Tatort

Kunst in der Aue

Wieder suchen wir ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können per E-Mail (redaktion[at]die-architekt.net) an die Redaktion gesandt werden. Unter den Einsenderinnen und Einsendern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsendeschluss ist der 15. Juli 2022.

Wer in dieser Stadt mit dem Zug ankommt, landet meist nicht am Hauptbahnhof. Mit der Straßenbahn geht es weiter ins Zentrum. Von dort aus führt der Weg zu unserem Tatort an einem Theater vorbei, das eigentlich Hans Scharoun hätte bauen sollen, der den entsprechenden Wettbewerb gewonnen hatte. Doch seine Pläne erwiesen sich angeblich als „unbaubar“, so dass Scharoun ausgebootet wurde und ein örtlicher Architekt einen „Geheimauftrag“ erhielt, den er schließlich auch realisierte. „Skandal!“ raunen sie hier noch heute. Neben dem Theater steht eine Kunsthalle, die eine berühmte periodische Ausstellung beherbergt. Nun führt uns der Weg durch eine eindrucksvolle innerstädtische Parkanlage in den Flussauen, deren barocker Grundriss noch gut erlebbar ist. Nach längerem Fußweg, vorbei an Teichen und Gräben, landen wir schließlich am Tatort, der sich baulich weit zu der direkt angrenzenden Parkanlage öffnet.

Foto: Lucas Melzer

Durch die großen Glasflächen sehen wir junge Menschen, die sich den Künsten verschrieben haben. Sie finden im Tatort, der aus mehreren miteinander verzahnten kubischen Baukörpern besteht, helle Ateliers und offene Arbeitshöfe vor. Auffällig sind die über die Höhe der Gebäudekubatur hinausragenden Bügel des Stahltragwerks.
Das Gebäude ist ein Hauptwerk eines Architekten, der in dieser Stadt auch lehrte. Obwohl er hier neben dem Tatort nur ein weiteres größeres Projekt realisierte, nämlich den Wiederaufbau eines Schlosses, wird er in der lebendigen örtlichen Architekturszene bis heute verehrt. Das mag an seiner Lehrtätigkeit liegen, die ihn ab den sechziger Jahren zunehmend fesselte. In dieser Zeit entstanden nur wenige Bauten – und wenige, meist radikale Beiträge zu Architekturwettbewerben. Nonkonformistisch waren seine Bauten alle. Ihre Entstehung war oft mit kompromisslosen Auseinandersetzungen verbunden.

Diese streitbare Architektenpersönlichkeit steht für viele, denen „in der zweiten Reihe“ eine qualitätvolle Architektur der Wiederaufbaujahre gelungen ist. Das lässt sich am Tatort gut demonstrieren: Die offene Struktur, die flexible Nutzbarkeit und die sorgfältigen Abstufungen zwischen innen und außen, zwischen Arbeitsräumen und Gemeinschaftsbereichen haben wesentlichen Anteil an der Qualität dieses Ensembles. Trotz einer unverkennbar der damaligen Zeit zuzuordnenden Sprache kennzeichnet diese Architektur ein sensibler Umgang mit dem Ort. Die Räume werden heute noch in gleicher Weise wie zu Beginn genutzt, ohne dass sie hätten umgebaut werden müssen. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz und ist in Teilen unter laufendem Betrieb behutsam saniert worden. Um welchen Bau in welcher Stadt geht es – und wer hat ihn wann entworfen?
Benedikt Hotze

Der Tatort in Heft 2 / 2022 war der Berlin-Pavillon, entworfen von Hermann Fehling, Daniel Gogel und Peter Pfankuch anlässlich der Interbau 1957 als Ausstellungspavillon. Nach einer Zwischennutzung durch die Königlich-Preußische Porzellanmanufaktur (KPM) wurde er durch Paul und Petra Kahlfeldt zu einer Burger-King-Filiale umgebaut – immerhin die Rettung vor dem Abriss. Dieser wiederum könnte allerdings mangels Denkmalstatus auf lange Sicht der Friedhofskapelle Tegel von Fehling + Gogel drohen, wie erste Stimmen warnen.
Gewinner des Buchpreises ist Heinrich Ruoff.

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