Neu im Club: Kazu Ito, studio ito, Stuttgart

Die Lücken schließen

Regenpause im Stuttgarter Talkessel. Während sich die Pfützen in die steil abfallende Straßenflucht entleeren, führt unser Weg in entgegengesetzte Richtung, den Berg hinauf. Links gegenüber eines Parks erreichen wir, eingehüllt in einen auffälligen Hefegeruch – die Brauerei ist keine hundert Meter entfernt – das Büro von Kazu Ito. Vom Bürgersteig aus betritt man die Räume in der unteren Etage eines schönen gründerzeitlichen Mietshauses. In Stuttgart gibt es so etwas nicht allzu oft: belebte Ladenzonen, Begegnungsräume also, wo sich die Öffentlichkeit gleichsam im Privaten ausbreitet. Die Sphären scheinen, so zumindest der erste Eindruck der Autorin, stattdessen ziemlich getrennt. Wie um den Effekt noch zu verstärken, bewegt man sich in Stuttgart offenbar am liebsten im Auto fort – die eigenen vier Wände im unwägbaren Außen. Insofern passt Kazu Ito eigentlich nicht in diese Stadt: Der Rückzug ins Private widerstrebt ihm in vielerlei Hinsicht.

Kazu Ito, Foto: Enam Ullah

Es war auch eher der Zufall, der ihn hierher verschlagen hat: Aufgewachsen in Japan, studierte er an der Nagoya Zokei Universität Architektur. Im Rahmen einer Gastkritik lernte er den Stadtplaner und Architekten Björn Severin kennen, mit dem er heute noch befreundet ist. Aus Japan wollte er ohnehin weg und so fragte er, ohne etwas von der Stadt und der Hochschule zu wissen, ob er sich nicht an der Kunstakademie Düsseldorf für das Aufbaustudium bewerben könne. Der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD schickte ihn dann 2008 für den halbjährigen Sprachkurs etwas überraschend erst einmal ans andere Landesende, nach Leipzig, bevor er in Düsseldorf Baukunst studieren konnte. Man traf sich immer dienstags; die restliche Zeit stand für etwaige Wahlfächer zur Verfügung oder für das Sammeln von Erfahrungen in verschiedenen Büros. Es war eine kleine Klasse mit vier Professorinnen und Professoren, eine davon Jórunn Ragnarsdóttir: In ihrem Büro wurde er anschließend Mitarbeiter, und so landete er in Stuttgart. 2017 machte er sich mit Theo Härtner selbständig, seit 2021 hat er sein eigenes Büro mit inzwischen sieben Mitarbeitenden. Alle sitzen an eigenen – im übrigen öffentlichen – Projekten. Privater Raum ist für Kazu Ito nicht besonders interessant. Er möchte bauen, woran alle teilhaben können: Kindergärten, Schulen, gern auch einmal ein Rathaus. Neben der Arbeitskultur – damals war eine sieben-Tage-Woche mit Nachtschicht und schlechter Bezahlung keine Seltenheit – ist das einer der Gründe, warum er nicht in Japan bleiben wollte: Öffentliche Bauten würden im Vergleich zu Europa viel seltener über Wettbewerbe an Architekturbüros vergeben, und es in diese Verfahren hineinzuschaffen, sei überdies noch schwerer als hierzulande. Und was ist mit der weltweit gepriesenen japanischen Architektur? Die gibt es natürlich trotzdem – nicht umsonst war er jüngst mit Studierenden der Stuttgarter Hochschule für Technik, wo er Entwerfen und Baukonstruktion lehrt, in Tokio und Kyoto.

Kazu Ito, Kita Illerkirchberg, 2021, Foto: Simon Sommer

Ursprünglich ging er in die Lehre, um Kontakte zu knüpfen. Im Alltag als junger selbständiger Architekt war es schwer, Leute kennenzulernen und sich zu vernetzen. Den Austausch im BDA und speziell im Arbeitskreis Junger Architektinnen und Architekten (AKJAA) schätzt er aus diesem Grund außerordentlich. Der Austausch beziehungsweise das Bedürfnis danach ist dabei nicht nur privat ein Leitgedanke, er beschäftigt ihn auch im Entwurf. Als eines seiner ersten Projekte setzte er in Kooperation mit einem britischen Architekturbüro den Umbau des 1978 gegründeten Künstlerhauses im Stuttgarter Westen um: Im Gebäude einer ehemaligen Kofferfabrik von 1909 sind Werkstätten, Ausstellungsflächen, das Büro und eine Bibliothek untergebracht, sowie im Erdgeschoss ein Lokal. Neben Instandsetzungsarbeiten ging es vor allem darum, dieses Café zu einem Treffpunkt, einem Begegnungsraum – als Ort für Konzerte, Veranstaltungen und Gastronomie – umzubauen. Von der Öffnung des Erdgeschosses zur Straße hin durch große, blau-gerahmte Fenster ist aber heute sowohl visuell als auch funktional nicht mehr viel übriggeblieben: Statt eines niedrigschwelligen Eingangsbereichs ohne Konsumzwang, wo sich das Künstlerhaus mit seiner Community in den Stadtraum öffnet, findet sich dort inzwischen ein höherpreisiges Restaurant mit recht begrenzten Geschäftszeiten. Das intendierte Schaufenster ist nun blind – die Gläser wurden mit bunten Folien beklebt. Der Einfluss eines Architekten oder einer Planerin auf die Verwirklichung der konzeptuellen Ideen halte sich doch sehr in Grenzen, stellt Ito bedauernd fest.

Kazu Ito, Kita Bad Reichenhall, 2019, Foto: Simon Sommer

Kindertagesstätten und Schulen – vor allem erstere bilden bislang einen Schwerpunkt des Büros – sind zwar per se Begegnungsräume, können je nach Konzept aber auch sehr starr sein, wenn es zwischen den Gruppen beziehungsweise Klassen keinen Austausch gibt. Eine Möglichkeit sei es, Kitas etwa statt mit klassischen Gruppen- mit flexiblen Funktionsräumen zu entwerfen, die sich um einen zentralen Platz gruppieren, an dem man immer wieder zusammentrifft. Auch die klassischen Mittelflurschulen könnten bald zugunsten offener Lernlandschaften ausgedient haben. Abgerissen werden müsse aber nicht, mit einem alternativen Brandschutzkonzept kann auch der Schulkorridor zur Begegnungszone werden: In der Regel darf er als Fluchtweg nicht zum Aufenthaltsort umgestaltet und möbliert werden, doch anstatt eines sogenannten notwendigen Flurs mit Klassenräumen können kleinere Nutzungseinheiten mit eigenen Zuwegungen entstehen. Diese „Lernhäuser“ sind etwa in München im Musterprogramm der kommunalen Schulbauleitlinie festgesetzt. So werde die Schule zur Stadt, zumal die fluiden Konstellationen womöglich viel besser auf das Leben vorbereiten. Immer wieder geht es also um den Austausch – übrigens nicht nur in der Nutzung, sondern auch in der Planung: An diesen Projekten interessieren Ito nicht zuletzt die Aushandlungsprozesse mit den verschiedenen Beteiligten in den Gemeinden. Wie kann ein Kompromiss zwischen allen Akteuren, den Kindern, Eltern, Erziehenden oder Lehrkräften und vor allem den Bauherren zur Zufriedenheit aller aussehen? Er versteht seine Rolle als Zuhörer und Vermittler: alle zu Wort kommen zu lassen, um schließlich einen gemeinsamen Weg zu finden, ohne dass die vielen sprichwörtlichen Köche den Brei verderben. „Ein bisschen pingelig und vielleicht auch leicht kontrollsüchtig“, so beschreibt er sich mit einem Lachen – deswegen begleitet er die Vorhaben am liebsten bis zum Schluss einschließlich der Bauleitung.

Kazu Ito, Künstlerhaus Stuttgart, 2018, Foto: Julian Bauer

Kazu Ito denkt Räume nicht als geschlossene Systeme, sondern als fließende und ineinander übergehende Begegnungsorte, die Menschen miteinander verbinden, statt sie zu trennen. Innen und Außen sind keine starren Kategorien, eher eine Staffelung oder auch Abstufung zwischen dem Privaten und der Öffentlichkeit. Diese Sicht auf Architektur – vielleicht, so sagt er, ein Mitbringsel aus der japanischen Heimat, wo Außenwände selten massiv sind, sich vielmehr in die Umgebung öffnen – beeinflusst merklich seine Entwürfe, die immer eine Art „Pufferzone“, eine zweite Haut, wie einen Wintergarten oder tiefen Dachüberstand, beinhalten. Es geht dann auch weniger um die äußere Beschaffenheit der Architektur, sondern um die Räume, die geschaffen werden und wie sie Teil des Ortes werden. „Material interessiert mich eigentlich weniger, mich beschäftigt eher, wie ich diese Baulücke fülle.“ Er möchte keine Meisterwerke bauen, deren Architekt in 100 Jahren jeder kennt. „Ich möchte schlicht bleiben und das, was fehlt, ergänzen.“ Das gilt für räumliche ebenso wie für funktionale Lücken. Auch die Begegnungszonen füllen letztlich eine Leerstelle inmitten einer Gesellschaft: Sie sind der Kitt, der uns zusammenhält.
Theresa Jeroch

www.studio-ito-architekten.de

Neu im Club im DAZ
Talk mit Kazu Ito und Lina Maria Mentrup
22. Februar 2024, 19.00 Uhr

www.daz.de
www.neuimclub.de
Medienpartner: www.marlowes.de
Neu im Club wird unterstützt von Erfurt,
Lunos und sowie den BDA-Partnern.

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert