Neu im Club: .atelier coa freie Architekten BDA in Stuttgart

 Diskutieren, vermitteln, planen und bauen

Die Architektin und die beiden Architekten des Stuttgarter Büros .atelier coa stammen alle aus „dem Ländle“ und lernten sich bereits während des Studiums kennen. Während Corinna Bader und Korkut Genctuerk noch in verschiedenen Büros arbeiteten, wagte sich Franco Berardi nach zwei Jahren in die Selbstständigkeit. Irgendwann kam dann, wie so oft, durch Zufall „dieses eine Projekt“, und weil sie freundschaftlich verbunden geblieben sind, beschlossen sie, es zu dritt anzugehen. Für abends am Küchentisch, so nebenher, war es zu groß – so entstand 2018 ihr gemeinsames Büro.

Theresa Jeroch: Herr Berardi, Sie sind als Einzelkämpfer gestartet. War es von Anfang an Ihr Wunsch, weitere Partner hinzuzugewinnen oder konnten Sie sich vorstellen, allein zu arbeiten?
Franco Berardi: Es war mir von Beginn an bewusst, dass auf absehbare Zeit die Notwendigkeit besteht, entweder zusätzliche Mitarbeiter einzustellen oder – im Idealfall – jemanden für die Entscheidungsebene zu gewinnen, einen Partner oder eine Partnerin auf Augenhöhe. Das federt viel ab, zumal man alleine nur eine gewisse Größe an Projekten abbilden kann. Letztlich hat das auch nach außen hin mit einer gewissen Professionalisierung zu tun: dass immer jemand vor Ort ist, um etwa über den Stand eines Projekts Auskunft zu geben.

Korkut Genctuerk, Corinna Bader, Franco Berardi, .atelier coa, Foto: Benjamin Pfander

Wie war das für die beiden anderen? War die Selbstständigkeit von vornherein geplant?
Korkut Genctuerk:
Dass Franco Berardi vor uns schon selbstständig war, spielte bei unserer Gründung eine maßgebliche Rolle. Ich hätte nicht direkt gewusst, wie man das angeht. Und es macht schon viel aus, wenn alles vorhanden ist: Drucker, Plotter, eine Briefvorlage…

Welche weiteren Vorteile hat es, ein Büro zu dritt zu führen? Wirft das nicht auch Probleme auf?
KG:
Ich denke, die Vorteile liegen auf der Hand: Es ist alles auf sechs Schultern verteilt. Außerdem verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass etwas vergessen wird – einige Aufgaben übersieht man leicht…
FB: …insbesondere in der Gründungsphase. Wenn man sich um alles kümmern muss, von der Visitenkarte bis zu irgendwelchen Dokumentenvorlagen, bleibt weniger Zeit für die eigentliche Arbeit. Es ist sehr entlastend und außerdem gibt es in jedem Beruf „lästige Pflichten“ – bei jedem von uns ist das nur noch ein Drittel. Probleme entstehen wahrscheinlich dann, wenn sich Leute zusammentun, die weniger vertraut miteinander sind. In unserem Fall funktioniert die Kommunikation sehr gut.
Corinna Bader: Mit drei Partnern hat man zudem von vornherein, auch ohne Angestellte, eine erheblich größere Schlagkraft. Die Arbeit lässt sich effizienter aufteilen, und es besteht die Möglichkeit, eine größere Anzahl von Projekten gleichzeitig anzunehmen – und auch zu bewältigen. Wenn ein Projekt unvorhergesehen pausieren muss, hat man noch ein weiteres in der Hinterhand, das man nicht absagen muss, weil ja genügend Ressourcen vorhanden sind.

.atelier coa, Wohn- und Geschäftshaus, Nördlingen 2021, Foto: Daniel Stauch Photography

Hat bei Ihnen jeder feste Zuständigkeiten oder wechselt das?
KG:
Bei uns hat sich jeder in Aufgaben wiedergefunden, die er oder sie schon vor COA hatte, dadurch sind wir in der Lage, ein großes Spektrum abzudecken. Das ist ein enormer Vorteil: Viele Selbstständige sehen sich nach dem Start mit Herausforderungen konfrontiert, mit denen sie bisher keine Erfahrung hatten. Plötzlich müssen sie beispielsweise Brandschutzmaßnahmen planen, ohne genau zu wissen, wie das geht.
CB:
Ursprünglich war die Idee, dass es keine festen Zuständigkeiten gibt, aber das erwies sich als nicht praktikabel. Deshalb haben wir beispielsweise auch eine Wettbewerbsabteilung, und die liegt klar bei Korkut Genctuerk.

.atelier coa, Wohn- und Geschäftshaus, Nördlingen 2021, Foto: Daniel Stauch Photography

Sie nehmen an vielen und auch sehr unterschiedlichen Wettbewerben teil: eine Quartiersentwicklung in Bamberg, einige Schulen, das Gesundheitsamt in Garmisch-Partenkirchen. Als junges Büro gibt es da ja zahlreiche Hürden, wie bewerkstelligen Sie das?
FB:
Unsere Entscheidung, in Stuttgart – der Architektenhochburg – zu bleiben, hat viel damit zu tun, weil wir hier sozial und auch branchenintern stark vernetzt sind. Diese Kontakte haben uns an ganz vielen Stellen der Selbstständigkeit schon geholfen.
KG: Wir profitieren erheblich von diesen Strukturen und kooperieren nach wie vor mit ehemaligen Büros und Arbeitgebern. In viele Verfahren kämen wir sonst wahrscheinlich gar nicht rein. Die vereinten Referenzen sind aber nicht ausreichend, die zwischenmenschliche Ebene ist ähnlich wichtig: Wenn man sich für den Wettbewerb in einer ARGE zusammentut und gewinnt, muss man das Projekt auch gemeinsam ausführen. Im Laufe der Zeit haben sich so einige Partnerschaften etabliert, bei denen die Zusammenarbeit menschlich und fachlich harmoniert. Das ist auch insofern sinnvoll, als dass ich jetzt schon im Vorfeld weiß, auf welche Ausschreibungen wir uns auf Grundlage unserer Referenzen gemeinsam bewerben können. Auch interdisziplinär haben sich inzwischen Beziehungen entwickelt, wo wir von Aufgabe zu Aufgabe dazulernen. Die aktuellen Themen unserer Zeit wären beispielsweise ohne etablierte Büros – beispielsweise Landschaftsarchitekturbüros – mit entsprechender Spezialisierung kaum in den geforderten Tiefen darstellbar.

.atelier coa, Wohn- und Geschäftshaus, Nördlingen 2021, Foto: Daniel Stauch
Photography

Sind denn nachhaltige Themen eher eine Vorgabe in den Ausschreibungen oder ein Kriterium, das man als Architekturbüro gegenüber dem Bauherrn durchsetzen muss oder möchte?
CB:
In unserer Erfahrung zeigt sich, dass viele Bauherren während des Wettbewerbsverfahrens einen starken Willen haben – und die Ziele kaum hoch genug gesteckt werden können. Aber sobald die einzelnen Maßnahmen im weiteren Verlauf des Projekts mit Kosten hinterlegt werden, kann das schnell kippen.
KG: Es kommt nicht selten vor, dass durch kontinuierliche Kürzungen das Projekt permanent schlanker wird und man sich irgendwann angesichts dieser sehr abgespeckten Version des ursprünglichen Entwurfs fragen muss, ob man selbst noch dahintersteht. Das war das Besondere an unserem ersten Auftrag in Nördlingen: Der Bauherr ist Landwirt. Mit ihm mussten wir nicht lange über nachhaltige Architektur diskutieren oder über Holzhybridkonstruktionen – was uns das Baurecht und der Brandschutz ermöglicht hat, konnten wir umsetzen.

Bei dem genannten Projekt handelt es sich um einen ehemaligen landwirtschaftlichen Hof, bei dem Sie die Aufgabe hatten, das Wohngebäude um- und ein weiteres Wohn- und Geschäftsgebäude anzubauen. Welche Schwierigkeiten gab es?
CB: In Nördlingen standen wir vor zwei Herausforderungen. Zum einen sind die Bauherren bereits in die laufende Baustelle eingezogen, konkret in das frisch sanierte Erdgeschoss des Bestandshauses, noch bevor wir das Dach überhaupt angefasst und mit der Aufstockung begonnen hatten. Zum anderen handelte es sich eigentlich um zwei Projekte in einem: einen Umbau des Bestandsgebäudes und einen parallel laufenden Neubau. Das heißt, wir hatten kontinuierlich unterschiedliche Gewerke gleichzeitig da – auf der einen Seite hat der Rohbauer gerade ein Loch gegraben, während auf der anderen Seite der Trockenbauer bereits mit dem Abhängen der Decken beschäftigt war. Die Komplexität war enorm.

.atelier coa, Sanierung eines Wohnhauses, Rottenburg 2021, Foto: Sebastian Schels

.atelier coa, Sanierung eines Wohnhauses, Rottenburg 2021, Foto: Sebastian Schels

Derzeit beschäftigen Sie sich wieder mit einem Wohnungsbau, eine Nachverdichtung mitten in Stuttgart für eine Baugruppe, die gerade als IBA Netzwerkprojekt angenommen wurde. Was reizt Sie daran?
KG: Das ist eine ganz neue Erfahrung. Ich habe bereits zuvor viel im Bereich Wohnungsbau gearbeitet – eigentlich ein schönes Thema, das in Deutschland aber eher stiefmütterlich behandelt wird. Der Markt ist ein Haifischbecken, da zählen maximale Effizienz und der Profit. Die Baugruppe stellt hier eine Alternative dar, möglicherweise auch für die Zukunft: Wenn man in der Stadt wohnen bleiben möchte, ist es notwendig, sich zusammenzuschließen.
CB: Es ist faszinierend, dass dort jede einzelne der neun Parteien im Grunde genommen ihre individuelle Vorstellung vom Wohnen realisieren möchte, quasi ihr eigenes Einfamilienhaus. Als Architektin besteht die Herausforderung darin, zwischen diesen vielfältigen Interessen zu vermitteln, um all die Wünsche in einem Bau zu integrieren.
FB: Eben diese Vermittlerrolle, die Diskussion mit einer Vielzahl von Menschen, um die verschiedenen Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen – ob in einem Wohnprojekt, einer Kita oder einem Laborgebäude –, ist ja eigentlich genau das, was unseren Beruf ausmacht.

www.atelier-coa.de

Neu im Club im DAZ
Talk mit .atelier coa und Bayr Glatt Guimaraes Architekten
27. Juni 2024, 19.00 Uhr

www.daz.de
www.neuimclub.de
Medienpartner: www.marlowes.de
Neu im Club wird unterstützt von Lunos sowie den BDA-Partnern.

.atelier coa in Arge mit BFK Architekten, Grund- und Mittelschule Windischeschenbach, Wettbewerb 1. Preis, 2022, Abb.: .atelier coa

.atelier coa, Nachhaltiges Quartier Südwest, Bamberg, 3. Preis Wettbewerb, Abb.: .atelier coa

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