Spaziergänge mit Heiner Farwick

Zwischen Brücken

Für das folgende Gespräch haben sich Heiner Farwick, Präsident des BDA, und der Chefredakteur dieser Zeitschrift, Andreas Denk, in Frankfurt getroffen. Zwischen Friedensbrücke und Untermainbrücke entspann sich zwischen den beiden am Ufer des Mains ein Dialog über politische Positionen des BDA. Die Debatte darüber wird auch den nächsten BDA-Tag in Hamburg prägen.

Andreas Denk: Nicht nur beim BDA-Tag, sondern auch über den tagesaktuellen Rahmen hinaus diskutiert der BDA in diesem Jahr zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder darüber, wie sich Architekten und Stadtplaner gesellschaftlich-politisch positionieren können. Viele haben den Eindruck, dass die Belange von Architektur und Stadtplanung, die das ureigene Wohlergehen der Gesellschaft betreffen, von der Politik oftmals nicht oder nicht mit der nötigen Komplexität bearbeitet werden. Was ist Ihre Auffassung dazu? Warum sollten sich Architekten für etwas engagieren, dass jenseits ihrer Berufsausübung liegt?

Heiner Farwick: Unser Handeln und Tun für die Stadt und für die Architektur findet im Allgemeinen nicht die nötige Aufmerksamkeit in der Politik. Nehmen wir ein gängiges Beispiel: In politischen Reden kommt in den letzten Jahren zunehmend das Thema „Wohnen“ vor, weil es derzeit als publikumswirksamer Aufmerksamkeits-Garant empfunden wird und dem Redner verantwortungsvolles Handeln für die Belange breiter Bevölkerungsgruppen zugestanden wird. Ansonsten gilt: Das, was die Menschen unmittelbar umgibt, womit sie tagtäglich zu tun haben, was mit dem Sich-Wohlfühlen und Sich-Zuhause-Fühlen der Menschen zu tun hat, wird bundespolitisch nur selten gesehen. Viele Politiker haben offenbar den Eindruck, weit entfernt von solchen Themen zu sein, die man eher lokal oder regional verortet. Selbst in der Landespolitik und in den Kommunen wird das Thema keineswegs in ausreichendem Maße als „Top-Aufgabe“ der Politik verstanden. Es gibt zwar politische Akteure, die sich sehr bemühen – aber gerade das Wohnen müsste ein Thema sein, das breiter und ausführlicher in all seinen Facetten besprochen gehörte.

Foto: Andreas Denk

Andreas Denk: Wenn wir den Fokus öffnen, geht es also darum, Verständnis dafür zu wecken, welche Felder Architekten und Stadtplaner verantwortungsvoll bearbeiten könnten, wenn man sie nur ließe…

Heiner Farwick: Genau. Wir müssen als Architektenschaft selbstbewusst im politischen Raum auftreten, um zu verdeutlichen, welche immense Verantwortung unserem Beruf zukommt. Bei allen Prozessen, bei denen es um Beteiligung, Abstimmung, Entscheidung geht, ist eine fachliche Expertise vonnöten, um die bestmögliche Qualität von Planungen zu erreichen – seien es Neuplanungen oder Neubauten, sei es die Pflege des Bestands auf städtebaulicher und architektonischer Ebene, seien es Großstädte, Kleinstädte oder Dörfer. Dafür müsste das Wissen und Können von Architekten viel mehr abgefragt werden, als das bisher der Fall ist. Umgekehrt gehört es natürlich auch dazu, dass sich Architekten zu Wort melden: Sie sind neben ihrer Verpflichtung dem Bauherrn gegenüber auch der Gesellschaft gegenüber verantwortlich. Deshalb müssen sie sich viel stärker in Diskussionen einmischen, wenn es darum geht, wie die gebaute Umwelt zu einem gelingenden Leben beitragen kann.

Andreas Denk: Es ist ein sehr unübersichtliches Thema, von dem wir sprechen. Was alles mit Architektur und Stadt zu tun hat, berührt sehr unterschiedliche politische Felder. Das Spektrum reicht von sozialgesellschaftlichen Fragestellungen wie dem demographischen Wandel über die Bodenpolitik, den Klimaschutz, die Innen- und außenpolitischen Fragestellungen – Beispiel Migration – bis zur Ressourcen- und Energiefrage. Alle diese Bereiche betreffen Arbeitsfelder von Architekten.

Heiner Farwick: Das alles sind wichtige Fragen, zu denen sich die Architektenschaft äußern muss. Wir arbeiten tagtäglich an unterschiedlichen Aspekten dieser Felder. Und wir sehen, dass wir viele verschiedene Fragestellungen miteinander verknüpfen müssen, wenn wir zu integralen Lösungen kommen wollen. Wir können beispielsweise die gesellschaftliche Frage des preiswerten Wohnens nicht von der Bodenpolitik trennen; wir können nicht die Diskussion um unsere Stadtbilder vom Klimaschutz und der Ressourcenschonung abkoppeln. Unser Berufsstand hat es ausdrücklich gelernt, solche unterschiedlichen Ansprüche miteinander zu vernähen und am Ende daraus eine gute Gestaltung zu entwickeln. Deshalb müssen wir uns sowohl entsprechend verantwortlich verhalten als auch mit viel mehr Mut zu Wort melden.

Andreas Denk: Einerseits vereinbart die Architektur viele der unterschiedlichen Lebensbereiche des Menschen in seiner Umwelt, in Gebäuden und in Städten miteinander. Andererseits ist sie in der Lage, viele andere Wissenschaften, die nicht unmittelbar zur Disziplin der Architektur gehören, so zu integrieren, dass im sinnvollen Zusammenwirken auch komplexe Problemlösungen möglich werden. Am Ende muss es also darum gehen, die Wissenschaft und die Kunst der Architektur mehr als bisher sowohl als integrierende wie auch als integrale Disziplin vorzustellen und zu bestärken.

Heiner Farwick: Ja, das allgemeine und das politische Bewusstsein im Besonderen sind für diese Fähigkeit von Architekten zu gering ausgeprägt. Nehmen wir die Bodenpolitik: Sie hat fast zwangsläufig etwas mit bezahlbarem Wohnraum zu tun. Mit der Sparsamkeit bei der Errichtung neuer Wohngebäude stößt man inzwischen an eine Grenze, die im Missverhältnis zum Bodenpreis steht. Es geht nicht an, dass wir einerseits einen extrem überteuerten Boden haben, der die Preise je Quadratmeter Wohnfläche in die Höhe treibt, aber andererseits immer schlechtere Gebäude bauen. Mit „schlecht“ meine ich damit durchaus das Aussehen und die Räumlichkeit der Neubauten: Ein liederlich und wenig nachhaltig gemachter Wohnbau fördert eben nun mal nicht das Wohlbefinden des Menschen – und höchstwahrscheinlich auch nicht das gute Zusammenleben, aus dem erst das Gefühl der Beheimatung entstehen kann. Hier setzt die Aufgabe der Architektur als integrierender Faktor an: Architekten können das durch ihr Können leisten, aber sie müssen auch einfordern, es tun zu können. Wir dürfen uns nicht angesichts der vielen Zwänge, denen wir ausgesetzt sind, zu früh zufrieden geben.

Andreas Denk: Kommen wir noch einmal auf den Kern der BDA-Politikinitiative zurück: Wir haben jetzt beispielhaft über die Abhängigkeit von Gesellschaftspolitik, Wohnungsbau, Bodenpolitik und Nachhaltigkeit gesprochen. Reicht es aus, was Architekten heute wissen, um eine so komplexe Position auf politischem Parkett glaubhaft belegen zu können?

Heiner Farwick: Wir haben ein äußerst breites Anforderungsprofil, wenn es um die Planung und Realisierung von Gebäuden geht. Dennoch ist es erforderlich, dass wir uns erneut darüber klar werden, wie wir gesellschaftliche Anforderungen in unsere architektonischen und städtebaulichen Aufgabenstellungen einweben können.

Andreas Denk: Das würde bedeuten, dass Architekten sich allezeit darüber bewusst sein sollten, mit welcher gesellschaftlichen Relevanz sie die jeweilige Bauaufgabe angehen. Eigentlich müsste das für alle BDA-Architekten eine Selbstverständlichkeit sein, da dieser Passus der zentrale Teil der Satzung ist, auf die sie sich verpflichten. In der Praxis bildet sich das sehr unterschiedlich ab. Deshalb scheint der Bewusstwerdungsprozess, von dem wir sprechen, zunächst einmal bei den Architekten selbst einsetzen zu müssen.

Heiner Farwick: Architekten müssen immer wieder neu ihre Arbeit und deren Ergebnisse reflektieren, damit sie sie im Bewusstsein ihrer Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit erbringen können. Diese Aufgabe haben sie schon durch ihren Status als Freiberufler, die lange Zeit in der Bundesrepublik privilegiert waren, weil sie bestimmte Aufgaben für alle Teile der Gesellschaft erbringen müssen.

Andreas Denk: Die vornehmste Fortbildungspflicht des Architekten betrifft also sein gesellschaftliches Bewusstsein?

Heiner Farwick: So könnte man es formulieren. Es reicht nicht aus, als Architekt über den jeweiligen Stand der Technik informiert zu sein. Es geht vielmehr um eine Reflexion der Aufgaben über das Technische oder das Konstruktive der Architektur hinaus. Aus der Reflexion der gesellschaftlichen Notwendigkeiten des Bauens dürfen sich Architekten nicht zurückziehen. Viele von uns haben das vielleicht zu lange Zeit getan.

Andreas Denk: Ist das ein Grund für einen gewissen Bedeutungsverlust, den die Diskussion um das Bauen für die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten erfahren hat?

Heiner Farwick: Möglicherweise ist auch deshalb die Frage des Bauens auf der politischen Ebene allmählich in den Hintergrund gerückt. Nur wenn sie geeignet sind, medial schnelle Aufmerksamkeit zu erzeugen, werden Themen der Architektur und der Stadt politisch gepusht. Wir arbeiten aber an Aufgaben, die grundsätzlich über einen längeren Zeitraum angelegt sind, sich also für die kurzfristige mediale Verwertung nur selten anbieten. Das komplexe Thema „Wohnen“, das wir als Beispiel nannten, ist als gesamtgesellschaftliche Fragestellung medial nur unter dem Schlagwort der „Wohnungsnot“ zu vermitteln. Aber dass die Gestaltung der Lebensumwelt eine dauerhafte und alltägliche Aufgabe ist, die eigentlich viele Kräfte bindet, wurde und wird nach wie vor zu wenig gesehen.

Andreas Denk: Das hat auch damit zu tun, dass wesentliche Anteile der Versorgung mit Wohnraum in privatwirtschaftliche Hände übergegangen sind und die Politik damit das Thema für sich als nicht mehr relevant eingestuft hat.

Heiner Farwick: In der Tat werden viele gesellschaftliche Aufgaben in den westlichen Gesellschaften privat geregelt. Dennoch enthebt uns das nicht der Frage, wie wir gesamtgesellschaftliche Probleme steuern wollen, wenn wir sie allein der Regelung durch den Markt überlassen. Das mündet dann in die privatwirtschaftlich nur unzulänglich beantwortete, vielleicht nicht beantwortbare Frage, wie das Bild aussehen soll, mit dem sich die Gesellschaft verräumlicht. Das ist nicht nur eine gesellschaftliche, sondern eine eminent politische Aufgabe. Solche Diskussionen führen wir nicht in der nötigen Breite, obwohl niemand abstreiten wird, dass das eine herausragend wichtige Problemstellung ist.

Andreas Denk: Darum müsste es gehen: Die politische Positionierung des BDA kann viele Einzelaspekte umfassen, letzten Endes aber müsste zusammenfassend klar werden, dass es bei der Architektur und ihrer Summe, dem menschlichen Habitat, immer um ein größeres, komplexes, allgemeines Ganzes der Gesellschaft geht, bei dem der Architekt eine besondere entwerfende und koordinierende Rolle spielt.

Heiner Farwick: Es geht nicht darum, dass die Architektenschaft für sich in Anspruch nimmt, der „Creator Mundi“ zu sein. Aber wir wollen herausstellen, dass wir die Fähigkeiten, die wir haben, im Dienst der Allgemeinheit und zum Wohle des Einzelnen einsetzen wollen. Auf diese gerade in unserer krisenreichen Zeit politisch zu verstehende Absicht wollen wir hinweisen – zuerst im Innern des BDA, dann aber genauso auch auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen.

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