Buch der Woche: Der Architekt Rudolf Wolters

Speer und wer?

Ist zu den Protagonisten der Architektur im Nationalsozialismus bereits alles erschöpfend erforscht und dargelegt worden? André Deschans Publikation „Im Schatten von Albert Speer. Der Architekt Rudolf Wolters“ zeigt das Gegenteil. Hierin wird die Biographie von einem der wichtigsten Köpfe der Baukunst im NS dargelegt, dessen Bedeutung bisher weitestgehend unterschätzt wurde.

Rudolf Wolters (1903-1983), Sohn des Regierungs- und Stadtbaumeisters von Coesfeld, Hermann Wolters, arbeitete bereits seit 1933 immer wieder für seinen früheren Kommilitonen Albert Speer und konnte somit von dessen steilem Karriereaufstieg profitieren. So wurde Wolters 1936 Stellvertreter des eigens von Hitler für Speer erdachten Postens des Generalbauinspektors (G.B.I.), der mit seinem Arbeitsstab unter anderem im Geheimen die megalomanen Planungen der „Welthauptstadt Germania“ ausarbeitete. Neben dieser Tätigkeit beim G.B.I. verfasste der sprachlich gewandte Wolters zahlreiche Schriften für seinen Vorgesetzten Speer, die dieser meist unverändert unterschrieb. Unter eigenem Namen publizierte er ebenfalls, beispielsweise in der Zeitschrift „Die Kunst im Dritten Reich“ und für die Wanderausstellung „Neue Deutsche Baukunst“ im Jahr 1940 – selbstverständlich glühende Propagandaschriften, in denen Politik und Baukunst als untrennbare Einheit beschrieben werden. Zu Kriegszeiten wurde Wolters zum Leiter des „Wiederaufbaustabs bombengeschädigter Städte“ ernannt, was sich als vorteilhaft in den Nachkriegsjahren erwies, da er diese Arbeit fortsetzen und sich hinter dem Mantel des vermeintlich moralisch unbelasteten Wiederaufbaus verstecken konnte.

Die enge Beziehung zwischen Albert Speer und Rudolf Wolters, die seit den Studienjahren an der TH Berlin bei Heinrich Tessenow bestand, setzte sich auch nach 1945 fort. Wolters unterstützte seinen als Kriegsverbrecher verurteilten Freund während der langjährigen Haftzeit im Spandauer Gefängnis tatkräftig, war am Schmuggel von Speers Aufzeichnungen beteiligt, legte ein Schulgeldkonto für dessen Kinder an und versorgte den Inhaftierten mit Delikatessen, um ihm das Leben in der Zelle zu erleichtern. Dennoch wurde er in Speers Veröffentlichungen, den „Erinnerungen“ (1969) und „Spandauer Tagebüchern“ (1975), so gut wie gar nicht erwähnt, was Wolters in so großem Maße kränkte, dass er die Freundschaft zu Speer nach Jahrzehnten aufkündigte.

Die Auslassung des engen Vertrauten und wichtigen Funktionärs Wolters in Speers Memoiren, die lange eine wichtige Quelle für die architekturhistorische Forschung darstellten, sieht Autor Deschan auch als Grund dafür, dass Wolters Rolle als „maßgeblicher Protagonist des Planens und Bauens des NS-Staates“ bisher nur recht oberflächlich behandelt wurde. Für seine Arbeit wertete Deschan erstmals Wolters Nachlass aus, der sich seit 2011 im Landesarchiv Berlin befindet. Aufschlussreich waren dabei unter anderem die von Wolters seit seinem 11. Lebensjahr geführten Tagebuchaufzeichnungen, die auch Grundlage für seine eigenen autobiographischen Werke waren.

Deschan hat die enorme Fülle des Quellenmaterials mit großer Sorgfalt ausgewertet und sich immer wieder durch andere Primärquellen rückversichert. Damit wächst das Buch aber auch über den im Titel angekündigten Inhalt hinaus, denn es wird nicht nur das komplexe Verhältnis zwischen Speer und Wolters, sondern Wolters gesamter privater und beruflicher Werdegang umfassend dargelegt. Als Begründung dafür führt Deschan an, dass „die Hinterbliebenen und deren Nachkommen ein berechtigtes Interesse daran haben, komplizierte Vorgänge aus damaliger Zeit und die Beweggründe der Vätergeneration nicht den oberflächlichen Be- und Verurteilungen zu überlassen.“

Dass die Publikation „die historische Sicht auf Albert Speer“ korrigiere, wie im Vorwort erklärt wird, scheint etwas hoch gegriffen. Interessant ist dennoch die These, dass Speer Wolters aus seiner Biographie entfernte, da dieser seinen Plänen im Wege stand, sich vom NS-Gedankengut zu distanzieren und sein Image des „guten Nazis“ aufzubauen. Dies scheint schlüssig, da Wolters niemals wirklich Abstand von der nationalsozialistischen Ideologie nahm und – das zeigen private Aufzeichnungen und Briefe – die Verbrechen des Regimes bis zuletzt verharmloste und relativierte. Wolters steht beispielhaft für eine Berufsriege, die oftmals trotz ihrer aktiven Rolle im NS nach dem Krieg weiter beruflich erfolgreich war. Interessant in Bezug auf diese Kontinuität ist insbesondere das Kapitel darüber, wie sich die Architekten gegenseitig „Persilscheine“, also Bescheinigungen ihrer moralischen Unbescholtenheit, ausstellten. So bestätigte Wolters nach dem Krieg seinem Kollegen Wilhelm Kreis, dass er diesen nie in Uniform oder in Tätigkeit für die Partei erlebt hätte, obwohl Kreis laut Wolters Aufzeichnungen noch 1941 untertänigst um die Parteiuniform eines Amtsleiters gebeten hatte.

Zwar ist dem sprachlichen Duktus und der inhaltlichen Strukturierung anzumerken, dass die Publikation aus einer Dissertation entwickelt wurde, jedoch schafft es Deschan, Sachverhalte durch Hintergrundinformationen und schlaglichtartige Exkurse zu Wolters Zeitgenossen anzureichern und somit auch Nicht-Experten anzusprechen. Nicht zuletzt berücksichtigt das Buch auch die Architektur selbst in ausreichendem Umfang, was reizvoll ist, da Wolters im Laufe seines Lebens zunächst äußerst reduzierte und moderne Bauentwürfe vorlegte und später auch Satellitenstädte in der UdSSR konzipierte. In seinen Bauten nach 1945, unter anderem das Geschäftshaus der Industriekreditbank in Düsseldorf (1955) und das Polizeipräsidium in Dortmund (1952-1958), konnte Wolters wieder auf die Formensprache seiner Studienzeit zurückgreifen. Deschans resümierende Bewertung scheint daher berechtigt: „Rudolf Wolters ist ein ideales Beispiel für die Architektengeneration, die das Architekturgeschehen im 20. Jahrhundert in Deutschland mitgestaltete, da die Bandbreite seiner Tätigkeiten in der Gebäudeplanung, in der Stadtplanung sowie als Herausgeber und Publizist alle Facetten dieses Berufsstandes in einer Person vereint.“

Elina Potratz

André Deschan: Im Schatten von Albert Speer. Der Architekt Rudolf Wolters, 288 S., zahlr. Abb., 79, Euro, Gebr. Mann Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-7861-2743-7

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