Andreas Hild

Material der Stadt

Material gewordenes Zeichen – Zeichen gewordenes Material

Wer sich mit dem Upcycling architektonischer Ressourcen beschäftigt, wird nicht umhin kommen, auch nach deren Zeichenhaftigkeit zu fragen. Die Metapher von der Architektur als Sprache ist der Geschichte des Faches tief eingeprägt. Davon zeugen Allerweltsbegriffe wie „Formenvokabular“ oder, vielleicht am eindeutigsten, „Architektursprache“. Vor diesem Hintergrund lässt sich die gebaute Stadt als Reservoir lesen, als ein Vorrat an Material, aber auch an Zeichen. In der Substanz durchdringen sich Zeichen und Materie zu einem unentwirrbaren Amalgam. Urban Mining ist also nicht eine bloße Weiterverwendung von materiellen Ressourcen, sondern erfordert auch einen bewussten Umgang mit der vorhandenen Zeichenwelt und den darin gebundenen Erinnerungen.

Die offenkundige Verknüpfung von Ikonographie und Material macht deutlich, dass Recycling als Downcycling nicht nur energetisch die schlechtere Variante gegenüber dem Upcycling darstellt: Recyclingbeton besitzt keine ikonographische Leistungsfähigkeit, auch wenn er aus einem noch so zeichenhaften Gebäude stammt. Wird dagegen ein Haus umgebaut oder werden ganze Bauteile wiederverwendet, kommt dies einer Rekombination der vorhandenen Formen gleich. Der Vorgang lässt sich mit einer Textproduktion vergleichen, bei der aus bekannten Wörtern eine neue Bedeutung geformt wird. Mit vorhandenem Material zu arbeiten, bedeutet also nicht, dass nichts mehr zu erfinden wäre. Vielmehr wird offenkundig, dass das Neue stets aus der Kombination des Bekannten besteht. Wie jeder architektonische Entwurf, wird auch einer, der sich der Strategie des Upcycling bedient, dem Reservoir „Stadt“ neue Zeichenkombinationen zur Verfügung stellen. Wenn auch weitgehend mittels hergebrachter Materialien.

Foto: via Pixabay

Foto: via Pixabay

Die Wiederverwendung architektonischer Elemente wirft komplexe Fragen auf – in der Entwicklung technischer Möglichkeiten ebenso wie im Umgang mit kollektiven Erinnerungen: Um zu einer Strategie des „ikonographischen Urban Mining“ zu gelangen, ist zu untersuchen, wie genau die Zusammenhänge zwischen Bedeutung und Material hergestellt werden und wie diese Mechanismen zu nutzen sind. Dies bedeutet auch, das Modell der Architektur als Sprache auf seine Leistungsfähigkeit innerhalb dieses Zusammenhangs zu befragen.

Auch im didaktischen Umfeld ergeben sich aus der Perspektive des Upcycling neue Möglichkeiten: So ist es üblicherweise schwierig, das Material, das Studierende in ihren Arbeiten verwenden sollen, zu beschränken – für den Lernerfolg ist das aber unumgänglich. Beim Urban Mining entsteht die Konzentration auf bestimmte Baustoffe und Teile von selbst und muss nicht aufwendig begründet werden. So könnte eingeübt werden, was in Zeiten von Ressourcenknappheit und dringend gebotener CO2-Einsparung selbstverständlich sein sollte: das transformative Potential des Vorhandenen zu nutzen und so zu einer neuen Kultur von Weiterbauen zu gelangen. Einer Kultur, die die Zeichen so sorgsam behandelt wie das Material.

Prof. Dipl.-Ing. Andreas Hild (*1961) studierte Architektur an der ETH Zürich und der TU München. 1992 gründete er zusammen mit Tillmann Kaltwasser das Büro Hild und Kaltwasser Architekten. Seit 1999 in Partnerschaft mit Dionys Ottl, seit 2011 mit Matthias Haber: Hild und K Architekten. Nach verschiedenen Lehraufträgen und Gastprofessuren wurde Hild 2013 auf die Professur für Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege an der TU München berufen. Seit 2017 leitet er als Dekan die dortige Fakultät für Architektur. Andreas Hild ist Mitglied des Redaktionsbeirats dieser Zeitschrift, er lebt und arbeitet in München.

Artikel teilen:

Ein Gedanke zu “Material der Stadt

  1. Pingback: Der Welt abhanden gekommen – marlowes

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert