Buch der Woche: Ausstellungskatalog von BIG

Superheldenbuch

Ein Grundmotiv von Peter Parker, jenes schüchternen und unbeliebten Schülers, der in Folge des Bisses einer radioaktiv verseuchten Spinne in einem Forschungslabor  langsam aber sicher zum Superhelden wird, ist in seiner Genese zu Spider-Man ein Satz seines Onkels Ben: „Aus großer Macht folgt große Verantwortung“ („With great power comes great responsibility“). Glaubt man dem dänischen Architekten und Gründer der Architekturikonenschmiede BIG, Bjarke Ingels, so ist dieser Satz auch ein Leitmotiv seiner Arbeit. Für die Selbstvermarktung von Ingels ist das ein sprechendes Beispiel: Er nimmt sich den großen Themen an, in dem er die zerstörerische Kraft benennt, die wir Menschen auf den Planeten ausüben, und die aus unseren Fähigkeiten resultierende Verantwortung gegenüber der Erde als Ganzes unterstreicht.

Gleichzeitig aber scheint Ingels alles eher entspannt zu nehmen, zitiert nicht etwa den Club of Rome oder den Klimareport der UNO, sondern bedient sich eines Zitats aus einem Comic: Pop-Ästhetik at its best. Die Verankerung des eigenen Denkens in der Popkultur des Alltags – und nicht etwa in einer verklausulierten Debatte, die sich ob ihrer Wissenschaftlichkeit eher dem Vorwurf der Abgehobenheit ausgesetzt sieht – ist typisch für den dänischen Architekten und macht einen bedeutenden Teil seiner eigenen Popularität aus. Da ist also einer, der aktuell wichtige Themen andenkt, der sich dabei aber zeitgenössischer gedanklicher Referenzen zur Darstellung dieser gedachten Ebene bedient.

Noch bis zum 30. August läuft im National Building Museum in US-amerikanischen Washington DC die Ausstellung „From Hot to Cold“ von BIG. Die Schau sei „wie eine Reise von der heißesten Region, in der wir je gebaut haben – Katar – durch die unterschiedlichen Klimazonen. Bis man schließlich in Skandinavien ankommt“, erklärt Bjarke Ingels selbst. Bewegt man sich durch die Ausstellung, verändert sich die Farbe, die die ausgestellten BIG-Projekte rahmt, von einem warmen Rot hin zu einem immer kälter werdenden dunklen Blau. Ingels und sein Team stellen hier deutlich heraus, was die Arbeit des eigenen Büros ausmacht: Die Formfindung der Bauten entspringt keiner fixen oder immer gleichen formalen Idee, sondern basiert auch und vor allem auf klimatischen Überlegungen, die mehr sind, als nur das Ausrichten der Fassaden nach dem Sonnenstand.

Wo die zweite elementare Referenz für die Bauten in den unterschiedlichen Klimazonen liegt, macht eine der Eingangsseiten des fulminanten, im Kölner Taschen-Verlag erschienenen Ausstellungskatalogs klar. Die linke Seite zeigt zwölf Hochhäuser aus Bogotà, Chicago, Kopenhagen, Johannesburg oder Zürich. Bis auf minimale Unterschiede sehen sie alle gleich aus, Ergebnisse des sogenannten „Internationalen Stils“, ohne Rücksicht auf den Standort des Gebäudes. Die Seite wird gekontert von ebenfalls zwölf Beispielen traditioneller Architektur aus Griechenland, Burkina Faso, den Färoer Inseln, Indonesien oder China. Ihre formale Ausprägung ist stets anders, die Architektur entwickelt sich aus dem Ort und seinem Klima.

Das Farbkonzept der Ausstellung findet sich auch im Buch wieder. Liegt es auf dem Tisch, sieht es in der Seitenansicht aus wie eine Regenbogenflagge, der Umschlag gleicht der Aufnahme einer Wärmebildkamera. Dieser Umschlag ist das erste bemerkenswerte Ausstattungselement des Buches. Gewendet ist er ein kleines Poster, das alle bis heute realisierten oder im Bau befindlichen Projekte auf einer Klimazonenkarte verortet. Wie in der Ausstellung auch erläutert die Publikation diese Bauten in Zeichnungen, Animationen, Fotos, Renderings und kurzen, prägnanten Texten, die – eine weitere Referenz an Comic-Strips – in kleinen Kästen in die Grafiken eingeklinkt sind.

Ergänzt wird die monografische Werkschau durch einige kurze Essays von Bjarke Ingels. So findet sich am Ende des englischsprachigen Buchs ein screen shot und die Verschriftlichung jenes kurzen Internetfilms, in dem Ingels den Begriff „World Craft“ erläutert. In wenigen, prägnanten Sätzen erklärt der Architekt, welche Idee er von Architektur hat: „Wenn Geografie die Dokumentation der Welt ist wie sie ist, dann muss Architektur ein ‚Welt-Handwerk‘ werden – das Handwerk, Welten zu schaffen, unsere Welt – in dem uns Wissen und Technologie nicht einschränken und uns stattdessen befähigen, surreale Träume zu bewohnten Räumen zu machen, Fiktion zu Fakten werden zu lassen.“

David Kasparek

BIG: Hot to Cold. An Odyssey of Architectural Adaptation, 712 S., zahlr. Abb., Softcover mit Umschlag, 39,99 Euro, TASCHEN Verlag, Köln 2015, ISBN 978-3-8365-5739-9

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