Gespräche mit Susanne Wartzeck

 Im Dong Xuan Center

In den weitläufigen Hallen des Dong Xuan Centers, dem größten Asiamarkt Berlins, kamen diesmal BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck und Die Architekt-Chefredakteurin Elina Potratz für ihr Gespräch zusammen – inmitten von Kunstblumen, Supermärkten, Bekleidungsgeschäften und asiatischen Restaurants. Thematisch kreiste ihr Gespräch um das 28. Berliner Gespräch, das am 2. Dezember 2023 im Deutschen Architektur Zentrum DAZ stattfand und um die Frage, was Architektur und Stadtplanung tun kann, um Solidarität in urbanen Gemeinschaften zu fördern.

Elina Potratz: Beim Berliner Gespräch ging es um unterschiedliche Lesarten des Begriffs Solidarität: Es gibt sie unter „Gleichen“, oft aber wird sie auch als Solidarität „nach unten“, also mit Schwächeren, verstanden. Die Community-Organizerin Tashy Endres hat in ihrem Vortrag eine schöne Metapher beschrieben, die die Schwierigkeit bei Solidarität veranschaulicht. Wenn wir uns ein Problem als eine große Welle – etwa die Wohnungskrise – vorstellen, die uns entgegenkommt, gibt es Menschen, die als erstes und / oder am stärksten betroffen sind, sie stehen sinnbildlich in der ersten Reihe. Doch auch Menschen in den hinteren Reihen sind irgendwann mit dem Problem konfrontiert, vermutlich etwas später, wenn sich das Problem verschärft hat. Und solange es keine eigene Betroffenheit gibt, bleibt man untätig. Um ein Problem anzugehen, ist es also wichtig, die Perspektive zu wechseln und es aus der „ersten Reihe“ zu betrachten.

BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck, Foto: Klaus Hartmann

Susanne Wartzeck: Ja, das ist eine schöne Darstellung und eine gute Maxime. Zentral war dabei auch, dass es nicht um Mitleid oder Charity geht, sondern darum, dass Personen aus der ersten Reihe auch eigenes Wissen und Erfahrungen mitbringen, die sich in Entwicklungen und Entscheidungen einbinden lassen. Mir hat dieses Bild in gewisser Weise die Augen geöffnet, denn auch wenn es zunächst ein wenig platt daherkommt, macht es deutlich, dass man sich oft nicht im Klaren ist, dass vermeintlich unbedeutende Veränderungen – etwa eine kleine Steuererhöhung – eine relativ gut verdienende Person womöglich deutlich weniger trifft als andere Menschen.

Mit Blick auf die Wohnungsfrage wurde zudem diskutiert, dass die Menschen in der „ersten Reihe“ meist ärmere Menschen sind, und diese Menschen in den meisten europäischen Ländern auch diejenigen sind, die einen migrantischen Hintergrund haben.
Und wenn man schon einmal oder mehrmals seine Heimat verloren hat, ist es zudem deutlich schlimmer, seine Wohnung zu verlieren. Will man dann eine neue Wohnung finden, muss man nicht nur in die Peripherien ausweichen, sondern ist dort vielleicht noch weniger erwünscht.

Der Architekturbetrieb ist in gewisser Weise ein elitärer Betrieb, sowohl was die Menschen angeht, die überhaupt in den Beruf kommen, als auch die Personen, die in der Führungsebene ankommen, etwa ein Büro gründen. Diese Menschen kommen in der Regel seltener aus ärmeren und / oder migrantischen Verhältnissen. Betrachten auch Sie das als strukturelles Problem? Und worin sehen Sie Ansätze, dies zu ändern?
Das ist definitiv so, und das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das letztlich für jede gehobenere oder intensivere Ausbildung gilt. Da geht es ja zunächst um die Qualität der Schulbildung sowie die Möglichkeiten, überhaupt so lange in der Ausbildung zu verbleiben und nicht schon Geld verdienen zu müssen. Ich denke aber, dass das Problem teilweise schon in der Politik angekommen ist: Es muss in Schulen und Bildungsstätten investiert werden und diese müssen anders strukturiert sein, um alle Menschen mitnehmen zu können.

Dong Xuan Center in Lichtenberg, Berlin, Foto: Elina Potratz

Die andere Seite ist – auch das hat Tashy Endres thematisiert –, dass man sich seiner eigenen Wirkung und Machtposition bewusst werden sollte. Sie hat beispielsweise beschrieben, dass sie in Prozessen festgestellt hat, dass ihre Anwesenheit als weiße Person, mit akademischem Hintergrund und hoher sprachlicher Kompetenz, in manchen Situationen dazu führt, dass andere Leute sich nicht trauen, etwas zu sagen. Sehen Sie das ähnlich?
Ja, das ist definitiv so und ich kenne das beispielsweise aus dem dörflichen Kontext. Menschen halten sich für nicht klug genug, um mitreden zu können oder denken, ihre Meinung sei nicht wichtig. Doch gerade in dem, was auch der BDA fordert, nämlich in der Partizipation und in Prozessen, in denen Aushandlung über Stadt stattfindet, brauchen wir diese Leute. Hinzu kommt ein altbekanntes Problem: Wie komme ich überhaupt an diese Menschen heran, wie kann ich eine Einladung zur Partizipation aussprechen und wie kann ich möglichst viele Stimmen hören? Beispielsweise wird versucht, über die Grundschulen der Kinder an die Menschen heranzutreten, weil durch die Schulpflicht hier eine breite Bevölkerung zusammenkommt. Ein weiteres Problem ist, dass Menschen in prekären Lebenssituationen oft gar nicht über die Zeit verfügen, sich gesellschaftlich zu engagieren.

Einerseits müssen Architektinnen und Architekten sensibler dafür sein, wie sie Prozesse und involvierte Personen auch unbeabsichtigt machtvoll beeinflussen. Zum anderen wäre es denkbar, andere Personen in die Prozesse hereinzuholen, die diese mitgestalten – etwa im Sinne von Community-Organizing – und ermöglichen, dass alle Personen zu Wort kommen und sich trauen, ihre Meinung zu sagen.
Ja, Moderation ist da sehr wichtig, aber vor allem muss man an die Leute herankommen. Das zu organisieren, ist das schwerste, aber auch das allerwichtigste. Denn erst wenn eine beteiligte Gruppe wirklich gemischt ist und die unterschiedlichen Sichtweisen geäußert werden können, wird es spannend und es setzt ein Lernprozess darüber ein, dass andere die Dinge ganz anders sehen können.

Dong Xuan Center in Lichtenberg, Berlin, Foto: Elina Potratz

Das Dong Xuan Center ist ein Beispiel dafür, dass ein migrantisch geprägter Ort in der Stadt sehr positiv wahrgenommen wird. Oft steht jedoch beim Blick auf migrantisch geprägte Quartiere eher das Negative im Vordergrund, gerade aus ästhetisch-gestalterischer Sicht. Der deutsche Pavillon auf der Biennale hat dies 2016 mit der „Arrival City“ thematisiert: Diese Quartiere haben vielleicht Qualitäten, die aus der Perspektive von Planenden kaum wahrnehmbar sind, die ja oft aus einer wohlhabenden, weißen, akademischen Gesellschaftsschicht kommen. Zudem haben die Planenden vielleicht oft kein Gefühl für die Schattenseiten der „Aufwertung“.
Ich glaube, dass ein großes Problem auch darin besteht, dass Planende mitunter zu viel vorgeben wollen. Man ist zu wenig offen, Menschen, die andere Erfahrungen sowie Vorstellungen von Leben und Wohnen mitbringen, die Möglichkeit zu geben, etwas selbst zu gestalten: durch kleine, vermeintlich banale Formen der Aneignung. Vielleicht sollten sich Architektinnen und Architekten manchmal gestalterisch eher zurückhalten und stattdessen eine Bühne für das Leben schaffen – eine Bühne, die von anderen Menschen bespielt und auch ausstaffiert wird.

Unter welchen Bedingungen kann Solidarität in der Stadt überhaupt gefördert werden? Diese Frage kam auch beim Berliner Gespräch immer wieder auf. Denn viele Projekte, die renditegetrieben sind, lassen sich nur schwer gemeinnützig und bezahlbar gestalten.
Bei den zur Zeit herrschenden Rahmenbedingungen ist die Herstellung von bezahlbarem Wohnraum so gut wie unmöglich. Sozialer Wohnraum ist nur durch hohe öffentliche Förderungen realisierbar. In diesem Zusammenhang erscheint auch die Frage absolut richtig, warum wir eigentlich die gleichen Fehler immer wieder machen. Denn wir haben bereits festgestellt, dass es uns auf die Füße fällt, wenn Sozialwohnungen aus der Bindung fallen und sehr viele Leute davon bedroht sind, ihre Wohnung zu verlieren. Warum also fangen wir wieder an, Sozialwohnungen zu bauen, die nur eine gewisse Laufzeit haben? Hier sollte die Politik den Mut haben, finanzielle Hilfen an zeitlich unbegrenzte Nutzungsszenarien zu koppeln.

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