kritischer raum

Nichts ist, wie es scheint

Erweiterung des Sprengel-Museums in Hannover von Meili & Peter Architekten, Zürich, 2009–2015

1972 gewannen die Kölner Architekten Peter und Ursula Trint den Wettbewerb um ein Museum am Nordostufer des Maschsees, in dem unter anderem die vom Schokoladen-Hersteller Sprengel der Stadt Hannover gestiftete Kunstsammlung mit Hauptwerken der klassischen Moderne aufbewahrt und ausgestellt werden sollte. Zwischen 1975 und 1979 konnten sie das Bauwerk gemeinsam mit Dieter Quast verwirklichen. Das ungewöhnliche Haus ist mit seiner topographischen Metaphorik von Berg, Schlucht und Höhle nur sehr ungenau der damaligen Postmoderne zuzuordnen. Seit 1984 heißt es jedenfalls Sprengel-Museum und wurde in den 1990er Jahren erstmals erweitert.

Eine dritte, bereits 1972 vorgesehene Erweiterung wurde 2009 in einem offenen Wettbewerb ausgeschrieben. Der ausgewählte Entwurf der Zürcher Architekten Marcel Meili und Markus Peter hat geteilte Aufnahme in Fachwelt und Öffentlichkeit gefunden: Die Schweizer schlugen einen langgestreckten eleganten Quader vor, der sich entlang des Maschseeufers an den hohen, geböschten Sockel des Altbaus anschließt und ursprünglich eine prismatisch verspiegelte Fassade bekommen sollte. In einer Überarbeitung ließen sich die Architekten stattdessen zu einer anthrazitfarbenen Sichtbetonstruktur bewegen, die auf einem tief eingezogenen verglasten Sockel vorkragt.

Der Neubau ist mit einer flachen Stahl-Glaskonstruktion an das Bestandsgebäude angeschlossen. Dieser Übergang verrät, wie fast das gesamte Projekt von Meili/Peter, in Form und Material keinerlei Spuren einer Anpassung oder intensiven Auseinandersetzung mit dem alten Museumsteil. Hier sollte offenbar gänzlich Neues entstehen. Das Gleiche gilt für das Äußere des Bauwerks, das bis auf die im Sockelbereich rundum geöffneten Büro- und Werkstatträume und drei verglaste Loggien im Obergeschoss keine Hinweise auf die innere Erschließung oder Raumdisposition gibt. Vielmehr inszeniert die Fassade mit fünf verschiedenen Reliefschichten ein Eigenleben im städtischen Raum: Die Bänderung, die teils poliert, teils im Rohzustand des Betons belassen wurde, zieht sich rund um das gesamte Gebäude.

Die Linienführung der übereinandergelegten Reliefbänder entzieht sich jeder vorschnellen Interpretation: Ob die mäandrierenden Wandschichten als autonomes künstlerisches Motiv gedacht sind, wie einige Interpreten annehmen, oder ob sie Raumvolumen anderer Gebäude nachbilden, wie ein geschichtsaffiner Beobachter annehmen könnte, bleibt unausgesprochen. Diese Ambivalenz der Flächen macht den entscheidenden Vorteil dieser Fassade aus: Das analytische Sehen wird hier immer wieder neu provoziert und auf die Probe gestellt. Jeder neuer Versuch einer Rekonstruktion geschlossener Formen oder eines Bezugs der Formen untereinander wird durch die komplexe Verschränkung der Bänder verhindert: Nicht die schlechteste Art, bei einem Baukörper mit einem Volumen von 70 Metern Länge, 20 Metern Tiefe und zwölf Metern Höhe jede aufkommenden Langeweile zu verhindern.

Der entscheidende Nachteil hingegen ist der eingezogene Sockel, dessen reflektierendes Glas dem Bau offenbar den Eindruck des Schwebens verleihen soll, was angesichts des monolithischen blockhaften Hauptgeschosses aber nur bedingt gelingt. Die gewaltige Schattenfuge indes, die die Architekten mit dieser Setzung erzeugen, führt zu einer undefinierten, nur für sehr kleine Menschen betretbaren Zone des öffentlichen Raums zwischen Sockel und Fassade, die nicht nur konzeptionell Kopfschmerzen bereiten kann.

Das Innere des Erweiterungsbauwerks überrascht. Den komplizierten Übergang von den differierenden Ebenen des Altbaus zum Neuen haben die Architekten mit einem Treppenhaus gelöst, das sich als plastisch wirkende Rampe mit organischem Formenschatz in die Tiefe der Museumsstraße schwingt, die den Bau von Peter und Ursula Trint im Untergeschoss erschließt. Auch hier erweist sich die Gestaltung als optisch-intellektuelle Falle: Die scheinbar irregulär gewundene Treppenführung verbindet sich aus der Vogelperspektive zu einer ovalen Raumform, die, umgeben von unverdächtigen orthogonalen Stahl-Glasfassaden, ein wesenhaftes Eigenleben führt.

Außergewöhnliches haben die Architekten schließlich mit der Disposition der zehn unterschiedlich großen fensterlosen Ausstellungsräume geleistet, die sich eher unauffällig an das spektakuläre Treppenhaus anschließen. Die Räume sind – fünf auf jeder Langseite – gewissermaßen im Poché angelegt, entsprechen also nicht der Außenform des Gebäudes: Jeder Raum ist abwechselnd leicht schräg aus den rektangulären Achsen des Hauses verschoben. Im Durchwandern der Säle mit ihren leicht versetzten Wänden stellt sich so eine gewisse, kaum merkliche Irritation der Raumwahrnehmung ein. Sie wird gesteigert und damit deutlicher wahrnehmbar, indem die einander nicht axial gegen-überliegenden, sondern stets diagonal zueinander angelegten Durchgänge Blickwinkel zwischen den Sälen einräumen, die anders als die herkömmliche Museums-Enfilade „schräge“ Perspektiven auf Raumfolgen und Exponate eröffnen. Die Architekten haben diese Konzeption etwas euphorisch als „tanzende Räume“ beschrieben, die sich erst in der Bewegung erschließen. Leider wird dieser Effekt konstruktiv nur durch Gipskarton und Holzplatten hergestellt, die schräg vor das orthogonale Stahlbetontragwerk gestellt sind – ein reversibles trompe l’oeil also. Aber den guten Eindruck trübt dies nicht.

Drei verglaste Loggien schließlich beruhigen die bewegte Konzeption, bieten Raum, Ruhe und den Blick in die Weite als Erholung von der konzentrierten Betrachtung der Kunst. Ihre Wandgestaltung mit anthrazitfarbenem Sichtbeton weist sie als kommunikativen Teil der raumhaltigen Fassade aus, der das bewegte Innere auf geistreiche Weise mit dem stillen Relief der Außenhaut verbindet – vielleicht eine Antwort auf eine heute noch zu selten gestellte Frage.

Andreas Denk

Fotos: Andreas Denk

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