Von Firmitas, „Ruinenwert“ und Lebenszyklus

Dauerthema

Wie lange soll, darf oder muss Architektur halten? Einige Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende? Wie imaginieren und antizipieren Architektinnen und Architekten die Zukunft der von ihnen entworfenen Gebäude? In Beispielen, die von Vitruvs Firmitas über Albert Speers angebliche „Ruinenwerttheorie“ bis hin zu aktuellen Nachhaltigkeitsdiskursen führen, wirft dieser Beitrag von Elina Potratz einen Blick auf die impliziten architektonischen Zukunftsbilder, die damit verbunden sind.

Das Thema der Dauerhaftigkeit hat Architektinnen und Architekten wahrscheinlich schon immer beschäftigt. Das liegt gewissermaßen im Wesen der Architektur: Sie soll schließlich zuverlässigen Schutz vor äußeren Einflüssen bieten und dies möglichst langfristig. Der Verweis auf Vitruvs Grundanforderung der Firmitas – der Festigkeit – an Architektur scheint in diesem Zusammenhang naheliegend. Interessanterweise ist die gelegentliche Übersetzung von Firmitas mit „Dauerhaftigkeit“ jedoch nicht ganz passend. Zwar schwingt bei dem Begriff auch eine zeitliche Dimension mit, in erster Linie jedoch soll ein Gebäude grundsätzlich so konstruiert sein, dass es nicht einstürzt und keine Bauschäden aufweist. Obwohl ein stabil konstruierter Bau zwangsläufig auch langlebiger ist, geht es bei Vitruv weniger um die Vorstellung eines größeren zeitlichen Zusammenhangs, sondern zunächst vor allem um das recht pragmatisch verstandene Potenzial einer längeren Haltbarkeit: „Die Festigkeit beruhet darauf, dass der Grund tief und auf festen Boden gelegt, und dass bey Auswahl der Baumaterialien mit Sorgfalt, aber sonder Kargheit verfahren werde.“(1)

Die Beschäftigung mit der Haltbarkeit von Architektur hatte jedoch nicht immer nur mit seiner materiellen Schutzfunktion zu tun, sondern ging oft mit dem Bedürfnis einher, durch die gebaute Substanz ein Nachleben über den Tod – sei es der eigene, der einer Epoche oder einer Bewegung – hinaus zu sichern oder sogar auch einen Rang im geschichtlichen Geschehen zu erlangen. Im Extremfall manifestierten sich solche Vorstellungen als megalomane Visionen von Denkmalen für die Ewigkeit. Stonehenge und die ägyptischen Pyramiden seien hier als Beispiele dafür genannt, welche unschätzbaren Kosten und Mühen aufgebracht wurden, um Monumente zu erschaffen, die offensichtlich darauf ausgelegt waren, viele Generationen zu überdauern.

Cheops-Pyramide und Sphinx, Gizeh, Ägypten um 2600 – 2500 v. Chr., Foto: Fotograf unbekannt, 1887, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Schöne Ruinen

Der Beginn einer differenzierteren Auseinandersetzung mit der Zeitlichkeit von Architektur ist womöglich in der Renaissance, mit dem Einsetzen des Interesses an den baulichen Überresten vergangener Zeiten, zu sehen. Im 15. und 16. Jahrhundert gewann nicht nur Vitruvs Architekturtheorie an Bedeutung, auch die materiellen Reste der antiken Architektur, insbesondere in Rom, rückten zunehmend in den Fokus der Wahrnehmung. Während Ruinenbauten zunächst meist noch negativ konnotiert waren und als Zeichen für Vergänglichkeit, Verfall und Tod betrachtet wurden, veränderte sich die Bewertung grundlegend in der Zeit der Aufklärung. Die architektonischen Überbleibsel der römischen und griechischen Kultur wurden nun als historische Quellen ernst genommen. Und auch in der Kunst gewann die Ruine als Bildmotiv in weiten Teilen des europäischen Raums große Popularität und Verbreitung.(2) Mit dieser Entwicklung kam auch die Vorstellung auf, dass ein in der Gegenwart neu gebautes Gebäude in ferner Zukunft einmal genauso rezipiert werden könnte, wie die antiken Überreste von den begeisterten Zeitgenossen. Ein bekanntes Beispiel dafür geht auf den Architekten Sir John Soane zurück. Soane ließ von seinem wohl bedeutendsten architektonischen Werk, der Bank of England (gebaut 1788 – 1830), mehrere kolorierte Zeichnungen durch seinen Schüler Joseph Michael Gandy anfertigen, die das Londoner Gebäude in verfallenem Zustand zeigen. Eine dieser Darstellungen, die im Jahr 1830 zur Feier der Fertigstellung der Bank of England gefertigt wurde, zeigt den Gesamtbau aus der Vogelperspektive (siehe „Aus der Zeit gefallen“). Des Daches beraubt und nur noch aus Mauern und Pfeilern bestehend, erscheint das Bauwerk wie eine römische Ruinenlandschaft, die in gelblichen Sandtönen leuchtend inmitten mediterran anmutender Vegetation steht. Nur der in der linken Bildhälfte noch intakt dargestellte Gebäudeteil verdeutlicht, dass es sich nicht um ein antikes, sondern ein zeitgenössisches Bauwerk handeln soll. In der architektonischen Praxis jedoch strebte Soane explizit keine „antike“, also massive Bauweise an, sondern wollte im Sinne von Abbé Laugiers Forderungen eine „Dünnhäutigkeit“ der Wände erzielen.(3) Seine Ruinen-Antizipation erstreckte sich somit nicht auf die Frage nach Bautechnik, sondern bezog sich vor allem auf den Rückgriff auf antike Formensprache.

Zu unrühmlicher Bekanntheit kam diese Art von Gedankenspiel durch Albert Speer, der in seinen Memoiren behauptete, seinen Entwürfen habe das Konzept der angeblich von ihm entwickelten „Ruinenwerttheorie“ zugrunde gelegen. Kern dieser „Ruinenwerttheorie“ sei die Orientierung an antiken Bauformen und -materialien – insbesondere Ziegel und Naturstein – gewesen, um Gebäude zu schaffen, die, so Speer, noch „im Verfallszustand, nach hunderten oder (so rechneten wir) tausenden von Jahren etwa den römischen Vorbildern gleichen(…)“(4) und „jene heroischen Inspirationen vermittelten, die Hitler an den Monumenten der Vergangenheit bewunderte“(5). Im Gegensatz zu Soane ging es dabei durchaus im praktischen Sinne darum, Materialien zu vermeiden, die laut Speer im ruinösen Zustand nicht mehr ansehnlich seien. Dazu gehörten für ihn vor allem Stahl und Stahlbeton, insbesondere wegen des Rosts.

Wenngleich die Skepsis gegenüber Speers Äußerungen in jeder Hinsicht angebracht ist und es zahlreiche NS-Bauten aus Stahlbeton gibt, gliedert sich das Argumentationsmuster doch nahtlos in nationalsozialistisches Gedankengut ein. So sagte Adolf Hitler bei der Grundsteinlegung der Kongresshalle auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände 1935: „Wenn aber die Bewegung jemals schweigen sollte, dann wird noch nach Jahrtausenden dieser Zeuge hier reden. Inmitten eines heiligen Haines uralter Eichen werden dann die Menschen diesen ersten Riesen unter den Bauten des Dritten Reiches in ehrfürchtigem Staunen bewundern. In dieser Ahnung setze ich den Grundstein der Kongreßhalle der Reichsparteitage zu Nürnberg im Jahre 1935.“(6) Architektur der Dauer ist hier als Dominanz- und Unterwerfungsgeste, die noch bis in ferne Zeiten nachwirkt, eine weitere Ausdrucksform des totalitären Staats.

Stonehenge, England, um 3000 – 2000 v. Chr., Abb.: Ernest Breton (Zeichnung), Emile Leujeune (Radierung), Monuments Celtiques, Angleterre, in: Jules Gailhabaud: Monuments anciens et modernes. Bd. 1. Paris: Librairie de Firmin Didot frères, 1853, ETH-Bibliothek Zürich, Alte und Seltene Drucke.

Aber auch andere Architekten setzten sich mit Konzepten überzeitlichen Bauens auseinander, unter anderem Auguste Perret. Schon vor Speers angeblicher „Ruinenwert“-Eingebung äußerte Perret 1935 ähnliche Überlegungen in einem Aufsatz, in dem er diskutiert, wie dauerhafte ästhetische Qualität eines Bauwerks zu erreichen sei. Ein Urteilskriterium sieht er dabei unter anderem in der Schönheit des Baus im Verfallszustand: „l’Architecture c’est qui fait les belles ruines“ – etwa: Architektur ist das, was schöne Ruinen hinterlässt.(7) Bedingung hierfür sei wiederum die Entwicklung bestmöglicher konstruktiver Lösungen auf Grundlage der neuesten materiellen und technischen Möglichkeiten, was beispielsweise für Bauten mit Eisenkonstruktionen des 19. Jahrhunderts, insbesondere aber für den Eisenbetonbau gelte.(8) Es scheint demnach für Perret nicht in erster Linie entscheidend, welches Material verwendet wird – wenngleich er den Beton für ein äußerst langlebiges und damit besonders geeignetes Material hält –, sondern auf welche Weise das Material im Bau verarbeitet wird.(9) Hierin ist eine zentrale Abweichung zu Speers Theorie zu sehen, die sich lediglich auf die Materialität und konstruktive Belastbarkeit stützt und die rostenden Stahl per se als Ruinen-unwürdig verdammt.

Neue Baustoffe und unfreiwillige Dauer

Die neuen Baumaterialien, die seit Beginn der Industrialisierung entwickelt wurden, regten also offenbar immer wieder die Frage an, wie es um deren Haltbarkeit und Alterungsfähigkeit – sowohl in substantieller als auch ästhetischer Hinsicht – bestellt ist. Nicht nur der Siegeszug des Stahlbetons, sondern auch der des Kunststoffs und vieler anderer Materialien im 20. Jahrhundert, aktualisierten das Thema immer wieder.

Mit der im 20. Jahrhundert einsetzenden Wegwerfmentalität, die sich in der Dynamik von Abbruch und Neubau auch aufs Bauen erstreckte, kamen jedoch noch andere Zukunftsfragen bezogen auf die verbauten Materialien auf, die in den letzten Jahrzehnten immer drängender geworden sind. Zum einen geht es um die unvorstellbaren Abfallmengen, die durch das leichtfertige Abreißen von Bauwerken anfallen. Zwar kann heute ein Teil davon immerhin noch downgecycelt werden, ein Großteil lagert jedoch auf Deponien oder muss verbrannt werden. Dauerhaftigkeit in der Architektur erhält in diesem Zusammenhang eine neue Wendung – viele der verarbeiteten Materialien stellen nämlich ein dauerhaftes Umweltproblem dar, etwa mit giftigen Stoffen lackiertes und behandeltes Holz, Kunststoffe von Fenstern, Böden und Folien, Kabel und Altmetalle, Elektroschrott, Isolationsmaterialien, Styroporplatten, Wärmedämmverbundsysteme sowie andere, nicht trennbare Verbundwerkstoffe. Die Stoffe sind zumeist nicht biologisch zersetzbar und führen durch ihre Lagerung oder Beseitigung über kurz oder lang zu ökologischen Schäden.

In logischer Konsequenz hat sich die Auseinandersetzung mit Dauerhaftigkeit im Neubau für einige Architektinnen und Architekten hin zum Ideal der potentiellen Vergänglichkeit bewegt: Der Einsatz biologisch abbaubarer Baustoffe wie Lehm, Hanf, Schafwolle und Stroh sowie das sortenreine Bauen ohne Verklebungen, um eine zukünftige Demontage und Weiterverwendung möglich zu machen – all dies erhebt in seiner Grundhaltung keinen Anspruch mehr auf Dauerhaftigkeit bis in ferne Zukunft, übernimmt jedoch zugleich weitblickend Verantwortung für das Material, das in die Welt gesetzt wurde. Die Erfahrung von Architektur als etwas Vergängliches, das womöglich irgendwann aus der Funktion fällt, in Zukunft nicht mehr in dieser Form gebraucht wird, hat also in gewisser Weise demütig, oder schlicht realistisch gemacht: So soll ein Gebäude lieber auf dem Komposthaufen oder in demontiertem Zustand in einem anderen Gebäude weiterleben, als den Planeten irgendwann mit weiterem Müll zu belasten.

Ludwig Ruff, Franz Ruff, Innenhof Kongresshalle, Nürnberg, 1935 – 1943 (nicht fertiggestellt), Foto: Mark Ahsmann (CC BY-SA 3.0)

Gewisse Ungewissheiten

Die Erfahrung von ständiger Veränderung und permanentem Wandel ist dabei ja nicht nur in der Abriss-Neubau-Dynamik präsent, sondern eine Art fortwährende Erfahrung des Menschen der Moderne geworden: Es hat sich im Bewusstsein festgesetzt, dass Erfindungen wie das Internet, das Smartphone oder künstliche Intelligenz einige Lebensbereiche bereits grundlegend umkrempeln konnten. Folglich kann man auch nicht genau wissen, wie kommende Generationen leben und wirtschaften werden und welche Art von Gebäuden und Räumen sie dafür benötigen. Die Covid-19-Pandemie hat ihr Übriges getan, um weitere vermeintliche Gewissheiten infrage zu stellen, etwa die räumliche Organisation von Arbeit. Was noch kommen wird, scheint vor diesem Hintergrund zunehmend ungewiss.

Bezeichnenderweise hat sich mittlerweile der Begriff des „Lebenszyklus“ eines Gebäudes etabliert, der über den Betrieb und den Bau hinweg sogar schon den Abriss und die Entsorgung als zukünftiges Szenario mitdenkt. Wenngleich der Begriff nachvollziehbar und die damit verbundenen Ziele und Argumentationsansätze – etwa die grundsätzliche bilanzielle Berücksichtigung der Erzeugung und Entsorgung – ehrenwert sind, so scheint die implizite Botschaft doch in gewisser Weise ernüchternd: das Gebäude als Gegenstand, dessen Tod schon vorherbestimmt ist.

Natürlich gibt es noch einen weiteren zentralen Aspekt, der das Nachdenken über Dauerhaftigkeit derzeit beeinflusst: Viele der Materialien, die landläufig als sehr dauerhaft gelten, insbesondere Beton und Ziegel, verursachen bei ihrer Herstellung besonders viel CO2 und tragen damit zum menschengemachten Klimawandel bei. Auch im voraussichtlich für Jahrtausende freigesetzten Treibhausgas lässt sich wiederum eine unfreiwillige Verewigung als Begleiterscheinung des Bauens sehen. Ein großer Teil des bislang gängigen Haltbarkeits-Vokabulars ist damit in Verruf geraten oder steht unter höherem Rechtfertigungsdruck. Dem Ansatz, den geläufigen Materialkanon hinter sich zu lassen, sehen einige Architektinnen und Architekten jedoch eher skeptisch. Denn wo, wenn nicht in der Architektur, solle sich das Streben darauf richten, etwas Bleibendes zu schaffen? Nicht selten wird im Kontext des Nachhaltigkeitsdiskurses die Haltung geäußert, einen großen Material-, also meist auch CO2-Aufwand, könne man durch hohe materielle, räumliche und ästhetische Qualität, die gleichsam automatisch lange Bestand hätte, schließlich rechtfertigen. Das ist mindestens insofern plausibel, als auch der Austausch von Bauteilen mit Treibhausgasemissionen verbunden ist. Die Nutzungsdauer – so sie sich antizipieren lässt – muss demnach natürlich miteinkalkuliert werden.

Mittelfristigkeit

Überraschenderweise bewegen sich insbesondere letztgenannte Reflexionen über Dauerhaftigkeit oft eher im vagen Bereich einer zeitlichen Mittelfristigkeit. Etwa wird die Frage nach der langfristigen Haltbarkeit von Beton, über die es bislang noch keine eindeutigen Erkenntnisse gibt, erfolgreich verdrängt. Es gibt offenbar eine gewisse Voreingenommenheit, sich mit einer ferneren Zukunft der eigenen Architektur auseinanderzusetzen. Hier wirkt womöglich einerseits noch das Schreckensbild des steinernen Ewigkeitspathos der NS-Zeit nach, dem man selbstverständlich nicht nahekommen will. In jedem Fall aber haftet einer Beschäftigung damit, was mit Bauten in 100 oder 300 Jahren geschehen wird, etwas Vermessenes und beinahe Größenwahnsinniges an. Zudem sind Architektinnen und Architekten natürlich keine allmächtigen Entscheider in einem Bauprojekt, sie müssen verschiedene Interessen und Ziele abwägen und sind zahlreichen Sachzwängen unterworfen, die meist sehr gegenwärtig sind. So verzichtet man vielleicht, um notwendigen günstigen Wohnraum zu schaffen, auf höherwertige, teurere Materialien und setzt stattdessen etwa Plastikfenster ein.

RAAAF | Atelier De Lyon, Bunker 599, Zijderveld, Niederlande 2013, Foto: Ronald Rietveld, Allard Bovenberg (CC BY-SA 4.0)

Es existieren aber auch pragmatische Ansätze, sowohl Beständigkeit als auch zukünftige Veränderbarkeit im Entwurf mitzudenken. Skelett-Konstruktionen, die eine flexible Bespielung des Grundrisses ermöglichen, erfahren wieder erhöhte Wertschätzung. Auf eine bessere Anpassbarkeit zielt auch die Idee des „Loose-Fit“: Grundrisse und Deckenhöhen also etwas großzügiger zu bemessen, damit sie für verschiedenste Nachnutzungen passend gemacht werden können. Hinzu kommen zunehmend Low-Tech-Ansätze, die auf komplexe Haustechnik verzichten und mittels passiver Strategien sowohl die langfristige Funktionalität, als auch die Reparierfähigkeit in den Fokus stellen. Der Terminus „Robustheit“ ist in diesem Zusammenhang immer wieder zu vernehmen – ein eher bodenständiger Begriff, der sich fernab vom Verdacht der Hybris und Ewigkeitsphantasien, ähnlich wie Vitruvs „Firmitas“, auf ein Potenzial der Haltbarkeit zu fokussieren scheint.(10) Ein „robustes“ Gebäude ist in der zukünftigen Vorstellung eher etwas wie eine stabile Struktur, die sich nach Bedarf aneignen lässt.

Pflegende Schichten

Auch mit der „Sorge um den Bestand“ und der Vorstellung, dass sich der Schwerpunkt des Architekturschaffens auf die Pflege und das Weiterbauen der bereits bestehenden Bausubstanz konzentrieren sollte, lässt sich die Frage nach Dauer verbinden. Der Begriff ist nun jedoch nicht mehr allein in die Zukunft gerichtet, sondern setzt bereits im Vergangenen an. Dabei umfasst er nicht mehr nur das eigene Werk, sondern widmet sich in seinem bewahrenden und wertschätzenden Ansatz prinzipiell allem, was bereits gebaut ist. Die Architektin oder der Architekt ist hier nicht mehr die Person, die etwas Dauerhaftes hinterlässt, sondern die durch ihren wie auch immer gearteten Eingriff die Dauerhaftigkeit verlängert, ihr eine pflegende Schicht hinzufügt oder durch eine geschickte Abtragung neue Nutzungen oder ästhetische Erlebnisse eröffnet. Bauen wird hier vielmehr zu einem kollektiven Prozess, der nicht mehr in gleichem Maße für die große architektonische Idee zur Verfügung steht wie etwa das Ideal des Neubaus. Zwar besteht auch hier immer noch Raum für Innovation und Gestaltung, eine längerfristige Zukunftsvision hieße aber wohl auch, im Umbau noch weiter in der Zukunft liegende Umbaumöglichkeiten im Blick zu behalten, Raum für spätere Änderungen offen zu lassen.

Das Wissen darüber, welche Folgen unsere Entscheidungen im Bauen haben, wird immer größer, zugleich scheint das Kommende zunehmend ungewiss. Das Antizipieren und Entwerfen von Dauerhaftigkeit ist damit komplexer geworden. Im Dickicht der vielen Perspektiven, die unterschiedlich tief in die Schichten der Zukunft eindringen, wird der Abwägungsprozess schwieriger und ist voll von Unwägbarkeiten und Vermutungen. Und tatsächlich bedeutet die Vorstellung einer Zukunft des Gebauten immer auch ein gewisses Maß an Spekulation und Anmaßung. Sich jedoch bloß auf die kurz- und mittelfristigen Perspektiven einzustellen, ist nicht nur Ausdruck von Bequemlichkeit, sondern bedeutet letztlich auch eine Abwehr von Verantwortung.

Elina Potratz MA studierte Kunst- und Bildgeschichte in Leipzig und Berlin. Seit 2016 ist sie in der Redaktion dieser Zeitschrift tätig, seit 2021 als Chefredakteurin.

Fußnoten

1 Vitruvius Pollio, Marcus: Baukunst, Buch I, übersetzt von August Rode (Nachdruck der Ausgabe von 1796), Basel 2001, S. 31.

2 Vgl. Zucker, Paul: Fascination of Decay. Ruins: Relic – Symbol – Ornament. Ridgewood, New Jersey 1968, S. 47 – 87.

3 Schumann-Bacia, Eva: Die Bank of England und ihr Architekt John Soane. Zürich / München 1989, S. 74 – 75.

4 Speer, Albert: Erinnerungen. Frankfurt a.M. / Berlin 1969, S. 69.

5 Ebenda.

6 Hitler, Adolf: Reden und Proklamationen 1932 – 1945. Hrsg. und kommentiert von Max Domarus. Bde. 1 - 2. Wiesbaden 1962/63, S. 527.

7 Vgl. Freigang, Christian: Auguste Perret, die Architekturdebatte und die „Konservative Revolution“ in Frankreich. München / Berlin 2003, S. 313 – 314.

8 Vgl. Ebenda.

9 Vgl. Ebenda, S. 314 – 315.

10 Endres, Elisabeth: Hightech versus Lowtech oder einfach nur robust? In: Lowtech im Gebäudebereich. Fachsymposium TU Berlin 17.05.2019, Forschung für die Praxis, Band 21, S. 72 – 79.

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