Eine kleine und leise Alltagsurbanität

Die Urbanisierung der Einfamilienhausgebiete

Thomas Sieverts, der seit den 1990er-Jahren maßgeblich den Begriff der „Zwischenstadt“ prägte, sowie Architekt und Stadtplaner Christian Moczala widmen sich in ihrem Beitrag der Weiterentwicklung von Einfamilienhausgebieten. Die aus einem Projekt mit Studierenden der FH Dortmund entwickelten Urbanisierungsstrategien richten sich dabei weniger auf die bauliche Substanz, sondern mehr auf neue Lebens- und Wirtschaftsformen, für die Einfamilienhausgebiete großes räumliches Potential bergen.

Von allen Gebietstypen, die in der „Zwischenstadt“ der Metropolen vorzufinden sind, also all den Gebieten, die weder richtig Land noch richtig Stadt sind, gehören die Einfamilienhausgebiete zu den flächenmäßig umfangreichsten. Etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung wohnt dort (ein weiteres Drittel träumt davon, dort zu wohnen). Von den insgesamt 19 Millionen Wohnbauten in Deutschland sind 16 Millionen Einfamilienhäuser.(1)

Das ist auch eine Folge der Wohnungsbaupolitik der Nachkriegszeit. Die Politik hat es so gewollt – ausweislich des Städtebaurechts, der Steuergesetzgebung und der Verkehrspolitik. Die massive Förderung des Eigenheims war parteiübergreifend ein Kernbestandteil der Innen- und Sozialpolitik der alten Bundesrepublik, im Gegensatz zur DDR, in der der industriell vorgefertigte Mietwohnungsbau dominierte. Im vereinigten Deutschland gab es deswegen in den neuen Bundesländern einen großen Nachholbedarf an Einfamilienhäusern. So sind in den letzten 70 Jahren in fast allen Teilen Deutschlands große zusammenhängende Einfamilienhausgebiete entstanden, die immer noch sehr beliebt sind. Sie entsprechen offensichtlich einem traditionell tief verwurzelten Grundbedürfnis vieler Menschen nach selbstbestimmtem Wohnen in einem mit dem Boden verbundenem, repräsentativen Eigentum.

Die Vielgestaltigkeit der Einfamilienhausgebiete ist groß. Sie reicht von der baulich verfestigten ehemaligen Kleingartenkolonie über die Arbeitersiedlung aus der Zeit der Industrialisierung mit unterstützender Garten- und Landwirtschaft, bis hin zu den Reihenhaussiedlungen der Moderne und nicht zuletzt den Villengebieten mit großen Gärten und großzügigen repräsentativen Häusern. Heute ist das Bild landauf, landab geprägt vom klein- und kleinstteiligen Einfamilienhausteppich der Häuslebauer, Bauträger und Fertighausanbieter.

In vielen Metropolregionen bilden Einfamilienhäuser zusammenhängende Stadtteile. Und obwohl viele dieser Gebiete in die Jahre gekommen sind, sind nur selten Sanierungsgebiete mit herkömmlichen städtebaulichen Mängeln nach Baugesetzbuch entstanden. Im Gegenteil: Manche der älteren Einfamilienhausgebiete sind sehr schön eingewachsen mit großen alten Bäumen und haben an Attraktivität gewonnen.

Probleme und Chancen der Entwicklung

Und trotzdem sind diese Stadtteile, im Stadtgefüge betrachtet – vor allem in urbanen Regionen mit starkem Bevölkerungswachstum und in den vom Strukturwandel geprägten altindustrialisierten Regionen –, zu Problemgebieten geworden. Sie nehmen viel mehr Flächen in Anspruch als ihnen nach ihrer Bewohnerzahl zukommt. Sie tragen wesentlich zu den vom Auto verursachten Verkehrs- und Transportproblemen bei. Dem ökologischen Gebot zur Verringerung von bebauten Flächen stehen sie diametral entgegen.(2) Kurz: Sie sind heute – trotz ihrer Popularität – nicht mehr zu verantworten.

Einfamilienhaus-Bestand in Dortmund-Hombruch, Luftbild: Bezirksregierung Köln

Zudem haben sie auch innere Probleme: Familien sind gealtert, die Jüngeren meist ausgezogen, die Gärten auf pflegeleichtes Abstandsgrün reduziert, die Häuser oft stark unterbelegt, die Wohndichte unterdurchschnittlich niedrig. Das Auto dominiert, der herkömmliche öffentliche Nahverkehr dagegen hat es schwer, die Nahversorgung für den täglichen Bedarf findet zu wenig Fußgängerkunden und es gibt zu wenig Arbeitsplätze. All das lässt den Schluss zu: Die tradierte Einfamilienhauskultur ist aus der Zeit gefallen. Wir stehen vor der Herausforderung, im größten Bestand an Siedlungsfläche, sozial und baukulturell verträgliche, zukunftsfähige Stadtstrukturen aufzubauen. Gefordert ist ein substanzieller Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des Metropolenraums.

Mit diesen Gebieten muss also etwas geschehen. Sie müssen weiterentwickelt und in das stadtregionale Gefüge funktional und gestalterisch integriert werden. Die Voraussetzungen für eine urbane Entwicklung sind häufig gut, insbesondere unter den Bedingungen und Problemen, die die ökologischen Krisen und Folgen der Pandemie den Stadtregionen aufbürden. Die Transformation der Einfamilienhausgebiete könnte einen wirksamen Beitrag zur Milderung der genannten Probleme leisten, weil sie einen großen Anteil der besiedelten Fläche der Stadtregion besetzen.

Freilich bedingt die Vielgestaltigkeit der Einfamilienhausgebiete, dass deren Transformation unterschiedliche Formen annehmen wird. Nicht für alle diese Gebiete bietet sich eine Transformation gleichermaßen an. So sind beispielsweise die verdichteten Reihenhaus- oder Teppichsiedlungen (low rise, high density) für eine einfache Transformation weniger geeignet. Sie brauchen spezifische Konzepte, aber nach den gleichen Prinzipien. Dagegen bieten jene Gebiete mit großen Grundstücken, entwickelter Bepflanzung und einer mäßigen Baudichte besondere Entwicklungsanreize.

Es geht bei den folgenden Transformations-Überlegungen deshalb um neue Formen der Urbanisierung von bestehenden Einfamilienhausgebieten – einer Urbanisierung, die nicht die Ziele einer Urbanitätsvorstellung der „Europäischen Stadt“ anstrebt, also das Ideal einer verdichteten, gemischten, von klaren Baublöcken geformten Stadt. Es geht vielmehr um eine Dezentralisierung, also die Anreicherung der großen Einfamilienhausgebiete mit ergänzenden Nutzungen und Verbindungsnetzen, die sowohl im Freiraum als auch bei den bestehenden Gebäuden durch Teilungen, Umbauten und Ergänzungen zu neuen Formen des Zusammenlebens und zu einer neuen Gestaltung anregen. Diese Art der Transformation trägt zu einer kleinen und leisen Alltagsurbanität bei, als Grundlage für eine demokratische, bewegliche Gesellschaft, die sich grundlegend neu orientieren muss.(3) Ein solcher Urbanisierungsversuch in Form eines städtebaulichen Entwurfs wurde mit Studierenden an der FH Dortmund für ein alltägliches Stück gewachsener Vorstadt erarbeitet, das überwiegend von Einfamilienhäusern und ihren Gärten geprägt ist.

Bausteine zur Urbanisierung von Einfamilienhausgebieten, Grafik: Christian Moczala, Anton Bombach

Die veränderten Transformationskräfte

Die große globale ökologische Krise, zu der auch „Corona“ gehört, wird unser Verhalten und unsere Städte weiter verändern: Der durch die Krise bedingte Wandel des Zusammenlebens, des Zusammenarbeitens und der Geselligkeit wird sich auch auf die Stadtentwicklung auswirken. Überdeutlich wird das unter anderem daran, dass mehr Menschen als vor der Pandemie jetzt in einem Haus mit Garten wohnen wollen. Die Wohnung wird also sowohl dem Familienleben als auch dem Versorgen und Arbeiten dienen. Es wird wieder Obst und Gemüse für den Eigenbedarf produziert. Und auch Verkehr und Transport werden sich viel stärker vom Auto auf das elektrifizierte Fahrrad in verschiedenen Formen verlagern.

Wahrscheinlich wird sich das Handwerk wieder eher dezentral entwickeln: Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft und des langlebigen Gebrauchs von Bauten und von Dingen, also das Gegenteil der „Wegwerfgesellschaft“, erfordert regelmäßige örtliche Funktionsprüfungen, Reparaturen und gegebenenfalls An- oder Umbauten. Das alles sind typische Aufgaben eines wohnortnahen Handwerks.

Die krisenbedingten Veränderungen können sich bis in die Formen der Globalisierung erstrecken. Die heute grenzenlose Arbeitsteilung könnte sich wieder mehr regional organisieren, um Produktionsketten robuster zu gestalten. Kurz: Die Krisen haben vieles in Fluss gebracht. All das wird auch zu neuen Raum-Zeit-Verwendungsmustern führen, bis hin zu neuen Formen der Sesshaftigkeit, der Arbeit und der Geselligkeit. Bei all diesen Prozessen werden die jeweils neuesten technischen Hilfsmittel genutzt werden: Die skizzierte neue Urbanität bedeutet deswegen keine Rückkehr zu einem romantisierten einfachen Leben, vielmehr werden auch die neuen Lebensformen von Digitalität geprägt sein.

Zusammengefasst lassen sich folgende, auf die Stadt wirkende Transformationskräfte unterscheiden, die auch und besonders die großen Einfamilienhausgebiete verändern werden:

  • Dezentralisierung von Arbeit und Produktion durch Digitalisierung
  • Teilselbstversorgung mit Lebensmitteln
  • Eine Kultur des Teilens und des Reparierens
  • Angemessenheit, Minimalisierung des Ressourcenverbrauchs
  • Gesellschaftliche Belebung
  • Bauen als Kreislaufwirtschaft
  • Architektur als CO2-Speicher

Wie diese und andere Veränderungskräfte sich im Dienste einer Urbanisierung auf die Struktur und das Erscheinungsbild eines typischen Einfamilienhausgebietes auswirken könnten, wird im folgenden Abschnitt erläutert und illustriert. Dabei wurde bewusst die technische Dimension, also Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen, Elektrofahrzeuge, nicht ins Zentrum gestellt, weil diese Transformation bereits angestoßen ist und die urbane Qualität des Quartiers nicht direkt berührt. Mit den technischen Innovationen verbindet sich vielmehr die Hoffnung auf eine Fortsetzung der bisherigen individualisierten, arbeitsteiligen und verbrauchsorientierten Lebensentwürfe und Räume. Spielräume für gesellschaftliches Leben, ganzheitliches Wirtschaften und intensivere Nutzung werden zu wenig beachtet.

Entwicklungskonzept für Einfamilienhausgebiete, Grafik: Christian Moczala, Anton Bombach

In dem Studienprojekt im Sommersemester 2020 sind die Wohnquartiere des Stadtteils Dortmund-Hombruch im Hinblick auf die oben genannten Transformationskräfte flächendeckend bearbeitet worden. Es ist ein Patchwork entstanden, das trotz aller Unterschiedlichkeit in Maßnahmen und Darstellung erahnen lässt, wie eine aus globaler Perspektive verantwortbare Entwicklung von Vorstadtquartieren aussehen kann.
Im nachfolgenden Konzept haben wir die oben genannten Transformationsziele unsererseits interpretiert, verdichtet und in eine einheitliche grafische Sprache gebracht. Wie kann also eine zukunftsfähige städtebauliche Entwicklung dieser so stark nachgefragten Siedlungsform aussehen?

Vorgärten des Austauschs

In den gewachsenen Vorstadtquartieren sind die Vorgärten weitestgehend unentdeckt. Es besteht, soweit sie nicht für das Abstellen von Fahrzeugen genutzt werden, geradezu eine Hilflosigkeit in der Gestaltung, die sich am deutlichsten in den berüchtigten Schottergärten zeigt. Im Hinblick auf die Urbanisierung kommt den Vorgärten eine Schlüsselrolle zu. Sie bilden Übergangsräume zwischen den Sphären des Privaten und Öffentlichen. Im Gegensatz zu den rückwärtigen Gartenflächen weisen sie als Schwellenräume große Potenziale für die Intensivierung des nachbarschaftlichen Austausches auf, etwa für den abendlichen Plausch an der Gartenmauer – mit spielenden Kindern oder unter den Älteren – oder für die Nutzung der Straße als informellen Sport- und Bewegungsraum. In der Vorzone mit den dort liegenden Garagen beginnt das Verleihen und Teilen der vielen Geräte und Dinge, die die Wohnungen und Häusern zu Lagerflächen machen. Der Vorgartenbereich wird die Keimzelle von urbaner Nutzung und Austausch.

Produktive Gartenbereiche

Die Intensivierung der Gartennutzung mit dem Ziel, Gemüse und Obst anzubauen oder auch Kleintierhaltung zu betreiben, ist keine neue Erfindung. Sie war gängige Praxis im industriell geprägten Raum des Ruhrgebiets bis in die sechziger Jahre. Diese Tradition der Teilselbstversorgung wiederzubeleben, scheint angesichts des Trends von „Urban Gardening“ und gestiegener Lebensmittelpreise ein Selbstläufer. Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass große Teile der Gartenflächen nicht bewirtschaftet werden, sondern mit dem kleinsten Pflegeaufwand als Rasenflächen „brachliegen“ – angesichts globaler Dürren und Versorgungsnotlagen eine unhaltbare Situation. Aber auch aus stadtklimatischer, räumlicher und nicht zuletzt ökologischer Sicht sind dichte, vielfältige und artenreiche Gartenlandschaften sinnvoll.

Infrastrukturpunkte für Sharing

An den Enden von Stichstraßen, an Einmündungen, aber auch linear entlang von Straßenabschnitten lassen sich Orte für das Teilen von Fahrzeugen und größeren Gartengeräten einrichten. Hier ist der Pool von PKW mit und ohne Elektroantrieb, den verschiedenen Fahrradtypen wie Lastenfahrrädern, transportablen Falt- und Klapprädern sowie E-Bikes verortet. Auch andere Geräte wie zum Beispiel Motorsensen, Häcksler oder ähnliches sind hier deponiert. Daneben haben diese Räume das Potenzial, für die umliegenden Bewohner Treffpunkte und Orte der Geselligkeit zu werden. Hier trifft man sich zur gemeinsamen Fahrradpflege, zum Glühwein, Fußballgucken und zum Singen als Wochenausklang.

Flexibilisierung und Ergänzung des Gebäudebestands

Eine Urbanisierung offener und lose bebauter Quartiere wird nur gelingen, wenn sich die Bewohnerdichte erhöht. Dies kann ohne einschneidende Komfortverluste gelingen, wenn die Gebäudestrukturen flexibler werden. Einfamilienhäuser und große Wohnungen müssen teilbar sein, nur dann ist es möglich, den wachsenden und schrumpfenden Haushalten Rechnung zu tragen. Bestehende Einfamilienhäuser durch innere Eingriffe, bauliche Ergänzungen und Anbauten für mehrere Parteien bewohnbar zu machen und die Einheiten für die Familienphase wieder zusammenzuschließen, hat die höchste Priorität. Ergänzend kann vornehmlich bei großen Grundstücken auch eine Nachverdichtung erfolgen. Mit diesen Maßnahmen kann es gelingen, die Bewohnerschaft auf der gleichen Fläche zu verdoppeln, insbesondere wenn heute individualisierte Nutzungen in die nachfolgend beschriebenen Gemeinschaftsräume und -häuser verlagert werden.

Coworking-, Repair- und Reuse-Hubs

Eine Dezentralisierung von Arbeit und Produktion infolge und mithilfe von Digitalisierung reduziert Verkehre und erhöht die Nutzungsdichte im Quartier. In der Folge steigt die Nachfrage nach gemeinschaftlich genutzten Räumen, die derzeit belegte Räume in den Häusern freisetzen. Das können das Homeoffice, der Fitnessraum und das Studio oder Atelier sein. Aber auch im Rahmen der zukünftig bedeutsameren Reparatur- und Recyclingkultur besteht der Bedarf nach Sammelpunkten, Austauschorten und Ressourcenlagern. Auf der Ebene des Quartiers etablieren sich deshalb Gebäude und Freiräume, die dafür Raum bieten – mit dem Ziel, über Nachbarschaft und Straßenzugehörigkeit hinaus Möglichkeiten für den gesellschaftlichen Austausch zu schaffen.

Es liegen insgesamt große Potenziale in der Urbanisierung von Einfamilienhausquartieren. Damit können die heute entleerten, abgekapselten und introvertierten Stadtteile zu eng vernetzten, lebendigen städtischen Strukturen entwickelt werden, geprägt durch dichte bauliche und funktionale Nutzung, Kommunikation und Austausch. Die Intensität der Nutzung, die handwerkliche und gärtnerische Produktivität und Vielfalt der gebauten und grünen Räume können je nach Rahmenbedingungen in einem heute kaum absehbaren Maße gesteigert werden.

Realisierbarkeit

Die global nachhaltige Entwicklung von Vorstadtquartieren hat kaum begonnen – zu groß sind die Trägheit von Wohlstand und die Fixierung auf die verheißungsvollen technischen Innovationen. Diese Entwicklung liegt also noch vor uns. Urban Gardening, gemeinschaftliches Arbeiten, Reparieren, Recyceln und Produzieren sind dagegen schon etablierte urbane Trends, es werden also schon heute neue Qualitäten eines guten Lebens entdeckt und aus eigenem Antrieb nachhaltige Pfade der Entwicklung eingeschlagen. Diese Entwicklung muss stadtplanerisch unterstützt werden, mit innovativen Bebauungsplänen und Mitteln informeller Planung.

In der Konsequenz sind die wegen offensichtlicher städtebaulicher Defizite unter dem Radar fliegenden Quartiere von der Stadtentwicklung zu entdecken und zu bearbeiten. Neben den bestehenden, auf eine klimaneutrale Technik ausgerichteten Programmen für die energetische Ertüchtigung des Bestands und die Umstellung auf Elektromobilität müssen dazu Programme aufgesetzt werden, die vorrangig soziale Innovationen und gemeinschaftlichen Verhaltenswandel zum Ziel haben und deren räumliche Umsetzung unterstützen.

Sollte dieser intrinsische Wandel nicht ausreichen – und das ist absehbar – sind fiskalische Steuerungsinstrumente notwendig. Inwiefern bei der relativ wohlhabenden Bewohnerschaft Anreizsysteme wirksam sind, bleibt abzuwarten. Restriktive Maßnahmen jedoch, wie eine Wohnraumsteuer oder „Rasenabgabe“, könnten dagegen greifen. Dazu ein Gedankenexperiment: Für Gartenflächen sind Gemüse- und Obstanbau respektive Kleintierhaltung oder ökologisch wertvolle Flächen nachzuweisen, andernfalls müssen spürbare Kompensationszahlungen geleistet werden. Sowohl der einhergehende Gewinn an Lebensmitteln als auch die vermutlich abnehmende Nachfrage nach dem Einfamilienhaus mit Garten wären wünschenswerte Entwicklungen.

Viel erstrebenswerter als solch politisch-planerischen Diktate ist eine eigendynamische Urbanisierung der gewachsenen Zwischenstadt: gesellschaftlich dicht, vielfältig grün, produktiv, klimaneutral und global verantwortlich. Dazu möchten wir den Diskurs eröffnen, attraktive Leitbilder generieren und Reallabore starten.

Prof. Dipl.-Ing. Christian Moczala ist Architekt und Stadtplaner. Er lehrt seit 2012 Städtebau und Entwerfen an der Fachhochschule Dortmund und im hochschulübergreifenden Masterstudiengang „Städtebau NRW“ der Uni Siegen, HS Bochum, TH Köln, TH Ostwestfalen-Lippe und FH Dortmund. Zusammen mit Juliane Kopperschmidt führt er das Büro B.A.S. Kopperschmidt + Moczala GmbH in Dortmund. Postwachstumsentwicklung, Hinwendung zur Landschaft, innovative soziale Prozesse und deren Rückwirkung auf den Raum bilden seine zentralen Interessen in Lehre, Forschung und Praxis.

Prof. em. Dr.-Ing. E.h. Thomas Sieverts (*1934) studierte Architektur und Städtebau in Stuttgart, Liverpool und Berlin. Nach dem Diplom 1962 und Mitarbeit an der TU Berlin rief er die Freie Planungsgruppe Berlin (FPB) ins Leben. Ab 1967 Lehre der Architektur und Städtebau an der Hochschule für Bildende Künste Berlin, der Harvard University und der TH Darmstadt. 1978 Gründung des eigenen Planungsbüros, das im Jahr 2000 erweitert und in S.K.A.T. Architekten + Stadtplaner umbenannt wurde. 1995 Arbeit als Forschungsgelehrter am Wissenschaftskolleg Berlin, wo Sieverts den Begriff „Zwischenstadt“ prägte. 2003 Auszeichnung durch den BDA, darüber hinaus Träger des Deutschen Städtebaupreises und des Fritz-Schumacher-Preises sowie Mitglied der Sektion Baukunst der Akademie der Künste Berlin. Thomas Sieverts lebt und arbeitet in Bonn und München.

Fußnoten:

1 Winfried Wang: Nachhaltigkeit trotz Kulturideale – oder: Der entscheidende Kampf um das Einfamilienhaus, in: Journal der Künste 17, hrsgg. v. Akademie der Künste, Januar 2022, S. 7 – 11.

2 Daniel Fuhrhop: Verbietet das Bauen!, München 2020, S. 104 ff.

3 WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: Der Umzug der Menschheit: Die transformatorische Kraft der Städte, Berlin 2016, S. 421 ff.

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert