Gespräch mit Gartendenkmalpflegerin Caroline Rolka

Das Haus als Garten

Lassen sich aus der Gartendenkmalpflege Erkenntnisse für den Umgang mit dem Bestand ableiten, der nicht auf Erstarrung, sondern Entwicklung setzt? Was bedeutet es für die Planung mit dem Bestand, wenn dieser als Organismus begriffen wird, dessen Entwicklung sich der Kontrolle der Planenden teilweise entzieht? Andreas Hild, Architekt und Professor für Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege an der TU München, und Die Architekt-Chefredakteurin Elina Potratz sprechen hierfür mit der Landschaftsarchitektin Caroline Rolka, Professorin für Geschichte der Gartenkunst und Gartendenkmalpflege an der Hochschule Neubrandenburg sowie Mitherausgeberin des „Handbuchs der Gartendenkmalpflege“ (2022).

Andreas Hild: Hinter dieser Ausgabe steht die These, dass wir eine von der Denkmalpflege unabhängige Theoriebildung zum Umbau benötigen. Einer der Ansätze für eine Theoriebildung besteht für mich darin, ein Gebäude eher als Organismus zu begreifen und weniger als fertiges Objekt – und dann braucht man womöglich weniger einen Behandlungsplan, um ein Gebäude wieder „gesund“ zu machen, sondern eher eine Art Pflegeplan. Solche Pflegepläne gibt es aber bei Architektinnen und Architekten bislang nicht. So sind wir auf die Gartendenkmalpflege gestoßen und die Frage, ob und wie sich hier womöglich Erkenntnisse zum Umgang mit dem Bestand ableiten lassen. Um direkt in die Analogie einzusteigen: Inwiefern unterscheidet sich die Rolle des Landschaftsarchitekten, der einen Garten neu gestaltet, von der Rolle der Landschaftsarchitektin, die einen Garten pflegt?

Caroline Rolka, Foto: privat

Caroline Rolka: Beginnen wir beim großen Unterschied zwischen Landschaftsarchitektinnen und Architektinnen. Dieser liegt vor allem in der grundsätzlichen Konditionierung beim Umgang mit den Dingen. Landschaftsarchitektinnen sind wesentlich mehr darauf geeicht, dynamisch zu handeln, denn das Hauptcharakteristikum des Gartens ist die Veränderung – im Sinne der tageszeitlichen und jahreszeitlichen Veränderung, aber auch in Bezug auf verschiedene Generationen. Zudem planen wir anders: Während Architektinnen eher am Statischen interessiert sind und versuchen, einen Status quo zu erhalten, müssen Landschaftsarchitektinnen wesentlich stärker und von vornherein Veränderung mitdenken. Neben Bestandserfassung, Entwurf und Ausführungsplanung, die für uns natürlich ebenfalls ganz normal sind, sollten wir – ich kann nur im Konjunktiv sprechen, weil es leider in der HOAI nicht abschließend festgelegt ist – immer mit Pflege- und Entwicklungsplanungen arbeiten, um zu versuchen, Lebenszykluszeiträume voraus zu denken. Was passiert mit einem Garten, wenn er sich durch die verschiedenen Einflüsse verändert?

Elina Potratz: In welchen Zeiträumen denken Sie?
Großartig wäre es, die Lebenszykluspläne über einen Zeitrahmen von 50 Jahren festzulegen. Leider werden sie in der Praxis oft nur über fünf bis zehn Jahre angelegt. Das ist einfach eine Kostenfrage.

Andreas Hild: Warum ist der Plan über 50 Jahre teurer als der über zehn Jahre?
Es muss länger in der Vorausschau gedacht werden, weil mehr vorausgesagt werden muss. Bei einem Lebenszyklusplan über 50 Jahre muss die Entstehung und Entwicklung des Ganzen, aber auch die Vergänglichkeit mit betrachtet werden. Es geht zum Beispiel darum, was passiert, wenn nach 50 Jahren ein Baum abstirbt und welche Art dann neu gesetzt wird. Es ist ein ganzheitliches Denken von der Geburt über das Leben bis zum Sterben hin. Außerdem geht es auch um die Entsorgung. Wenn ich zum Beispiel bei einem Wegeaufbau ein Material einbringe, das nicht so leicht zu entsorgen ist, wie etwa bei einer epoxidharzgebundenen Wegedecke, die als zukünftiger Sondermüll mitgedacht werden muss. In der Praxis sind solche 50-Jahres-Pläne noch nicht so umfänglich angekommen, weil viele nicht verstehen, was für einen großen Mehrwert das mit sich bringt. In solchen Plänen offenbaren sich über einen sehr langen Zeitraum die wahren Kosten und nicht nur die Herstellungskosten. Es ist ein riesiges Problem, dass immer nur die Herstellungskosten betrachtet werden.

Andreas Hild: Dieses Problem haben wahrscheinlich alle Bauschaffenden, wahrscheinlich sogar alle, die teure Konsumgüter herstellen. Man muss aber nicht nur mit sich ändernden Kosten, sondern auch mit einer sich ändernden Erscheinung umgehen. Architektinnen und Architekten meinen oft, dass ein Haus fertig ist, wenn es fertig ist und dann mindestens so lange man lebt, so bleiben muss. Es gibt sogar ein Urheberrecht, was dies regelt. Wie sieht das in Ihrem Feld aus und wie gehen Sie damit um?
In der Gartendenkmalpflege wird immer wieder gerne zitiert, dass zum Beispiel Lenné und Pückler die Gärten, die sie gestaltet und gebaut haben, nie so gesehen haben, wie sie sie eigentlich geplant und sich vorgestellt haben, denn sie haben in der Regel Jungbaumpflanzungen gemacht. Was wir heute von einem Lennéschen Garten sehen, ist dessen Altersphase. Das ist ein ganz anderes Bild als das, was Peter Joseph Lenné im 19. Jahrhundert gesehen hat. Aber er konnte, da bin ich mir sehr sicher, den Garten in seiner Veränderung schon sehen. Und das meinte ich eben: Auch heute sollten Landschaftsarchitektinnen von Anfang an darauf konditioniert sein, damit umzugehen, dass sich etwas verändert. Insofern muss man die Veränderungen mitdenken und akzeptieren. Wir haben letztendlich naturgegeben kein Urheberrecht auf das, was wir planen.

Andreas Hild: Haben Sie kein Urheberrecht auf den Garten, den Sie planen?
Nun ja, auf die Planung an sich hätte ich sie, aber letztendlich macht mir die Natur einen Strich durch die Rechnung, weil der Baum vielleicht anders wächst als ich das möchte. Vielleicht entwickelt er sich plötzlich dreistämmig oder er geht in Schräglage. Die Akzeptanz dessen ist in unserem Berufsbild stark entwickelt.

Andreas Hild: Stellen wir uns einen Zeitraum von 30 Jahren vor. Da entwickelt sich womöglich nicht nur ein einstämmiger Baum zum dreistämmigen, sondern es gibt vielleicht auch irgendeinen schlechten Gärtner, der ganz andere Dinge macht als geplant. Wie geht man damit um?
Die Gärtnerin ist im schlimmsten, aber auch im besten Fall, eine sehr starke Gestalterin, weil sie durch ihre Pflegeeingriffe massiv darauf Einfluss nimmt, wie sich etwas verändert. Wir können das als Landschaftsarchitektinnen durch Pflege- und Entwicklungsplanungen steuern, indem wir von vornherein Vorgaben machen, wie sich etwas entwickeln soll, aber wir haben es letztendlich nicht in der Hand, weil wir in der Regel nach der Fertigstellung eines Objekts als Landschaftsarchitektinnen raus sind. Dann übernimmt die Gärtnerin die Regie im Garten und diese ist im schlimmsten Fall nicht umfänglich ausgebildet.

Abel Grimmer, Frühling, Öl auf Leinwand, nach einer Zeichnung von Pieter Brueghel d. Ä., 1607

Andreas Hild: Es wird sozusagen eine Idee, wenn ich das richtig verstehe, an eine Art Pfleger übergeben, den es in der Architektur so nicht gibt. Der Hausmeister guckt zwar, dass die Glühbirnen brennen, aber es gibt keinen Gebäudepfleger.
Ich würde das mit Eltern vergleichen, die ihr Kind in den Kindergarten übergeben, hier wird das Kind dann weiter in seiner Entwicklung begleitet und auch geformt. Man gibt einen Grundstock, eine Grundidee mit dem Entwurf als Landschaftsarchitektin mit, aber man muss sein Kind, den Entwurf, entlassen in die Obhut einer nachfolgenden Pflegerin. Und deswegen kämpfen wir auch als Landschaftsarchitektinnen und vor allen Dingen in der Gartendenkmalpflege dafür, dass die Ausbildung zur Gärtnerin sehr profund ist, weil diese eine große Verantwortung übernimmt.

Elina Potratz: Sie haben eben von den Veränderungen gesprochen, die man in den Entwurf miteinbezieht. Welche Veränderungen sind das? Ist das wirklich nur das organische Material der Pflanzen, das sich verändert, oder sind es noch andere Dinge?
Wir gehen in der Gartendenkmalpflege und in der Landschaftsarchitektur weit über die Arbeit mit biotischen, also lebendigen und vegetativen Elementen hinaus. Wir haben eine Planungskompetenz für alle gebauten Anlagen, auch im Außenraum: Das sind sämtliche Kleinarchitekturen, aber auch Wege. Hier gibt es auch Veränderungen, die jedoch eher dem statischen Handeln unterliegen, wie wir es aus der Architektur und der Baudenkmalpflege kennen. Ein ganz großes Thema in der Landschaftsarchitektur ist im Moment der Erhalt beziehungsweise die Einbringung von wassergebundenen Wegedecken – eigentlich eine der nachhaltigsten Wegeformen, die wir haben, aber durch den Klimawandel einem starken Veränderungsprozess unterworfen. Es ist jedoch weniger das Regenwasser, das den Wegen so stark zusetzt, sondern oft die Hitze, denn wenn die wassergebundenen Wegedecken zu stark austrocknen, weht der Feinkornanteil heraus und es entstehen durch Erosion Rinnsale. Das ist aber ein Problem, das man in den Griff bekommen kann: durch Pflege und Reparatur.

Andreas Hild: Es gibt in der Landschaftsarchitektur also offenere und weniger offene Systeme. Das offene braucht man, damit der Gärtner eingreifen kann, die weniger offenen Systeme betreffen etwa Wege, Brunnen, Brücken. Für mich wäre interessant: Ist das offenere System an den tatsächlichen Organismus gebunden oder ist das offenere System eine Haltung?
Sie sprechen damit etwas an, das unser Berufsfeld der Gartendenkmalpflege zweiteilt. Wenn Sie eine Kunsthistorikerin danach fragen, ist hier eher die Haltung zu finden, dass ein bestimmtes Bild erhalten werden soll. Wenn Sie dagegen eine Gartendenkmalpflegerin aus der Planung fragen, wird sie immer antworten: Ich muss mit dem arbeiten, was ich vorfinde und für mich ist der zu erhaltende Bestand das, was ich habe. Das ist der große Unterschied zwischen den beiden Berufsfeldern, die das Themenfeld der Gartendenkmalpflege bedienen.

Andreas Hild: Das ist in der Baudenkmalpflege ganz ähnlich…
… und da kommt man ja schnell in den Bereich der Rekonstruktion oder der denkmalgebundenen Neuinterpretation.

Andreas Hild: In der Architektur heißt das dann „schöpferische Denkmalpflege“ oder so. Ist meine Vermutung richtig, dass diese schöpferische Denkmalpflege in der Gartendenkmalpflege der Standard ist?
Ich hoffe, nicht mehr. Da gibt es meines Erachtens einen großen Generationswechsel. Bei denjenigen, bei denen ich gelernt habe, waren dieser Rekonstruktionswille und die schöpferische Denkmalpflege wichtige Themen, man wertete Quellen aus und stellte das wieder her, was man als vermeintlichen Urzustand ansah. Ich komme gerade von der Tagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger VDL. Dort ist die Haltung mittlerweile eine ganz andere: Wir arbeiten in erster Linie mit dem Bestand, beziehungsweise planen auch weiter. So steht es im Prinzip auch im Denkmalschutzgesetz: Das Objekt ist einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Das interpretiere ich klar als eine Weiterentwicklung im Sinne der Denkmalpflege, und viele meiner Kolleginnen und Kollegen sehen das auch so: Es wurde aber leider lange Zeit nicht so gesehen und da ist auch hypothetisch vor sich hin interpretiert worden.

Elina Potratz: Was ist denn die Motivation derjenigen, die vor allem mit dem arbeiten, was da ist?
Es geht vor allem um den Ansatz – das ist in der Denkmalpflege nicht anders als in der Gartendenkmalpflege –, dass alle Schichten wichtig sind. Das kann man am Beispiel des barocken Gartens festmachen, der irgendwann im 17. oder 18. Jahrhundert entstanden ist. Im 19. Jahrhundert gab es dann einen ganz anderen geschmacklichen Ansatz und der Landschaftsgarten wurde über den überkommenen Bestand gelegt – in der Regel jedoch unter Verwendung der historischen Strukturen des Barockgartens. Mitte des 20. Jahrhundert ist dann oft kaum etwas passiert, viele Gärten unterlagen einer Unpflege. In der Nachkriegsmoderne sind viele Gärten an moderne Nutzungen angepasst worden. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es viele Beispiele, wo in die Gutshäuser Kinderheime oder öffentliche Nutzungen integriert worden sind. Auch diese Nutzungen haben die Gärten mitgeprägt, und auch das ist Teil unserer Geschichte. Wir dürfen nicht dem Fehler unterliegen, zu glauben, dass nur das, was im 17.,18., 19. Jahrhundert passiert ist, große Kunst gewesen ist und später nichts mehr passiert ist. Für diese Akzeptanz der verschiedenen Schichtungen gibt es das schöne, von Erika Schmidt geprägte Wort „Palimpsest“. Diese Akzeptanz sollte eigentlich für uns als Denkmalpfleger der Motor sein, alles zu akzeptieren, was da ist. Mit einer kleinen Einschränkung: Es muss natürlich einen künstlerischen Anspruch haben, also nicht jeder Tannenbaum, der gepflanzt wurde, ist auch Denkmalpflege.

Elina Potratz: Wenn also 30 Jahre nichts gemacht wurde und in dieser Zeit ein Baum gewachsen ist, hat dieser dann eventuell keinen Wert, obwohl er auch zu dem gehört, was da ist?
Das zu erkennen, ist genau die Kernkompetenz als Denkmalpfleger: Was ist dort durch Zufall entstanden, was durch Nichtpflege und wo steckt eine künstlerische Interpretation dahinter?

Park Villette, Südtor des Barockgartens der Villa Solitude, Cham, Schweiz um 1930, Foto: Jean Gaberell

Andreas Hild: Ist diese Palimpsest-Idee nicht nur eine Idee, um die Entscheidung zu vertagen? Denn am Schluss muss jemand eine Entscheidung treffen. Im Prinzip bin ich in dieser alten Diskussion also eher auf der Seite der Eingreifenden, denn sonst erklärt man sozusagen immer den Bestand als schön, das finde ich als Grundsatzidee schwierig. Wenn wir uns nun fragen, wie sich aus der Gartendenkmalpflege etwas ableiten ließe, um zu einer großmaßstäblicheren Entwicklung des Bestands zu kommen: Wie weit geht Landschaft oder der Landschaftsgarten? Lässt sich die Betrachtung des Gartens als Organismus auch auf das Haus erweitern? Es gibt doch sicher einen Überlappungsbereich zwischen Kulturlandschaft, Garten und Haus, wo das, was nicht geplant ist, das Geplante beeinflusst, und sei es nur durch Pollenflug. Das heißt, dort gibt es eine Unschärfe.
Das ist zwar keine Antwort auf Ihre Frage, aber diese Unschärfe wird ja immer größer, weil auch die Faktoren, die auf die Landschaftsarchitektur einwirken, durch den Klimawandel immer massiver werden. Der Klimawandel, ist im Moment einer der größten Einflussfaktoren in der Landschaftsarchitektur, und wir haben noch viel zu wenig Erkenntnisse darüber, wie sich etwas entwickelt. Insofern müssen auch diese Pflege- und Entwicklungspläne unter Einfluss dieses Faktors noch wesentlich dynamischer gestaltet werden, als sie bisher gedacht wurden. Wir haben bisher immer in diesen 10-, 20- oder 50-Jahres-Abschnitten gedacht, jetzt müssen wir anders denken. Denn wir werden jedes Jahr mit neuen Einflüssen überrascht, die dazu führen, dass wieder andere Bäume absterben: Vor drei Jahren war es noch die Fichte, vor zwei Jahren die Buche, jetzt ist es plötzlich die Esche. Das alles können wir nicht mehr nachpflanzen. Ich kann Ihnen nicht sagen, was dieses Jahr passiert.

Elina Potratz: Wenn man nun versucht, wieder eine Analogie zwischen Garten und Haus zu ziehen: Kann man eventuell die Unwägbarkeit, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel in der Zukunft liegt, vergleichen mit den Unwägbarkeiten in der Architektur, die mit der zukünftigen Nutzung zusammenhängen? Denn genauso, wie wir nicht wissen, ob eine Pflanzung eine Zukunft hat, wissen wir beim Bau nicht, was an einem Gebäude irgendwann gebraucht oder nicht gebraucht wird.
Ich denke, auch Architekten müssen sich darüber im Klaren sein, dass im Rahmen des Klimawandels noch ganz andere Fragestellungen auf sie zukommen werden. Aber der große Unterschied in der Landschaftsarchitektur ist die an sich gegebene Dynamik der Substanz, die getoppt wird durch die Dynamik der Außeneinflüsse – wie eben den Klimawandel. Es geht also etwas schneller bei uns, und da würde ich sogar keck behaupten, dass die Architekten vielleicht sogar ein bisschen hinter uns her hinken. Wir sind wahrscheinlich diejenigen, die noch am schnellsten denken müssen, aber auch wir haben noch keine Lösungen und wenig Ansätze. Es gibt zwar eine Menge Forschungsvorhaben, die punktuell objektbezogen untersuchen, was die Auswirkungen des Klimawandels sind. Aber es gibt kein Grundsatzpapier, das sagt, wie ich damit umgehe. Ein brisantes Thema ist der Umgang mit Ersatzpflanzungen von Bäumen. Den Ansatz der Denkmalpflege, „gleiche Art am gleichen Standort“, können wir fast nicht mehr verfolgen, weil wir die Standorte oft nicht mehr für die gleiche Art nutzen können. Deswegen muss es Konzepte einer habitusähnlichen Pflanzung geben.

Andreas Hild: Was heißt in dem Fall Habitus?
Es geht darum, einen Baum zu finden, der eine ähnliche Wuchsstruktur hat. Ich versuche, etwas zu finden, dass zumindest eine ähnliche Bildwirkung hat. Dann diskutieren wir nicht mehr über Materialgleichheit, sondern nur noch über die Bildwirkung in der Denkmalpflege.

Andreas Hild: Gibt es auch eine Gegenposition zur Bildwirkung, zum Beispiel, dass man den genetisch ähnlichsten Baum sucht?
Ja, das gibt es schon länger in der Gartendenkmalpflege, da sind wir wieder beim Thema der vorausschauenden Planung: Die gut geschulte Gärtnerin oder Landschaftsarchitektin zieht Jungbäume eines bestimmten Baums aus genetisch ähnlichem Material nach. Das wird zum Beispiel in der Baumuniversität in Branitz derzeit gemacht. Aber das sind Prozesse, die 20 Jahre vorher gestartet werden müssen. Und es gibt auch den Ansatz, dass man versucht, Bäume vom Mutterbaum, in dessen Umkreis es ja in der Regel zu Jungaufwuchs kommt, großzuziehen und sie am Standort zu halten. Der Vorteil ist, dass man dort keine standortfremden Bäume anpflanzen muss, die vorhandenen sind schon an den Standort gewöhnt. Im Forst wird das schon immer so gemacht. Und es gibt noch ein vergleichbares Prinzip: Jedes Gutshaus, Schloss hatte früher seine eigene Baumschule. Wir sind nur davon weggekommen, weil die Bäume heute billiger aus den Niederlanden kommen. Früher aber war die eigene Baumschule günstiger und nachhaltiger, weil die Bäume das jeweilige Klima schon kannten. Das sind ganz alte Prinzipien.

Andreas Hild: Wie halten Sie Ihre Pläne fest, damit die nächste Generation erfährt, was zu tun ist? Ist das eher ein Buch oder Oral History?
Man muss ja sagen, dass das Buch schon geschrieben ist. Diese angesprochenen Prinzipien sind nicht neu. Wir haben sie nur vergessen. Und nun entdecken findige Leute sie wieder. Was man daraus natürlich bereits auf die Architektur übertragen kann, ist die Verwendung von regionalen Materialien.

Elina Potratz: Sie haben eben vom Erhalt des Bildes gesprochen. Aus dem Blickwinkel der Architektur und der herausfordernden Frage, wie wir den großen Nachkriegsbestand bewahren können, müssen wir uns davon ja eher verabschieden. Hier funktioniert die Analogie also möglicherweise nicht. Sie funktioniert aber vielleicht in der Hinsicht, dass es um das Denken in viel längeren Zeiträumen geht. Es geht darum, viel stärker zu antizipieren, was mit dem Gebäude und den verwendeten Materialien passieren könnte und inwieweit es Unwägbarkeiten gibt, denen man irgendwann begegnen muss. Und es geht um Pflege und Reparatur, die zukünftig nötig sein wird.
Ja, wir müssen tatsächlich wieder lernen, vernünftig zu pflegen. Wir müssen wieder erkennen, dass wir als Denkmalpflegerinnen eigentlich die Reparaturkünstler schlechthin sind, wovon die moderne Architektur und Landschaftsarchitektur extrem viel lernen kann. Dass dies jetzt erst erkannt wird, liegt auch an der schlechten Reputation der Denkmalpflege, uns wird nachgesagt, dass wir nur irgendetwas „Altes“ bewahren und stagnativ an etwas festhalten wollen. Aber eigentlich ist es doch das gute alte Reparieren und Pflegen, das wir tun.

„Jedes Gutshaus, Schloss hatte früher seine eigene Baumschule“, Daniel Chodowiecki, Radierung, 1774

Andreas Hild: Ich sehe den Versuch der Denkmalpflege, auf den Nachhaltigkeitszug aufzuspringen, etwas kritisch. Denn an sich ist Weiterbauen eben nicht Denkmalpflege. Weiterbauen heißt weiterentwickeln von Dingen – und im Normalfall ist zumindest die verfasste Denkmalpflege auf den Erhalt aus, was auch richtig ist. Wir können von den zwei Prozent Denkmälern sicher etwas lernen, aber mit zwei Prozent Denkmälern werden wir die Bauwende nicht erreichen. Wir werden eine Vorstellung brauchen, die den Bestand und den Umgang damit anders definiert als die Denkmalpflege. Ich habe den Lehrstuhl für Denkmalpflege inne, also löcke ich damit gewissermaßen gegen meine eigenen Leute, aber ich bin natürlich auch Umbauer und glaube, dass wir Architektinnen und Architekten vor allem die moralischen Postulate aus der Denkmalpflege übernommen haben: die Fuge, die Ablesbarkeit, die Reversibilität, die Ehrlichkeit. Das sind jedoch alles Dinge, die beim Weiterbauen behindern. Deswegen beschäftigt mich die Frage, was man von der Landschaftsarchitektur in der theoretischen Herangehensweise lernen könnte. Dabei geht es vermutlich weniger um Verfahren oder Methodiken, sondern vielmehr um die Haltung zu den Dingen. Besonders hilfreich finde ich hierbei Ihre Unterscheidung zwischen dynamischer und statischer Denkweise. Tatsächlich denken Architektinnen und Architekten komplett statisch, das liegt in unserer DNA. Eine dynamische Idee stellt dagegen viele Dinge in der Architekturproduktion infrage.
Ich versuche meinen Studierenden beizubringen, dass sie einen Schattenplan erstellen müssen. Dieser zeigt, was der Standort eines Hauses jahres- und tageszeitlich mit dem Außenraum macht, was wiederum Auswirkungen auf die Bepflanzung hat. Denn bei einem Pflanzplan kann ich nicht von einem einzigen Zustand ausgehen – der Standort verändert sich: morgens, mittags, abends, Sommer, Herbst, Winter. Dieses Dynamische müssen unsere Studierenden lernen.

Elina Potratz: Übertragen auf die Architektur könnte das heißen, Prognosen über die Nutzung und Entwicklung eines Gebäudes viel stärker infragezustellen: Werden diese Zustände wirklich so eintreten, auf denen meine Entwurfsgedanken beruhen? Was passiert, wenn die Prognosen vielleicht doch nicht so eintreten?
Ich kann aus meinem alltäglichen Job nur berichten, dass ich erschrocken und erstaunt darüber bin, wie schnell sich die Entwicklungen gerade vollziehen. Die Abstände zwischen den Momenten, nach denen man sich an einen neuen Gedanken gewöhnen und darauf planerisch reagieren muss, werden immer kürzer.

Elina Potratz: In der Architektur gibt es mit Blick auf die zukünftigen Unwägbarkeiten auch den Begriff der Robustheit…
Andreas Hild: Ja, wobei mit Robustheit eigentlich ein statisches Prinzip gemeint ist. Das heißt, das Gebäude ist robust und was drumherum passiert, ist egal. Das Gebäude kann mit allem umgehen, wohingegen der Garten in diesem Sinne weniger robust, sondern eher reaktiv ist.
Auch wir benutzen das Wort robust ab und zu bei Bepflanzungsplanungen. Diese sehen dann so aus, dass es nur noch Gräser gibt, denn diese sind im besten Fall anpassungsfähig an nasse und trockene Standorte. Der Begriff wird also im ziemlich abstrusen Sinne benutzt, denn eine robuste Pflanzung soll dann auf alles reagieren: man kann darüber laufen, man muss sie nicht mehr pflegen. Dieser Grundgedanke des Stabilen wohnt dem Garten aber überhaupt nicht inne. Wenn man robust-statische Planungen haben will, damit sich gar nichts mehr verändert, ist man auch schnell bei der pflegeleichten Asphaltdecke für einen Stellplatz, statt einer aufwendigen Pflanzung. Also auch in der Landschaftsarchitektur gibt es eine Diskussion um Robustheit, die zur Frage führt: Wollen wir das?

Elina Potratz: Genau, ist das eigentlich erstrebenswert? Oder brauchen wir nicht auch in der Architektur die Gärtnerin oder den Gärtner, die pflegende Person?
Ich finde es großartig, wenn Architektinnen und Landschaftsarchitekten miteinander reden – das ist eigentlich die Ausgangssituation, die wir erst einmal schaffen müssen und die viel zu selten stattfindet.

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