editorial

„tausendmal berührt…

…tausendmal ist nix passiert.“ Nicht ganz so schlimm wie bei Klaus Lage ist es unlängst in Berlin gewesen. Was bedeutet es, wenn bei einem weltweit offenen Wettbewerb um ein Kulturgebäude in der Mitte der Hauptstadt 1.000 Architekturbüros Unterlagen anfordern, aber schließlich nur knapp die Hälfte davon einen Beitrag abgibt?

Die Rede ist vom Ideenwettbewerb zu einem Museum der Kunst des 20. Jahrhunderts für das Berliner Kulturforum, der im September 2015 ausgelobt und im Februar 2016 entschieden wurde. Selbst der Juryvorsitzende Arno Lederer äußerte sich gegenüber der „Bauwelt“ enttäuscht über die vergleichsweise geringe Zahl an Einsendungen: Sie sei sicherlich auch mit dem Anspruch der Aufgabe zu begründen, der sich in ihrer Komplexität viele Büros nicht hätten aussetzen wollen oder können.

Lederers moderate Erklärung für die insgesamt mäßige internationale Beteiligung und die Verweigerung von mehr als der Hälfte der Empfänger der Wettbewerbsunterlagen trifft sicherlich einen wichtigen Punkt. Schon die seit 60 Jahren anhaltende, schier unabsehbare Planungsgeschichte des Areals ohne überzeugende grundsätzliche Verbesserung der Situation belegt, wie sich hier so mancher durchaus vermögende Architekt an Hans Scharouns bildhafter Zuschreibung des Kulturforums als  „Stadtlandschaft“ und den seitdem immer wiederkehrenden kontrapunktischen Forderungen nach einer dichteren Packung umsonst abgearbeitet hat. Die Bauwerke Ludwig Mies van der Rohes, Rolf Gutbrods, Hilmer und Sattlers und schließlich noch Stülers Kirche St. Matthäus als historische Insel bezeugen genau diese disparate Planungsgeschichte mit ihrer historischen und typologischen Unverbundenheit.

Schwerwiegender als die immer noch hohe Anzahl von 460 Beiträgen wiegt der Verlust einer inhaltlichen gegenüber einer formalen Diskussion: Der Ideenwettbewerb 2015 sollte klären, wie „der Neubau für das Museum des 20. Jahrhunderts und sein unmittelbares Umfeld architektonisch, städtebaulich und freiraumplanerisch gestaltet werden kann.“ Dafür wurde – unter Verzicht auf einen weiteren vorhergehenden städtebaulichen Wettbewerb – nicht nur ein präzise definiertes Baufeld von etwas über 10.000 Quadratmetern Fläche zwischen Nationalgalerie, Matthäus-Kirche und Philharmonie abgesteckt, sondern auch noch ein relativ konkretes Raumprogramm: Das Bauwerk sollte eine Nutzfläche von etwa 15.000 Quadratmetern, davon 9.200 Quadratmeter Ausstellungsfläche, „konzeptabhängig“ eine Brutto-Geschossfläche von etwa 27.700 Quadratmetern haben und im Ausstellungsbereich Raumhöhen bis zu neun Metern vorsehen.

Die genauen Zahlen verdeutlichen, dass die Ausschreibung mit der hoheitlichen Definition des Baufeldes einerseits jede allzu innovative Setzung eines Neubaus vermieden hat, andererseits mit dem eng definierten Raumbedarf ein allzu realistisches Bedenken der gesamten Entwurfsaufgabe bis in Fragen des Grundrisses – also weit über die Ziele eines an dieser Stelle sinnvollen Ideenwettbewerbs hinaus – erforderte. Das Ergebnis ist insgesamt pragmatisch ausgefallen – obwohl ausdrücklich auch Büros zur Teilnahme aufgefordert wurden, die noch keine Erfahrung im Museumsbau haben. Die Jury hat zehn Entwürfe von Teams aus Architekten und Landschaftsplanern ausgezeichnet und mit jeweils 26.000 Euro Preisgeld belohnt, die stellvertretend für das Gros der Arbeiten stehen: Zwischen Mies und Scharoun lassen sich mit mehr oder weniger Erfolg mehrgeschossige Riegel, L-förmige Bauten, zeichenhafte Solitäre, mehrere Baukörper, die das Raumvolumen unter sich aufteilen, oder flächendeckende Flachbauten „als eine Art Moderatoren“ (Monika Grütters) implantieren. Der üppige Raumbedarf brachte viele Wettbewerbsteilnehmer zudem dazu, ihre Räumlichkeiten vorzüglich unterirdisch anzuordnen – und so die „moderierende“ Auseinandersetzung mit den berühmten Bestandsbauten des Kulturforums bis auf weiteres auszusetzen.

Eine konzeptuell-theoretische Auseinandersetzung mit den widerstreitenden Entwurfsprinzipien von Hans Scharoun und Ludwig Mies van der Rohe, die sich dennoch beide um die Reflexion der Grundgegebenheiten der Architektur bemühten, ist bei den gewinnenden Arbeiten kaum zu erkennen. Die Verbindung der konstruktiv-strukturellen und typologischen Reduktion der Nationalgalerie und der anthropologisch-funktional hergeleiteten Skulpturalität der Philharmonie hätte jenseits formaler städtebaulicher und architektonischer Fragestellungen Hinweise auf einen „ortstypischen“ Ansatz des Entwurfs geben können.

Neben der gleichzeitigen Einengung und Überfrachtung des Ideenwettbewerbs war ein weiterer Grund für die bemerkenswerte Interesselosigkeit vieler namhafter Büros sicherlich auch die Tatsache, dass der Ideenwettbewerb lediglich „Erkenntnisse für die Aufgabenstellung und die Rahmenbedingungen des nachfolgenden Realisierungswettbewerbs“ gewinnen sollte. Die zehn zunächst anonym, aber dann doch ohne Zuweisung zur jeweiligen Arbeit namentlich benannten „Gewinner“ des Wettbewerbs sind immerhin bei der nächsten Runde dabei, an der 40 bis 60 Büros teilnehmen sollen. Sie werden es nicht leicht haben: Neben ihnen werden nämlich acht bis zwölf Arbeitsgemeinschaften eingeladen. Darüber hinaus können sich weitere Büros über einen internationalen Teilnehmerwettbewerb qualifizieren. Ende 2016 möchte man schließlich ein Ergebnis haben.

Für Monika Grütters war der Ideenwettbewerb wertvoll, weil er die Erkenntnis erbracht habe: „Dieser Standort ist der richtige.“ Bei Durchsicht der Ergebnisse könnte man auch das Gegenteil behaupten. Dennoch ist die engagierte Kulturstaatsministerin überzeugt, „dass es phantasievolle Entwürfe geben wird, die sowohl städtebaulich wie funktional überzeugen.“ Wir hoffen mit ihr.

Andreas Denk

Foto: Andreas Denk

 

 

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