kritischer raum

Raum für einen neuen Ritus

Die Grabeskirche St. Bartholomäus von Kissler + Effgen Architekten BDA, Köln 2010–2014

Die Bartholomäus-Kirche von Hans Schwippert, dem Architekten des ehemaligen Bonner Plenarsaals, ist eine Saalkirche auf quadratischem Grundriss mit Seitenschiffen und eckigem Campanile. Das Gebäude steht an einer Ecke des Helmholtzplatzes in Köln-Ehrenfeld und hat mit seiner groben Struktur aus Betonbügeln und Ziegelwänden nicht mehr den Charme der glatten fünfziger Jahre Architektur, sondern transponiert die Tendenzen des Betonkirchenbaus der ausgehenden 1920er Jahre in die spätere Nachkriegszeit: Wenn man so will, ist die Kirche ein gemäßigter Beitrag zur „beton-brut“-Architektur ihrer Zeit, aber mit ihrem Saal auch ein früher Beitrag zur Liturgiereform (vor dem 2. Vatikanischen Konzil). In rheinischer Betrachtungsweise verbleibt sie im Milieu des anspruchslosen Quartiers in unmittelbarer Nähe des Ehrenfelder Güterbahnhofs.

2006 fand hier mangels Masse die letzte Messe statt. Danach entschloss sich die inzwischen aus drei Bezirken zusammengelegte Gemeinde zum Umbau von St. Bartholomäus als Kolumbarium. Den Wettbewerb gewannen die Wiesbadener Architekten Kissler + Effgen mit einem Entwurf, der von der These einer weitgehenden Substanz-erhaltung ausging: „Um diese Kirche zu einem Kolumbarium zu machen, muss absolut nichts getan werden, außer 2.000 Urnenkammern in Verbindung mit einem Sakralraum sinnhaft in die Gesamtkomposition zu integrieren. Alles andere ist schon da.“ Aus dieser Haltung spricht nicht nur die berechtigte große Wertschätzung von Schwipperts Architektur, sondern auch ein Gefühl für das offene Raumangebot, dass die hohe Halle von St. Bartholomäus bietet.

Kissler + Effgen Architekten BDA, Grabeskirche St. Bartholomäus, Köln 2010 – 2014, Foto: Dietmar Strauß

Kissler + Effgen Architekten BDA, Grabeskirche St. Bartholomäus, Köln 2010 – 2014, Foto: Dietmar Strauß

Entsprechend „einfach“, nein: übersichtlich ist auch der Eingriff, den die Architekten vorgenommen haben. Nachdem der alte, für die neuen Zwecke überdimensionierte Altar entfernt worden war, platzierten sie in der Mitte des Saals einen längsrechteckigen Andachtsraum mit kleinem Altar, Ambo und Urnensockel, der mit einem Gewebe aus Bronzeringen eine transluzente, oben offene Abgrenzung zum restlichen Begräbnisraum bekommen hat, wie es das katholische Regularium vorschreibt. An die Außenseiten der Halle legten die Architekten zehn Kabinette, in denen die als Stahlkonstruktion ausgeführte Urnenkammern liegen. Jedes Kabinett wird durch eine Sitzgelegenheit mit einer Rückenplatte zum Hauptraum abgegrenzt, auf dessen Rückseite jeweils eine neo-expressionistische Kreuzwegstation des tschechischen Bildhauers Ludek Tichy aus den späten 1980er Jahren angebracht worden ist. So entstehen dezente Rückzugsräume zur Trauer und Andacht, die im Umgang um den Quader des Andachtsraums begangen werden, wobei sich räumlich-atmosphärisch wirksame Perspektiven einstellen. Die Seitenschiffe des Kirchenbaus wurden auf der Südseite mit einem Arbeitsraum für einen ständigen Mitarbeiter und weiteren Räumen für die seelsorgerischen Belange ausgelegt; der nördliche Teil birgt in zwei Raumkompartimenten hintereinander Platz für den alten Taufstein und den Tabernakel, der aus dem Bestand der ehemaligen Pfarrkirche übernommen wurde.

Schon beim Eintritt wird die maßgebliche Eigenschaft der Umgestaltung deutlich: Es ist die starke atmosphärische Wirkung, die die Architekten hier mit Material, Farbe und Lichtführung erzielt haben. Hinter den dunklen Entrees, die sich hinter niedrigen Türen rechts und links in der geschlossenen Westfassade eröffnen, wird es nicht wesentlich heller. Der Blick fällt natürlich zuerst auf den Quader des Kapellenraums, dessen Metallvorhang durch die Beleuchtung mit LED-Strahlerreihen am oberen Abschluss des Netzwerks textile Qualitäten entwickelt: Einerseits wirkt er durch das Licht von oben wie ein immaterieller, fast schwebender Leuchtkörper, andererseits lässt er in reizvollen Durchblicken das Innere des Andachtsraums und die Raumteile dahinter erkennen. Überhöht wird dieser Eindruck durch die sehr farbigen Fenster, die hier nach Entwürfen von Giselbert Hoke 1978 die farblose Verglasung des ursprünglichen Zustands ersetzt haben. Die Urnenkabinette sind wiederum dunklere Zonen, die nur durch jeweils eine abgehängte Leuchte punktuell belichtet werden.

Kissler + Effgen Architekten BDA, Grabeskirche St. Bartholomäus, Köln 2010 – 2014, Foto: Dietmar Strauß

Kissler + Effgen Architekten BDA, Grabeskirche St. Bartholomäus, Köln 2010 – 2014, Foto: Dietmar Strauß

Die gezielte Abwechslung von Natur- und Kunstlicht gliedert nicht nur die Raumteile funktional, sondern setzt auch ihre Materialien und Farben in Szene: Die in den Raum auskragenden Skulpturen des Kreuzwegs bilden dabei mit ihrer bewegten Form und dem Materialwechsel besondere Kontrapunkte im ansonsten formal ruhigen Raum. Das brünierte Messingblech, mit dem die Urnenwände verkleidet sind, die goldenen Knöpfe der Verschlüsse der Urnenbehälter, das changierende Gold des Bronzevorhangs, das dunkle Braun des Kruzifixes über dem Altar, die deftigen Rottöne der Glasbilder werden trotz – oder wegen – der unterschiedlichen Lichtführung zu einem stimmungsvollen Ensemble, das Ruhe, Andacht, Trauer, Kontemplation ermöglicht.

Das Reizvolle des Eingriffs ist neben der atmosphärischen Überhöhung der alten Kirche die räumliche Aufteilung in verschiedene liturgische Zonen, die eine Weiterentwicklung des bisher nicht festgelegten Ritus der Urnenbeisetzung ermöglichen. Während der Abschied vom Verstorbenen mit einer kurzen Trauerfeier oder umfangreicheren Exequien innerhalb des Kapellenraums begangen wird, wird das Licht innerhalb des Andachtsraums verstärkt, so dass der Blick auf die Urnenkabinette eingeschränkt ist. Zum Ende der Feier wird die Urne an ihren Platz getragen, wofür die Beleuchtung im Andachtsraum verringert und die des Umgangs verstärkt wird, so dass den Trauernden der Weg zur Ruhestätte der Urne als Weg vom Hier zum Da deutlich wird. Ein Gemeindemitarbeiter trägt das Aschegefäß an seinen Platz, wo die Trauernden noch einmal persönlich Abschied nehmen können.

Kissler + Effgen Architekten BDA, Grabeskirche St. Bartholomäus, Köln 2010 – 2014, Foto: Dietmar Strauß

Kissler + Effgen Architekten BDA, Grabeskirche St. Bartholomäus, Köln 2010 – 2014, Foto: Dietmar Strauß

Nachdem die Hinterbliebenen die Grabstätte verlassen haben, wird der mit Scharnieren befestigte Deckel der Urnenkammer hochgeklappt und verschraubt. Eine immer gleich formatierte Messingtafel, die frei gestaltet und wahlweise mit einem Bord für ewiges Licht und Blumenphiole ausgestattet werden kann, wird nach dem Wunsch der Familie oder der Verstorbenen angebracht. Die Ruhezeit der Urne läuft 20 Jahre. Wenn sie nicht verlängert wird, soll die Asche schließlich in einem „Ewigkeitsraum“ unter dem Boden des östlichen Umgangs deponiert werden, während ein Namenstäfelchen in der Kapelle im Nordwesten angebracht wird, um weiterhin an den Toten zu erinnern. Diesem würdevollen Ritus entspricht die Raumgestaltung, die neben den Kolumbarien von Hahn und Helten in Viersen und Aachen Maßstäbe für die anspruchsvolle Bauaufgabe im Bestand setzt.

Andreas Denk

Fotos: Dietmar Strauß

Kissler + Effgen Architekten BDA, Grabeskirche St. Bartholomäus, Köln 2010 – 2014, Foto: Dietmar Strauß

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert