Buch der Woche: Wohnungsbau in Mexiko

Zwischen Traum und Albtraum

Bauhaus überall. So auch in der Stuttgarter ifa-Galerie, die seit dem 11. April die Ausstellung „Häuser für alle. Wohnungsbau in Mexiko“ präsentiert. Der Zusammenhang zwischen dem lateinamerikanischen Land und dem 100. Geburtstag der 1919 in Weimar gegründeten Architekturschule wirkt auf den ersten Blick etwas konstruiert: Hannes Meyer, von 1928 bis 1930 Direktor des Bauhauses, wurde 1939 zum Leiter des neugegründeten Instituts für Städtebau und Planung nach Mexiko-Stadt berufen. Zudem, so die Leiterin der ifa-Galerie in Stuttgart, Iris Lenz, hätten Anni und Josef Albers mit ihren Reisen nach Lateinamerika zur Verbreitung der Bauhaus-Ideen auch in Mexiko mit beigetragen.

A-AR, Casa Caja, General Escobedo, Nuevo Léon 2010-2013, Foto: Alejandro Cartagena

Tatsächlich lässt sich das Thema „Wohnen für alle“ vor allem auf einer inhaltlichen Ebene an verschiedenen Stellen des Erdballs anbinden – überall dort nämlich, wo sich jemand auf einer theoretischen Ebene zum Wohnen mitgeteilt hat und wo in der Praxis gewohnt wird. Letzteres ist fast überall der Fall – auch in Mexiko. Theoretische Äußerungen zum Wohnen gibt es nicht zuletzt auch von Walter Gropius, dem PR-Artisten und Gründer des Bauhauses, der sich unter anderem in seinem Text „Idee und Aufbau des Bauhauses“ zum Wohnbau äußert.

Es ist interessant zu sehen, wie anderswo auf die gleichen Bedürfnisse reagiert wird. Wie gehen andere Kulturen mit vergleichbaren Problemen um? Wie werden Wohnräume entworfen, die in einer globalisierten Welt gleichermaßen wie vor der Hintergrundfolie lokaler Spezifika entstehen? Wie sich die Probleme gleichen, so gleichen sich auch die Träume. Der Wunsch nach „den eigenen vier Wänden“, dem „Eigenheim“, scheint auch in Mexiko ungebrochen groß zu sein. Wie hier in Deutschland sind auch in Mexiko zur Stillung dieses Traums mindestens fragwürdige Lösungen entstanden. Manche davon eignen sich schließlich so schlecht zum Leben, dass sie von den Bewohnern bereits wieder aufgegeben wurden – nach Angaben der ifa-Galerie sind es etwa fünf Millionen Einfamilienhäuser, die in Mexiko leer stehen.

Apaloosa Estudio de Arquitectura, Casa Tadeo, Tuxtla Gutiérrez, Chiapas, Mexiko 2015, Foto: Carlos Berdejo Mandujano

Die Schau am Stuttgarter Charlottenplatz sieht sich auch in der Folge des von der Bundesregierung initiierten Deutschlandjahres in Mexiko 2016/2017 – und als eine Rückspiegelung dort gesammelter Erfahrungswerte. Und so zeigen Ausstellung wie der dazugehörige kleine, feine Katalog Beispiele des Einfamilienhausbaus unterschiedlichen Dichtegrades. Intention ist dabei weniger das Aufzeigen dieser Typologie als Musterbeispiel, sondern vielmehr eine exemplarische Bestandsaufnahme.

Apaloosa Estudio de Arquitectura, Casa Tadeo, Tuxtla Gutiérrez, Chiapas, Mexiko 2015, Foto: Carlos Berdejo Mandujano

Ein einführender Text von Marisol Rivas Velázquez beleuchtet zunächst die Entwicklung des mexikanischen Wohnbaus seit den 1930er Jahren, die deutlich funktionalistisch geprägt erst spät eine kritische Distanz zum International Style der Bauhaus-Erbfolge fand. Die anschließenden gebauten Beispiele finden sich in unterschiedlichen räumlichen Zusammenhängen, stehen mal in städtischer Enge, mal am Stadtrand und mitunter im ländlichen Raum. Sowohl freistehende Häuser sind dabei als auch denkmalgeschützte Bestandsbauten und Siedlungsprojekte. Apaloosa Estudio Arquitectura, S-AR, T.A.X, JSa und Elemental sind neben anderen Büros und kommunalen Entwicklungen vertreten. Bemerkenswert ist nun eben jene kritische Distanz zu funktionalistischen Idealen, die sich etwa in der Verwendung lokaler Materialien findet, wie die Transformation einer globalen Moderne in eine dem Ort entsprechende Architektur.

T.A.X./Alberto Kalach, Casas en Hermosillo, Hermosillo, Sonora 2016, Foto: Jaime Navarro

Aber nicht nur Gebautes wird gezeigt, sondern auch Bauprogramme wie die „Ich baue“-Initiative des mexikanischen Zement-Giganten Cemex. Vor allem in den ländlichen und armen Teilen des Landes wird Essen immer noch auf offenen Feuerstellen zubereitet. Bis 2020 sollen bis 100.000 Haushalte mit „ökologischen Herden“ ausgestattet werden. Was sich vor dem Hintergrund des CO2-intensiven Zements zunächst als Paradox liest, ergibt bei genauerer Betrachtung Sinn: Durch die Öfen wird der Holzbedarf pro Familie um die Hälfte gesenkt, das Risiko von Verbrennungen und  Kohlenmonoxidvergiftungen sinkt deutlich, und durch Herstellung, Montage, Verteilung und Schulungsangebote entstehen vor Ort Arbeitsplätze.

Comunal: Taller de Arquitectura, Casa Rural I, Tepetzintan, Sierra de Puebla 2015, Foto: Onnis Luque

Doch nicht nur vorbildliches fasst das Buch zusammen. Mit der Serie „Alta Densidad“ (Hohe Dichte) des Fotografen Jorge Taboada beschließen Aufnahmen den Katalog, die zwischen gespenstischer Uniformität und struktureller Schönheit pendeln. Sich scheinbar endlos wiederholende, immer gleiche Häuser hat Taboada in Monterrey aus der Luft abgelichtet. Dicht an dicht stehen sie hier, die Stein, Zement und Beton gewordenen Träume von den eigenen vier Wänden. In ihrem Strukturalismus schön anzusehende Bilder, die durch den gedanklichen Transfer, hier leben zu müssen, zu einem Gruselkabinett globalisierter Stadtentwicklung werden.

Bereits 2012 hatte der Filmemacher Gereon Wetzel einen Film über die Immobilienblase in Spanien mit dem Titel „Häuser für alle“ gedreht. Wetzel zeigte darin nicht nur, wie zwischen 2001 und 2008 vier Millionen Wohnungen entstanden, die denen von Jorge Taboadas Bildern teils frappierend ähneln, sondern wie in Folge des Platzens der US-amerikanischen Immobilienblase auch in Spanien Investoren sowie Baufirmen Pleite gingen und skurrile Geistersiedlungen zurückließen, in denen bis heute etwa 3,5 Millionen Wohnungen leer stehen – und nicht zuletzt viele Menschen ihre Ersparnisse und Alterssicherung verloren. Daran, dass Wohnen keine Ware, sondern ein Menschenrecht ist, möchten Ausstellung wie Katalog erinnern.

David Kasparek

Häuser für alle. Wohnungsbau in Mexiko, hrsgg. vom Institut für Auslandsbeziehungen, 104 S., zahlr. Abb., deutsch/spanisch, Broschur, 18,– Euro, ISBN 978-3-921970-14-0

Häuser für alle. Wohnungsbau in Mexiko
Ausstellung: bis 23. Juni 2019
ifa-Galerie Stuttgart
Charlottenplatz 17
70173 Stuttgart
Dienstag – Sonntag: 12.00 – 18.00 Uhr

Häuser für alle. Wohnungsbau in Mexiko, hrsgg. vom Institut für Auslandsbeziehungen, 104 S., zahlr. Abb., deutsch/spanisch, Broschur, 18,– Euro, ISBN 978-3-921970-14-0


Montag und an Feiertagen geschlossen
Eintritt frei

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