Gespräche mit Susanne Wartzeck

Esel, Hund, Katze, Hahn?

Passend zu dieser Ausgabe, die sich mit Tieren in der Stadt beschäftigt, trafen sich BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck und die Chefredakteurin von Die Architekt, Elina Potratz, diesmal am Schauplatz einer der bekanntesten Tierfabeln – der „Bremer Stadtmusikanten“. In dem von Wassili Luckhardt entworfenen und 1962 bis 1966 erbauten Haus der Bürgerschaft am historischen Bremer Marktplatz sprachen sie über romantisierte Vorstellungen vom Land, Naturerlebnisse in Baumkronen und den teilweise unterschätzten Eingriff, den Architektur in Ökosysteme bedeuten kann.

Elina Potratz: Trotz der urbanen Tierhelden hat man hier in der Bremer Innenstadt, wie an vielen städtischen Orten in Deutschland, das Gefühl, dass Tiere und Natur kaum eine Rolle spielen, oder?

BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck, Foto: Klaus Hartmann

Susanne Wartzeck: Ja, vermeintlich ist das so. Wenn wir an Natur denken, denken wir an den ländlichen Raum oder an den Wald. Das ist das Bild, was wir von Natur haben. Aus Sicht eines Biologen aber hat sich einiges verändert: In der Stadt gibt es – wenn man es zulässt – zum Teil eine größere Artenvielfalt als auf dem Land, wo Monokulturen vorherrschen und die Vielfalt von Pflanzen und Tieren abnimmt.

Ihr Büro- und Lebensort Dipperz liegt auch im ländlichen Raum. Haben Sie dadurch einen anderen Zugang dazu, wie man Biodiversitätsthemen stärker in die Architektur integrieren kann, oder ist das ebenfalls nur ein romantisiertes Bild vom Land?
Das ist tatsächlich ein romantisiertes Bild, in Wirklichkeit ist es eben: „ländliche Idylle – überall riecht es nach Gülle“. Durch die tägliche Wahrnehmung sind eher die Problematiken der Landwirtschaft und Massentierhaltung sehr viel präsenter und näher dran. Das hat aber natürlich auch etwas mit meiner Einstellung und meinem persönlichen Interesse zu tun. Gleichzeitig nehme ich die Naturräume hier teilweise als einen entgegengesetzten Pol zur Architektur wahr, für die ich aber eine ähnliche Achtung und Bewunderung empfinde wie für die Werke der Menschen.

Bei einem Ihrer aktuellen Projekte, dem Nationalparkzentrum Ruhestein, handelt es sich um eine Art Verbindungspunkt zwischen einem Nationalpark, also einer weitgehend sich selbst überlassenen Natur, und dem Menschen sowie der kulturellen Vermittlung. Wie hat sich das in Ihrem Entwurf niedergeschlagen?
Bei unserem Entwurf haben wir zunächst danach gefragt, was den Urwald eigentlich ausmacht. Und das ist unter anderem das Totholz, denn dieses steckt voller Leben, das wiederum wesentlich ist für die Entstehung neuen Lebens und einen zentralen Teil des Lebenskreislaufs im Wald darstellt. Das Motiv des sich überlagernden Totholzes haben wir daher in unserem Baukörper übernommen.

Wassili Luckhardt, Haus der Bürgerschaft, Bremen 1962 – 1966, Sanierung 2019 – 2020 durch ARGE Campe Janda Architekten und Schulze Pampus Architekten BDA, Foto: Silke Schmidt, Hamburg

Und wie begegnet das Projekt konkret dem Wald und dem Tier?
Auf der einen Seite muss man sehen, dass immer dort, wo man etwas in der Natur aufstellt, etwas zerstört wird, mag es noch so gut gemeint sein. In dem Fall haben wir uns zwar sehr stark darum gekümmert, dass zum Beispiel nur so wenig Bäume wie nötig gefällt werden müssen – dennoch bleibt ein anderer großer Eingriff, den man vielleicht nicht immer so bedenkt als Architektin: nämlich der Eingriff in den Boden. Wenn Baufahrzeuge ein paarmal hin und her fahren, dann ist der Waldboden an dieser Stelle für fast 100 Jahre nicht mehr der Waldboden, der er vorher war. Es ging also auch darum, sehr sorgsam damit umzugehen. Die Aufgabe ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass die Pflanzen, die wir vorher zum Teil entnommen haben, wie zum Beispiel spezielle Moosarten, sich dort wieder ansiedeln.

Das Gebäude beinhaltet auch einen Steg, der auf Höhe der Baumkronen in den Wald hineinführt. Was für eine Art von Begegnung findet dort zwischen den Menschen und dem Wald statt?
Der erste Gedanke war, einen wirklich barrierefreien Zugang zu schaffen: Alle, also auch Schwerstbehinderte, können auf diesem Steg in die Welt der Baumkronen hinausgelangen und Kontakt aufnehmen zu den Tieren und teilweise sehr stattlichen Bäumen – den für den Schwarzwald typischen Weißtannen. Spannend ist dabei, sich auf einer Höhe zu bewegen, auf der man den Baum sonst nicht wahrnimmt. Sonst ist man ja immer unten, kurz über der Wurzel und am Stamm und schaut hinauf. Und diese andere Perspektive, die auf diesem Weg durch die Baumkronen eingenommen wird, ist wiederum Ausgangspunkt für viele Führungen und Aktionen, die dort stattfinden.

Welche Rolle spielen Fragen der Biodiversität und Tierfreundlichkeit insgesamt im gegenwärtigen Architekturgeschehen?
Auf der einen Seite eine viel zu geringe Rolle, weil wir uns oft gar nicht klarmachen, was für einen starken Eingriff Architektur darstellt und wie viele Lebewesen davon betroffen sind. Wenn wir etwa ein neues Baufeld entwickeln und neue Flächen erschließen, dann bringt das nicht nur eine Versiegelung mit sich – diese ist vielleicht schon ein bisschen im Bewusstsein angekommen –, sondern auch einen Verdrängungs- und Vernichtungsprozess. Auf der anderen Seite stehen dann Bemühungen des Naturschutzes, die oftmals sehr stark an einzelnen Biotopen oder an Tierarten festgemacht werden, um das Bauen zu verhindern. Dieser Konflikt ist nicht einfach zu lösen. In diesem Prozess müssen wir noch einiges lernen, um diese Bereiche mehr in Einklang zu bringen. Wir Architektinnen und Architekten sehen uns noch immer viel zu sehr als die Macher und die Gestalter, eigentlich sollten wir jedoch realisieren, dass wir eine Position innerhalb eines Kreislaufs einnehmen – und das bedeutet, dass die Positionen aller anderen Lebewesen auf diesem Planeten genauso wichtig sind wie unsere eigenen. Andernfalls gefährden wir auch uns selbst.

Wassili Luckhardt, Haus der Bürgerschaft, Bremen 1962 – 1966, Sanierung 2019 – 2020 durch ARGE Campe Janda Architekten und Schulze Pampus Architekten BDA, Foto: Silke Schmidt, Hamburg

Eine weitere Herausforderung ist, dass auch ein einzelnes tierfreundliches Projekt mit noch so differenzierten Bepflanzungskonzepten und Gründächern eben nicht ausreicht – es sollte keine Insel sein, sondern braucht Verbindungen zu anderen Stadträumen…
Ich denke, bei diesem Aspekt überlagert sich unser Interesse damit, unsere Städte klimaresilienter zu machen mit dem Interesse, der Natur ihren Raum zu geben. Also die Frage nach einem guten Wassermanagement und notwendiger Verdunstungskühle in den Städten schafft wieder Möglichkeiten, Lebensraum für Flora und Fauna bereitzustellen. Das hat aber weniger mit uns Architekten und Architektinnen zu tun – auch wenn wir hier sicher einige Dinge tun können. Aber es liegt womöglich stärker im Spielfeld der Stadtplanung und der Freiflächenplanung.

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