Architekturbiennale 2014 in Venedig

Der Ort des Volkes

Zwischen paternalistischer Geste und Laissez-Faire

Auf Einladung des BDA diskutierten Staatssekretär Gunther Adler, Soziologieprofessor Claus Leggewie sowie die Architekten Peter Kulka und Stefan Rettich gemeinsam mit Andreas Denk (der architekt) und Heinrich Wefing (DIE ZEIT) am 8. Juni im deutschen Biennale-Pavillon in Venedig über Bürgerbeteiligung und ihre produktive Integration in die Demokratie. Die Diskussion zeichnete ein Bild der Komplexität, die hinter der vermeintlich einfachen Frage „Brauchen wir einen Ort des Volkes?“ steckt.

Sie können Milliardenprojekte stoppen und Jahrhundertplanungen lahmlegen, neue Gesetze auf den Weg bringen und Regierungen stürzen: Das neue Jahrtausend ist auch eins, in dem „die Bürger“ sich überall auf der Welt auf ihre Stimme besinnen und sich artikulieren. Von Stuttgart 21 bis zum Volksentscheid auf dem Tempelhofer Feld: Selbst in einer vermeintlich vorbildlichen Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland wird die professionelle Politik gerade bei Großprojekten immer häufiger abgestraft, indem ihr die Bürger per Volksentscheid das Vertrauen entziehen und Veto einlegen. Oder sogar das Heft selbst in die Hand nehmen. Aber: Ist das eigentlich gut? Ist das fortschrittlich? Oder erleben wir gerade eine Phase der Selbstbehinderung in unserer Demokratie? Und: Was ist aus dem „Bürgerforum“, dem „Ort des Volkes“ geworden, den der diesjährige BDA-Preisträger Axel Schultes gemeinsam mit seiner Büropartnerin Charlotte Frank im Berliner Regierungsviertel, dem „Band des Bundes“, plante? Wäre dieser Ort als Ausdruck bürgerlichen Selbstverständnisses jenseits der etablierten Parteiendemokratie geeignet? Wäre er dafür eine repräsentative Form, sofern man eine solche überhaupt braucht? Oder geht es hier gar nicht mehr um Repräsentation, sondern vielmehr um Organisation, um die Strukturierung solch partizipativer Prozesse?

Der Soziologe Claus Leggewie ging direkt auf das Verhältnis zwischen Politikern als Entscheider, Architekten als Gestalter und „dem Volk“ ein: Dieses Verhältnis sei traditionell schwierig, da Architekten sehr konkrete, ja „absolute“ Vorstellungen davon hätten, was wie gebaut werden soll. „Das Volk“ hingegen habe eher eine volkstümliche Vorstellung von Schönheit. Behörden – als administrative politische Organe – hätten wieder andere Ansprüche an „gute Architektur“. Hier stünden funktionale und effizienzorientierte Aspekte im Vordergrund, ergänzte Staatssekretär Gunther Adler. Zudem wurde in der Diskussion klar, dass es „das Volk“ als Einheit so gar nicht gibt. Vielmehr gibt es verschiedene Bevölkerungsgruppen, die sich in unterschiedlicher Weise an demokratischen Prozessen und für die gebaute Umgebung relevanten Entscheidungen beteiligen: So genannte „Aktivbürger“ machen rund vier bis fünf Prozent der Bevölkerung aus und bringen sich aktiv in politische Diskurse ein. Diesem positiven Impuls gegenüber steht jener des „Wutbürgers“, der oft nur stören will. Heinrich Wefing wies auf eine neue Schicht von gut situierten „Metropolisten“ hin, die sich, scheinbar losgelöst von regionalen Verortungen, in einem globalisierten Raum bewegen – ganz im Gegensatz zu den politisch aktiven „Square People“. Dazu lässt sich ergänzen, dass trotz dieser Nicht-Verortung solche urbanen Nomaden als Immobilien-Eigentümer das Bild unserer Städte mitprägen, da sie gerade in Metropolzentren eine Nachfrage nach hochwertigen Wohnimmobilien schaffen, die mit der regional vorhandenen Kaufkraft und Baustruktur manchmal wenig zu tun hat.

Als „schrittweise Verlagerung der politischen Macht in den privaten Sektor im Rahmen neoliberaler Entwicklungen“ identifizierte Stefan Rettich solche Prozesse, die jenen von Partizipation und „Basisdemokratie“ gegenüber stehen. Auch die Verlagerung öffentlicher Räume in private Shoppingmalls wurde dabei thematisiert, ebenso wie die Feststellung, dass das Internet und die „sozialen Medien“ diesen Raum des freien Austauschs eben nicht bieten, weil sie einer permanenten Kontrolle unterliegen. Rettich fand einhellige Zustimmung mit dem Statement, dass Fragen der Gestaltung von Gebäuden nicht in partizipativen Prozessen zu lösen seien – höchstens bei kleinmaßstäblichen Projekten. Zudem sei Partizipation eher beim Definieren von übergeordneten Kriterien sinnvoll – beispielsweise für die Quartiersentwicklung, bei Schrumpfungsprozessen oder beim Umgang mit Konversionsprojekten. Selbst das Feld der „Politik“ ist keine auf ein Ziel hin vektorisierte Kraft, hier treffen ebenfalls unterschiedliche Interessen aufeinander – Bund, Länder und Kommunen haben häufig divergierende Interessen hinsichtlich der Nutzung und Verwertung frei werdender Flächen. Wünschenswert sei jedenfalls eine professionelle Strukturierung langfristiger partizipativer Prozesse , ein „Coaching“ mit Instrumenten vergleichbar den Schöffengerichten.

Blieb noch die Frage nach dem „Ort des Volkes“. Ein Teil des Podiums war sich sicher, das Volk „suche sich seine Orte“. ZEIT-Ressortleiter Heinrich Wefing gab zu bedenken, ob nicht die Bereitstellung eines Ortes für die öffentliche Meinungsäußerung schon eine „paternalistische Geste“ sei. Peter Kulka fand Axel Schultes‘ „romantische Idee zwar schön, aber überflüssig“. Andreas Denk und Claus Leggewie verwiesen hingegen auf die mögliche Symbolträchtigkeit eines solchen Ortes: „Demokratie braucht auch Zeichen und Symbole: Der Körper des Königs ist nicht mehr da. Wenn Sie einen iterativen, voraussetzungsvollen Prozess organisieren wollen, braucht es einen Ort für Partizipation.“

Cordula Vielhauer

 Fotos: David Kasparek

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