Buch der Woche: Farbe räumlich denken

Bunter bauen

Farbe ist nicht unbedingt ein Hauptthema in der Architektur und wird oft eher als oberflächliche Maßnahme begriffen. So kommt sie doch meistens erst durch einen finalen Anstrich an ein Bauwerk und Anstriche müssen bekanntermaßen regelmäßig erneuert werden. Hinzu kommt, dass sich die Wahrnehmung von Farben verändern kann, da sie besonders stark Moden unterworfen sind. So galten die orange-braunen Musterorgien der siebziger Jahre wohl damals als fröhlich und lässig, während man derartiges heute vermutlich als beklemmend erleben würde. Doch Farbe hat nicht nur Einfluss auf Stimmung und Atmosphäre, sondern kann auch die Raumwirkung selbst beeinflussen. Die Publikation „Farbe räumlich denken“ von Kerstin Schultz, Hedwig Wiedemann-Tokarz und Eva Maria Herrmann zeigt die Spannbreite dreidimensionalen Ausdrucks durch Kolorierung.

Kerstin Schultz / Hedwig Wiedemann-Tokarz / Eva Maria Herrmann: Farbe räumlich denken. Positionen, Projekte, Potenziale. 368 Seiten, 49,95 Euro, Birkhäuser, Basel 2019.

Die Autonomität von Farbe, die über Form und räumliche Ausdehnung hinweg Potentiale entfaltet, wird seit jeher in der Gestaltung genutzt. Im ersten Teil des etwa 350 Seiten starken Buches wird daher ein historischer Abriss geliefert, wobei sowohl Konzepte der Malerei, der Naturwissenschaft als auch der Architektur betrachtet werden. Gerade in Hinblick auf die Baukunst wird deutlich, dass diejenigen, die sich dezidiert zu Farbe äußerten, auch meist auf besonders kräftige Farbpaletten zugriffen. Dazu zählt beispielsweise Adolf Loos, der das von ihm abgelehnte Ornament mit leuchtenden Grundfarben und besonderen Materialien kompensierte. Dabei war ihm Farbe jedoch nur lieb, wenn damit keine Imitation eines Werkstoffs einhergeht. Anders dagegen Mies van der Rohe: Er stellte etwa in seinem Barcelona-Pavillon das Material in seiner spezifischen und zurückhaltenden Farbigkeit in feinen Kontrasten gegeneinander.

Dominique Coulon & associés, multikulturelles Zentrum, Isbergues, Frankreich, 2013

Im zweiten Teil der Publikation geht es um Farbe als Flächen-, Struktur- und Raumelement, wobei untersucht wird, wie Kolorierung den Raumeindruck beeinflusst. Entscheidend ist hierbei die Erkenntnis: „Farbe entwickelt durch ihre Tonwerte und Kontraste auch unabhängig vom räumlich-realen Eindruck Eigengesetzmäßigkeiten, die der Raumperspektive entgegenstehen oder diese unterstützen. Farbige Flächen können einen Raum schmaler, breiter, tiefer, flacher, größer oder kleiner erscheinen lassen.“ Damit ist die Liste der Effekte jedoch noch nicht am Ende, denn wie beispielhaft belegt wird, kann das Kolorit darüber hinaus akzentuieren, beruhigen, beleben, zusammenfassen, trennen, strukturieren und Orientierung bieten.

Dominique Coulon & associés, multikulturelles Zentrum, Isbergues, Frankreich, 2013

Die architektonischen Beispiele sind insgesamt vor allem auf den Trend zu Ganzfarbräumen in kräftigen Popfarben fokussiert. Hierbei sind oft nicht nur Wände und Decken in einer Farbe gehalten, sondern auch Objekte wie Bänke oder Schränke in das Farbkonzept eingepasst. Eine Abwandlung hiervon sind monochrom gefasste Raumteile wie Treppen und Nischen, die sich aus dem Raumgefüge abheben. Die Autorinnen thematisieren aber auch subtilere Formen der Farbregie, etwa durch Materialfarben, eingefärbte Materialien oder auch die gezielte Interaktion von Farbe und Licht im Spiel mit Effekten der Reflexion. Wenngleich die Publikation verdeutlicht, wie schwierig es ist, einzelne Elemente aus der Gesamtheit architektonischer Einflussfaktoren zu isolieren und sich Wirkungen nur schwer verallgemeinern lassen, veranschaulicht es dennoch auf gelungene Weise die Möglichkeiten der farblichen Raumgestaltung, eingebettet in einen breit gefassten thematischen Überblick.

Elina Potratz

Kerstin Schultz / Hedwig Wiedemann-Tokarz / Eva Maria Herrmann: Farbe räumlich denken. Positionen, Projekte, Potenziale. 368 Seiten, 49,95 Euro, Birkhäuser, Basel 2019, ISBN 978-3-0356-1842-6

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