tatort

Spiegel seiner Zeit

Wir suchen ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Nachkriegs-Architekturgeschichte spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können per Post oder E-Mail an die Redaktion gesandt werden. Unter den Einsendern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsendeschluss ist der 19. Mai 2014.

Der Ort liegt im Norden der Republik. Er sollte nach dem Zweiten Weltkrieg das Zentrum der britischen Besatzungszone werden. Um die Besatzungskräfte und ihre Familien zu behausen, schrieb die britische Regierung einen Wettbewerb aus, den ein ortsansässiges Team unter Leitung eines besonders guten Architekten gewann. Nach seinem Entwurf entstanden sechs Hochhauszeilen mit 15 Geschossen und weitere sechs mit zehn Geschossen, die in einer symmetrischen Anordnung an der Stelle eines im Zuge der „Operation Gomorrha“ im Krieg zerstörten gründerzeitlichen Quartiers mit großzügigen Ein- und Mehrfamilienhäusern gebaut wurden. Die Stahlskelettbauten wirken mit ihren durchgängig gelben Klinkerfassaden sehr homogen, auch wenn sie formale Unterschiede haben.

Die Bauten wurden nach den neuesten Erkenntnissen der Grundrissentwicklung ihrer Zeit konzipiert. Die Wohnungsgrößen reichen von ein bis vier Zimmern: Damit spiegeln sie die statistische Verteilung der Haushaltsgrößen jener Zeit, um eine soziale Mischung zu erzielen. Alle Wohnungen haben Einbauküchen, die Bauten sind überdies mit Büroräumen, Ateliers und Läden in den Erdgeschossen ausgestattet. Zur Gründungszeit gab es ein Geschäft für Damenoberbekleidung, Schuhe, Bücher, Haushalts- und Eisenwaren, Obst und Gemüse, Kaffee und Confiserie und eine Schlachterei. Die Anlage verfügte auch über ein Café, ein Restaurant, eine Arztpraxis, eine Tiefgarage und mehrere Kinderspielplätze sowie eine Tankstelle und eine Zentralwäscherei, die zwar erhalten sind, aber heute nicht mehr genutzt werden.

Schon kurz nach Baubeginn entschied sich die britische Armee jedoch für Frankfurt als Hauptquartier. Ein weitblickender Oberbürgermeister und ein aus der Türkei heimgekehrter ehemaliger Stadtbaurat beschlossen die Fortsetzung des Projekts, widmeten aber drei der Gebäude zu öffentlichen und privaten Verwaltungszwecken um. Heute befinden sich elf Hochhäuser im Besitz der öffentlichen Hand und einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, die sie sorgfältig restauriert hat. Ein Haus gelangte in private Hände und verwahrloste bis zur Schimmelbildung. Erst in diesem Jahr konnte das in der Presse als „Horrorhochhaus“ geschmähte Bauwerk saniert und wieder bezogen werden: Der „Tatort“ gehört heute mit seinem üppigen Grün und einer reichen Ausstattung an Skulpturen mit Architekturbezug zu den eindrücklichsten Denkmalen der frühen Nachkriegsmoderne.

Der „tatort“ der Ausgabe 1/14 war der „Teepott“ genannte „Sonderbau“ in Rostock-Warnemünde, den der Architekt Ulrich Müther mit Erich Kaufmann und Hans Fleischhauer als hyperbolische Paraboloidschale entworfen hat. Der Gewinner des Buchpreises ist Daniel Sanwald aus Wien.

Foto: Andreas Denk

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