kritischer raum

Fiktive Harmonie

Das DomRömer-Quartier in Frankfurt von verschiedenen Architekten, 2009–2018

1994 verkaufte die Stadt Frankfurt ihr Technisches Rathaus, das an der Stelle der 1944 zerstörten Altstadt errichtet wurde, an eine Tochter der Deutschen Bank für 148 Millionen Mark. In einer Klausel wurde vereinbart, dass die Kommune das Gebäude nach zwölf Jahren für 136 Millionen Mark zurückkaufen könne. Unterdes hatte die Stadt jährlich etwa elf Millionen Mark Miete für den Bau zu entrichten. Gleichgültig, wer von diesem Vertrag profitiert haben mag: Schon vor dem festgesetzten Datum begann die Stadt mit Planungen für das Gelände, die nach dem Rückkauf einen Abriss vorsahen. Anstelle des Rathauses beschloss die Stadtverordnetenversammlung dann 2007 eine Neubebauung des Dom-Römer-Areals, bei dem sieben Häuser des historischen Vorkriegsbestands möglichst originalgetreu rekonstruiert werden sollten. Zudem sollte das Gelände zwischen Dom und Römer so nivelliert werden, dass der ehemalige mittelalterliche Krönungsweg der deutschen Kaiser wieder sicht- und begehbar würde.

DomRömer-Quartier, Frankfurt am Main 2009–2018, Foto: Barbara Staubach

Aus dem damaligen Vorhaben ist in den Jahren danach eine weit umfänglichere Planung geworden, die schließlich zur Herstellung eines ganzen Stadtquartiers mit 15 Rekonstruktionen und 20 Neubauten nebst zugehörigen Straßen- und Platzräumen geführt hat. Vom Technischen Rathaus der Architektengemeinschaft Bartsch, Thürwächter und Weber, deren umstrittener, im Laufe des Planungsvorlaufs immens vergrößerter Entwurf fraglos eine besonders krasse Form der Stadtzerstörung war, ist nur eine U-Bahn-Station und – in Teilen – die Tiefgarage übrig geblieben, deren Fundamente teils als Keller und Funktionsräume für das neue Viertel ausgebaut, teils erneut als Boden für eine zweigeschossige Tiefgarage genutzt wurden.

Das Quartier hat Verbindungen in alle Himmelsrichtungen: Im Westen schließt es an den ebenfalls historisierenden Römer an, im Norden grenzt es an die belebte Braubachstraße, im Osten formt der Domplatz den Zugang zur Bendergasse und zum Krönungsweg. Im Süden schließt der langgestreckte Bau der Schirn das Gelände ab, gegenüber an der Benderstraße steht das neue, in roten Mainsandstein gekleidete Stadthaus mit mehreren Mehrzwecksälen nach Plänen von Meurer Architekten. In dessen manchmal allseits zugänglichen, überdachten Innenhof sind die ehemals unter freiem Himmel zugänglichen Reste der früheren Frankfurter Kaiserpfalz zu besichtigen.

DomRömer-Quartier, Frankfurt am Main 2009–2018, Foto: Andreas Denk

Nördlich von diesem Quartiers-Rückgrat liegen der sogenannte „Markt“, der sich linear als Teil des Krönungswegs zwischen Römer und Dom erstreckt und der Hühnermarkt, dessen baulicher Bestand zur Gänze aus Rekonstruktionen besteht. Hier ist die Camouflage der innen eher zeitgenössisch strukturierten Häuser soweit gelungen, dass der unbefangene Betrachter jeden Moment damit rechnet, dass Heidi nebst Klara Sesemann in Begleitung des strengen Fräulein Rottenmeier erscheint, um im Bäckerladen nebenan „Wecken“ zu kaufen, um eins davon heimlich mit auf die Alm zu nehmen. Rekonstruierte Bauten bilden im Wesentlichen auch die Straßenfassade „Hinter dem Lämmchen“ zwischen Markt und Braubachstraße.

Nicht überall funktioniert das so gut: Auch die Westseite des „Rebstockhofs“ ist vollständig rekonstruiert. Trotz gestalterischen Aufwands der Fassaden bleibt der kleine Platz jedoch ein optisches dead end. Das passiert beim Zugang vom Dom wohl kaum: Die stark farbige Fassade des Hauses „Goldene Waage“ lässt den Zugang zum Quartier kaum übersehen. Das fast grelle, stellenweise goldgefasste Gebäude ist schon jetzt ein touristischer Höhepunkt. Auf diesem Betrachtungsniveau erklärt sich auch der eigentliche Galeriegang, der den Königsweg in Höhe der Kunsthalle Schirn säumt. Er kaschiert nicht nur den Geländeabfall zwischen Ausstellungshalle und dem eigens vertieften „Königsweg“, sondern rahmt auch die ansonsten unbefriedigende, wie nur einseitig gefasste Platzsituation.

DomRömer-Quartier, Frankfurt am Main 2009–2018, Foto: Barbara Staubach

Fünf der rekonstruierten Gebäude stammen von der Bad Nauheimer Denkmalkonzept GmbH, je drei stammen vom Frankfurter Büro Jourdan Müller und von Hans Kollhoff, zwei von Dreysse Architekten und zwei von Claus Giel. Die meisten der Neubauten sprechen andere Sprachen, sind aber im Zuge immer wieder erwünschter Überarbeitungen mehr und mehr den historisierenden Rekonstruktionen anverwandelt worden. Eine erkennbar zeitgenössische Architektursprache haben dabei lediglich Morger + Dettli Architekten („Altes Kaufhaus“ am „Markt“), Eingartner Khorrami (Braubachstraße 23) und Tilmann Wagner Architekten („Goldene Schachtel“ am „Markt“ 32) behalten können. Die meisten anderen Neubaufassaden – unter anderem von knerer + lang aus Dresden, Helmut Riemann, dreibund architekten, Francesco Collotti und Bernd Albers – sind zu einer unschädlichen Melange historischer und reform-moderner Stilmerkmale verschliffen, die dem ganzen Viertel mit rotem Sandstein, Schiefer, Eichenholz und den in diesem Qualitätssegment unentbehrlichen Messingbeschlägen seine altstädtische Gesamtstimmung gibt.

DomRömer-Quartier, Frankfurt am Main 2009–2018, Foto: Barbara Staubach

Über all diese architektonischen Fragen und den Geist der Zeit, der sich mit den hier angebotenen Lösungsvorschlägen verbindet, lässt sich unendlich diskutieren. Für Christoph Mäckler, den Vorsitzenden des Gestaltungsbeirats, sind zu viele Rekonstruktionen und zu wenig typologisch argumentierende Neubauten zur Ausführung gelangt. Es habe nicht genügend Architekten gegeben, die dieser Aufgabe gewachsen gewesen seien, glaubt der Frankfurter. Dennoch weise das DomRömer-Quartier „als städtebauliches Ensemble in die Zukunft“. Das jedenfalls darf bezweifelt werden. Denn hier ist ein hauptsächlich stadtmarketing-taugliches Schauviertel entstanden, das durch seine große touristische Attraktivität alle weiteren Probleme der zeitgenössischen Stadt ausblendet. Anstelle eines durchmischten Quartiers, in dem mit hoher gestalterischer Qualität prototypisch Antworten auf Fragen der sozialen Gemeinschaft im Zeichen der Globalisierung, des Klimawandels und der Migration gegeben werden, ist hier eine weitgehend monofunktionale, vor allem dem mittleren und gehobenen Einzelhandel und der Gastronomie dienende Kulisse entstanden, die lediglich 200 Menschen Wohnraum bieten wird. Die heile Welt, die hier suggeriert wird, ist zwar schon jetzt bedroht von den unsäglichen Accessoires der Stadtmöblierung, wie sie Cafés und Restaurants nun einmal mit sich bringen. Aber sie beschäftigt ihre Besucher und Betrachter ausreichend mit dem Genuss einer fiktiven Harmonie, wie sie früher nur im Heimatfilm und heute nur noch virtuell zu erlangen ist. „Sie glauben gar nicht“, sagt der Mitarbeiter der Tourist Information am Römer auf die Frage nach der Akzeptanz des Dom-Römer-Quartiers, „wie viele Leute sich noch an das alte Frankfurt erinnern, obwohl sie es gar nicht gekannt haben können.“

Andreas Denk

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