Jakob Timpe

Weniger oder mehr

Über Sparsamkeit im Design

Nach allgemeineren Betrachtungen zum ökonomischen Verhältnis zwischen Hersteller, Kunde, Produkt und Designer geht der Berliner Architekt und Designer Jakob Timpe der Frage nach, in wie unterschiedlicher Weise Sparsamkeit in die Eigenschaften einzelner Design-Produkte eingehen kann.

Fragte man Architekten nach einem Beispiel für Sparsamkeit im Design, so würden sie vielleicht den Ulmer Hocker nennen: diese Ikone korrekter Kargheit, im Jahr 1954 von Max Bill für die HfG Ulm entworfen, ein multifunktionales U aus drei Leimholz-Fichtenbrettern, verbunden mit Maschinenzinken und einer Buchenstange. Obwohl die universale Künstlerschaft Bills wie kaum eine andere geeignet ist, die Verwandtschaft von Architektur und Industriedesign zu belegen, gehen beide Disziplinen nicht immer von den gleichen Prämissen aus. Der Charakter der Ware prägt die Arbeit am Produkt von Anfang an. Hier steht der schöne Warenkörper im Mittelpunkt.

Nach einigen grundsätzlichen Beobachtungen zum ökonomischen Verhältnis zwischen Hersteller, Kunde, Produkt und Designer wird im folgenden der Frage nachgegangen, wie unterschiedlich Sparsamkeit in die Eigenschaften einzelner Design-Produkte eingehen kann. Geht es um Sparsamkeit im allgemeinen, so liegt es nahe, über den äußeren (Tausch-)Wert, den Preis, das heißt über Geld, genauso zu sprechen wie über die inneren Werte der Produkte. Die Vorstellung von der Billigkeit, der preis-werten Ware, deren Preis etwas mit dem Aufwand für ihre Herstellung zu tun hat, führt merkwürdigerweise eine ziemlich friedliche Koexistenz mit der Theorie der Preisbildung durch Angebot und Nachfrage.

Demnach müsste beispielsweise der Ulmer Hocker billig sein, weil er in der Herstellung wenig kostet, und er müsste außerdem billiger geworden sein, nachdem er massenhafter denn je abgesetzt wurde. Schließlich darf so ein „Designerhocker” nach landläufiger Meinung auch wieder etwas teurer sein, genau wie das „Architektenhaus”, weil die Arbeit am Design das Produkt teurer mache, und der Designer recht viel vom Preis abbekommen müsse.

Üblicherweise liegen Tantiemen für „Autorendesign” heute aber zwischen einem und zwei Prozent vom Endpreis. Die ebenso landläufige Vorstellung, dass Designer wie Architekten irgendwie reich seien, ist vor diesem Hintergrund insofern berechtigt, als dies eine günstige Voraussetzung für die Berufsausübung darstellt. Nur Insider wissen wirklich, was warum wie viel kostet. Wer die Kalkulation nicht kennt, kann sich einen Eindruck von der Billigkeit eines Preises nur aus subjektiven Eindrücken bilden, die allenfalls durch Vergleiche oder Analogien zustande kommen, nicht aber aus der ganzheitlichen Bewertung des Produkts.

Heute wirken die massenhaft kommunizierten Niedrigpreise der Ketten und Discounter meinungsbildend auf die Vorstellung von gültigen Preisen. Hier haben sich referenzartige Maßstäbe herausgebildet: alles, was da mehr kostet, ist teuer, oder Luxus oder sonst irgendwie verstiegen. Wer einmal gesehen hat, wie billig ein Schrank sein kann, wird sich die Anschaffung eines alternativen Modells für das zwanzigfache genau überlegen.

Dass Kosten und Konsequenzen derartigen Sparens anderswohin, oft weit weg vom Kunden verlagert werden, muss der Sparsame dann aber in Kauf nehmen. Sparsamkeit ist ein allgemeines Prinzip, in dem viele andere ihren Ursprung haben: ökologisch, sozial, ästhetisch, ökonomisch und ethisch grundiert, durchzieht das Streben nach Sparsamkeit alle Zeiten. In der Produktentwicklung führt dies oft zu widersprüchlichen und unerwarteten Resultaten: unter diesem Blickwinkel seien die vier folgenden eigenen Entwürfe vorgestellt.

Elane
Wahrhaft sparsam wäre es, auf die Entwicklung von Produkten ganz zu verzichten. Beispielsweise gibt es Gelenkarmleuchten schon in allen Preis- und Qualitätsklassen. Aber es gibt auch die Lust am Entwickeln, die Neugierde nach dem Besseren, das der Feind des Guten sein könnte. Sie verträgt sich gut mit ständiger Innovation und dem Interesse des Publikums an neuen Reizen.

Anfangs war es die vage Vorstellung eines Kabels, das sich von einem Sockel zum Schirm aufschwingt und sich zu beweglichen Armen verfestigt. Eine solch leichtgliedrige Leuchte käme ohne Profildopplungen und Mechanismen aus, die sonst diesem Leuchtentyp den technischen Habitus geben. Ein dicker Aluminiumdraht nahm modellhaft einen Arm aus zusammengesetzten Rohren vorweg, die an ihren Enden rechtwinklig abgebogen waren und sich nahtlos und drehbar im nächsten Abschnitt fortsetzten. So entstand eine durchgehende weiche Linie, die jederzeit fließend von einem Segment in das folgende überging. In den runden Querschnitt des abbiegenden Armes die Achse eines Gelenks zu legen: das bedeutete, das Gelenk zum Thema werden zu lassen, ohne es selbst sichtbar zu machen. In der Kombination der C-förmigen Rohrabschnitte war das Prinzip der Modularität bereits angelegt, so dass auf Elane long (zwei Arme) bald die Varianten short (ein Arm) und floor (Stehleuchte) folgten.

Jakob Timpe, Elane, serien.lighting, 2007 – 2012; Foto: Timpe

Jakob Timpe, Elane, serien.lighting, 2007 – 2012; Foto: Timpe

Die Frage, für wen ein solches Produkt eigentlich gut sei, stellte anfangs niemand. Die Geometrie der abgewinkelten Gelenkarme verhieß eine Leuchte von erheblicher formaler Allgemeingültigkeit, die sowohl in der Wohnung wie auch am Arbeitsplatz großen Absatz würde finden können. Aber die Entwicklung ihrer präzisen Details, besonders der Friktionsgelenke, war kompliziert, und der Hersteller Serien kein Marktbeherrscher, der den Preis ihrer Einzelteile beliebig senken kann. So wurde Elane eine außergewöhnliche, aufwendige Leuchte. Ihr Weniger wurde an anderer Stelle zum Mehr, wodurch ihr Minimalismus ostentativ geriet: auffällig unauffällig.

Sparsamkeit als Haltung muss man wollen und man muss sie sich leisten können. Nur dann gilt sie paradoxerweise als kultiviert – sonst erschiene sie erzwungen und doch letztlich eine Folge der Armut. Dass Armut aber die Dinge adelt, das gibt es heute nur noch im Märchen, oder in verklärter Beschwörung einer vergangenen Arbeiterund Bauernwelt. Oder bei fernen Völkern. In der globalisierten Warenwelt ist die Unschuld aus dem Einfachen verschwunden, und sie kommt wohl auch nicht wieder.

Loggia
Reggere – portare – coprire, stehen – tragen – überdecken, auf diese Formel Angelo Mangiarottis ließe sich das Regalsystem Loggia mit seinen freistehenden Bögen bringen, die sich aus unterschiedlichen Breiten, Höhen und Tiefen zusammensetzen zu einer vielgestaltigen Fassade. Loggia weckt Assoziationen an archetypische Bauformen. Hinter dem Rhythmus seiner Bögen scheinen Bilder von Aquädukt, Brücke und Arkade auf.

Es bleibt dem Benutzer frei gestellt, hier strenge oder eher spielerische Akzente zu setzen: das Regal eignet sich zum regelmäßigen Hintergrund eines Raumes ebenso wie zum prominenten Hauptstück. Die komplexe Wölbung der Zwickel wird, wie das gesamte Produkt, erst durch den Einsatz numerisch gesteuerter Bearbeitungsmaschinen industriell herstellbar. Loggia wurde auf dem Salone del Mobile in Mailand 2011 vom italienischen Hersteller Alias präsentiert, ohne anschließend in Produktion zu gehen.

Jakob Timpe, Loggia, Detail, Regalsystem, 2011; Foto: Timpe

Jakob Timpe, Loggia, Detail, Regalsystem, 2011; Foto: Timpe

Zunächst aus lackiertem MDF hergestellt, wird es demnächst bei vondingen als Massivholzregal in die Kollektion aufgenommen. Der Bogen erfüllt hier, ähnlich den Vorbildern in der Architektur, zunächst einmal eine tragende Aufgabe jenseits formaler Bestrebungen. Die steife Verbindung der Wände mit den Böden machen diese, im Gegensatz zu lose aufgelegten Fachböden, zu eingespannten Trägern, was ihre Durchbiegung vermindert und zur Schlankheit und Materialeinsparung beiträgt.

Äußerste Reduktion des Werkstoffs Holz und maximale Verdichtung der Form, in dieser Synthese verwirklicht sich eine lang aufgebaute, subjektive Wertauffassung eines Einzelnen. Auf verschiedenen Ebenen können Besitzer dieses kostbaren Regals die ihm mitgegebenen Prinzipien der Sparsamkeit nachvollziehen, auch auf der ökonomischen, solange sie sparsam nicht mit billig gleichsetzen.

Eimer Götz
Die Berliner Stadtreinigung lobte 2011 auf der Suche nach neuen Lösungen zur häuslichen Abfalltrennung einen Wettbewerb unter Designern aus. Mit der Notwendigkeit der Mülltrennung war die Nachfrage nach geeigneten und attraktiven Lösungen gewachsen. Am Ende des Projekts sollte ein marktfähiges Produkt stehen, um es den Haushalten für weniger als 100 Euro anzubieten.

Mit Eimer Götz wurde ein modulares System vorgeschlagen, das seinen Platz in privaten Räumen, besonders in engen Küchen mit wenig freier Standfläche findet. Die Eimer in drei Größen können frei miteinander kombiniert werden. Die Module werden aufeinander gestellt und rasten ein.

Jakob Timpe, Eimer Götz, Abfalleimer, 2011; Foto: Timpe

Jakob Timpe, Eimer Götz, Abfalleimer, 2011; Foto: Timpe

So entsteht eine vertikale Skulptur, ähnlich den Hochhäusern, deren Höhe mit der Verknappung des Grundes zunimmt. Die zweiteiligen Eimer sind als industrielles Massenprodukt aus spritzgegossenem Kunststoff konzipiert, und damit auf Wirtschaftlichkeit und Materialgerechtigkeit ausgerichtet, sollte der Entwurf einmal entwickelt werden – denn keine der eingereichten Arbeiten gelangte bisher zur Realisierung.

Den Eimern selbst ist eine besondere Mimik eigen, die sich im Namen Götz widerspiegelt. Die Erinnerung an den berühmten Ritter klingt an in der gierigen und großen Klappe, dem wachsamen Visier, einer zufriedenen Schnute. Zum klassischen Entwurfsziel der Übereinstimmung von Form und Funktion kommt hier das sprechende Bild. Sein spezieller Aufforderungscharakter ist ohne Mehraufwand in der Form enthalten und mag trotz eines gewissen Unterhaltungswertes gerade noch als Teil seiner eigentlichen Mülleimer-Funktion durchgehen.

Stand
Gar nicht auf populären Anklang bedacht war das Tischgestell Stand, das aus einem ganz individuellen Bedarf in der speziellen biografischen Situation als umherziehender Architekt entstand: vier Beine und vier Zargen, die nicht verleimt, sondern nur lose zusammengesteckt sind, verkanten sich durch das Gewicht der aufgelegten Tischplatte. Dabei entsteht ein sehr leichter Tisch, der flexibel auf die unterschiedlichen Tätigkeiten im privaten und beruflichen Umfeld reagieren kann, sei es als Esstisch, Arbeitstisch oder auch als schnell auf- und abzubauender Besprechungstisch. Das Verschieben der Beine entlang der Zargen lässt unterschiedliche Plattenformate ebenso zu wie Variationen bei der Anmutung des Tisches. Das Gestell aus massiver Esche gibt es auch weiß lasiert. Neben der standardmäßig angebotenen, weiß beschichteten Spanplatte können andere Materialien wie Glas, Holz oder Stein verwendet werden.

Schlägt sich die schlichte Konstruktion nun auch in einem geringen Preis nieder? Hier lohnt es sich, noch einmal zum Ulmer Hocker zurückzukehren und sich seinen Werdegang als Ware zu vergegenwärtigen: 1960 wurde er von der Werkstatt der Hochschule für Gestaltung in Ulm in Kleinserie gefertigt und für 11 DM an die Angehörigen der Hochschule abgegeben. Nach seinem Weggang gab Bill den Hocker bei der wohnhilfe zürich in Produktion. Heute wird er, neben verschiedenen unlizensierten Versionen, von wb-form und Zanotta für etwa 180 Euro vertrieben. Ein Ulmer Hocker wird in der Herstellung weniger als 35 Euro kosten. Der Händler-Einkaufspreis dürfte bei etwa 75 Euro liegen, der Netto-Endverkaufspreis beträgt 145 Euro, dazu noch die Mehrwertsteuer – so etwa könnte die Kalkulation eines Designlabels aussehen.

Ein ähnliches Schema galt für Stand, der vor zwölf Jahren als „Tischbocktisch” bei Moormann erstmals aufgelegt wurde. Möglicherweise lagen seine geringen Verkaufszahlen darin begründet, dass er gleichzeitig zu teuer und zu billig war: zu teuer war das Gestell denjenigen, die darin nichts anderes sehen konnten als Ikea für Reiche. Für acht Holzstangen 400 Euro zu bezahlen, schien schwer vermittelbar ohne spezielle Einsicht in die Qualität des Holzes und seiner Verarbeitung, ohne die das Gestell nicht funktioniert. Zu billig war der Tischbocktisch für Händler, die es vorziehen, auf zwei Quadratmeter ihrer kostbaren Schauflächen einen Tisch zum vierfachen Preis zu zeigen und zu verkaufen.

Jakob Timpe, Stand, Tisch für vondingen, 2012; Foto: Timpe

Jakob Timpe, Stand, Tisch für vondingen, 2012; Foto: Timpe

Aus dem Wunsch, diesen Widerspruch aufzulösen und einfachen Produkten wie Stand dennoch einen Markt zu verschaffen, entstand die Marke vondingen. Als Standard und weniger als „Designermöbel” werden neue Produkte nur wahrgenommen, wenn der Preis den Eindruck der Verhältnismäßigkeit erweckt. Online-Vertrieb in Verbindung mit lokaler Herstellung ermöglicht Spielräume für die Senkung von Kosten und Margen.

Immer mehr Designer experimentieren mittlerweile diese Form der Direktvermarktung. Sie wenden sich ab vom arbeitsteiligen Designer-Hersteller-Händler-Modell und schaffen neue Vielfalt und Unübersichtlichkeit, weniger Masse, mehr Freude, und das bei globaler Reichweite. Wenn es auf diese Weise gelingt, hohe Originalität und Qualität in einem mittleren Preissegment zu realisieren, werden Produkte zugleich wertvoll und sparsam.

Jakob Timpe studierte Architektur an der TU Berlin und der TH Darmstadt. Er arbeitete als Architekt in Köln, München und Barcelona und war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Darmstadt. Nach einem Stipendium der Villa Massimo in Rom eröffnete er 2006 das Studio jakob timpe spaces + objects in Berlin. Seit 2012 betreibt er die Möbelmarke vondingen und lehrt Produktgestaltung an der Hochschule Regensburg.

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