Buch der Woche: Costa Smeralda

Zwischen Mimikry und 007

In „James Bond 007 – Der Spion, der mich liebte“, dem zehnten Teil der legendären Filmreihe, gibt es die wunderbare Szene, in der Roger Moore als Agent 007 und Barbara Bach als Major Anya Amasova mit einem weißen Lotus Esprit aus dem Mittelmeer an den sardischen Strand fahren. Von Q, dem tüftelnden Erfinder des „Geheimdiensts ihrer Majestät“ mit allerlei technischen Spielereien – und Waffen – ausgestattet, hatte der Wagen die beiden Hauptprotagonisten zunächst in einer Verfolgungsjagd durch die Hügel und entlang der Küste der italienischen Mittelmeerinsel gebracht und dabei ein Motorrad mit Torpedo-Beiwagen, einen mit dem schießwütigen Bösewicht Beißer besetzten Ford Rekord sowie einen von einer unbekannten und ebenso schießwütigen brünetten Schönheit gesteuerten Hubschrauber abgeschüttelt, ehe Bond den Lotus über einen kleinen Anleger und in weitem Bogen direkt ins Meer steuerte. Mit zwei Handgriffen wurde dort aus dem Auto ein Unterseeboot, mit dessen Hilfe zwei Kampftaucher und ein gegnerisches U-Boot ausgeschaltet wurden. Der Lotus selbst hatte dabei nur zwei minimale Lecks im Dach abbekommen, also steuerten Amasova und Bond das Gefährt in Richtung Küste, wo sie an einem weißen Sandstrand anlandeten. Die Badegäste schauen ungläubig, ein Hund rennt winselnd weg und der von Victor Tourjansky gespielte Tourist schaut verstört auf die Weinflasche, aus der er gerade noch einen großen Schluck genommen hatte. Bond, die Augenbraue hochziehend, lässt mit spitzen Fingern noch einen Fisch aus dem offenen Wagenfenster fallen, dann braust er mit seiner russischen Kollegin von dannen.

Pool des Hotels Romazzino, 1966, Foto: Archiv Enzo Satta

All das ließ der Regisseur Lewis Gilbert 1977 an der Costa Smeralda spielen. Jenem nordöstlichen Landstrich Sardiniens zwischen Palau und Olbia. Und einen besseren PR-Coup hätten sich Karim Aga Khan IV. und seine Teilhaber für das nur rund 15 Jahre vorher gegründete Konsortium kaum wünschen können. Khan hatte mit Hilfe einiger Mitstreiter wie Patrick Guinness ab 1960 begonnen, Land an der bis dato völlig unerschlossenen Nordküste der Insel zu kaufen. Gemeinsam mit Guinness, Guiseppe Mentasti, John Duncan Miller und René Podbielski gründete Khan im darauffolgenden Jahr das „Consorzio Costa Smeralda“. Eine bemerkenswerte Planung begann. Man einigte sich darauf, das Land der Einzeleigentümer gemeinsam zu entwickeln, keinerlei individuelle Planung voranzutreiben, ehe nicht der „Zonenplan des Vorprojekts“ und die generelle Planung durch die Architekten Luigi Vietti, Michele Busiri Vici und Jacques Couëlle vorläge, sowie alle Angaben zu Topographie sowie Anzahl von Dörfern, Hotels und Residenzen aufs genaueste festzulegen und die Kosten für alles jeweils proportional auf alle Beteiligten umgelegt zu tragen. Bemerkenswert.

Pool, dessen Wände teilweise von natürlichen Felsen gebildet werden, 1966, Foto: Archiv Enzo Satta

Geschichte, Entwicklung und Rezeption dieses Projekts dokumentiert nun die Publikation „Costa Smeralda“ von Nele Dechmann, die im Zürcher Verlag Park Books vorgelegt wurde. Erstmals, so die beiden Verfasser des Vorworts, Vittorio Magnago Lampugnani und Marcel Meili, liegt damit nun ein Buch vor, das diese Planungen aufarbeitet und damit einen relevanten Baustein mediterraner Architektur- und Stadtbaugeschichte liefert. Erst nach den Planungen der Costa Smeralda nämlich verlagerte sich der Schwerpunkt der gesamten Sardischen Stadtentwicklung aus dem unwegsamen Bergland an die Küsten. Diese hatten die Sarden zum eigenen Schutz gegen Kolonisierung und Besetzung bis dato fast komplett gemieden. Zu verdanken ist diese Recherche unter anderem der Erschließung des Privatarchivs von Enzo Satta, aus dem viele Pläne und Zeichnungen in der Publikation zu finden sind.

Höhlenartige Räume. Villa von Jacques Couëlle, Foto: Archiv Enzo Satta

Und in der Tat sind es vor allem diese Lagepläne, Grundrisse und Ansichten, die den besonderen Reiz des Buches darstellen. Sie zeigen, mit welcher Detaildichte und Sorgfalt die Architekten das städtebauliche Gewebe um die vier Zentren Pitrizzi, Porto Cervo, Romazzino und Cala di Volpe bearbeiteten und dabei einen erstaunlichen architektonischen Ausdruck fanden – formal-ästhetisch wie räumlich. Dass die Planungen trotz vieler Beteiligter dabei dennoch erstaunlich homogen wirkten, ist dem Einsatz des Büros Sasaki, Dawson, DeMay Associates (SDDA) zu verdanken. SDDA wurde im Laufe der Entstehung hinzugezogen, als sich abzeichnete, dass die Gesamtplanung zu heterogen zu werden drohte.

Erstaunlich sind die Planungen mit ihren Einzelentwürfen auch deshalb, weil sich hier eine Gruppe Architekten in den 1960ern anschickte, eine komplett aus dem Ort heraus entwickelte Architektur zu planen, die den unmittelbaren Schulterschluss zu lokalen Bautraditionen suchte – oder dem, was die Architekten darunter verstanden. Und so entstanden halbhohe Granitsockel, die die Häuser mit dem Baugrund verbinden, skulpturale Kamine, unterschiedliche Bogenmotive, vielgestaltige Dachlandschaften, rustikale Materialien wie lokale Hölzer, grobe Putze und Natursteinmauern oder offene Holzlattungen und -konstruktionen. Unterschiedliche Referenzen wie die Burgen von Fénis und Graines im Aostatal oder der Hafen Marina Grande auf Capri müssen dabei offenkundig eine Rolle gespielt haben. Die Klarheit und Präzision der damaligen Planungen ist im Laufe der Jahrzehnte und durch einige Erweiterungen verwässert worden, ja in Teilen verloren gegangen.

Terrasse von Il Grillo, die von einer Pergola überdeckt ist, Foto: Archiv Enzo Satta

Eine zu dichten Bebauung, wie etwa an der Côte d´Azur sollte mittels konkreter Bebauungsregeln vorgebeugt werden. Ziel, das muss in diesem Kontext erwähnt werden, war wohl einmal mehr die angestrebte Exklusivität des Ortes für seine künftigen Feriengäste, als der Wunsch, Land und Natur nicht über Gebühr zu beanspruchen. Überhaupt ist das der Punkt, an dem man alles kritisch hinterfragen kann: Da kommt eine Gruppe internationaler Investoren, kauft große Ländereien auf einer armen Insel, entwickelt für ihresgleichen großzügige Ferienanlagen in einem architektonischen Stil, den man böswillig durchaus als mit Lokalkolorit durchzogenes architektonisches Mimikry bezeichnen könnte – und siebzig Jahre später wird all das architekturhistorisch eingeordnet. Diese wie andere kritische Punkte kommen bei Dechmann deutlich zu kurz.

Architektur in San Pietro di Mare aus den späten 1960er Jahren, Foto: Nele Dechmann

Auch die Publikation selbst hat formale Schwächen. Die Abbildungen sind an vielen Stellen auf einem kaum vertretbaren Niveau abgedruckt. Das historische Material, das sich aus Archivalien wie Planbeständen, zeitgenössischen Werbematerialien und Fotografien speist, mag nicht in ausreichender Qualität vorgelegen haben, es deswegen aber in einer Größe abzudrucken, die die Bilder zu verschwommenen Druckrastern verkommen lässt, bleibt dennoch fraglich.

Lässt man das aber beiseite, ergibt sich ein spannender Blick auf eine bis dahin singuläre Planung, deren räumliche wie formale Lösungen mindestens überraschen und deren damaliger Stand der Verwebung von Landschaft und Architektur bis heute ebenso beeindrucken wie der Moment, in dem Roger Moore und Barbara Bach den Fluten des smaragdfarbenen Meeres entsteigen. Locker leicht lässt sich dieses Buch am Strand durchblättern, immer wieder finden sich Stellen, über die man staunt, Informationen, die überraschen und Bilder, die zum Schmunzeln sind.

David Kasparek

Nele Dechmann: Costa Smeralda, mit einem Vorwort von Vittorio Magnago Lampugnani und Marcel Meili, 312 S., 187 farb. und 123 sw. Abb., broschiert, Park Books, Zürich 2018, ISBN 978-3-03860-100-5

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