Temporäre Apartments in München

Shabby chic

Als Matthias Lilienthal im Mai dieses Jahres als Gast einer Veranstaltung des BDA Bayern in München den Raum betrat, hatte er sich dem Dresscode der anwesenden Architektinnen und Architekten nicht angepasst. Hosen im Baggystyle, ausgeleiertes T-Shirt, Turnschuhe, eine Nicht-Frisur. Das ist sein Stil und den wird er sich auch in München nicht abgewöhnen, so die Message. Davon zeigte sich jedoch weder die Gesprächspartnerin noch das Publikum beeindruckt. Im Gegenteil, das wurde als Authentizitätsbeweis gewertet, das erwartete man von dem Regisseur, der ab der Spielzeit 2015/16 die Münchner Kammerspiele leitet. Das Haus ist eine traditionsreiche, etablierte Theaterspielstätte – gleichermaßen groß sind die Erwartungen an den neuen Intendanten, wie auch die Befürchtungen, ein Mensch seines Werdegangs könne sich den Strukturen des Stadttheaters nicht anpassen, werde womöglich das Ensemble auflösen, zu Experimentelles wagen: Schließlich habe Lilienthal zuvor das Hebbel am Ufer in Berlin kräftig umgekrempelt und wer weiß schon genau, ob er das mit den Kammerspielen nicht auch vorhabe.

Als erste Aktion hat Lilienthal nun seine Freunde aus Berlin eingeladen, um – auf ihre Weise – etwas in München zu bauen: Es sind die Mitglieder des Architektenkollektivs raumlabor, mit denen er schon mehrere Projekte realisierte, zuletzt etwa das „HOTEL Shabbyshabby“ in Mannheim. Im Grunde ist das Münchner Projekt eine direkte Fortführung davon, nur ist die Ausgangslage in der Stadt, deren Mietpreise zu den zehn höchsten in Europa zählen, natürlich eine ganz andere, wodurch die Botschaft des Projekts weitaus politischer wird. Es geht um Recht auf Stadt, um Verwertungsdruck und Mietpreise, um ungenutzte Räume und um Leben in Gemeinschaft. raumlabor und die Kammerspiele haben deshalb Anfang des Jahres einen Wettbewerb ausgelobt und 120 Architektinnen und Architekten ausgewählt, die 24 Mini-Apartments im Münchner Stadtgebiet errichteten. Das Budget für die Shabbyshabby Apartments betrug jeweils 250 Euro. „Was wäre, wenn alle ihre Wohnungen verließen und sich an den unwahrscheinlichsten Orten der Stadt Buden bauten?“, fragen die Initiatoren. „Könnte vielleicht eine ganz neue Art von Lagerfeuergesellschaft, von Meinungsbildung und -austausch bei Stockbrot und Cowboykaffee entstehen?“

Matthias Lilienthal, der schon lange vor Dienstantritt nach München gezogen ist, erzählt auch, wie er zu der Idee kam: Er selbst habe von vielen Bekannten gehört, wie schwierig es sei, in München eine Unterkunft zu finden. Auch die Schauspieler des Theaters ständen vor diesem Problem, mit einem normalen Einkommen seien die Mieten kaum zu stemmen. Lilienthal will dieses Anliegen aufgreifen und setzt auf Provokation: Wäre es nicht toll, meint er, wenn man direkt auf der Maximilianstraße, neben all den hochpreisigen Boutiquen, so ein „schäbiges“ Apartment hätte und morgens im Pyjama auf die Straße trete, um Gucci mit der Zahnbürste im Mund in die luxuriösen Auslagen zu schauen, bevor man aufs Dixi-Klo um die Ecke ginge?

Während des Oktoberfestes kann man diese Apartments nun für jeweils eine Nacht mieten – und an ungewöhnlichen Orten in der Stadt übernachten. In einer Parkbucht auf besagter Maximilianstraße zum Beispiel (Atelier Slant
, Giulia Domeniconi, Irene Frassoldati, Mirko Gatti, Yazan Tabaza, Riccardo Torresi), oder direkt im winterdicht verkleideten Fortuna-Brunnen auf dem Isatorplatz (vds, Philipp Dettmer, Julian von der Schulenburg). Muck Petzet und Mathieu Wellner führen einen geheimnisvollen Raum im Maximiliansforum „seiner Bestimmung“ als Schlafzimmer zu und ein Team, bestehend aus Christine Bock, André Filipe Gomes Faria, Laura Holzberg, Katharina Schmans und Fabian Weber
 erklären eine Straßenkreuzung zur Wohnung: Das Wohnzimmer ist auf der Verkehrsinsel, die Straßenecke wird zur Küche. Leicht transparente Vorhänge um Tisch und Stuhl laden eher zum Dahinterschauen ein, als dass sie abgrenzen und machen den Wohn- zum öffentlichen Raum. Andere Teams wagen minimale, kaum sichtbare Eingriffe in bestehende architektonische Strukturen („Just an Illusion“, Collective Sure Sud
) oder auffällige Dada-Konstruktionen, wie das wasserspendende Schlaf-Trampolin von Ivana Bojović, Anđela Brašanac, Tamara Popović, Antonije Burić und Srdjan Mandić. Cornelia Ackers wiederum erklärt den Bauch einer Schwangeren zur besten, aber nicht mietbaren Wohnung schlechthin – all inclusive.

Die Shabbyshabby-Apartments werden das Wohnproblem in München auch nicht lösen, aber sie machen Spaß und führen – ebenso so wie begleitende Führungen und Vorträge – auf kreative Art und Weise eine Debatte fort, die in München schon längst geführt wird und noch lange nicht beendet ist.

Juliane Richter

Shabbyshabby Apartments
bis 13. Oktober 2015
Preise: 35,- Euro, erm. 28,- Euro pro Nacht (inklusive Frühstück)

Tickets an der Tageskasse der Münchner Kammerspiele
Maximilianstr. 28
80539 München
Tel. 089 / 233 966 00

 

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