An Atlas of Commoning in Berlin

Praxis communis

Dass Gemeinschaft ein relevantes Gut in Stadt, Region und Land ist, geriet in den letzten Jahren wieder verstärkt in den Fokus der öffentlichen wie fachlichen Diskussionen. Gründe dafür gibt es viele. Eine Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehung und der Zeitschrift Arch+ setzt das Thema nun im Berliner Kunstraum Bethanien eindrücklich in Szene.

Kalkbreite, PlanBude, Prinzessinnengärten, Granby-Workshop und noch einige andere bekannte Projekte tauchen hier ebenso auf wie weniger Rezipiertes. Da dieser konkrete Architektur- und Planungsbezug mit künstlerischen Arbeiten, Filmen und Installationen kombiniert wird, erlangt die Schau eine erstaunliche Frische.

Manuel Herz, Rights on Carpet, Installation, Swissnex, San Francisco, USA, 2017, Foto: Manuel Herz Architekten

Golan Levin und Shawn Sims etwa haben mit dem Free Universial Construction Kit bereits 2012 ein 3D-gedrucktes System entwickelt, mit dem sich unterschiedliche Bausteinfamilien miteinander verbinden lassen. So finden herkömmliche Lego-Steine mit ihren großen Geschwistern von Duplo und sogar Fischer-Technik und anderen zusammen.

Manuel Herz hat einen ganzen Raum mit einem Teppich auslegen lassen. Auf den ersten Blick erkennt man einen darin eingewobenen Kreis gebetsteppichgroßer Fragmente. Schon diese quasi-parlamentarische Anordnung ist überraschend. Schaut man genauer hin, sieht man zudem, dass diesem Geflecht die Genfer Menschenrechtskonventionen, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1848, das Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wortwörtlich eingeschrieben sind.

Assemble and Granby Workshop, Granby Workshop, Liverpool, Großbritannien, 2017, Foto: Lewis Jones/Granby Workshop und Assemble

Theo Deutinger vermisst in „Das Recht auf Welt“ die Zugänglichkeit der Welt. Dafür stellt er Weltkarten nebeneinander, die zeigen, welches Land von welchen anderen Ländern aus visafrei zu erreichen ist. Erstaunlich dabei: genau 14 Länder der Erde erlauben allen anderen Nationen einen visafreien Zugang. Darunter die Komoren, Mikronesien, Tuvalu oder Samoa. Für Deutinger wird die Visafreiheit hier zum Schlüssel, der Zugang von einem in einen anderen Raum gewährt. Von Deutschland aus etwa kann man sich mittels dieses Schlüssels 159 weitere Räume erschließen, für Menschen in Afghanistan öffnen sich nur 22.

Bemerkenswert ist dabei, dass die Schau nicht in einem bloßen Bejubeln aktueller und historischer Tendenzen gemeinschaftlicher Architekturproduktion verharrt, sondern auch Schattenseiten aufzeigt. So zum Beispiel mit dem von Go Hasegawa geplanten und 2016 fertiggestellten Yoshino Cedar House in Japan. Das Gästehaus bietet Platz für zwei Parteien, nimmt ortstypische Typologie und lokal verwurzelte Handwerkstradition auf und wird von den Bewohnern des kleinen Dorfes Yoshino gemeinsam bewirtschaftet. So können die Gewinne können lokal reinvestiert werden, Gäste und Gastgeber können sich in einer halbprivaten, verglasten Erdgeschosszone begegnen – das Konzept sieht vor, dass die Familien vor Ort die Gäste gegen Bezahlung bewirten. Man wird also Teil einer größeren Gemeinschaft. In Auftrag gegeben aber wurde das Projekt von Airbnb. Die fatalen Auswirkungen der Geschäftspraxis des Unternehmens auf die Bezahlbarkeit von Wohnraum sind hinreichend bekannt und diskutiert. Und so dient das kleine Projekt vor Ort als PR-Maßnahme für den global player, mit der Airbnb sein Image als zerstörerisches Element aufpolieren kann.

Mildmay Working Men’s Club, London, Großbritannien, 2018, Foto: Immo Klink, © Capital Architecture/Immo Klink

Für die Ausstellungsarchitektur zeichnen Stadelmann Schmutz Wössner Architekten verantwortlich. Die ebenfalls in Berlin ansässigen Gestalter haben dafür ein leicht auf- und abzubauendes System von Möbeln entwickelt, die an Marktstände erinnern. Darauf sind Informationen, Pläne und Arbeiten drapiert. Die Ausstellungsgrafik stammt vom Berliner Büro Heimann und Schwantes, und sie schafft es, die Komplexität, die vielen der gezeigten Projekte innewohnt, leicht verständlich zu vermitteln. Dafür hat das Team von Heimann und Schwantes eine dreischichtige Grafik entwickelt, die – im wahrsten Sinne des Wortes – Hintergrundinfos, städtischen Kontext und Details auf einem Blatt harmonisiert. Auch Beschriftungen und das ewig mäandernde Doppel-M in Commoning stammen aus ihrer Feder – ein Symbol für das Fortschreiben des Themas wie dem eigentlichen Atlas.

Roger Anger, Auroville, nahe Puducherry, Indien 1970er Jahre, Foto und Datum: unbekannt, © Auroville Archives

So ist es auch ein Verdienst der Ausstellung, einmal mehr in Erinnerung zu rufen, dass der Ruf nach Gemeinschaft kein zeitgenössisches Phänomen ist, sondern der Kern der Disziplin. Beispielhaft wird das unter anderem an der schönen Aufarbeitung der Planungen von Patrick Geddes, der in den späten 1860er-Jahren in Edinburgh versuchte, gemeinsam mit den Bewohnern – im Zuge von Industrialisierung und rasch wachsender Bevölkerung – heruntergekommene Wohnviertel attraktiver für alle zu gestalten. Hinterhöfe, schmale Gassen oder schlicht ungenutzte Grundstücke aktivierte er unter Einbeziehung der Ortskenntnis der Anwohner in sogenannten „bürgerlichen Bestandsaufnahmen“. Umgesetzt wurden die Ideen dann in Teilen ebenfalls gemeinschaftlich, so dass durch neu angelegte Tore in Mauern, durch Niveauunterschiede ausgleichenden Treppen und neue Wegeführungen wieder entdeckte Stadträume für größere Bevölkerungsschichten  zugänglich gemacht werden konnten.

Atelier d’Architecture Autogérée, R-Urban, Colombes, Frankreich, 2016, Foto: Atelier d’Architecture Autogérée

In der Gesamtschau von konkreten – und teils bekannten – Projekten und abstrakten Installationen wird die Ausstellung so tatsächlich zu einem Atlas des Gemeinschaffens. Zumal geplant ist, die Sammlung der Projekte, die auf einer Ständerwand zu sehen ist, im Laufe der Zeit und durch das Wandern zu anderen Ausstellungsorten wachsen zu lassen und um lokale Projekte zu erweitern. In den nächsten rund zehn Jahren soll die Ausstellung auf Wanderschaft gehen, der Atlas ergänzt werden: bis zum 26. August in Berlin, die nächste Station ist Anfang 2019 in Pittsburgh.

David Kasparek

An Atlas of Commoning: Orte des Gemeinschaffens
Ausstellung bis 26. August 2018
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Tägl.: 11.00 – 20.00 Uhr
Führungen auf Anfrage
Eintritt frei

Mariannenplatz 2
10997 Berlin

Zur Ausstellung ist die gleichnamige Ausgabe der Zeitschrift Arch+ erschienen, die für 22,- Euro in der Ausstellung erworben werden kann.

Torre de David, Caracas, Venezuela, 2007-2014, Modell: Daiki Ori, Luisa Pöpsel (TU Berlin), 2018, Foto: Simone Gilges, © ifa (Institut für Auslandsbeziehungen)

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