Architekturbiennale 2014 in Venedig

Der Deutsche Pavillon – Zwei Kritiken

Deutschland I: Der beseelte Pavillon

Der Weg führt am Mercedes Benz vorbei über den roten Teppich unter dem Vordach hindurch in den Innenhof des Kanzlerbungalows. Der Blick richtet sich aus dem Innenhof des Kanzlerbungalows nach oben – in das Dach des deutschen Pavillons.

Man muss immer sagen was man sieht, vor allem muss man immer – und das ist weitaus schwieriger – sehen, was man sieht.“ (1) Ich sehe „Transparenz im räumlichen Sinne“ von Colin Rowe und Robert Slutzky zwischen zwei Gebäuden. „Transparenz entsteht immer dort, wo es im Raum Stellen gibt, die zwei oder mehreren Bezugssystemen zugeordnet werden können – wobei die Zuordnung unbestimmt und die Wahl einer jeweiligen Zuordnungsmöglichkeit frei bleibt.“ (2) Ausgehend von der modernen Architektur versuchten die „Texas Rangers“, eine Methode für den architektonischen Entwurf zu entwickeln. Rowe, Slutzky und Bernhard Hoesli, später an der ETH Zürich, versuchten, diese in ihre Lehrtätigkeit zu übertragen. Die Mehrfachlesbarkeit von Raum ist nicht nur wie in einigen Entwürfen von Le Corbusier in einem Haus (zum Beispiel im Entwurf der Villa in Karthago) verwendet worden, sondern entsteht hier zwischen zwei Gebäuden. Es ist eine Collage im Spannungsfeld aus „Raum, Zeit und Architektur“ (3) entstanden.

Eine Collage im Sinne der „Collage City“ (4) habe ich gesehen, im deutschen Pavillon, als Strategie für den Entwurf, wie sie nur selten in dieser Ausformulierung angewendet wurde und wird. Der Begriff der „Bricolage“ kam mir in den Sinn. Natürlich nicht im Sinne der direkten Übersetzung aus dem Französischen als „Gebastel“. Dafür ist die Ausführung der Details zu perfekt. Sondern im Sinne des Begriffs der „Bricolage“, wie er in der Kunst und auch im „Wilden Denken“ (5) eines Claude Levy Strauss Verwendung findet. Es werden Dinge, die eigentlich nicht zusammengehören, so zusammen gefügt, dass neue Strukturen und Beziehungen ablesbar werden. Es entsteht ein Zusammenhang, der nicht auf abstrakten und rationalen Überlegungen beruht und dem Ganzen eine Seele verleiht.

Im Vergleich zu vielen Pavillons und vielen deutschen Beiträgen an den Biennalen der letzten Jahre hat dieser Beitrag eine Seele – und ist für mich dadurch der beste Beitrag 2014 und einer der besten, wenn nicht sogar der beste Pavillon der letzten Jahre. Es wurde viel diskutiert über diese Vermittlung: Über die fehlende Aussicht auf den Rhein und über die Frage, ob man Architektur überhaupt ausstellen kann. Diese Diskussionen sind auch eine Qualität des Beitrags. Aber geht es darum? „Architektur“ lässt sich nicht ausstellen, denn die Aussicht und die Qualitäten des Ortes sind untrennbar und nicht übertragbar.

Heribert Gies

Anmerkungen
1 An die Studenten, Le Corbusier, Die „Charte d´ Athenes“, Rowohlt Verlag 1962
2 Transparenz, Colin Rowe, Robert Slutzky, mit einem Kommentar von Bernhard Hoesli, gta Verlag Zürich 1974
3 Raum, Zeit und Architektur, Siegfried Giedeon, Birkhäuser Verlag Basel 1996
4 Collage City, Colin Rowe, Fred Koetter, gta verlag Zürich 1984
5 Das wilde Denken, Claude Levy Strauss, Suhrkamp Verlag 1973

Der Deutsche Pavillon auf der Architekturbiennale 2014 in Venedig, Foto: David Kasparek

Deutschland II: Keine Erkenntnis

Das Konzept klingt charmant: eine Collage im Maßstab 1:1, keine Erläuterungen, kein erhobener Zeigefinger. Zwei Gebäude „werden verschnitten“, treten in einen Dialog, zwischen ihnen entsteht ein Spannungsfeld, „etwas Drittes“, das – ohne Störung durch irgendeine Didaktik – unvoreingenommen erlebt werden kann. Man weiß ja, man kann Architektur eigentlich nicht ausstellen. Die üblichen Repräsentationen durch Fotos, Texte, Zeichnungen und Modelle bleiben immer Kompromiss und werden oft als ziemlich mühsam empfunden. Vielleicht bietet „Bungalow Germania“ einen Ausweg aus dem Dilemma?

Leider nicht. Der Pavillon bietet weder Erlebnis noch Erkenntnis. Er ist extrem exklusiv, weil er alle diejenigen ausschließt, die nicht schon sehr viel Vorwissen über die beiden Gebäude mitbringen. Er wirkt entdifferenzierend, weil er zu einer Reflexion über komplizierte Themen wie Repräsentation und Transparenz einlädt, die relevanten Merkmale der präsentierten Architektur aber durch den verfremdenden Eingriff der Collage gerade nicht mehr erlebbar sind und deswegen durch das eigene Halbwissen ergänzt werden müssen. Nur so ist zu erklären, dass zum Beispiel Laura Weißmüller in der SZ das Kind mit dem Bade ausschüttet und die banale Feststellung, dass auch die transparente Moderne der Nachkriegszeit nicht automatisch demokratischer ist als beispielsweise der Monumentalhistorismus des Dritten Reiches, so fortspinnt, als sei deswegen gleich alles egal, das „System“ Bungalow umstandslos auf den BND-Neubau übertragbar und der Pavillon als vortrefflicher Ausstellungsort mit rehabilitiert. Zugegeben, in der gezeigten dekontextualisierten und nutzungsneutralen Form macht der Bungalow keine sehr gute Figur. Aber es ist halt auch nicht der Kanzlerbungalow, sondern dessen von den Kuratoren nach – zumindest in der Ausstellung – schwer nachvollziehbaren Kriterien manipuliertes Zerrbild. Die scheinbare Leichtigkeit und Zugänglichkeit der Installation entpuppt sich somit als irreführend: Möchte man aus der Ausstellung wirklich etwas Substanzielles mitnehmen, muss man entweder schon vorher alles wissen, oder sich hinterher die erforderlichen Informationen mühsam beschaffen. Die Behauptung, wir alle könnten dabei auf unsere je eigene Geschichte mit dem Bungalow zurückgreifen, ist zumindest gewagt. Schon meine eigenen Erinnerungen als 50-jähriger mit BRD-Sozialisation fallen erstaunlich blass und unpräzise aus. Für Unter-30jährige und alle diejenigen, die mit der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte biografisch wenig verbunden sind, dürfte dieser Verschnitt zweier Gebäude noch befremdlicher und in seiner Themenwahl vermutlich auch etwas provinziell wirken.

Riklef Rambow

Fotos: David Kasparek

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