neu im club

Im Großen und Kleinen

Franziska Singer, Architektin BDA, Zürich / Marktoberdorf

Zwischen zwei Welten pendelt Franziska Singer in ihrem beruflichen und privaten Leben: Auf der einen Seite die schweizerische Großstadt Zürich, auf der anderen Seite das beschauliche Städtchen Marktoberdorf im Allgäuer Alpenvorland. Während die Architektin sich mit ihrem Hauptsitz in Zürich niedergelassen hat, sind es vor allem ihre Bauprojekte, die sie immer wieder in ihren Heimatort Marktoberdorf zurückführen – eine Stadt, die mit ihrer Nähe zu den Alpen und Attraktionen wie Schloss Neu­schwanstein mitten in einer Ferienregion liegt und unter anderem bekannt ist durch den hier gegründeten Traktorenhersteller Fendt.

Franziska Singer, Berta-Fendt-Haus, Marktoberdorf 2018, Simon Jüttner

Auch eines der ersten Projekte von Franziska Singer ist lose mit der Geschichte des Ortes verknüpft: Das Berta-Fendt-Haus wurde zuletzt von seiner Namensgeberin aus der Unternehmerfamilie Fendt bewohnt, bevor es jahrelang leer stand. In einem sensiblen Umbau des bürgerlichen Wohnhauses von 1898 arbeitete die Architektin die ursprüngliche Großzügigkeit wieder heraus und modernisierte zugleich mit raumbildenden, farbigen Einbauten. Fünf neue Wohnungen ließ sie damit entstehen. Zudem wurden Metallbalkone ergänzt, deren Ornamentik die bauzeitlichen Holzbalustraden des Bestands aufgreift. Singer schätzt die Transformation von Bestehendem: „Man hat die Reibung mit dem Bestand, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Andererseits muss man versuchen, sich wieder Freiheiten zu erkämpfen.“

Franziska Singer, Berta-Fendt-Haus, Marktoberdorf 2018, Simon Jüttner

Das Aufgreifen ortsspezifischer Besonderheiten ist für Singer ein wichtiger Entwurfstreiber: „Architektur ist sehr lokal. Man muss auf den Kontext eingehen, und sehen, wo was funktioniert“, so Singer. Besonders deutlich geworden sei ihr das bei einem einjährigen Aufenthalt in Japan: „Durch das Entwurfsstudium in einer anderen Kultur habe ich gemerkt, dass man sehr vorsichtig sein muss, etwa was unsere Vorstellungen vom Bauen in Europa betrifft. Ein extremes Beispiel ist, dass die Westfassade in Japan immer die schlechteste Fassade ist, da das Klima dort im Sommer sehr heiß ist. Die Westseite ist daher eher geschlossen.“ Zum anderen habe die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Wohntraditionen auch zu einem höheren Maß an Reflexion geführt: „Mir ist stärker bewusst geworden, dass ich bestimmte Dinge aus einer kulturellen Prägung heraus als selbstverständlich betrachte.“

Franziska Singer, Mittelbau, Markt­oberdorf 2019, Foto: Sebastian Schels

Weniger um Traditionen als um die Gestaltung von industriellen Standardlösungen ging es bei Franziska Singers erstem Neubauprojekt – einem Büroanbau für ein Autohaus in Marktoberdorf. Mitten im Gewerbegebiet befindet sich die Maßnahme – „Nicht unbedingt da, wo man erwartet, dass hier ein Architekt baut“, meint Singer. Im Rahmen des geringen Budgets und mit dem vorgefundenen Material des Aluminiumwellblechs entwickelte sie einen Entwurf, der die Einfachheit und Strukturierung der standardisierten Gewerbegebiets-Welt aufgreift und diese durch großzügige, schmal profilierte Fensterflächen sowie saubere Detaillierung auf ein anderes Level hebt. „Am Schluss steht es jetzt mit einer Selbstverständlichkeit da“, stellt Franziska Singer fest. „Es ist ähnlich wie das Bauen im Bestand: Man muss sich mit industriellen Materialien wie Aluwellblech und bestimmten Bauweisen auseinandersetzen und überlegen, wie man diesen eine Gestaltung entlockt.“

Ihre Projekte stemmt Franziska Singer bislang ohne Mitarbeitende. Zwar bringe sie das teilweise an ihre Belastungsgrenze, andererseits biete dies Flexibilität: „Ich bin meist in Zürich, aber wenn ich Baustellen habe, bin ich auch viel im Allgäu. Ich bin wahrscheinlich dieser neue Typus von Nomade und arbeite komplett auf dem Laptop.“ Hin und wieder, insbesondere für Wettbewerbe, schließt sie sich jedoch mit einer ehemaligen Studienkollegin, der Architektin Annina Meier, zusammen. „Wettbewerbe mache ich gerne im Team. Es ist schon schön, sich dabei auf einer Stufe auszutauschen.“
Wie viele junge Büros, erlebt es auch Franziska Singer als Herausforderung, über offene Wettbewerbe an öffentliche Aufträge zu gelangen. Dennoch nimmt sie an etwa drei bis vier Wettbewerben jährlich teil: „Mir macht das Spaß, weil das immer eine breite Recherche ist und man sich neue Typologien erschließt. Es ist auch gut, sich selbst zu hinterfragen und zu schauen, was funktioniert.“ Beim Wettbewerb für das Ex-Macello-Areal eines ehemaligen Schlachthauses in Lugano, das zu einem Kulturquartier umgebaut und durch ein Studierendenwohnheim ergänzt werden soll, spielten für Franziska Singer und Annina Meier die Freiheit der Nutzung und Funktionsoffenheit eine große Rolle. Durch eine Abfolge von Eventräumen, Cafés, Coworking Spaces und unterschiedlich nutzbaren Außenräumen sollte das Gelände für viele Formen der kreativen Aneignung nutzbar sein. „Es sollte nicht immer alles mit einer Funktion belegt sein. Es ist toll, wenn sich Menschen etwas aneignen können und man – wie etwa bei Lacaton & Vassal – die Bauherren von einer Großzügigkeit überzeugen kann“, so die Architektin.

Franziska Singer, m shoppingcenter, Bühnenbild, Markt­oberdorf 2020, Foto: Célia Uhalde

Den Zugang zur Architektur gewann Franziska Singer bereits im jungen Alter: „Ich habe schon immer gerne gezeichnet und mir Sachen ausgedacht und aufgebaut. Es war mir daher recht früh klar, dass Architektur etwas für mich wäre“. Für ihr Studium ging sie schließlich an die ETH nach Zürich, worüber sie bis heute sehr glücklich ist: „Das Studium war zwar sehr verschult und intensiv, hat damit aber eine breite Basis geschaffen. Zudem hat das Verhältnis zwischen dem Künstlerischen und dem Technischen für mich gestimmt.“ Prägend war für sie besonders das von Jacques Herzog und Pierre de Meuron sowie Roger Diener und Marcel Meili geführte – und mittlerweile geschlossene – Institut „Studio Basel“. Auch nach dem Studium war Singer hier noch als Assistentin für Marcel Meili tätig, während sie ihre ersten Büroerfahrungen bei Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten / BS + EMI Architektenpartner und Raumbureau sammelte.

Franziska Singer, Hütte im Grünen, Allgäu, seit 2019, Foto: FS

Ausgehend von der am Studio Basel entstandenen Publikation „Die Schweiz, ein städtebauliches Portrait“ von 2005 entwickelte Singer auch ihre Diplomarbeit. Das Buch hatte mit seiner Einteilung der Schweiz in fünf Gebietstypen – darunter die „Metropolitanregionen“ und die „Alpine Brache“ – in der Schweiz hohe Wellen geschlagen, schließlich wurde hier die provokante These aufgestellt, dass man Regionen, die sich im Niedergang befänden, nicht weiter durch Subventionen am Leben erhalten und durch teure öffentliche Verkehrsnetze erschließen, sondern weitgehend sich selbst überlassen sollte. Singer befasste sich in einer Weiterführung hiervon jedoch mit einer Region, in der sie noch Potential feststellen konnte: „Ich habe hier auf einem größeren Maßstab einen Entwurf gemacht, der zugleich ein Vorschlag war, eine Landschaft zu beleben. Das war dann auch nicht mehr städtebaulich, sondern territorial.“

Der territoriale Maßstab fasziniert Singer nach wie vor: „Ich merke schon, dass mich das geprägt hat, auch wenn ich jetzt im Kleineren entwerfe. Oft wird in Wettbewerbs- oder sonstigen Aufgaben so viel schon vorgegeben. Es wäre manchmal viel spannender, größer zu denken und auch längerfristiger.“ Auch im Allgäu beobachtet Singer das Denken in kleinen Einheiten kritisch: „Gerade bei größeren Funktionen könnten Gemeinden Ressourcen zusammenlegen, etwa was Schulbauten oder Baugebiete angeht. Doch stattdessen denkt jede Gemeinde nur für sich. Das ist schade.“

Doch auch auf kleiner Ebene geht Franziska Singer mit enormer Sorgfalt an ihre Projekte heran. Für eine Theatergruppe etwa schuf sie gemeinsam mit Annina Meier während des Lockdowns eine Supermarkt-Kulisse, die mit einfachsten Mitteln ein Höchstmaß an Atmosphäre zu erzeugen sucht. Bei einem anderen Projekt, der „Hütte im Grünen“ waren es geringfügige, aber wirkungsvolle Eingriffe sowie Farbkonzepte, die Singer erarbeitete: „Es ist auch bei so kleinen Sachen spannend, als Architektin mitzudiskutieren. Architekten können immer Mehrwerte herauskitzeln und auf Potentiale aufmerksam machen.“
Elina Potratz

www.franziskasinger.eu

Aktuelle Informationen zur Fortführung der Talk-Reihe „neu im club im DAZ“ finden sich online unter:

www.daz.de
www.neuimclub.de

Medienpartner: www.marlowes.de

neu im club wird unterstützt von Haushahn, Erfurt und Heinze sowie den BDA-Partnern

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert