Gespräche mit Susanne Wartzeck

Im Raum der Möglichkeiten

Im ehemaligen Neckermanngebäude in Frankfurt am Main, das später von der Telekom genutzt wurde und heute unter anderem als Interimsquartier des Deutschen Architekturmuseums DAM dient, sprachen BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck und Die Architekt-Chefredakteurin Elina Potratz über Freiheit im Kopf und beim Entwerfen sowie darüber, welche Potenziale Architektur freisetzen kann, wenn sie offene Angebote schafft – auch für künftige Generationen und neue Nutzungen.

Elina Potratz: Diese Ausgabe beschäftigt sich vor allem mit dem Aushandlungsprozess zwischen individueller Freiheit und gemeinschaftlichen Interessen, also Freiheit in einem größeren gesellschaftlichen Maßstab. Was assoziieren Sie im kleineren Maßstab und in der persönlichen Praxis als Architektin mit dem Begriff Freiheit?

BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck, Foto: Klaus Hartmann

Susanne Wartzeck: Was mir spontan dazu einfällt ist, dass wir ein freier Beruf sind. Es hat für mich eine große Bedeutung, niemandem direkt unterstellt zu sein, sondern in erster Linie dem eigenen Gewissen, der Gesellschaft und der Umwelt verpflichtet zu sein, und auch im Positiven niemandes „Diener“ zu sein. Das macht man sich im Berufsalltag oftmals gar nicht bewusst, ist aber ein wichtiger Kern des Architektin-Seins. Meist klagt man zwar über Unfreiheit, weil man an Grenzen stößt und viele Vorgaben einzuhalten hat. Doch dieses Bedauern stimmt nur zum Teil, denn eigentlich bewegen wir uns ja in einer Gesellschaft und in einem Umfeld, das eine sehr große Freiheit, unter anderem auch die Meinungsfreiheit, mit sich bringt.

Würde man unterscheiden wollen zwischen freier und angewandter Kunst, dann würde man Architektur ganz klar der angewandten Kunst zuordnen. Sie wird für einen Bedarf oder einen Gebrauch geschaffen. Sie haben zudem bereits angedeutet, dass Architektur sich innerhalb vieler Rahmenbedingungen abspielt – von Gesetzen, über Bauherrenvorgaben bis hin zu physikalischen Eigenschaften von Materialien. Gehört es somit zum Charakter von Architektur, dass sie in gewisser Weise unfrei ist?
Die Frage ist natürlich, wie kreativ man mit diesen Begrenzungen umgeht und mit ihnen spielt. Ich persönlich versuche, mich davon freizumachen, das als Begrenzung zu sehen, sondern lieber als Puzzleteile, die ich in irgendeiner Weise zusammensetzen muss – das Ganze also spielerisch zu betrachten. Es kann dann auch befreiend wirken, wenn man aus den Gegebenheiten eine gute Idee spinnt und denkt: Hätte ich diese Idee überhaupt gehabt, wenn die Rahmenbedingungen nicht gewesen wären?

Gebäudekomplex am Danziger Platz in Frankfurt am Main, gebaut von Neckermann, später von der Telekom genutzt, heute unter anderem Interimsquartier des Deutschen Architekturmuseums DAM, Foto: Moritz Bernoully

Das geht schon in die Richtung meiner nächsten Frage: Was heißt für Sie Freiheit im Entwurf? Was zeichnet ein freies Denken bei Architektinnen und Architekten aus?
Neben der Frage, wie man kreativ mit den Rahmenbedingungen umgeht, hat man selbstverständlich immer die Freiheit, diese auch noch einmal infrage zu stellen. Ist es wirklich ein Zwang oder nur vermeintlich? Auch den Bauherren zu fragen: Ist es wirklich das, was Sie wollen? Nicht zuletzt veranschaulicht auch der Wettbewerb, wie aus den gleichen Bedingungen völlig unterschiedliche Ergebnisse entstehen können.

Menschen verbinden mit Freiheit assoziativ oftmals keine Architektur, sondern vielleicht eher Naturlandschaften mit einem offenen Himmel. Welches Potenzial hat Architektur überhaupt, uns ein Gefühl von Freiheit zu vermitteln?
Das sehe ich genauso. Eine weite Landschaft und ein offener Himmel sind zunächst starke Symbole. Ich glaube aber, dass auch Architekturen innerhalb dessen, wofür sie gebaut sind, Freiheit ermöglichen können. Das kann man beispielsweise sehr gut bei Bildungsbauten sehen. Im besten Fall lassen solche Gebäude zu, dass sich die Leute, die darin lernen sollen, sich dieses ein wenig erobern dürfen, dass es nicht ganz „fertig“ ist: Architektur kann eine Atmosphäre des Erforschens, des freien Geistes, der Weiterentwicklung ermöglichen.

Foto: Moritz Bernoully

Das Thema Weiterentwicklung führt uns auch zum Thema der Umbaufähigkeit. Was bedeutet es, Architektur so zu entwickeln, dass sie auch Freiheiten bietet für kommende Generationen?
In der jetzigen Diskussion gibt es die Position, dass das, was wir heute neu bauen, so robust sein muss, dass mindestens der Rohbau zukünftig sehr viel zulässt und nicht nur für eine einzige Nutzung geeignet ist, etwa durch eine geringe Deckenhöhe oder eine sehr knappe statische Bemessung. Umgekehrt merkt man bei Gebäuden, die jetzt umgebaut werden müssen, dass man mehr Möglichkeiten hat, wenn diese Gebäude ein gewisses Maß an Toleranz und an Überschuss mitbringen. Auch ist es beispielsweise einfacher, einen Investor oder eine Investorin zu überzeugen, sich eines Gebäudes anzunehmen. Das ehemalige Neckermanngebäude in Frankfurt am Main ist ein gutes Beispiel: Aufgrund seiner hohen Deckenlasten und schönen Raumhöhen – es war ursprünglich als Lager- und Versandgebäude geplant – kann man mit diesem Gebäude heute eigentlich alles machen. Man merkt es ja bereits an den Zwischennutzungen, dass man sich das Gebäude sehr gut aneignen kann und dass dort, wo man es zulässt, sofort wieder Leben einkehrt.

Günter Behnisch hat einmal gesagt, dass die andauernde Aufgabe von Kunst und Architektur darin gesehen werden sollte, dass sie frei machen, dass sie befreien müssten. Er erläuterte dies so, „dass wir mit unserer Arbeit Menschen und Dinge lösen müssen von Zwängen, die ihnen in der erfahrbaren Wirklichkeit angetan werden, angetan werden durch Kräfte, die sich dort immer wieder aufbauen und die Mensch und Dinge daran hindern, sich zu finden.“
Behnisch ist natürlich ein tolles Beispiel. Für mich ist er ein wichtiger Vertreter einer Freiheit und Leichtigkeit, einer Idee von Demokratie und gesellschaftlichem Ausdruck, die sich in seinen Gebäuden immer manifestiert haben. Auch mit seinen Bildungsbauten hat er damit ganz neue Wege beschritten und war einer der ersten, der danach gefragt hat, wie man sich in einem Gebäude bewegt. Er hat erkannt, dass diese Räume der Bewegung und des Spiels offen und einladend sein und die verschiedenen Klassensysteme verbinden müssen. Aber auch bei seinen anderen Projekten kann man als wesentlichen Aspekt feststellen, dass sie nichts Bedrängendes, nichts Einschließendes, nichts Verbietendes haben, sondern immer etwas Großzügiges: ein Angebot.

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