihrer Standortwahl, in der Ausgestaltung des Wohnmodells oder in der Entwicklung unternehmerischer, kultureller und sozialer Projekte. In Krefeld hat das Erbbaurechtsmodell, gekoppelt mit der gesicherten Finanzierung und kostengünstigem Bauen, den Wohnmix von öffentlich geförderten und freifinanzierten Wohnungen unterschiedlichster Größen – vom 25-Quadratmeter-Appartement bis zur 140-Quadratmeter-Maisonettewohnung, mit Mieten zwischen 5,30 und acht Euro pro Quadratmeter ermöglicht. In den „Pionierhäusern“ in Krefeld und Bochum konnten jungen Unternehmen, Freiberuflern, Studierenden, Künstlern und Vereinen einfache Räume für eine Kaltmiete von drei bis 4,50 Euro pro Quadratmeter zur Verfügung gestellt werden. Das brachte Menschen vom Küchentischarbeitsplatz ins Gemeinschaftsbüro oder eigene Atelier, machte Seminar- oder Proberäume bezahlbar.

Einfach bauen – Spielräume durch Reduktion

Ein baulicher Beitrag zur Leistbarkeit der Räume über geringe Mieten und zur Kostenreduzierung in den Projekten war das konsequente Hinterfragen von Ausbaustandards über das bauordnungsrechtlich gebotene Maß hinaus. Das funktioniert dann, wenn einfache, rohe und kostengünstige Räume den Nutzern eigene Spielräume eröffnen, sie im Selbstausbau frei zu gestalten und weiterzuentwickeln. Das lässt sich am Pionierhaus in Krefeld gut beschreiben:

Verwaltungsgebäude der alten Samtweberei in Krefeld nach der Instandsetzung, Foto: Marcel Rotzinger

Das ehemalige, 1960 errichtete Verwaltungsgebäude der Alten Samtweberei sollte 2012 nach jahrelangem Leerstand abgerissen werden, weil eine Umnutzung und Kernsanierung zu aufwendig erschien. Seit September 2014 zeigt sich das Haus auf fünf Etagen und fast 1000 Quadratmetern voller Leben, Ideen und Projekte: mit rund 60 Gestalterinnen und Tüftlern, mit Geschäftsleuten und Kulturschaffenden, Agenturen und Freiberuflern, Studierenden und Initiativen. Ausgangspunkt war die einfache Instandsetzung des Gebäudes mit einem Budget von 230.000 Euro für eine Zwischennutzung auf Zeit mit einfachen aber kostengünstigen Mieträumen, die sich die Nutzenden selbst nach eigenen Wünschen individuell herrichten konnten. Das Ziel, mit drei Euro pro Quadratmeter niederschwellige Mietangebote für „Pioniere“ im Viertel zu schaffen, zwang zu minimalinvasivem Umgang mit dem Bestand und zu einer neuen Wertschätzung der vorgefundenen Architektur der 1960er-Jahre.

Die Chance zur Selbstgestaltung und freien Aneignung der Räume durch kreative, dem Stadtteil verbundene Nutzende ist nicht nur der immobilienwirtschaftliche Schlüssel für die Wiedernutzung des Gebäudes. Vielmehr haben gerade die zum Teil aus dem Umfeld der nahegelegenen Designhochschule kommenden Mieterinnen und Mieter aus dem Geist des Re- und Upcycling von Räumen, Mobiliar und Ausstattung eine eigene Ästhetik entwickelt. Achim Pfeiffer vom Büro Böll Architekten hat das auch bei der Bochumer KoFabrik praktizierte Prinzip, den durch frühere Einbauten verstellten Bestand behutsam zu entkernen und zu schauen, welcher Gewinn durch Wiederverwendung oder neue Nutzung entstehen könnte, mit der Arbeit von Bildhauern verglichen. Gemeint ist dabei das „Herausarbeiten“ des Wesentlichen aus einem vorgefundenen Bestand durch Reduktion. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass die Neuinterpretation nicht durch das Genie des Künstlers, sondern im Dialog mit den Nutzenden, ihren Anforderungen und ihren eigenen Beiträgen geleistet wird. Die mit wenigen wichtigen architektonischen Setzungen gestalteten, ansonsten rohen, auf ihren Raum und die Kernfunktionen reduzierten Bürolofts im Denkmalbestand wie auch die Quartiershalle in der Bochumer KoFabrik offenbaren dann ihre Flexibilität und Offenheit für unterschiedlichste Nutzungen und Wandlungen. Es ist das Sich-zurücknehmen in der letzten Funktionszuordnung oder Endgestaltung der Innenräume, die den Mieterinnen und Mietern in Immobilien oftmals unbekannte Freiheiten für Eigenes wie auch für das Gemeinwohl geben. Das muss nicht zu Lasten guter Architektur und Gestaltung gehen, wie die Projekte zeigen.

Selbstgestaltungsoptionen und Gemeinwohlengagement

Der eigentliche Wert der Umbau- und Entwicklungsstrategie bei den „Pionierhäusern“ liegt nicht nur im Nutzungsimpuls für die Gebäude, sondern in der Aktivierung zusätzlichen Engagements der Nutzenden für ihr Viertel. Die „Pioniere“ finden hier nicht nur kostengünstige Räume und Gestaltungsmöglichkeiten, sondern auch Kooperationspartner für Projekte und eine freundschaftlich geprägte „Community“. Im Gegenzug haben sie sich mietvertraglich verpflichtet, dem Viertel pro gemieteten Quadratmeter jährlich eine Arbeitsstunde ihres Know-hows zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise kommen jährlich in Krefeld rund 1300, in Bochum etwa 700 sogenannte „Viertelstunden“ an Engagement und Kompetenz von kreativen, handwerklich begabten oder in der Beratung erfahrenen Menschen fürs Viertel zusammen. Die Projekte und Beiträge reichen von der Herausgabe und Produktion einer Stadtteilzeitung, über Anleitungen zum Baumscheibenpflanzen, Interventionen im öffentlichen Raum, Grafikunterstützung für Stadtteilprojekte, Schülerhilfen, Workshops mit Kindern und Jugendlichen, Übersetzungsleistungen, Organisationstätigkeiten für Feste bis hin zu Aktivitäten im gemeinnützigen Quartiershallenverein oder in der NachbarschaftStiftung. Nun könnte man einwenden, dass nicht alles von den Mietern „freiwillig“ geleistet, sondern über das besondere Vermietungs- und Mietvertragsmodell eingefordert wird. Andererseits ziehen die Projekte gerade auch Menschen an, die Lust haben auf sinnvolles Tun, auf Kooperationen und gemeinsame Unternehmungen – diese Optionen finden sie hier.

Kuratierte freie Räume und Freiräume

Neben guten Räumen zum Wohnen und Arbeiten, finanziellen Überschüssen für gemeinnützige Projekte und neben der Zeit engagierter Mieter über ihre „Viertelstunden“ dienen die Immobilien den Quartieren vor allem durch öffentliche Räume. Sie sind frei zugänglich, nutzungsneutral und nutzungsoffen, ermöglichen nachbarschaftliche Begegnung, Kultur und Sport, Projekte und Aktionen, urbane Produktion und Zwischennutzungen, gemeinsames Feiern oder – etwa in Coronazeiten – Arbeiten oder Bildung bei frischer Luft.

Nutzungsoffene Quartiershalle der KoFabrik, Bochum, Foto: Jann Höfer

Herzstück der KoFabrik ist die Quartiershalle – ein sieben Meter hoher Raum mit Galerieebene und insgesamt 400 Qua­dratmetern Nutzfläche. Das ungeteilte Erdgeschoss mit öffentlicher Zugänglichkeit wandelt mehrmals täglich die Nutzung und den Charakter. Die Halle ist alltäglich nutzbarer öffentlicher Raum zum Spielen, Hausaufgabenmachen, sich Treffen oder Arbeiten. Hier finden Theaterproben, Workshops, Seminare und kleinere Veranstaltungen, aber auch Aktionen wie etwa das regelmäßige Haareschneiden für Wohnungslose durch die „Barber Angels“ statt. Auf der Galerie befinden sich ein ruhigerer Seminar- sowie ein Coachingraum zur Anmietung, aber auch ein fest vermietetes Physiotherapiestudio. Hinzu kommt der davor liegende „Quartiersgarten“: eine ehemalige städtische Restgrünfläche und Hundewiese an der Bundesstraße. Heute ist der „Quartiersgarten“ das grüne Wohnzimmer des Viertels, mit selbstgebautem Mobiliar, kleinen temporären Gartenparzellen, Bühne und Podesten.

Der Verein „Quartiershalle in der KoFabrik“ stellt den Raum, der im Alltag allen zugänglich ist, mit vorhandener Infrastruktur nachbarschaftlichen Projekten und gemeinnützigen Nutzern zur Verfügung. Organisieren müssen diese ihre Veranstaltungen eigenverantwortlich. Auch gewerbliche oder institutionelle Nutzende organisieren hier ihre Projekte selbst, zahlen aber Miete und finanzieren so die laufenden Kosten.

Die Shedhalle, Krefeld, Foto: Marcel Rotzinger

In Krefeld bietet das Projekt neben einem 180 Quadratmeter großen Nachbarschaftszimmer mit Gastraum, Küche und „Hinterzimmer“ vor allem auch neuen öffentlichen (Frei)raum. Auf 3000 Quadratmetern Fläche unter dem Shedhallendach der ehemaligen Textilfabrik ist ein neuer „Platz fürs Viertel“ entstanden. Die Shedhalle bietet ein außergewöhnliches Stück Freiheit – einen leeren, nutzungsoffenen Raum mitten im dichten Stadtquartier. Das Nutzungskonzept wurde im Viertel über „Spieleabende“ mit Aktiven aus dem Stadtteil gemeinsam entwickelt. Der leere Raum wurde ein Jahr lang mit einfachster Infrastruktur durch die Menschen des Viertels für seine Eignung erprobt, provisorisch ausgestattet, verwandelt und bespielt. Das weckte Phantasie, ließ Ideen und Projekte, aber auch Verantwortlichkeiten wachsen. Im Alltag finden jetzt quartiersbezogene Veranstaltungen um eine kleine Bühne, urbanes Gärtnern im nichtüberdachten Bereich, Kleider- und Lebensmitteltauschbörsen, Spiel rund um einen Bauwagen, an der Tischtennisplatte oder auf der Boulebahn, Sport auf einem kleinen Sportfeld, Fahrradreparatur in der Werkstatt – vor allem aber einfache nachbarschaftliche Begegnung genügend Platz.

Freie und nutzungsoffene Räume für die Gemeinschaft benötigen Regeln für nachbarschaftliche Verträglichkeit, die gemeinschaftlich ausgehandelt sind. Verantwortung für Verkehrssicherung und Brandschutz muss ernst genommen werden. Es geht um wechselseitige Rücksichtnahme und Toleranz. Konflikte entstehen um Fragen von Sauberkeit und Ruhestörung, die zu moderieren sind. Wie geht man mit Vandalismus um? Gibt es eine Ausgrenzung von Gruppen?

Jenseits von gutem Raum braucht es daher auch Strukturen für die nachhaltige Selbstorganisation gemeinschaftlicher Freiheiten. Diese sind in den Projekten über ernstgemeinte Teilhabe- und Mitwirkungsangebote im Prozess entstanden. In Krefeld ist es eine NachbarschaftStiftung, die sich im Samtweberviertel rund um die Aufgabe der sozialen Quartiersentwicklung gegründet hat, in Bochum der zunächst aus der Mieterschaft heraus gegründete Quartiershallenverein, die das Kuratieren der Räume und der Aktivitäten darin übernehmen. Dahinter stehen immer Menschen, die sich mit viel Herzblut für das Gemeinwohl engagieren – ihr ehrenamtliches Wirken ist wohl ein deutlicher Ausdruck von Freiheit.

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Die beschriebenen Projekte sind baulich abgeschlossen und haben sich im gelebten Alltag bislang bewährt – wie immer gibt es Höhen und Tiefen. Die eigentliche Herausforderung aber liegt darin, die Projekte nicht als „fertig“ zu begreifen, sondern sie immer wieder für neue Akteurinnen und Akteure und neue Ideen zu öffnen; die Räume frei zu halten für noch nicht Gedachtes; sie weiterzubauen und neu zu erfinden; ihre Unabhängigkeit von Verwertungsinteressen zugunsten sozialer Renditen zu verteidigen, um damit immer wieder Freiräume und Optionen für selbstgestaltete und gemeinschaftliche Wege in die Zukunft zu schaffen. Schließlich gilt es, in der Gesellschaft mehr von diesen „Immovielienprojekten“ zu organisieren, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen und den Menschen die Selbst- und Mitgestaltung von Stadt ermöglichen. Diese Freiheit müssen wir uns immer wieder nehmen.

Dipl.-Ing. Henry Beierlorzer studierte Stadtplanung an der RWTH in Aachen und arbeitete im Planungsbüro Peter Zlonicky + Kunibert Wachten, für die IBA Emscher Park sowie die Regionale 2006 im Bergischen Städtedreieck. Neben eigenen Projektentwicklungen und freiberuflicher Beratungstätigkeit bekleidete er eine Gastprofessur an der Uni Kassel. Seit 2014 ist er in der Geschäftsführung der Urbane Nachbarschaft Samtweberei; seit 2018 auch Projektentwicklung der KoFabrik und Geschäftsführung für die Urbane Nachbarschaft Imbuschplatz in Bochum. Er ist Berater bei der Montag Stiftung Urbane Räume für die Umsetzung gemeinwohlorientierter Immobilienprojekte in der Bauherrenrolle an der Schnittstelle zwischen UmBaukultur, sinnvollen Nutzungen und sozialer Innovation.

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