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verlust eines hauses

Kann ein Haus ein Freund sein? Wahrscheinlich ist das übertrieben. Vielleicht ist es eine Konstituente im Leben. Vielleicht ein gedanklicher Begleiter. Vielleicht eine Begegnung, die einem immer wieder einfällt.

Hennef ist ein kleiner Ort an der Sieg, ein paar Kilometer westlich von Bonn, einige Kilometer mehr südlich von Köln. Nichts Großes, nichts Spektakuläres, ein Ort, der seine Herkunft aus einem Straßendorf nicht verleugnen kann, ein paar repräsentative Fachwerkhäuser des 18. Jahrhunderts, ein etwas zu großes Rathaus und eine gelungene kleine Stadtreparatur, beides von Peter Böhm aus der Zeit um 2000.

Die Erinnerung an die Existenz eines Hauses kann an allem Möglichen hängen. Manchmal ist es die äußere Erscheinung: Er fragte sich, ob das nicht das Haus war, an dem man rechts abbiegen musste, um zu diesem Restaurant zu kommen? Ihr fiel immer dieses merkwürdige Dach auf, das im Konzert der Satteldächer aus der Rolle fiel. Am ehesten sind es Menschen, an die man sich erinnert: Wie sie dastand, in der Tür, ein letztes Winken. Oft ist es nur ein Raum, an den wir uns erinnern: Weißt Du noch, diese Atmosphäre damals im Esszimmer? Ich liebe die Stimmung im Garten in der Abenddämmerung. Siehst du diesen Sonnenstrahl auf dem Boden? An der Wand?

Ich bin häufig in Hennef gewesen, und jedes Mal bin ich an einem ummauerten Grundstück vorbeigegangen, das direkt neben der Hauptstraße liegt. Überhaupt war das Gelände, nein, das Haus, das darauf stand, der Grund, warum ich nach Hennef gekommen bin. Ich hatte eine ungefähre Vorstellung davon, wo das Haus sein würde. Es dauerte nicht lange, bis ich es gefunden hatte. Als ich an die hohe Mauer trat und hinübersah, wusste ich sofort, dass ich gefunden hatte, was ich suchte.

„Ich glaube“, hat Peter Zumthor einmal geschrieben, „dass Gebäude, die von ihrer Umgebung allmählich angenommen werden, die Fähigkeit besitzen müssen, Gefühl und Verstand auf vielfältige Weise anzusprechen. Unser Fühlen und Verstehen aber wurzelt in der Vergangenheit. Deshalb muss der Sinnzusammenhang, den wir mit einem Gebäude schaffen, den Prozess des Erinnerns respektieren.“

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Foto: Andreas Denk

Der Blick auf das Haus war immer wieder verstellt: dichtes Blattwerk der Büsche, Bäume, von fast nirgendwo sah man das Gebäude als Ganzes. Mal rückte der Eingang, mal das Wohnzimmer, mal der Treppenturm ins Blickfeld. Nie sah ich das ganze Haus. Das war gar nicht so schlecht. Denn der Architekt hatte versucht, jeder Funktion des Hauses ein eigenes architektonisches Element zuzuordnen. Indem ich um das Grundstück herumging und immer wieder über die Mauer schaute, schien sich diese Collagetechnik zu bestätigen.

John Berger sagte, das Erinnerte sei nicht mit dem Endpunkt am Schluss einer Linie identisch. Die Erinnerung setzt sich aus Bildern, Stimmungen, Formen, Wörtern, Zeichen und Vergleichen zusammen. Um das Werk im Zentrum legt sich ein strahlenförmiges System der Annäherung, so dass man es gleichzeitig unter historischen, ästhetischen, funktionalen, alltäglichen, persönlichen und leidenschaftlichen Aspekten betrachten kann.

Das Haus hat lange meine Phantasie bewegt. Geheimnisvoll, wie es inmitten der Stadt einsam dalag: Nie habe ich einen Menschen dort gesehen. Faszinierend, wie der orangegelbe Klinker der Fassaden eine Symbiose mit dem Grün des Gartens versuchte, der es allmählich überdeckte. Eigenartig, wie dieser Hohlweg hinter dem Tor zur Straße die Verbindung zum Eingang herstellte.

Jetzt hat man das Haus abgerissen. Wenige Wochen nach dem Tod des Bauherrn und der Bewohner haben deren Erben kurzen Prozess gemacht. Zwei Wochen vor dem Termin mit der Denkmalpflege kam der Abrissbagger. Den Schutthaufen im Garten, der von Oswald Mathias Ungers’ Villa Steimel von 1962 übrig geblieben ist, hat die Stadt jetzt unter Schutz gestellt, um zu prüfen, ob der ungenehmigte Abriss eine Ordnungswidrigkeit „darstellt“. Der Verlust des Hauses bedeutet mir viel mehr. Den Verlust eines verwunschenen Orts in der Stadt. Den Verlust eines Beispiels, wie die Versöhnung der Moderne mit Natur und Phantasie aussehen könnte. Den Verlust eines Ankerpunkts des kollektiven Gedächtnisses. Und die Erkenntnis, wie eng Dummheit, Geldgier und Barbarei zusammenhängen…

Andreas Denk

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