Günter Pfeifer

Trauma Klima

Die Krise als Chance

Sie geht uns an die Nerven, diese Nachhaltigkeits- und Klimadebatte! Kommt man im Zusammenhang mit Bauaufgaben jeglicher Art mit Bauherren, Kollegen oder Behörden darauf zu sprechen, wird die Abwehr allein schon über die Körpersprache sichtbar. Diese andauernde Vorhaltung unserer eigenen Nachlässigkeit und Bequemlichkeit scheint unser ökologisches Gewissen unbewusst mehr zu berühren als uns lieb ist. Auf das Thema dieses Heftes angesprochen, entgegnen die meisten Kollegen, dass man über den Begriff Permafrost Bescheid wisse, bei Permakultur hingegen stößt man auf fragende Blicke und zuckende Schultern.

Das Besondere an der Permakultur ist die Bedeutung der Interaktion, die sich zwischen den unterschiedlichen ökologischen Prozessen abspielt. Mit anderen Worten: Pflanzen und Tiere werden als interdependentes System begriffen, in dem jede Pflanzenart und/oder jedes Lebewesen als ein unabdingbares Teilelement eines Gesamtsystems angesehen wird. Jedes System ist mehr als die Summe aller Teile; diese werden erst zur Einheit, wenn die Wechselwirkung zwischen den Teilen erkannt und befördert wird. Das setzt allerdings voraus, dass man die Teilelemente im Einzelnen genauestens kennt. Grundbedingung der Permakultur-Prinzipien ist das vollständige Wissen über die Eigenarten der Pflanzen und die dependenten Lebewesen (Bakterien, Insekten, Larven, Würmer), um das Verhalten im System zu verstehen.

Güterbahnhofareal Freiburg: Straßenprofil mit teilweise circa 45 Meter Breite.
Aus welchem Grund die Ausbildung der mittleren Zone mit wenig Grünbewuchs und unklarem Fußgängerbereich ausgebildet ist, ist nicht erklärbar, Foto: Hannelore Pfeifer

Wenn man die positiven und negativen Rückkopplungen versteht, kann man selbstregulierende Systeme erzeugen. Das klingt einfacher, als es wirklich ist, und setzt profundes Wissen und Geduld voraus. Allein die Definition des Begriffs „Perma“ mit dem Zusatz „Kultur“ besagt, dass es sich um eine ganzheitliche Überstruktur handelt, die seit geraumer Zeit zu einem holistischen, integrativen, im weitesten Sinne kybernetischen Denkansatz geworden ist – zu einer Ganzheitslehre, die „gesellschaftliche, wirtschaftliche, physikalische, chemische, biologische, geistige und linguistische Systeme und ihre Eigenschaften als Ganzes und nicht als Zusammensetzung ihrer Teile betrachtet.“ (1) Die Natur ist ein im Fluss befindliches Phänomen, dessen Schwingungen zwischen den Dingen ständig oszillieren. Darauf versucht die Struktur der Permakultur eine Antwort zu finden.

Unsere Denkstruktur hingegen ist in der Regel eher statisch angelegt. Permakultur ist auf der Struktur des Kreislaufs gegründet und als vielfältiges Ökosystem an Effizienz und Nachhaltigkeit unübertroffen. Statt Monokulturen in Reih und Glied gilt die Biodiversität. Damit umfasst sie die Vielfalt innerhalb sowie zwischen den Arten und darüber hinaus die Vielfalt der Ökosysteme selbst. Nach dieser Definition besteht Biodiversität auch aus der genetischen Vielfalt. Die seit über hunderten von Jahren angesammelte Missachtung fast aller ökologischen Kreisläufe führt uns nun immer mehr und spürbar zur Erkenntnis, dass die Veränderung des Klimas von Menschenhand verursacht wurde.

Epoche Heißzeit?
Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass wir an der Schnittstelle zu einer neuen und besonderen Epoche angelangt sind. Jede Epoche, ob Romanik, Barock oder die Moderne, wurde durch gesellschaftliche, künstlerische oder politische Änderungen beziehungsweise Ereignisse ausgelöst. Die Epochen, die unter dem Überbegriff Völkerwanderung subsumiert werden, stellen keinen abgeschlossenen Vorgang dar. Vielmehr spielten bei den Wanderungsbewegungen unterschiedliche Motive und Faktoren eine Rolle. Im Unterschied zu diesen Epochen wird man jedoch feststellen können, dass die Klimaveränderung eine Epoche einleitet, die global verlaufen wird. Niemand zwischen Grönland und Patagonien, Südafrika und Nordeuropa, Australien und Japan wird davon verschont bleiben.

Beachtet man die unterschiedlichen Aspekte des Klimawandels, wird man damit weit mehr als die umfassenden Veränderungen der ökologischen Grundstrukturen ansehen müssen. Die Lösungen einzelner Teilbereiche ziehen zwangsläufig alle interdependenten Teilbereiche mit sich; holistisch-integrative (kybernetische) Lösungen sind kaum mehr möglich. Diese Epoche, die im Gegensatz zu den vorhergegangenen nachhaltiger wirken wird, drückt allen Lebensbereichen ihren Stempel auf.

Naturvertrag
Vor rund 200 Jahren hatte die Menschheit noch eine Art „Naturvertrag“. In Michel Serres „Philosophischer Ökologie“ (2) wird der Naturvertrag als jener Zustand beschrieben, in welchem der Mensch den Anbau des Lebensunterhalts auf den Äckern und Feldern betrieb. Der Ackerbau war die Leittätigkeit nahezu aller Kulturen rund um den Globus. In dieser Kultur pflegte der Mensch ein natürliches Empfinden gegenüber der Natur. Der Landwirt hatte ein Gefühl für das Wetter und roch es förmlich, wann er die Ernte einzufahren hatte. Er lebte den Naturkreislauf sozusagen von Grund auf. Er sorgte für den Rhythmus der Anbauintervalle und der Sortenvielfalt, und er sorgte für die regelnorme Düngung, die seine Kreaturen im Stall oder auf den Weideflächen lieferten.

Güterbahnhofareal Freiburg. Verteilerstrasse mit PKW Parkstreifen, Fußgängerweg + Gebäudevorzone.
Fahrwegbreite circa 6,5 Meter, kein Fahrradweg gekennzeichnet, Fotos: Hannelore Pfeifer

Diese kulturelle Grundlage ist uns nicht nur mit der industrialisierten Landwirtschaft abhanden gekommen. Vor den Bildschirmen der Computer sitzend, in klimatisierten Räumen, verwalten wir ferngesteuerte Maschinen und Roboter, um unsere Ernährung und unser Wohlergehen sicherzustellen. Die Eliten, die sich daraus gebildet haben, scheinen insgesamt über eine andere Wahrnehmungsebene zu verfügen. Wir brauchen deshalb den unheimlichen Visionen Bruno Latours („Das terrestrische Manifest“) (3) nicht einmal Glauben zu schenken, wenn wir nicht bereits erahnten, dass an der Einhausung und der sicherheitseingezäunten Wirklichkeit der wohlhabenden Bevölkerungsschichten (auch in Europa) bereits die brutale Theorie Latours Gestalt annimmt. Latour schreibt, um die abgedroschene Metapher der Titanic zu bemühen: „Die führenden Klassen begreifen, dass das Schiff untergehen wird; sie schnappen sich die Rettungsboote; fordern das Orchester auf, immer weiter Schlummerlieder zu spielen, damit sie im Schutz der Nacht die Leinen lösen können, bevor die riesige Schlagseite die anderen Klassen alarmiert. (…) Diese Leute-Eliten, die man wohl nicht anders als obskurantistisch bezeichnen kann – wenn sie erst gar nicht mehr den Anschein erwecken, als würden sie die Erde mit dem Rest der Welt teilen wollen.“ Mit dieser Hypothese lässt sich erklären, wie die Plus-Globalisierung zur Minus-Globalisierung werden konnte.

Wir benötigen keine weiteren Vergleiche; die Berichte über die Trumpsche Milliardärsclique, die uns wöchentlich erreichen, sind an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Angesichts dieses Desasters müssen wir uns die Frage gefallen lassen, welchem psychologischen Abwehrmechanismus wir uns ausgesetzt haben, um dies alles auszuhalten und in gelassener Weise zuzusehen. Eine kollektive Verdrängung hat sich auf unsere Wahrnehmung gelegt; der blinde Fleck: Klimabewusstsein. Es scheint die vorläufig einzige Erklärung dafür zu sein, dass man die bedrohlichen Sachverhalte aus der bewussten Wahrnehmung ausgeschlossen hat.

In der Psychologie gibt es den Begriff der Prokrastination – eine Arbeitsstörung, die ein nicht nötiges Verschieben des Arbeitsbeginns bis zum extremen Aufschieben der Arbeit beziehungsweise der Problemlösung – enthält. Statt des Bewältigens der eigentlichen Arbeit werden Alternativarbeiten ausgewählt. Mir scheint, dass sich dies nun als jene Störung offenbart, die über uns alle hereingebrochen ist. Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, wissen wir, was wir der Natur antun. An verbalen Willensbekundungen und Absichtserklärungen hat es nicht gefehlt: Alle Bekundungen waren vom Bewusstsein geprägt, es komme sowieso alles nicht so schnell und schon gar nicht so schlimm. Wir glaubten, dass wir alle Zeit der Welt hätten, um diese Probleme (was sind schon zwei Grad Erderwärmung?) zu lösen. Nun stehen wir nackt und bloß da und werden uns mit der kollektiven, gesellschafts-kulturellen und psychoanalytischen Frage beschäftigen müssen: Wie können wir die Angst überwinden?

Verbote, Gebote, Zertifikate?

Güterbahnhofareal Freiburg: Straßenbreite circa 12,5 Meter + PKW Parkstreifen und Fußgängerweg – bislang ohne Ausbildung eines Fahrradwegs

Ein wesentlicher Teil der Rückkopplung ist die Besinnung auf die Strukturen des Kreislaufs, die im ökologischen System a priori enthalten sind. Im architektonischen und städtebaulichen Planungsprozess werden Kreislaufstrukturen kaum angewendet. Die Life-Cycle-Betrachtungen als Basis jedes städtebaulichen und architektonischen Entwicklungsprozesses – unabhängig von der Größenordnung – bildet immer noch die Ausnahme. Ökoeffektivität, auch unter dem Begriff Cradle to cradle (C2C) bekannt, ist etwas für ausgewiesene Spezialisten und noch lange nicht im Alltag angekommen. Produkte in Konstruktionen und Ausbau von Gebäuden mit nachwachsenden Rohstoffen sind mit Zertifikaten ausgestattet, die deren Klimafreundlichkeit belegen. Dem gegenüber stehen klimaschädliche Produkte, die nur in Ausnahmefällen eingeschränkt oder sogar verboten werden. Wir Architekten haben es selbst in der Hand, die Bauherren und Nutzer vom Einsatz ökologisch sinnvoller Materialien zu überzeugen. Voraussetzung sind allerdings unsere Kenntnisse beziehungsweise Erkenntnisse über die intrinsischen Gesetzmäßigkeiten der Materialien und deren Wirkungsweisen im Zusammenspiel von Konstruktion, Bauphysik und Statik. Diese Bedingtheit wird zwar in vielen hunderten von DIN-Normen und Richtlinien zertifiziert und geregelt – allein der ökologische Überbau wird vernachlässigt oder ist schlichtweg nicht vorhanden.

Darf man im Zusammenhang mit einer klimagerechteren Architektur und Lebensweise über den Einsatz erweiterter Verbote nachdenken? In der Philosophie-Zeitschrift Hohe Luft (Ausgabe 5 / 18) schreibt Greta Lührs (4) über Verbote, um festzustellen, dass wir uns bereits mit dem Rauchverbot in Gaststätten und öffentlichen Gebäuden auf liberalfeindliches Terrain begeben hätten, ohne dass unsere Demokratie beschädigt wurde. Denkt man diese Anregungen zu Ende, ergeben sich mehr Fragen, als uns lieb sein kann: Man könnte auf die Idee kommen, zum Beispiel, folgende Verbote und Gebote einzuführen: Plastikprodukte jeder Art zu verbieten, wenn diese nicht aus bio-logischen Rohprodukten hergestellt oder nicht hundertprozentig recyclefähig sind; Kreuzfahrtschiffe verbieten, die mit Schweröl angetrieben werden; nicht mehr Auto fah-ren über 120 km / h (dies wäre ein Leichtes); Wohnungsbauten in vollständiger Betonkonstruktion, die mit polyurethanhaltigen Materialien gedämmt sind, verbieten sowie Autos mit klimaschädlichen Motoren; eine Beschränkung auf verkehrsfreundliche Fahrzeugabmessungen gebieten; Vernichtung von Lebensmitteln sanktionieren (Beispiel: In Frankreich hat die Regierung große Supermärkte dazu verpflichtet, mit Tafel- und Hilfsorganisationen zusammen zu arbeiten) sowie Spekulationen mit Grundstücken; Baustoffe unterbinden, deren ökologische Kreislauf-Nachweise fehlen (Polyurethan, Diisocyanate u.a.) ebenso Gebäude, deren gebäudetechnische Anlagen den Vergleich zwischen Wartungs- und Unterhaltungskosten und den energetischen Einsparungen nicht standhalten. Die Liste kann nahezu endlos erweitert werden.

Vernunft für die Welt
Unter dem Titel „Vernunft für die Welt“ wurde 2009 gemeinsam von Architekten, Ingenieuren und Stadtplanern ein Klimamanifest (5) verabschiedet. Knapp zehn Jahre später müssen wir uns eingestehen, dass es bislang lediglich hehre Lippenbekenntnisse waren, deren Umsetzung – wenn überhaupt – gerade mal mehr als zaghaft angegangen wird. Werden wir in diesem Tempo weiter verfahren, wird die heranwachsende Generation die Erde möglicherweise in mancherlei Hinsicht als mehr oder weniger eingeschränkt bewohnbar wahrnehmen. Lesen wir im Klimamanifest: „Wir werden unser Engagement durch unseren persönlichen Einsatz glaubhaft darstellen“, dann blicken wir unbeabsichtigt in unseren eigenen Spiegel und müssen uns fragen lassen, was wir von den sieben Punkten (zum Beispiel „…indem wir mit den relevanten öffentlichen und privaten Akteuren Anreize für ein nachhaltiges Bauen und eine klimagerechte Stadtentwicklung gemeinsam entwickeln und beschließen) umgesetzt haben. Übrigens muss man in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Charta von Athen aus dem Jahre 1933 hinweisen. Auch dort sind schon vorgeahnte Fehlentwicklungen beschrieben worden. Unweigerlich werden wir mit unseren eigenen Fragen konfrontiert: Wie viel können (müssen) wir Architekten, Stadt- und Raumplaner selbst dazu beitragen? Wie könnte jener radikale Schnitt aussehen, der das Bewusstsein verändert und die Vulnerabilität vermindert. Wie lässt sich unsere angepasste Lethargie überwinden? Welche Utopien lassen sich umsetzen?

Vulnerabilität
Fest steht: Nicht erst jetzt sind wir verwundbar geworden. Warum also spüren wir erst jetzt, wie hochkomplex und sensibel alle Systeme geworden sind und dass wir deren Anfälligkeit möglicherweise übersehen haben. Klimabedingte Veränderungen und Verschiebungen in der Pflanzen- und Tierwelt führten zum Aussterben und/oder zur extremen Veränderung von Fortpflanzungsperioden. Unsere Anpassungsstrategien zum Schutz der Ökosysteme und der Biodiversität sind viel zu langsam. Die überaus zähen Reaktionen zur Verbesserung der Luftqualität können nicht verhindern, dass die Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen exorbitant zugenommen haben. (6)

Die Verwundbarkeit ist auf allen Sektoren der klima- und soziokulturellen Themen festzustellen. Die Digitalisierung hat dabei ebenso viele Anteile und berührt im Besonderen die Versorgungsstrukturen der Wirtschaft. (7) Der strukturelle Fehler der energetischen Betrachtung und Berechnung von innen nach außen (EnEV) ist ein Synonym für die Einseitigkeit unserer Denk-Systeme. Aus den permakulturellen Strukturen wissen wir, dass komplexere Arbeitsmethoden zwar anstrengend sind, die kurzfristigen ökonomischen Vorteile der Bauträger gegebenenfalls auch schmälern, aber im interdependenten Zusammenhang die Vulnerabilität verringern. Last but not least darf nicht unerwähnt bleiben, dass zur Verwundbarkeit auch die unseres eigenen Lebens gehört. Die Verschmutzung unserer Umwelt und unseres Planeten ist auch ein Spiegelbild unserer Verantwortungslosigkeit im eigenen inneren Raum unseres Leibes.

Disruptiver Wandel
Wir müssen raus aus den akademischen Übungen, die auf die weit verbreitete Fragilität staatlicher Einrichtungen Rücksicht nehmen. Wenn wir überleben wollen, müssen wir unseren Lebensstil entscheidend ändern. Der disruptive Wandel beschönigt nichts, ist radikal und rücksichtslos, duldet keinen Aufschub, keine Halbherzigkeit und kein „ja, aber“. Unsere Forderungen können angesichts der immer größeren Verwundbarkeit aller unserer Umstände nicht radikal genug sein: Den Bewohnern des Planeten Erde werden Notoperationen nicht erspart bleiben, die Intensivstationen sind vorbereitet.
Zu den Elementen der Permakultur gehörten unter anderem (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Neue Bodenordnung: Seit Jahrzehnten wird darüber gestritten, lamentiert und philosophiert. Angesichts steigender Wohnungsnot und des demografischen Wandels – der längst Wirklichkeit geworden ist – ist dieses Thema kein Tabu mehr. In den Niederlanden ist Grund und Boden nur als Erbpacht zu erwerben. Dazu gehören gesetzliche Grundlagen für eine sozialverträgliche Baulandbeschaffung unter Ausschluss jeder Art von Spekulantentum.

Mobilitätskonzepte: Der private PKW-Verkehr wird aus den Innenstädten verbannt. Niemand hat ein Anrecht auf einen Stellplatz in der Stadt. Die Antriebskultur aller Fortbewegungsmittel wird auf emissionsfrei umgestellt. Nahverkehrskonzepte, die einerseits ökologischer, andererseits flexibler und effizienter sind, werden umgesetzt. Die Konzepte dazu sind bekannt und liegen in den Schubladen der Behörden. Die strukturell notwendige Vernetzung von Stadt und Land kann ohne Umschweife realisiert werden.

NKBAK Architekten, Europäische Schule Frankfurt, Frankfurt am Main 2013 – 2015, Foto: Thomas Mayer

Städtebauliche Konzepte: werden umgehend auf die Prüfung einer angemessenen Klimagerechtigkeit umgebaut. Mehr Grün in der Stadt; andere Werte der Verdichtung, der Besonnung und der Durchlüftung. Der Anteil an Grün und Wasseradern in der Stadt wird deutlich erhöht. Bebauungspläne und deren strukturelle Grundlagen – bisher auf den Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs aufgebaut – müssen geändert werden. Fußgänger und Fahrräder benötigen glücklicherweise andere Abmessungen und ebenso andere Oberflächen. Das vor einigen Jahren entwickelte und nun teilrealisierte 8,5 Hektar große Wohngebiet „Güterbahnhof-Areal Nord in Freiburg“ kann als Synonym dafür angesehen werden, wie der PKW-Wahn den Planern den Blick verstellt hat. Selbst pragmatische Gründe erklären kaum Straßenprofile (mit Gehweg und Parkstreifen) von 6,5 bis 13 Meter Breite, die sich in Teilbereichen bis auf 45 Meter ausweiten (dazu fehlen Fahrradwege). Diese sprechen nicht für jenes zukunftsfähige Quartier, in dem der Mensch und nicht der individuelle Verkehr den Maßstab bildet. In anderen Städten sind ähnliche Auswüchse zu beobachten.

Bautechnologien mit nachwachsenden Baustoffen und monolithische Bauweisen mit entsprechenden Baustoffen (Mauerwerk) werden gefördert.

Krise als Chance
Kennen wir doch alles, haben wir immer und immer wieder gehört: Wir können nicht wirklich etwas bewirken; die Gesetze des Marktes, die Richtung wird durch ganz andere Faktoren bestimmt. Diese Sattsamkeit hat eine Trägheit in unserer Gesellschaft, Kultur und Politik erzeugt; wir sind faul, lustlos und müde geworden.

Ähnlich wie in Ray Bradburys Fahrenheit 451 gibt es hier und da kleine Gewächse, die wahrgenommen werden und auf Alternativen hoffen lassen. Den jungen Architekten NBKA in Frankfurt ist es gelungen, ein Dogma der Stadtverwaltung Frankfurt zu überlisten. Sollte doch jedes Gebäude, welches die öffentliche Hand betreut und ausführt, im „Passivhausstandard“ realisiert werden. Unter dem hohen Termindruck schnell ein Schulgebäude zu realisieren – eigentlich wurde das Büro gebeten, ein Container-Provisorium zu planen –, entstand ein Gebäude bar jeglicher mechanischer Lüftung und Steuerung. In dem dreigeschossigen Holzbau – in kurzer Zeit geplant und errichtet – dürfen die Kinder die Fenster öffnen. Von Hand. Geregelt wird über eine simple CO2-Ampel. Diese Architektur verdient größten Respekt: reduktionistisch bis ins Detail, eine Formensprache, die uns heute nahezu fremd geworden ist.

Eine ähnliche Bauaufgabe für ein Schulgebäude haben die gleichen Architekten in Berlin vor sich: Ein Schulgebäude wird – so der Wunsch des Bauherrn – ohne technische Lüftungsanlagen geplant. Es wird offensichtlich: Hier hat eine Umorientierung begonnen. Diese neue Ausrichtung mag der Einsicht geschuldet sein, dass die finanziellen Vorteile der Energiegewinne mit weit höheren Kosten für die Wartung und den Unterhalt solcher Systeme erkauft werden. Für die IBA 2006 bis 2013 in Hamburg wurden alternative Konzepte zum Wohnungsbau entwickelt. Das Projekt „Grundbau und Siedler“ (8) zeigte ein Selbstbausystem, das vor fünf Jahren durchaus für Furore sorgte. Über weitere Versuche dieser Art – gerade angesichts steigender Wohnungsmieten – ist kaum etwas bekannt.

Man spürt, die Pflänzchen, die hier sprießen, sind noch rar. Mit Hilfe der Verwaltungsgerichte wird die Luft in den Städten verbessert. Dies könnte auch ein Umdenken in der Mobilitätsstruktur der Bewohner erwirken. Leider ist das politische System vom reaktiven Tun und Handeln bestimmt. Nur wir selbst – und unser Berufsstand im Besonderen – müssen das Aktive wieder stärker in den Vordergrund stellen.

Prof. Dipl.-Ing. Günter Pfeifer (*1943) ist freier Architekt BDA in Freiburg. Bis zu seiner Emeritierung im Sommer 2012 hatte er an der TU Darmstadt den Lehrstuhl für Entwerfen und Wohnungsbau inne. Seit Sommer 2011 betreibt Günter Pfeifer mit Prof. Dr. Annette Rudolph-Cleff die Fondation Kybernetik – ein Praxislabor der TU Darmstadt und Pool für Nachhaltigkeitsforschung. Günter Pfeifer ist Mitglied des Redaktionsbeirats dieser Zeitschrift.

Anmerkungen
(1) Mollison und Holmgren definierten Permakultur zunächst als Planung, Entwicklung und Bewirtschaftung integrierter, sich selbst entwickelnder Systeme aus mehrjährigen und sich selbst vermehrenden einjährigen Pflanzen und Tierarten, die im Einklang mit den jeweiligen Umweltbedingungen und den Bedürfnissen ihrer Nutzer stehen; https://de.wikipedia.org/wiki/Permakultur, Seitenaufruf: 17.09.2018; https://de.wikipedia.org/wiki/Holismus, Seitenaufruf: 17.09.2018.
(2) Serres, Michel: Naturvertrag, Paris/Frankfurt am Main 1994.
(3) Latour, Bruno: Das terrestrische Manifest, Berlin 2018.
(4) Lührs, Greta: Was Spaß macht ist verboten? Hohe Luft 5 / 2018.
(5) Vernunft für die Welt. Manifest der Architekten, Ingenieure und Stadtplaner für eine zukunftsfähige Architektur und Ingenieurbaukunst, Berlin 2009.
(6) Gutmair, Lisa: Vulnerabilität und Klimawandel, Balti 2017
(7) Diez, Georg: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/kapitalismus-und-klimawandel-muessen-zusammengedacht-werden-kolumne-a-1222540.html, Seitenaufruf: 17.09.2018.
(8) https://www.ibahamburg.de/fileadmin/Mediathek/Whitepaper/130612_Grundbau_und_Siedler.pdf, Seitenaufruf: 17.09.2018.

 

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert