Buch der Woche: Erfahrungstheorie des ökologischen Designs

Umfassende Analyse

Bio ist in. Seit geraumer Zeit macht sich ökologisches Bewusstsein in nahezu allen Lebensbereichen bemerkbar – und das in einem Maße, von dem die grünbewegten Ökopioniere seinerzeit nur hätten träumen können. Wer hätte sich in den Zeiten der 1980er Jahre etwa vorstellen können, dass es ein Elektro-Auto wie der Tesla Modell S zu einem Prestige-Objekt des Establishments bringt? Doch wer heute im hippen Kalifornien etwas auf sich hält, fährt mit genau solch einem Wagen auf dem Parkplatz des Whole Foods Market seiner Wahl vor und schaut naserümpfend auf die SUV-fahrenden Wal-Mart-Kunden von nebenan. Die Spannweite zwischen diesen beiden Supermarktketten zeigt das Paradoxon unserer Zeit: Auf der einen Seite waren die uns umgebenden Produkte in der Geschichte der Menschheit noch nie so billig und in solchen Mengen zu haben wie heute, auf der anderen Seite war wohl noch nie so vielen Menschen bewusst, dass das nur auf Kosten von Mensch, Tier oder Umwelt geht.

Ökologisches Leben und damit die Ansätze ökologischer Gestaltung durchziehen unseren Alltag. Das beginnt bei Flaschen und Papier, die aus wieder verwerteten Rohstoffen hergestellt werden und endet beim Car-Sharing-Auto. Dazwischen findet sich alles, was das Herz begehrt. Vom nachhaltigen und veganen Hamburgischen Brotaufstrich aus gebrannten Mandeln mit Meersalz über den österreichischen Schuh aus nachhaltiger Produktion bis hin zum fair-gehandelten und ökologisch produzierten Fahrrad von der schwäbischen Alb. All das stellt sich der bewusst lebende urbane Mensch von heute in ein Null-Energie- oder Passiv-Haus – oder in eine schicke Bleibe in der Stadt. Doch welche Form, welchen ästhetischen Ausdruck findet dieser Wandel der Bedeutungsebene all dieser Dinge?

Dass es Dinge gibt, die auch formal einen entsprechenden Ausdruck finden und den Verlauf ihrer Benutzung aktiv thematisieren, anstatt ihn als Verschleiß und Wertverlust zu begreifen, zeigt das Buch „Prozessästhetik“ von Johannes Lang. Der Designwissenschaftler hat sich während seiner Studien in Berlin, Leicester und Potsdam neben Philosophie vor allem mit Produktdesign beschäftigt. Die Ergebnisse hat er in einer Publikation zusammengetragen, die im letzten Jahr in der Wissenschaftsreihe des Birkhäuser Verlags veröffentlicht wurde. Lang untersucht darin, wie sich die Berücksichtigung ökologischer Kriterien im Produktdesign niederschlägt. Dabei geht es ihm weniger darum, der Frage nachzugehen, warum vermeintliche „Bio-Möhren“ im Supermarkt in Kunststoffverpackungen liegend und von Plastikfolie ummantelt verkauft werden, während die losen Möhren vom lokalen Produzenten von nebenan ohne Kunststoffverpackung auskommen, sondern vielmehr um das Aufdecken und Erkennbarmachen neuer Produkterfahrungen.

Dem Autor gelingt es dabei, von der reinen Form des sogenannten Endprodukts zum Zeitpunkt seines Verkaufs in seinen Einordnungen ebenso Abstand zu halten, wie von singulären Betrachtungen der verwendeten Materialien. Stattdessen setzt er Material-, Produktions- und Gebrauchsgeschichte der Dinge in Relation zueinander und leitet aus deren gegenseitiger Bedingtheit den Begriff der „Prozessästhetik“ ab. Mit diesem etwas trockenen Wort meint Lang letztlich nichts anderes, als die Umschreibung eines ganzheitlich gedachten Produkts, das auch mit dem Gebrauch nicht an Wert oder Funktionalität verliert – die Ästhetik des Prozesses, dem das Ding während seiner Benutzung ausgesetzt ist, also von vornherein mitdenkt.

Lang hat zur Klärung seines Anliegens eine ganze Fülle von Beispielen zusammengetragen. Tischdecken, Porzellan, Möbel oder Elektrogeräte benennt er, und beschränkt sich dabei nicht auf aktuelle Moden sondern räumt das Feld designhistorisch korrekt von hinten auf. Überhaupt ist der akademische Grundtenor des Buchs das einzige, was man ihm wirklich ankreiden mag. Ein wenig mehr erzählerischer Esprit hätte der Publikation an einigen Stellen gut getan. So bleibt sie sehr in ihrem wissenschaftlichen Ursprung verhaftet. Auch das produktionsbedingte Bündeln der Abbildungen auf vierfarbigen Bildseiten zwischen den schwarz-weißen Textbögen ist schade, führt aber dazu, dass das inhaltlich wertvolle Buch zu einem recht günstigen Preis erhältlich ist.

Die Qualität der Arbeit besteht zum einen in der Einführung der Begrifflichkeit „Prozessästhetik“ in den Diskurs um Gestaltung selbst, zum anderen in der Visualisierung dieses Terminus. Dieser, so Johannes Lang, umfasst die Form gewordenen – oder Form werdenden – und sinnlich wahrnehmbaren Ebenen eines Produkts, in denen die natürlichen Prozesse der Produktgeschichte zu einem Teil der Produkterfahrung werden. Die Relevanz des Buches – auch für Architekten – erschließt sich neben den präzisen textlichen Ausführungen auch anhand der teilweise fein, teils sehr abseitig ausgewählten, deswegen aber nicht minder interessanten Beispiele. Johannes Lang ist mit „Prozessästhetik“ nicht weniger gelungen als die erste umfassende Analyse zur Formensprache von ökologischem Produktdesign.

David Kasparek

Johannes Lang: Prozessästhetik. Eine ästhetische Erfahrungstheorie des ökologischen Designs, 171 S., zahlr. Abb., 39,95 Euro, Birkhäuser Verlag, Board of International Research in Design, Basel 2015, ISBN 978-3-0356-0311-8

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