Das Arbeitsethos in der Architektur als Generationenthema

Arbeiten ist kein Ponyhof?

Ist das sich verändernde Verhältnis zur Arbeit ein ganz normaler Generationenkonflikt? Ein Jahr nach dem Erscheinen ihres Buchs „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ über das Selbstverständnis im Architekturberuf macht sich Karin Hartmann auf Spurensuche nach den Ursachen für die Sprachlosigkeit zwischen den Babyboomern und der Gen Z.

Zum Ausspruch „Arbeiten ist kein Ponyhof“ der Leiterin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, gab es bei mir sofort Assoziationen: Ponyhof, na klar – pferdebegeisterte Mädchen, die sich um ihre Lieblinge kümmern, Pferdesticker auf ihre Etuis kleben und mit Schleifen vom Adventsturnier ihre Zimmer schmücken. Sie misten gerne sonntags aus und kennen ihre großen Freunde ganz genau. Tag und Nacht haben sie nichts als Pferde im Kopf. Also etwas gänzlich anderes als „richtige“ Erwerbsarbeit, die honoriert wird. Etwas anderes als, zum Beispiel, Architektur zu machen. Für diese Profession braucht es schon einen Ernst und Biss. Große private oder investive Summen werden Architektinnen und Architekten anvertraut. Viel Verantwortung muss übernommen werden. Nicht nur im Sinne der Haftung, sondern für die entstehende Baukultur. Für diesen einen, vielleicht irgendwann einmal wegweisenden Teil der gebauten Umwelt, der möglicherweise in die Architekturgeschichte eingehen wird.

„Schließlich steht der Ponyhof für einige Dinge, die unsere Arbeitskultur bereichern würden. Mehr echte Verantwortung und mehr Liebe, die sich in Fürsorge ausdrücken darf. Sorge füreinander, für das Werk, für die Nutzenden. Hingabe an die Aufgabe, mit der gebauten Umwelt zum Gemeinwohl beitragen zu dürfen. Hingabe aber auch auf der Metaebene für die Lebewesen und die Natur.“ Collage: Konrad Hartmann

Der Gegensatz der hier zwischen vermeintlicher Schwärmerei und Ernsthaftigkeit aufgemacht wird, entspricht dem inhärenten Selbstverständnis des Architekturberufs. Elke Krasny hat in ihrem Essay „Architecture and Care“ aufgezeigt, wie sich das Berufsbild des Architekten historisch, neben weiteren Parametern, auch entlang der Geschlechterlinie entwickelte.(1) Wie sie darlegt, gibt es aus der Geschichte heraus viele Hinweise darauf, wie weiblich konnotierte Handlungspraktiken aus dem Berufsbild sukzessive abgespalten wurden. Im Ergebnis sind viele Narrative der heute etablierten Arbeitskultur eng mit männlich gelesenen Eigenschaften verknüpft. Das ist der Grund dafür, dass weiblich konnotierte Arbeitsweisen bis heute – und ganz besonders in der Architektur – als wenig angebracht erscheinen, und zwar unabhängig von ihrer spezifischen Eigenart, sei es Stimme, Auftreten oder Kleidung.(2) So ist es kein Zufall, dass gerade der Ponyhof so triggert, beinhaltet das Bild doch viele Motive, die wenig bis nichts gemeinsam zu haben scheinen mit dem, wofür Architektur bekannt ist und vielfach auch geschätzt wird. Das Bild des Ponyhofs, ebenso wie sein gerne verwendetes Äquivalent, „Das Leben ist keine Waldorfschule“, stehen aber außerdem für die Generationendebatte zwischen der Generation Z und den Babyboomern. Diese ist geprägt von gegenseitigem Unverständnis. Es scheint, dass die ohnehin in die Jahre gekommenen Narrative, die das Berufsbild „Architekt“ seit über 100 Jahre prägen, mit einer Gen Z gänzlich neu ausgehandelt werden müssen.

Architektur als Lebensentwurf

Eines dieser Narrative ist die Verschmelzung von Beruf und Privatleben. Viele Architektinnen und Architekten betrachten Architektur nicht als ihr gelerntes Fach, sondern als gelebte Haltung. Sie sagen „Architektur ist mein Leben“, heiraten Personen mit demselben Beruf und wenn sie ein Büro haben, liegt dies unmittelbar an ihrer Privatwohnung.

Auch ich selbst habe in einem Büro gelernt, in dem das Inhaberpaar auch wohnte. Der private Bereich war ein auf ein um eine Stufe angehobenes Raumelement aus Holz, eingestellt in die Halle eines Industriedenkmals. Die Außenseiten des nach oben offenen Elements waren Regalmeter für Fachliteratur sowie Materialschrank, innen gab es ein Bett, ein Bad, ein Sofa. Irgendwann kam ein Kinderbett dazu. Als Studentin erschien mir dieses Arrangement romantisch und konsequent. Später dachte ich oft an dieses Setting zurück: an die bestechende Einfachheit – aber auch an die Enge. Wieviel Lebenszeit mochten die beiden in diesen Räumen verbracht haben? Wie konnten sie sich selbst genügen, und wie die Architektur ihnen? Gerne würde ich schreiben, dass sie dort zusammen alt geworden sind, aber so kam es nicht. Das Leben kam dazwischen.

Dieses Bild eines Architektenlebens kann als Metapher dafür stehen, wie die Berufung, der Call zur Architektur, Architekturschaffende dazu bringt, ihrem Fach das gesamte Leben zu widmen. Ist dies der Maßstab, wird es schwierig, legitimen Bedürfnissen nach Entspannung, einem anderen Hobby oder einem ehrenamtlichen Engagement Raum zu geben. Dieses Idealbild, diese stereotype Story, hat keine Mängel, wie Jess Myers in ihrem Artikel „Together we build“ kommentiert: „In dieser Geschichte gibt es keine Schwangerschaft, keine Studienschulden, keine Krebsdiagnose, keinen kranken Elternteil, keine Krise der Lebenhaltungskosten. Es gibt kein Leben, nur erfüllte oder nicht erfüllte Leistung“.(3) Obwohl sie das alltägliche Leben außen vor lassen, sind die stilisierten Bilder in Orientierung an die Meister der Moderne in der Architektur sehr wirkmächtig. Sie bilden die unsichtbaren Konturen der Berufung, denn sie versprechen Erfüllung in einer gänzlichen Hingabe an das Werk.

Doch die Bilder bekommen Risse. Wäh­rend es die Boomer-Generation dank fehlender Arbeitsmöglichkeiten noch euphorisierte, in einem Berliner Büro für ein paar Jahre unter dem Schreibtisch zu schlafen, schalten heute selbst Architekturbüros wie Herzog & de Meuron Stellenanzeigen.

Unterschiedliche Perspektiven

So ist die Gen Z nicht nur mit einer anderen Ausgangslage konfrontiert, sie bringt auch ein anderes Wertesystem mit, welches sich mit den steigenden Anforderungen an den Architekturberuf wenig verschneidet. Auf einem Berliner Podium saßen im Frühjahr 2023 anlässlich eines Jubiläums ihres Fachbereichs mehrere angehende Architektinnen und Architekten aus unterschiedlichen Phasen der Ausbildung. Sie arbeiteten im und nach dem Studium in interessanten, zukunftsfähigen Feldern mit der gemeinsamen Mission, möglichst ressourcensparend zu planen und zu bauen. Alle waren in Nebenjobs und Praktika mit der Praxis in Berührung gekommen, mit der Konsequenz, dass sie hier keine Zukunft für sich sahen. Sie wollten selbstwirksam an ihren Inhalten arbeiten, parallel forschen und ihre eigene Agenda weiterverfolgen. Sie wünschten sich eine Arbeitsatmosphäre, in der sie gehört und gesehen werden. Dies sahen sie in der herrschenden Arbeitskultur mit ihren üblichen Hierarchien nicht gegeben. Im Publikum saßen Investorinnen und Vertreter aus der Verwaltung und Praxis, die für ihre Bereiche warben – sie konnten nicht überzeugen.

„Weiblich konnotierte Handlungspraktiken wurden aus dem Berufsbild sukzessive abgespalten. Im Ergebnis sind viele Narrative der heute etablierten Arbeitskultur eng mit männlich gelesenen Eigenschaften verknüpft. “ Collage: Konrad Hartmann

Die beiden Lager, die sich durchaus wohlwollend und interessiert gegenüber saßen, versinnbildlichen eine große Diskrepanz. In der Praxis werden händeringend Absolventinnen und junge Planer gesucht und die demografische Entwicklung verstärkt den Fachkräftemangel wie vorausberechnet. Auf der anderen Seite sitzt eine selbstbewusste, bestens ausgebildete Generation, die gerne arbeitet – aber selbstwirksam und nicht zu jedem Preis. Die Klimakrise mit ihren zum Teil dystopischen, in jedem Fall aber ungewissen Zukunftsszenarien bildet einen der Hintergründe, die auf die Situation einwirken. Die Älteren versuchen, den Jungen weiterhin das „Generationenversprechen“ abzunehmen, das bei ihnen gut eingelöst wurde. Dieses geht davon aus, dass eine Generation in Rente ist, während die andere für sie arbeitet. Wenn die andere Generation selbst in Rente geht, arbeitet die nachfolgende für sie und so weiter. Dies hat lange gut funktioniert, mit dem Versprechen, zwar die Mitte des Lebens als Lebensarbeitszeit zu „opfern“, dafür aber die Aussicht auf ein qualitativ und quantitativ gut ausgestattetes Lebensalter zu haben. Sowohl das konkrete monetäre Rentenversprechen als auch das Versprechen eines guten Lebens im Alter sieht die jüngere Generation jedoch mit der Klimakrise und ihren Folgen derzeit nicht mehr einhaltbar.

Auf dem Rücksitz

Anlässlich des Generationengesprächs „Next Gen: Turning the Tables – Enabling Young Voices in the Green Transition“ auf dem UIA World Congress of Architects 2023 in Kopenhagen saßen sich jeweils sechs Planende gegenüber, die einen frisch im Job, die anderen in hohen Positionen in Lehre, Institutionen und Praxis. Auf die Frage, wie es ihm mit der Bewältigung der Klimakrise durch die handelnde Generation aktuell ginge, antwortete ein junger Planer, er fühle sich ohnmächtig wie ein kleines Kind auf der Autorückbank, das sehenden Auges in die Katastrophe fährt. Es schreit, aber die Erwachsenen vorne hören nicht zu. Sein Statement schockierte und machte deutlich, wie weit die Perspektiven einer 20- und einer 60-jährigen Person heute auseinanderliegen können. Vielleicht weiter als je zuvor. Vor diesem Hintergrund ergibt es für alle Sinn, die Gegenwart und damit die eigene Zeit im Heute mehr wertzuschätzen.

Eine eigene Zeitsouveränität läuft den Anforderungen an Arbeitnehmende zuwider. Denn inzwischen passt die in der Architektur seit Langem praktizierte Entgrenzung zwischen Arbeit und Privatem besser denn je in den neoliberalistisch geprägten Arbeitsmarkt. Sarah Jaffe untersucht in ihrem Buch mit dem sprechenden Titel „Work won’t love you back“, wie es in den letzten Jahrzehnten zum Trend wurde, die eigene Arbeit zu lieben, und wie der Übergang zum Privatleben mit der Digitalisierung zusätzlich immer mehr aufgeweicht wurde. Die Wahrung der eigenen Grenzen wird an die Arbeitnehmenden delegiert: Sie selbst sind es, die durch Self-Care, Yoga am Arbeitsplatz oder digital detox für ihr Wohl sorgen. Nicht zufällig geht dieser Trend mit kapitalistischen Interessen zusammen: hohe Erreichbarkeit und Flexibilität sind wirtschaftlich und Self-Care ist mittlerweile ein erfolgreiches Marktsegment. Wer seine Arbeit liebt, wird gerne viel arbeiten und hat es schwerer, dafür viel Lohn einzufordern.(4)

In der Architektur ist diese Kultur der Entgrenzung tradiert, institutionalisiert und in der Lehre verankert. Selbstausbeuterisches Verhalten wird schon im Studium erlernt, der persönliche Einsatz gilt als Marker für Ernsthaftigkeit.(5) Das isolierte Streben nach der „guten Form“, erlernt in Meister-Schüler-Konstellationen, mündet in die Verheißung, Einzigartiges zu schaffen. Dass dieser architectural dream für die Generation Z nicht anschlussfähig ist, wirkt entzaubernd auf diejenigen, die ihn leben oder daran glauben.

Kompetitives Verhalten als handlungsleitende Praxis

Der Call führt in der Architektur neben sehr viel Arbeit auch zur Isolierung, denn die kleine Schwester der Berufung ist die Konkurrenz. Kompetitives Marktverhalten ist in der Architektur handlungsleitend und manifestiert sich in der zentralen Bedeutung des Planungswettbewerbs. Seit über hundert Jahren messen sich Architekturbüros im Wettbewerb miteinander. Überflüssig zu erwähnen, dass das Rennen, Gewinnen und Verlieren Verhaltensweisen sind, die gesellschaftlich zuerst mit Männlichkeit assoziiert werden. Die mit der Konstruktion des Wettbewerbs verbundenen Gefühle – Euphorie, Verausgabung, Vereinnahmung – und die in dieser langen Zeit entstandenen gemeinsamen Erlebnisse haben legendenbildenden Charakter. Sie sind der Zucker in der Tüte: Hier werden die Endorphine ausgeschüttet. Gleichzeitig bekommt die Praxis genau durch diese geliebten konkurrierenden Verfahren Schlagseite. Denn auch wenn ein Gewinn zum Durchbruch verhelfen und entsprechend des architectural dream aus der kleinen Zeichenbude ein großes Büro machen kann, ist es gleichzeitig ein Filter, der alle außen vor lässt, die nicht ganz hineinpassen. Denn wer kann an Wettbewerben teilnehmen und wer nicht? Welche Eigenschaften und Lebensumstände haben Wettbewerbsgewinnerinnen und -gewinner?

„Viele Architektinnen und Architekten betrachten Architektur nicht als ihr gelerntes Fach, sondern als gelebte Haltung. Sie sagen ‚Architektur ist mein Leben‘, heiraten Personen mit demselben Beruf und wenn sie ein Büro haben, liegt dies unmittelbar an ihrer Privatwohnung.“ Collage: Konrad Hartmann

Der kompetitive und damit exklusive Duktus als default könnte mit dafür verantwortlich sein, dass sich Architekturschaffende nicht so leicht zusammenschließen, um sich zum Beispiel gegen die tradiert anspruchsvollen Arbeitsbedingungen zu wehren. Marisa Cortright analysiert in ihrem Buch „‚Can this be? Surely this cannot be.‘ Architectural Workers Organizing in Europe“ die Entwicklung der Arbeitsbewegung unter den europäischen Architekturschaffenden. Durch Interviews und eigene Untersuchungen zeigt sie auf, wie die oft prekären Lebenssituationen mit der anspruchsvollen Arbeitskultur zusammenhängen. Sie definiert architectural workers als nicht weisungsbefugt im Gegensatz zu architects und führt damit eine Ebene ein, die Machtverhältnisse offenlegt. Auf die Frage, warum architectural workers sich nicht organisieren, antwortet einer ihrer Interviewpartner: „Die meisten Architekturschaffenden haben einfach keine Zeit. Auf diese Weise wirkt das System gewerkschaftlicher Organisation und kollektivem Handeln entgegen.“(6) Cortright analysiert, wie die Solidarisierung dem Konzept des Künstlerarchitekten, der es alleine schaffen kann, zuwiderläuft. Denn um sich zu organisieren, müssen sie sich zunächst solidarisieren und auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen. Sie müssten realisieren, dass die Heldenreise des modernen Architekten meistens ein Märchen ist.(7)

Jess Myers verbindet mit der perspektivischen Organisation der Architekturschaffenden eine weitere Folge: „Organisierte Arbeiterschaft ist der Ort, an dem Forderungen (nach Wandel, Anm. d. Verfasserin) zu stärkeren Beziehungen zwischen Planern und Nutzern der gebauten Umwelt führen können. (…) Sie kann mit durchdachten Forderungen Architektur selbst als soziale Praxis verankern.“(8) Der Abschied vom architectural dream mit seinem alleinigen Fokus auf Autorschaft und Performance, eine damit verbundene Etablierung von Architektur als soziale Praxis wäre ein Weg zu einem gänzlich neuen Selbstverständnis. Dieses würde die Branche für viele verschiedene und neue Menschen attraktiv machen und den Weg öffnen, um vielfältigere Inhalte in die Praxis zu tragen. Nicht zuletzt käme ein Wandel den Werten der Gen Z entgegen, die sich ein kollektives Arbeiten mit niedrigen Hierarchien bei angemessenem Zeiteinsatz wünschen.

Zeitarmut und Engagement

Während viele Architektinnen und Architekten von einer Fünf-Tage-Woche träumen, hat die Journalistin Teresa Bücker mit ihrem 2022 erschienenen Buch „Alle Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit“ eine Debatte um Zeitwohlstand und Verkürzung der Arbeitszeit angestoßen, insbesondere die Diskussion einer Vier-Tage-Woche. In Anlehnung an die von Frigga Haug entwickelte „Vier-in-einem-Perspektive“(9), in der je vier Stunden am Tag für Erwerbsarbeit, Care, Selbstfürsorge und gesellschaftspolitisches Engagement vorgesehen sind, spricht sie sich für eine Verkürzung der Arbeitszeit aus. Mit weniger bezahlter Erwerbstätigkeit entstünde mehr Raum für Reflexion und eine gerechtere Verteilung der Care-Arbeit, aber auch eine politische Handlungsfähigkeit: „Der Zugriff auf die eigene Zeit ist daher eine Gerechtigkeitsfrage, die Ungleichverteilung von Zeit in unserer Gesellschaft ein demokratisches Problem.“(10)

Was also wäre, wenn Architektur in kürzerer Zeit erledigt werden müsste? Welche Prozesse würden als erstes entfallen, welche vereinfacht? Welcher Teil ist mystifizierte Präsenzkultur, welcher Teil konkrete und notwendige Arbeitsanforderung, „ohne die es nicht geht“? Ein Projektleiter mit 20 Jahren Teamverantwortung antwortete auf die Frage, ob Präsenzkultur und Entgrenzung des Privatlebens wirklich sein müssten: „Das ist ein selbstgewählter Hype. Wenn ein Entwurf sauber und konzentriert durchgearbeitet wird und rechtzeitig Entscheidungen getroffen werden, ist es durchaus machbar, rechtzeitig nach Hause zu gehen.“

Die Branche tut gut daran, die der Architektur inhärenten Narrative mikroskopisch genau zu analysieren, um strukturelle Zusammenhänge identifizieren und entschärfen zu können. Solange etwa das Zeitdiktat bleibt und Architekturschaffende selbst ihr Gatekeeper sind, ist der Weg zu mehr Diversität schwierig. Denn es bleibt dabei, dass die Präsenzkultur nur für eine eingeschränkte Personengruppe erfüllbar ist, und diese ist im Wesentlichen schon am Ruder. Es ist wunderbar, in der eigenen Arbeit Erfüllung zu finden. Doch auch für intrinsisch motivierte Aufgaben verwenden wir unser wertvollstes Gut: unsere Lebenszeit.

Team Caring

„Das isolierte Streben nach der ‚guten Form‘, erlernt in Meister-Schüler-Konstellationen, mündet in die Verheißung, Einzigartiges zu schaffen. Dass dieser architectural dream für die Generation Z nicht anschlussfähig ist, wirkt entzaubernd auf diejenigen, die ihn leben oder daran glauben.“ Collage: Konrad Hartmann

Wo es gelingt, hierarchisch geprägte Strukturen zu durchbrechen, liegen Konzepte bereits auf dem Tisch. In einem interdisziplinären Paper analysieren drei Architektinnen aus Lehre, Praxis und Fachdiskurs, welche Verbindungen es in ihrem jeweiligen Wirkungsfeld geben könnte, um die Arbeitskultur zu verbessern und einen Wandel hin zu mehr Diversität einzuleiten. Wiebke Ahues, Studio Director von Henning Larsen Architects, spricht sich für ein neues Führungsverständnis aus: „Care als entscheidenden Aspekt von Führung zu erkennen, scheint für Teammitglieder bedeutsam zu sein, um zu wachsen und sich zugehörig zu fühlen. Die Weiterentwicklung von Führung von einer Teamführung zu einer Teamfürsorge bringt mit sich, dass wir keine marginalisierten Perspektiven und Kompetenzen in unserem Entwurfsprozess zurücklassen.“(11)

Schließlich steht der Ponyhof für einige Dinge, die unsere Arbeitskultur bereichern würden. Mehr echte Verantwortung und mehr Liebe, die sich in Fürsorge ausdrücken darf. Sorge füreinander, für das Werk, für die Nutzenden. Hingabe an die Aufgabe, mit der gebauten Umwelt zum Gemeinwohl beitragen zu dürfen. Hingabe aber auch auf der Metaebene für die Lebewesen und die Natur. Pflege von geliebten Geschöpfen und Mitgefühl für ihre Lebensrealität, aus beidem mag der Wunsch entstehen, bestmöglich für sie zu sorgen. Dazu der Wunsch, für alle – Menschen und Tiere – Orte zu schaffen, die ihnen gerecht werden. Anzuerkennen, dass wir diesen Planeten nicht besitzen, sondern dass wir dieser Planet sind. Das wäre ein architectural dream mit Zukunft.

Karin Hartmann ist Architektin BDA a.o. und Autorin. Sie schreibt, spricht und forscht zu Baukultur und intersektionalem Feminismus. Ab 2013 initiierte sie künstlerisch-architektonische Interventionen im Paderborner Stadtraum. Von 2016 bis 2021 war sie Referentin für Baukultur im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Karin Hartmann ist die erste Vorsitzende die erste Vorsitzende des Berufsverbands und Karrierenetzwerks architektinnen initiative nordrhein-westfalen. 2022 ist bei JOVIS ihr Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille. Plädoyer für einen Wandel in der Planungskultur“ erschienen. Zum Wintersemester 23 / 24 ist Karin Hartmann Gastprofessorin des Claiming*Spaces Collektive der TU Wien.

Fußnoten

1 Krasny, Elke: „Architecture and Care“. In: Fitz, Angelika / Krasny, Elke: Critical Care. Architecture and Urbanism for a Broken Planet. Architekturzentrum Wien 2019, S. 33 – 41.

2 Hartmann, Karin: Schwarzer Rolli, Hornbrille. Plädoyer für einen Wandel in der Planungskultur. Berlin 2022, S. 50 – 53.

3 Myers, Jess: „Together we build“. In: Architectural Review, Nr. 1498 February 2023, S. 7. (Übersetzung durch die Verfasserin)

4 Jaffe, Sarah: Work won’t love you back. How Devotion to Our Jobs Keeps Us Exploited, Exhausted, and Alone. New York 2021.

5 Hartmann 2022, S. 59.

6 Cortright, Marisa: „Can this be? Surely this cannot be?“. Architectural Workers Organizing in Europe. Prag 2021, S. 92. (Übersetzung durch die Verfasserin)

7 Die Initiativen Future Architects Front (https://fafront.co) und die section of architectural workers (https://uvw-saw.org.uk) setzen sich gegen eine ausbeuterische Arbeitskultur in England ein. In Nordamerika hält Architectural Workers United (https://www.architecturalworkersunited.org) Informationen und Ressourcen bereit, um Architekturschaffenden akut zu helfen. In Deutschland macht die Architektinnengewerkschaft (https://www.instagram.com/architektinnengewerkschaft/) Umfragen und informiert zu Gehältern.

8 Myers 2023, S. 11. (Übersetzung durch die Verfasserin)

9 Haug, Frigga: Die Vier-in-einem-Perspektive. Hamburg 2008.

10 Bücker, Teresa: Alle Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit. Berlin 2022, S. 268.

11 Hvejsel et. al: „Individual Actions in Collective Processes and Forms: Collaboration for Change Across Education, Practice, and Public Debate?“ Springer Nature 2023. (Übersetzung durch die Verfasserin)

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