Buch der Woche: Candela, Isler, Müther

5+5+4=1

Über das Werk des 1934 in Binz geborenen deutschen Ingenieurs und Bauunternehmers Ulrich Müther ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben worden, noch mehr Bilder seiner Bauten bevölkern seitdem die bildlastigen Weiten der sozialen Medien. Als Ergebnis einer transatlantischen Zusammenarbeit der Fakultät für Architektur der Universidad Nacional Autónoma de México auf der einen, sowie der Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar, dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und dem Lehrstuhl für Strukturelles Entwerfen der ETH Zürich auf der anderen Seite, liegt nun ein Buch vor, das den hierzulande bekannten Schöpfer von Berliner Ahornblatt, Binzer Seenotrettungsstation oder Sassnitzer Kurmuschel in den Kontext zweier weiterer Konstrukteure rückt: dem Schweizer Heinz Isler (1926–2009) und dem spanisch-mexikanisch-US-amerikanischen Weltenbürger Félix Candela. Alle drei haben mit ihren Schalenkonstruktionen unser Bild von dem geprägt, was gemeinhin und schnell mit „Eleganz der Nachkriegsmoderne“ assoziiert wird.

Drei einleitende Beiträge von Juan Gerardo Oliva Salinas, Matthias Ludwig und Matthias Beckh zeigen die Zusammenhänge im Werk der drei Schalenschöpfer ebenso auf wie ihre verschiedenen Arbeitsweisen. So werden bei all den kulturellen Unterschieden zwischen den Protagonisten und den baulichen Divergenzen in Folge von Ort und Klima auch erstaunliche Parallelen klar. Es folgen je fünf Texte zu Candela und Isler sowie vier zu Müther. Neben zahlreichen aufschlussreichen Zeichnungen und zeitgenössischen Fotografien wird das Buch schlüssig ergänzt um einen schönen Foto-Essay von Wilfried Dechau. Die englischen Texte sind sowohl in deutscher wie spanischer Sprache am Ende der Publikation noch einmal zusammengefasst.

Florelites Clause garden center/S.117 © gta archives , ETH Zürich

Bemerkenswert ist die Vielschichtigkeit, mit der das Buch das Wirken der drei Architekten einordnet. Rainer Schützeichel etwa fokussiert in seinem Beitrag die Inhalte dreier Ausstellungen, mit denen Heinz Isler zwischen 1979 und 1982 – sowie einer weiteren 2003 – das eigene Werk präsentierte. Hier wird Architektur nicht nur räumlich, atmosphärisch oder konstruktiv analysiert, sondern auch als Rezeptionsgeschichte, in der gezielt individuelle Erzählungen vorgenommen, bewusste Einblicke in das Schaffen des Architekten und damit in die Entstehungsbedingungen von Architektur gegeben werden.

San Antonio de las Huertas Church/S. 57 © Archivo de Arquitectos Mexicanos, Universidad Autónoma de Mexico

Während Isler Kennerinnen und Kennern der Schweizer Architektur oder der europäischen Betonkonstruktionen noch ein Begriff ist, ist das Buch mit Blick auf Félix Candela eine angemessen würdigende Erweiterung über den europäischen Tellerrand hinaus. So entstanden die weltweit ersten Kreuzgewölbe aus hyperbolischen Paraboloiden in Mexiko-Stadt aus der Zusammenarbeit von Candela und Enrique de la Mora y Palomar. Dabei werden die Projekte nicht nur retrospektiv glorifiziert, sondern – zum Beispiel im Text von Maria González Pendàs – auch kritisch reflektiert. González Pendàs wendet den Blick weg von den oft nur spärlich vorliegenden tatsächlichen Zahlen der Geometrien der gezeigten Konstruktionen und ihrer materialökonomischen Zusammenhänge, hin zu der „maßlosen Zahl von Arbeitern und Eimern“ sowie den Risiken, denen sie sich während des Baus aussetzten.

Music pavillion / S.151 © Sylvia Krumm

Und Müther? Auch von ihm werden Bauten gesondert besprochen. Zum Beispiel der Musikpavillon in Sassnitz oder die Magdeburger Hyperschale. Aber auch sein Wirken wird in einen größeren Kontext gesetzt. So kommt etwa Georg Giebeler zum Schluss, Müther sei – selbst wenn man seine Candela-Kopien, die in „Massenware“ ausgeführten Schirmarbeiten und Faltwerke von seinem Werk abziehe – ein lange Zeit unterschätzter Pionier, der aufgrund seiner breiten Auswahl unterschiedlicher Formen einen sowohl konstruktiven wie baukulturell relevanten Beitrag zur Architekturgeschichte geleistet hat. In dieser Vielschichtigkeit ist das Buch ein Abbild vieler der gezeigten Bauten: eine harmonische Konstruktion, ja, eine runde Sache.

David Kasparek

Matthias Beckh, Juan Ignacio del Cueto Ruiz-Funes, Matthias Ludwig, Andreas Schätzke und Rainer Schützeichel: Candela Isler Müther – Positions on Shell Construction. Positionen zum Schalenbau. Posturas sobre la construcción de cascarones, 208 S., 260 farb. Abb., Englisch, Deutsch, Spanisch, Birkhäuser, Basel 2021, 59,95 Euro, ISBN: 9783035620962.

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