Daniel Hubert

Liebe deine Stadt

Projekt und Theorie IV: Künstlerische Intervention

Seit 2007 prangt die Aufforderung „Liebe deine Stadt” über der Nord-Süd-Fahrt in Köln. Dort, wo die autogerechte Stadt für kurze Zeit im Tunnel unter der Fußgängern vorbehaltenen Schildergasse verschwindet, auf einem Gebäude, das weiß gekachelt, exemplarisch für Kölns mitunter schäbigen Wiederaufbau nach dem Krieg steht.

Der durch rote Schreibschrift abgemilderte Imperativ scheint an dieser unmittelbaren Stelle schwer durchzuhalten, andererseits in dieser Stadt auch unnötig zu sein. Wer Köln und den Großteil seiner Bevölkerung kennt, muss sich um die unverbrüchliche Zuneigung jener zu ihrer Stadt keine Sorgen machen. „Ming Hätz schläht för Kölle”-Autoaufkleber sind ebenso selbstverständlich wie Lobpreisungen von gebürtigen Kölnern auf ihre Stadt. Für den Rest der Republik – wenn es nach den Kölnern geht, gar der ganzen Welt – wird diese Liebe im Karneval offensichtlich, wenn die ganze Stadt über mehrere Tage im Taumel sämtliches Stadtinventar zu besingen scheint.

Merlin Bauer, Künstler und Initiator des Projekts „Liebe deine Stadt” ist sich über die Beziehung der Kölner zu ihrer Stadt im Klaren, verbindet jedoch die obsolet erscheinende Aufforderung mit etwas, das dem Bewusstsein der Stadtgesellschaft weitgehend verloren gegangen scheint: dem baukulturellen Erbe der Wiederaufbaujahre, den oftmals vernachlässigten Architekturen der 1950er und 1960er Jahre und ihre Bedeutung für die Identität der Stadtgesellschaft.

Entstanden war „Liebe deine Stadt“ durch die aufkommende Diskussion über den Abriss der Oper von Wilhelm Riphahn an der Nord-Süd-Fahrt im Jahr 2004, als sich manche dafür aussprachen, am rechtsrheinischen Ufer eine neue Oper zu errichten – etwas Schickes, Neues. Vergleiche mit Sydney wurden gezogen. Finanziert werden sollte das, so die Überlegung, durch den Verkauf des Grundstücks der jetzigen Oper.

Foto: Raimond Spekking / CC-BY-SA-3.0

„Liebe deine Stadt“-Schriftzug über der Nord-Süd-Fahrt, Köln 2012; Foto: Raimond Spekking / CC-BY-SA-3.0 (via Wikimedia Commons)

Doch es regte sich Widerstand. Nachdem das Engagement der Künstler und Bürger im Jahr 2002 beim Abriss der Josef-Haubrich-Kunsthalle und dem Kunstverein zu spät gekommen war – und statt des alles unter einem Dach vereinenden Kulturzentrums am Neumarkt über lange Zeit hinweg nur ein riesiges Loch klaffte –, waren Kulturschaffende und Bürger, denen ihr Opernhaus am Herzen lag, alarmiert. Mit dem Gebäude sollte nicht dasselbe passieren wie mit der Kunsthalle: jahrelang unterlassene Sanierungen – „administrativer Vandalismus“ wie Andreas Rossmann (FAZ) es genannt hatte – und schließlich der scheinbar unumgängliche Abriss, der Fakten schafft. Die Rettung gelang, die Sanierung der Oper aus dem Jahre 1957 wurde beschlossen. Auch das angegliederte Schauspielhaus von 1962, zusammen mit der Oper und dem Restaurant Opernterrassen Teil des von Riphahn entworfenen städtebaulichen Ensembles, wurde schließlich nach einem Bürgerbegehren 2010 vor dem Abriss bewahrt, lediglich das Restaurant musste weichen.

Zu diesem Zeitpunkt war Merlin Bauers Kunstprojekt bereits abgeschlossen, mahnte das Logo in unmittelbarer Nähe zu Oper und Schauspielhaus bereits seit drei Jahren: „Liebe deine Stadt”.

In den Jahren zuvor, zwischen 2005 und 2007, zeichnete Bauers Projekt regelmäßig Gebäude der Nachkriegszeit aus: mit einem riesigen Orden in den Stadtfarben und einer Laudatio, die meist von Nicht-Kölnern gehalten wurde. So wurden das Landeshaus des LVR, Neu Sankt Alban, das Hotel mit Parkhaus am Augustinerplatz, der Pavillon im Rheinpark und das Amerika-Haus, die Oper, das Fernmeldeamt an der Nord-Süd-Fahrt und das Afri-Cola-Haus an der Tunisstraße ausgezeichnet. In abendlichen Zusammenkünften wurde dem Gebäude die Auszeichnung in Form einer Rosette mit Schleifen angeheftet und ein Laudator hielt eine mehr oder weniger am Objekt orientierte Lobeshymne. So würdigte Peter Zumthor in einer sehr persönlichen Rede das Opernhaus, das er bei seinen Baustellenbesuchen am gegenüberliegenden Diözesanmuseum Kolumba entdeckt hatte, und Bazon Brock sinnierte anhand des Afri-Cola-Hauses unter anderem über die Gottesstadt Köln und die Arbeit des Werbefachmanns Charles Wilp, der die polarisierende Werbung für die Brause in den 1960er Jahren konzipiert hatte.

Foto: David Kasparek

Merlin Bauer bei der Auszeichnung des LVR-Landeshauses mit der „Liebe deine Stadt“-Rosette 2007; Foto: David Kasparek

Die Auswahl der Projekte wurde in Diskussionen mit befreundeten Architekten und Künstlern durch Bauer selbst vorgenommen. Ihm ging es darum, Gebäude zu würdigen, die sich in unterschiedlichen Stadien der Zustände und Wahrnehmungen befanden. Im Fokus stehende, unmittelbar gefährdete Objekte, wie die Oper es damals war, standen solchen gegenüber, die im Dornröschenschlaf vor sich hin ruinierten, wie etwa der Pavillon im Rheinpark. Gegensätze zu prämieren wie die feine Kirche Neu Sankt Alban und das grobschlächtige, wenn auch qualitativ hochwertige Fernmeldeamt, war Teil des Konzepts. So entstand eine Bandbreite Kölner Architekturen, die abseits jeder Denkmalfrage mit der Aktion prämiert wurden. Das Mittel der künstlerischen Intervention erlaubte „Liebe deine Stadt“, der Öffentlichkeit Gebäude ins Gedächtnis zu rufen und durch die Auszeichnung zu sensibilisieren, ohne die institutionalisierte Vorgehensweise einer Denkmalbehörde einhalten, Gutachten erstellen und die kulturelle Bedeutsamkeit eines Gebäudes nachweisen zu müssen.

Ähnlich wie bei Bauers Vorgängerprojekt „Unter dem Pflaster der Strand“, bei dem an über 90 wechselnden Orten des öffentlichen Raums „Gastgeber“ zu Zusammenkünften einluden, die durch ein Fahrrad mit Musik, Getränken und Speisen die notwendige Infrastruktur erhielten, spielt auch bei „Liebe deine Stadt“ das „sozio-performative“ eine nicht unbedeutende Rolle. Öffentlicher Raum, der durch die Auszeichnungszeremonie temporär genutzt wurde, erlaubte auch das Erreichen von Personen, die bislang möglicherweise wenig für baukulturelle Fragestellungen übrig hatten.

Foto: David Kasparek

Eckhard Schulze-Fielitz, Ulrich S. von Altenstadt und Ernst von Rudloff, Landeshaus, Köln 1956 – 1959; Foto: David Kasparek

Ein Beispiel dafür ist die seit damals in der Südkurve bei Heimspielen des 1. FC Köln wehende „Liebe deine Stadt“-Flagge. Zuschriften und Begegnungen mit Menschen, die zugeben mussten, sich bislang wenig mit der identitätsstiftenden Qualität der Architektur der Nachkriegsjahrzehnte auseinandergesetzt zu haben, bestätigten den Einfluss der Kunstaktion.

Problematisch ist lediglich die zunehmende Entkontextualisierung des Schriftzugs auf dem Dach. Denn je länger mit der Aufforderung keine weitere Zusammenkunft der Stadtbevölkerung vor einem erinnerungswürdigen Gebäude verbunden ist, desto mehr ist mit einer beschleunigenden, hintersinnfreien Anverwandlung des Slogans zu rechnen. Merlin Bauer kämpfte schon gegen Plagiate und urheberrechtswidrige Verwendung, der Schriftzug taucht mittlerweile in jedem Reiseführer auf, ohne die eigentliche Intention zu erwähnen. Und natürlich werden Befehle, die ohnehin befolgt würden, gerne akzeptiert. „Liebe deine Stadt“ ohne Kontext ist so ein Befehl, den man sich in Köln gerne gefallen lässt.

Wilhelm Riphahn, Oper, Opernterrassen und Offenbachplatz, Köln 1954 – 1957; Foto: David Kasparek

Die Fortsetzung des Projekts kam für Merlin Bauer aber nicht in Frage. Das Angebot, das Konzept auch auf andere Städte zu übertragen, lehnte er ab. Es schien ihm, als ließe sich die mediale Präsenz nicht weiter erhöhen, der Effekt der erreichten Aufmerksamkeit nicht vergrößern.

Im März 2009 tat sich ein neues Loch in der Stadt auf: das Stadtarchiv stürzte in die U-Bahn-Baustelle am Waidmarkt, es gab Ungereimtheiten beim Bau der neuen Messehallen, das abgerissene Barmer-Viertel wartet seit Jahren darauf, von gesichtsloser Investorenarchitektur übersät zu werden – es gibt zahllose Beispiele für abscheuliche Sanierungen und Neubauten…

Nachdem das Bewusstsein für die Architektur der Nachkriegszeit durch Projekte wie das von Merlin Bauer geschärft ist, scheint nun die Notwendigkeit des Imperativs für die Gegenwart zu bestehen: Liebe deine Stadt!

Dipl.-Ing. Daniel Hubert (*1979) absolvierte nach seinem Architekturstudium in Köln ein Volontariat in der Redaktion dieser Zeitschrift. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Architektur der Fachhochschule Köln.

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