Zur Bedeutung von Spektakelarchitektur

Zeichen und Affekt

Vor dem Hintergrund der Postmoderne stießen die Vermittlung von Bedeutung und die Zeichenhaftigkeit an sich auf Widerwillen. Im US-amerikanischen Kontext meldete sich in den 1990er Jahren eine Generation junger und weltweit agierender Architektinnen und Architekten zu Wort, die sich gegen die im Architekturdiskurs verfestigte Gegenüberstellung der „Whites“ und „Grays“ positionierte. Beide, so die Sichtweise der Jüngeren, hielten daran fest, Bedeutung durch Zeichen, das heißt durch die willkürliche und durch Konvention verfestigte Beziehung zwischen einem Bezeichnenden und einem Bezeichneten, übermitteln zu wollen. Die sogenannten „Whites“ als Anhänger einer „weißen“, kontextlosen und selbstreferentiellen Architektur schufen geometrische Baukörper, welche die Autonomie der Architektur und ihre Verbundenheit zur euklidischen Geometrie repräsentierten. Selbst das Brechen mit Konvention, wie eine den Boden nicht berührende Säule, wurde zu einem Zeichen für Antifunktionalismus. Die „Grays“ hingegen propagierten eine vernakuläre und lebensnahe, mit leicht verständlichen Zeichen versehene, bisweilen stilistisch eklektische Baukunst. Ihre historisch oder regional motivierten Gebäude sollten wie Erzählungen von vergangenen Welten gelesen werden.

Die Losung der Neuen – darunter Greg Lynn, Jesse Reiser und Nanako Umemoto, Neil Denari oder Farshid Moussavi und Alejandro Zaera-Polo – war eine Absage an jegliche Zeichenhaftigkeit. Lynn formulierte es 1993 in „INeffective DESCRIPTions: SUPPLEmental LINES“ wohl am radikalsten, wenn er die Wirkungslosigkeit jeder Bedeutung deklarierte und eine Architektur forderte, die absolut nichts ähneln solle. Diese fand er umgesetzt in fließenden Oberflächen, deren Formen weder auf platonische Körper noch auf lokale oder historische Bauten zurückgeführt werden konnten.

Foreign Office Architects, Ravensbourne College of Design and Communication, 2005 – 2010 London, Foto: Christine Westerback (CC BY-SA 2.0)

In den Hochglanzmagazinen der 1990er Jahre wurden die geschmeidigen Formen mit Schlagwörtern wie „smooth“, „folding“ oder „diagram architecture“ belegt. Doch keiner dieser populären Begriffe bezeichnet so direkt wie das Konzept des Affekts, was diese Architektur wirklich leisten sollte: Sie durfte vor allem nicht rational erfasst und interpretiert werden können. Vielmehr sollte sie zu einem singulären, sinnlich wahrnehmbaren Ereignis werden. An die Stelle des Verstehens trat das Erleben. Wie das Glatte, die Falte und das Diagramm wurde auch der Affekt mit Verweis auf die Werke der beiden französischen Theoretiker Gilles Deleuze und Félix Guattari erklärt: Während Affektionen die von einem Subjekt empfundenen Gefühle bezeichnen, wird der Affekt bei ihnen als a-subjektive Kraft definiert, die durch ästhetische Werke entsteht und Körper befällt beziehungsweise durch sie hindurch geht, bevor der Affekt als solcher bewusst wahrgenommen und begriffen wird. Insofern geht es bei Affekten um Intensitäten, die sich fernab von erfassbaren Beziehungen zwischen einem Objekt und seiner Funktion oder Bedeutung ereignen. Eine sich darauf beziehende Architektur bedürfe keiner konzentrierten Aufmerksamkeit, da es in ihr nichts zu lesen gäbe, sondern sie berühre einen wie ein Kuss, weswegen Sylvia Lavin auch von „kissing architecture“ spricht.

Die Abkehr von Zeichen und Repräsentation erinnert an die klassische Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals galt der Historismus als Gegenfolie, um eine neue, rationale, puristische und nicht-repräsentative Architektur zu propagieren. Doch bereits 1949 lehrte uns Lewis Mumford in „Monumentalism. Symbolism and Style“, dass wir der Narration der Moderne nicht erliegen sollten. Während die Ablösung von jeglichen Vorbildern gepriesen wurde, entwickelte sich stattdessen bewusst und unbewusst die Maschine zum Symbol der klassischen Moderne. Ihre Gebäude wurden zu Zeichen für den Glauben an die Technik und den damit verbundenen Fortschritt. Wie dem Mythos der Moderne darf auch der schönen Erzählung von einer Affektarchitektur, die keine Bedeutung kommuniziert, nicht geglaubt werden.

Foreign Office Architects, Ravensbourne College of Design and Communication, 2005 – 2010 London, Foto: Christine Westerback (CC BY-SA 2.0)

Die Zeichen verteidigen ihren Platz. Die gekurvten, glatten, ornamentierten und sensationellen Architekturen besitzen dennoch Zeichenhaftigkeit, denn wir haben mittlerweile gelernt, sie zu lesen. Es ist uns bewusst, dass sich hinter der glänzenden, mit psychedelischen Mustern überzogenen Fassade des von Foreign Office Architects entworfenen Ravensbourne College of Design and Communication (2005 – 2010) in London nicht mehr eine Schule oder eine Universität befindet, sondern ein Wissensunternehmen mit Individuen, die in ihrem täglichen Kampf um Anerkennung sich ständig weiterbilden und optimieren. Wenn wir in Los Angeles in den von Denari mit fließenden Formen gestalteten Brillenladen „Eyeworks“ (2002) gehen, wissen wir, dass es hier nicht um Menschen mit Sehschwäche geht, sondern um die Vermarktung eines Luxusobjekts, mit dessen Hilfe man „sich selbst kreieren“ kann.

Wir haben also verstanden, dass diese Affektarchitekturen als Zeichen neoliberaler Ideen stehen, das heißt für Profitstreben und Wettbewerb als natürliche Eigenschaften des Menschen, für das unternehmerische Selbst als Subjektivierungsform und für einen sich selbst organisierenden und regulierenden Markt, dessen Einschränkung einem Freiheitsentzug gleichkommen würde. Michael Hays warnte bereits 1995, dass mit der geschmeidigen Architektur eine „ideological smoothness“ einhergehe, bei der Kritik als Pessimismus verstanden werde, um Affirmation und Kooperation zu preisen und Dialektik in tausend kleine Differenzen zerstreut werde, so dass die Einnahme einer (kritischen) Position unmöglich werde.

Ravensbourne College of Design and Communication, Foto: Fred Romero (creative-commons)

Die in den 1990er und 2000er Jahren entstandenen Entwürfe mit geschwungenen und glänzenden Oberflächen können aber nicht nur als Zeichen für den Neoliberalismus gelesen werden, sie sind zugleich offensichtlich figürlich: Lynns verschieden geformte „Eier“ des Projekts „Embryological House“ (1998 – 1999) verweisen neben dem Namen auch in ihrer Form und Farbgebung auf Embryonen. Und das Kaohsiung Port and Cruise Service Center (seit 2010) von Reiser + Umemoto erscheint in Form einer Welle und weist damit auch thematisch auf die Funktion als Hafengebäude. Ihre Andersartigkeit, da sie eben nicht gewohnten geometrischen Körpern folgen, sondern sich dynamischen oder biomorphen Formen anähneln, erzeugt ein Ereignis, das durchaus als Zeichen wirkt.

Wie Guy Debord über das Spektakel schreibt, begeistern diese Art von Affektarchitekturen. Sie umfangen einen wie eine Atmosphäre oder Aura: Es wird gefühlt und gestaunt, ein „Wow!“ kundgegeben und die Höhe der Wohnungsmieten, die Arbeitszeiten der Büroangestellten oder das Maß an Engagement, Kreativität und Selbstverwirklichung, das von jedem Subjekt in einer neoliberalen Gesellschaft verlangt wird, scheint vergessen. Natürlich würde eine nicht-affektive Architektur diese Zustände nicht stärker vor Augen führen, aber vielleicht würde sie einen nicht blenden, sozusagen „einlullen“ oder ablenken von der wirklich wichtigen Frage der Architektur: Wie können wir einen humanen Raum schaffen, in dem ein gerechtes Miteinander gefördert wird?
Frederike Lausch

Frederike Lausch studierte Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar und der Middle-East-Technical-University in Ankara. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main und promoviert über „Übersetzungsprozesse zwischen der Philosophie Gilles Deleuzes und dem US-amerikanischen Architekturdiskurs der 1990er Jahre“. 2015 erschien ihr Buch „Architektenausbildung in Weimar: 29 Lebensläufe zwischen DDR und BRD“.

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