Neu im Club: Wietersheim Architekten

Ehrlich Bauen

Annabel und Franz Wietersheim, Wietersheim Architekten, Berlin und Salzburg

Wären die hohen Kiefern nicht, könnte man glatt Angst bekommen angesichts der unzähligen monotonen Fenster, die einen anstarren. Doch diese Kiefern retten den Blick. Sie setzen einen angenehmen Akzent gegen den schier übermächtigen Bau der neuen BND-Zentrale in Berlin, unweit des alten Mauerstreifens. Mit etwas Fantasie – vielleicht animiert auch das mediterrane Blau der Küchenzeile im kompakten Appartement –, könnte man hinter dem gegenüberliegenden monströsen Bau auch das Meer vermuten. Hier, in der Berliner Chausseestraße, haben Annabel und Franz Wietersheim mit ihrem kleinen Büro einen Neubau verwirklicht, der gut auf den Punkt bringt, worum es ihnen in ihrer Arbeit geht: Eine Einfachheit in der Konstruktion zu formulieren; auf hohe Wertigkeit der Materialien zu setzen; funktional, geradlinig und doch ästhetisch ansprechend zu bauen. Der siebengeschossige Neubau schließt auf engem Raum eine Lücke zum benachbarten Hinterhof. Die umgebenden Altbauten des Karrees aus der Gründerzeit haben Wietersheim Architekten saniert, ein markanter Kopfbau am Eck hat sich für sie beinahe zwingend ergeben.

Franz und Annabel Wietersheim

Weitab der deutschen Hauptstadt, in der die beiden viele Jahre lebten und bei Büros wie Kühn Malvezzi oder Robertneun arbeiteten, haben Annabel und Franz Wietersheim in Salzburg inzwischen einen neuen Ort gefunden. Hier, unweit der Salzach, bewohnen sie eine Etage in einem alten Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert. Annabel Wietersheim empfängt uns an der schweren, noch originalen Metalltür. Ein herrlich verschneiter Wintermorgen, die Sonne bricht sich durch die raue Luft, als würde sie dem Gefühl der Idylle besonderen Nachdruck verleihen wollen. Die beiden begrüßen uns herzlich, wir sitzen an einem weiten Holztisch in einem zurückhaltend-lichten Raum, alles wirkt wohl komponiert. Hier spiegelt sich ihre Idee, den Architekturberuf weiter zu fassen im Sinne eines ganzheitlichen Gestaltens. Das junge Architektenpaar entwirft auch Möbel und Designelemente. Anfänglich entstanden die Aufträge aus dem erweiterten Bekannten- und Familienkreis, bevor neue Auftraggeber auf sie zukamen.

Wietersheim Architekten, Casa Ceppi, Istrien 2017. Der Seitenflügel wurde gesichert. Es entstanden markante Räume, die nach oben offen sind und im Sommer schattige Aufenthaltsbereiche sind. Foto: Wietersheim Architekten

Ein Projekt, welches ihnen besonders am Herzen liegt, befindet sich im malerischen Hinterland Istriens. Dort haben sie einen verfallenen Hof renoviert und dem alten Gemäuer dabei eine ganz neue Idee eingehaucht –, was eine echte Herausforderung gewesen sei, gesteht Annabel Wietersheim. Teile des Hofs mussten komplett entkernt und wieder aufgebaut werden, alte Bögen und Wände wurden entnommen und wieder eingesetzt, der ursprüngliche Charme war inmitten der Großbaustelle zunächst verflogen. Eine neue Mittelwand fungiert nun als Rückgrat des Hauses, das nach Norden hin mit Sichtbeton kühl gehalten ist, während nach Süden auf hölzerne Decken und helle Töne gesetzt wurde. „Natürlich können wir mit unserer Bürostruktur nicht alles abbilden“, sagt Annabel Wietersheim, „aber wir können die Konzeptidee und die Planung in Hinsicht auf die Gestaltung entwurflich begleiten“. Sie nehmen bei diesen Projekten gern die Landschaft und Topografie des gesamten Areals in den Blick. Bei der Casa Ceppi in Istrien haben sie einen ehemaligen Stall, der in einem ruinösen Zustand war, in einen lichten Innenhof mit offenem Dach verwandelt. Am Wohnhaus selbst eine Terrassenanlage angelegt. Für die Ausgestaltung ihrer Entwürfe setzten sie auf lokale „Kollaborateure“: Handwerker aus der Region, die mit traditionellen Methoden ihre alte Handwerkskunst weiterführen. Ein Schmied und seine Frau, die parallel eine Sternwarte betreiben, haben die Metallelemente geschmiedet, Fugen im Haus wurden mit Blei vergossen, nur die Terrazzo-Böden haben Spezialisten aus Italien verlegt.

Wietersheim Architekten, Haus Chausseestraße, Berlin 2017. Die Fassade ist durch Vor- und Rücksprünge artikuliert. Das Prinzip des einfachen Bauens ist ablesbar. Foto: Wietersheim Architekten

Annabel Wietersheim studierte an der RWTH Aachen, in Edinburgh und an der ETH Zürich, wo sie ihren Mann Franz kennenlernte, der zuvor an der TU Berlin war. Das Studium an der renommierten Fakultät in Zürich prägt beide bis heute. Er erinnert sich an die hohe Professionalität und Ernsthaftigkeit, die ihm an der ETH begegneten. „Man bekommt dort ein Bewusstsein für die Langfristigkeit der Entscheidungen“, sagt Franz Wietersheim. „Architektonische Qualität ist in der Schweiz nicht verhandelbar. Es gibt dort eine ausgeprägte Diskussionsbereitschaft zwischen allen Beteiligten, um eine möglichst hohe Qualität zu erreichen. Das liegt sicher auch daran, dass es eine gewachsene gesellschaftliche Wertschätzung gegenüber Architektur gibt.“ Auf Qualität und hohe Wertigkeit setzt das Paar auch in seinen Projekten. „Wir fanden“, sagt Annabel Wietersheim mit Blick auf das Objekt in der Berliner Chausseestraße, „dass an diesem Ort etwas Robustes entstehen muss. Und dann haben wir uns gefragt, wie ein Haus eigentlich entsteht: Ein Haus braucht einen Sockel und auf einem Sockel sind Steine geschichtet und auf den Steinen sind Decken aufgelagert. Es ist wichtig, dass man einem Haus das Tektonische ansieht, das Lasten und Tragen wahrnimmt.“ Unverstellt präsentiert sich dieser Eckbau. Vor- und Rücksprünge strukturieren die unverkleidete Fassade, ein zartes Rosa fügt dem Rohbau etwas Kleidendes hinzu, die Gestalt ist innen wie außen direkt ablesbar. Das Primäre werde dadurch gestärkt, dass man das Sekundäre weglasse, erklärt Annabel Wietersheim. „Wir haben auf alles verzichtet, was sonst hohe Anforderungen mit sich bringt: Sonnenschutzkästen, Brüstungen, Stürze – Elemente, die eine Rohbaustruktur verunklären.“ Meist würden die Dinge dann kompliziert, wenn sie das Entwurfsstadium verlassen. Möglichst viel von der ursprünglichen Einfachheit im weiteren Prozess zu bewahren, ist eine Maxime der beiden Architekten. In der Chausseestraße trifft das Raue auf Licht und Farbigkeit, lasierter Beton und graues Linoleum korrespondieren mit den Holzeinbauten. Der durchgesteckte Grundriss lässt die wenigen Quadratmeter hell und großzügig erscheinen. „Wir sind nicht Verfechter einer Rohbauästhetik. Es war uns wichtig, Wärme hineinzubringen.“

Wietersheim Architekten, Haus auf dem Land, 2017. Luftiges Wohnzimmer im ersten Stock mit Blick auf die Landschaft. Foto: Robert Rieger.

Die gleiche Idee, doch vollkommen anders angegangen, findet sich bei einem Wohnhaus auf dem Land, das Annabel und Franz Wietersheim für einen privaten Auftraggeber umgesetzt haben. Sie haben die Gestalt der dörflichen Bauten aufgegriffen und neu interpretiert, ohne sich, wie Franz Wietersheim sagt, der Vergangenheit anzubiedern. Entstanden ist in Zusammenarbeit mit Artetectura (Objektplanung) ein Bau im typischen Ziegel der Umgebung. Dem Gedanken der vernakulären Architektur folgend, setzten sie auf Eiche und Pappel, auf Granit und verzinkten Stahl. Das Wohnhaus wirkt robust und geradlinig. Gleichzeitig dank des warmen Ziegels und so bereichernden Details wie einer mediterran anmutenden Loggia licht und einladend.

Materialität und Haptik spielen insgesamt eine wichtige Rolle. „Die Dinge müssen gut altern können, dann sind sie auch nachhaltig“, sagt Franz Wietersheim. Bei einem Neubau, wo die Zeit noch keine Chance hatte, ihre Spuren zu hinterlassen, sei das eine besondere Herausforderung. Sie schwören auf das „einfache Bauen“, auf „Materialehrlichkeit“. Was sie damit meinen, erklärt Annabel Wietersheim so: „Es heißt, das Material in seiner Beschaffenheit zu verstehen und in sein Potential zu altern zu vertrauen. Jede Oberfläche, jedes Detail hat eine Auswirkung auf die Stimmung. Das Material und die Fügung sind die Träger der Atmosphäre.“ Ein Gedanke, der Ästhetik und Beständigkeit in den Projekten des jungen Büros auf überzeugende Weise zusammenführt.
Carsten Dippel

www.wietersheim.com

Neu im Club im DAZ
Talk mit Annabel Wietersheim und Baur & Latsch Architekten
24. Mai 2023, 19.00 Uhr

www.daz.de
www.neuimclub.de
Medienpartner: www.marlowes.de
Neu im Club wird unterstützt von Haushahn, Lunos,
Erfurt und Heinze sowie den BDA-Partnern.

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