Die postindustrielle Zwischenstadt der Datenspeichergebäude

The Dark Side of the Cloud

Von Katharina Neubauer

Die dunklen und unverständlichen Seiten der Cloud sind vielfältig. Eine davon steht im Zusammenhang mit Überwachungen durch Geheimdienste, Enthüllungen von Datenmissbräuchen oder dem systematischen Sammeln von Daten globaler Unternehmen. Eine andere dunkle Seite der Cloud zeigt sich deutlich darin, dass wir über die räumlichen Auswirkungen und den damit verbundenen Flächenverbrauch unserer Daten kaum etwas wissen. Aber die dunkelste Seite der Cloud sind die klimatischen Auswirkungen durch den kontinuierlich ansteigenden CO2-Fußabdruck von Rechen- und Speicheraktivitäten.

Daten und der Austausch von Informationen verlieren prinzipiell ihren räumlichen Bezug, der Speicherort als architektonischer Raum bleibt scheinbar irrelevant. Digitale Daten unterliegen einem ständigen Prozess, sie werden verschoben, kopiert, analysiert, neuproduziert; es handelt sich um eine fluide Masse. Der gebaute Raum für die digitalen Daten ist uns gegenüber entmaterialisiert – verdeutlicht durch das Bild der Cloud als etwas nicht Greifbares, nicht Materielles, sich Verflüchtigendes. Die Cloud beschreibt eine ortsunabhängige Dienstleistung, wo Daten nicht mehr physisch auf unseren privaten Geräten gespeichert werden, sondern ausgelagert sind. Für den Prozess der Auslagerung bietet die Cloud einen allgegenwärtigen, unbegrenzten und zunächst kostenlosen Raum zum Speichern. In unserem räumlichen Vorstellungsvermögen gibt es keine konkreten geografischen oder architektonischen Orte, die mit den notwendigen raumgreifenden technischen Strukturen in Verbindung gebracht werden. Doch die ständig wachsende Datenmasse in der Cloud hat bauliche Folgen, immer mehr und größere technisch hochausgerüstete Datenspeichergebäude müssen gebaut und die bereits bestehenden erweitert werden. Die dunkle Seite der Cloud zeigt sich darin, dass die physische Infrastruktur der Datenspeicherung für uns – die Nutzenden – so unzugänglich und ungreifbar ist wie eine Wolke selbst.

Wahrnehmung des Nicht-Wahrnehmbaren

Die Cloud hat als gebaute Struktur eine schwer wahrnehmbare Form, was auch an der Form und Gestalt der Gebäude selbst liegt. Häufig werden die Bauten in ihrer räumlichen Dimension als abwesend empfunden, denn kaum jemand kennt oder entdeckt zufällig ein Datenspeichergebäude. Obwohl es sich häufig um gigantische Gebäude handelt, bleibt der Maßstab vor Ort ungreifbar. Die Gebäude scheinen auf ihre Funktion beschränkt zu sein und nach Präsenzlosigkeit – entgegen einer sichtbaren Anwesenheit – zu streben. Datenspeichergebäude treten physisch nur in einem minimalen Maße in Erscheinung und entziehen sich in ihrer flächigen Ausdehnung einer wahrnehmbaren Form. Strengste Anforderungen der Dauerhaftigkeit, Sicherheit und Effizienz bedingen die Gestalt. In der Regel gibt es dabei keinen ästhetischen Gestaltungsanspruch, sondern vor allem ein Streben nach Unauffälligkeit. Dies erinnert daran, wie Thomas Sieverts einen Gedankengang von Wolfgang Welsch zur „Wahrnehmung des Nicht-Wahrnehmbaren“ auf die Zwischenstadt überträgt und zu dem Schluss kommt, dass in der Zwischenstadt „das Anästhetische, das normalerweise nicht bewusst Wahrgenommene, ein übermäßiges Gewicht hat“(1). In diesen Gedankengang reiht sich die Auffassung der vorherrschenden Präsenzlosigkeit von Datenspeichergebäuden lückenlos ein.

Datenspeichergebäude als Antithese zur Cloud

Google Eemshaven, Niederlande, Foto: Katharina J. Neubauer

Die Wolken umgeben uns, aber sie bewegen sich nicht. Die Wolken sind massiv und dunkelgrau. Sie sind aus Beton und ihr Ressourcenverbrauch ist extrem hoch. Die Verwendung des Begriffs „Cloud“ beeinflusst sowohl unsere Wahrnehmung als auch unsere räumliche Vorstellungskraft der digitalen Datenspeicherung. Allein durch die Verwendung des Begriffs scheint sich unser digitales Handeln von der materiellen Welt loszulösen. Wolken sind abstrakt, ephemer sowie unspezifisch in ihrem Auftreten und werden häufig mit etwas nicht real Vorhandenem oder Fassbaren gleichgesetzt. „Aber die ‚Wolke‘ verbirgt, dass die Fundamente keineswegs aus immateriellen Bits und Bytes, sondern weiterhin mit Ziegel und Beton an bestimmten Orten im geografischen Raum errichtet werden. Und während die Wolke leicht und frei am Himmel zu treiben scheint, vermehren sich die Datenzentren oder Serverfarmen, die die Dimensionen alter Industrieanlagen längst erreicht haben und zur Basisinfrastruktur der Wirtschaft, aber auch des Staats geworden sind.“(2) Während Florian Rötzer die Verschleierung der physischen Auswirkungen durch den Begriff der Cloud bemerkt und dessen Hochsicherheitsanlagen als „Antithese der Cloud“ bezeichnet, spricht Alexander Taylor der Cloud sogar ein ihr innewohnendes Gefühl zu, das einen Lebensstil zur Folge hat, der von nahtloser Kontinuität und ständiger Konnektivität bestimmt ist. Durch den Begriff der Cloud als metaphorische Konzeption sowie als marketinggetriebene Bezeichnung ließe sich der Schluss ziehen, dass ein öffentliches Bewusstsein für deren räumliche Auswirkungen absichtlich irreführend ist: „Perhaps the greatest trick tech companies ever pulled was convincing the world that their data doesn’t exist, in physical form, at least.“(3) Eine andere Sichtweise ist, dass es nicht das Konzept ist, das uns – die Nutzenden – irreführen soll. Vielmehr entspreche die Cloud unserem Wunsch nach persönlicher Effizienz und Minimierung der eigenen Umweltbelastungen durch Materielles. Die Cloud hat die Idee ihrer technologischen Plattform längst überschritten und ist zu einer Metapher geworden, die die gegenwärtige Welt organisiert.(4)

Maschinengeprägte Landschaft

Google Eemshaven, Niederlande, Foto: Katharina J. Neubauer

Zur dunklen Seite der Cloud gehört auch die Diskussion über die Entwicklung einer vollautomatisierten Industrie im ländlichen Raum, der sogenannten Machine Landscapes.(5) In diesem Zusammenhang spricht Rem Koolhaas über die Relevanz von post-human architecture und thematisiert damit die programmatische und räumliche Trennung von Bereichen, die für die Menschen, und Bereichen, die für die Maschinen vorgesehen sind.(6) Nach Rem Koolhaas besteht ein immer größer werdender Gegensatz zwischen Stadt und Landschaft: Die Stadt hat eine hohe Dichte und ist von Menschen besetzt; das Land oder auch die Peripherie hat eine niedrige Dichte und ist von vollautomatisierten Maschinen besetzt.(7) Es gibt Orte, an denen die Menschen leben, und Orte, an denen die Maschinen „leben“. Das traditionelle Modell – Natur auf dem Land und Maschinen in der Stadt – kehrt sich um.(8) Die programmatische Hierarchisierung führt zu komplementären Räumen: Auf der einen Seite die logische und vollautomatisierte Landschaft, auf der anderen Seite die repräsentative und lebhafte Stadt. Die Landschaften sind mehr und mehr auf Maschinen und nicht auf Menschen ausgerichtet. Auch die Bewegung in diesen Gebieten erfolgt hauptsächlich mit dem Auto. Auf der Suche nach einem Zugang zu diesen neu entstehenden Räumen deutet Benjamin H. Bratton sie als Teil des Post-Anthropozän. Darunter fallen auch Datenspeichergebäude als neue Typologie, die nicht mehr Menschen, sondern Maschinen im Zentrum des Entwurfs haben. Die Gebiete, die für Datenspeichergebäude, Distributionszen­tren und eine automatisierte Landwirtschaft vorgesehen sind, klassifiziert er als Human Exclusion Zones.(9) Menschen sind aus diesen Bereichen nahezu ausgeschlossen, weil ein Großteil der dort vorhandenen Gebäude automatisiert funktioniert und nur eine sehr geringere Personenzahl zur Funktion benötigt wird. Diese Zonen werden ausschließlich von autorisierten oder involvierten Personen betreten, die dort ein spezielles Anliegen oder ihr Tätigkeitsfeld haben. Nach Benjamin H. Bratton, wie in ähnlicher Weise von Koolhaas aufgeführt, kommt es hier zur Differenzierung zwischen dem urbanen Kern als Frontstage Zone für Menschen zum Leben und zur Unterhaltung sowie der ländlichen Peripherie als Backstage Zone für die Energie, die Logistik und die automatisierte Landwirtschaft.(10) Es entsteht in einem kaum fassbaren Ausmaß Architektur im Hinterland, ohne notwendige Präsenz von Menschen. Dabei wird offenbar leicht vergessen, dass auch automatisierte Bereiche nur mit menschlicher Arbeitskraft geführt werden können. Datenspeichergebäude sind Teil der technischen Infrastruktur, die die Landschaft immer mehr durchdringt und überlagert. Dieser Wandel spiegelt die räumliche Dimension der globalisierten und mobilen Gesellschaft wider.

Datenspeichergebäude in der Zwischenstadt

Google Eemshaven, Niederlande, Foto: Katharina J. Neubauer

Thomas Sieverts charakterisierte unter anderem das Rhein-Main-Gebiet als Zwischenstadt.(11) Heute – 25 Jahre später – ist es genau diese Metropolregion, die bekannt ist für ihre besonders hohe Dichte an Datenspeichergebäuden. Gemessen an der Menge des Datendurchflusses ist Frankfurt am Main der bedeutendste Standort innerhalb Deutschlands. Hier werden die weltweit wichtigsten Glasfaserkabel von DE-CIX, dem deutschen Internetknoten, miteinander verbunden. Ein weiterer Grund ist die räumliche Nähe zum Finanzmarkt und das Bestreben, die benötigten Infrastrukturen für den Handel zur Verfügung zu stellen. Schließlich sind hier verschiedene internationale Banken, die Deutsche Börse, die Europäische Zentralbank, die Messe und der größte Flughafen als wichtigstes nationales Drehkreuz in Deutschland angesiedelt. Die Zwischenstadt bietet auch deshalb besondere Vorteile für die Ansiedlung von Datenspeichergebäuden, da die Funktion gar nicht oder nur bedingt auf den urbanen Raum angewiesen ist. Für manche Betreiber ist eine Anbindung an das Stadtzentrum und zu guten Fachkräften sowie räumliche Erweiterungsmöglichkeiten und günstige Grundstückspreise viel wichtiger. Grundsätzlich ist die Wahl des Standorts durch eine Vielfalt von Faktoren bedingt, etwa kontinuierliche Internetanbindung, größtmögliche Risikominimierung hinsichtlich Naturkatastrophen und terroristischen Angriffen, sichere Energieversorgung und infrastrukturelle Vorteile. Viele dieser Entscheidungen auf geografischer Ebene führen dazu, dass die Gebäude sich meist außerhalb der Städte in Randzonen, im logistischen Hinterland oder in der Peripherie befinden. Für internationale Tech-Unternehmen wie Google und Facebook spielen der vorteilhafte klimatische und geopolitische Kontext sowie wirtschaftliche Aspekte eine große Rolle, deshalb lassen sich diese Datenspeichergebäude häufig im nördlichen Europa finden, in deutlich isolierten Gebieten, abseits der Städte, tief in ausschließlich industriell und landwirtschaftlich genutzten Landschaften. Die Lage von Datenspeichergebäuden ist einer breiten Öffentlichkeit oft nicht bekannt, wird aber auch nicht verheimlicht. Die Nicht-Lokalisierung der Gebäude bedingt sich durch die programmatische Ebene: Wir benötigen keinen physischen Bezug zu diesen Gebäuden.

Symbiotische Stadt

Die dunklen Seiten der Cloud zeigen sich in der Unverständlichkeit und Undurchdringlichkeit der Vorgänge der Datenspeicherung und den räumlichen Auswirkungen. Hinzu kommen die großen Energieaufwendungen, die für den Bau und den Betrieb von Datenspeichergebäuden nötig sind. Gleichzeitig ist der globale Trend der immer weiterwachsenden Datenmenge für den Moment unumkehrbar, somit gilt es einen nachhaltigen und bewussten Umgang damit zu finden. Kann die Cloud in all ihren dunklen Facetten positive Begleiterscheinungen mit sich bringen? Kann der Leerraum zwischen dem Image der ortlosen Cloud und der Verkörperung der Cloud in massiven Datenspeichergebäuden gefüllt werden?

Google Eemshaven, Niederlande, Luftbild: Google LLC, Image Landsat / Copernicus (Google Earth), 2022

Ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Gebäude kann unter anderem durch hybride Nutzungen hergestellt wer­den, beispielsweise in Verbindung mit Schwimmbädern oder Gewächshäusern oder durch Nachnutzung bestehender Gebäude. Ein aktuelles Beispiel ist die Umnutzung des von Egon Eiermann entworfenen Hauptgebäudes für den Versandhändler Neckermann in Frankfurt am Main. Hier wird der denkmalgeschützte Bau von der Waren- zur Daten-Logistik transformiert. Es soll sogar ein kleines, privates Internet-Museum mit Café integriert werden.(12) Einen wesentlichen Aspekt im zukünftigen und nachhaltigen Umgang mit Datenspeichergebäuden wird die Nutzung der erzeugten Abwärme einnehmen, wobei Datenspeichergebäude selbst als Energiequelle fungieren können. Eine räumliche Verbundenheit ist notwendig für die Abgabe der Abwärme an umgebende Wohngebiete oder Industriegebiete. Generell geht es bei der Positionierung und Gestalt der Gebäude aber auch um die zukünftige Beziehung der Stadt zum ländlichen Raum, gerade im Hinblick auf die Vermeidung von automatisierten Gebieten, wo Menschen nahezu ausgeschlossen sind. Innerhalb der Frage nach einer nachhaltigen Entwicklung sollten auch neue Planungs- und Gestaltungsansätze in Richtung einer symbiotischen Stadt diskutiert werden.(13) Nur durch Architektur kann die Cloud – und der gebaute Raum für die Speicherung der Daten – ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken. Es besteht ein wesentlich größeres Potenzial, das weit über die monofunktionale Betriebsfähigkeit der Datenspeichergebäude hinausgeht und zu den Ansprüchen einer produktiven, gemischten und selbstbestimmten Zwischenstadt passt.

Dr. Katharina Jeannie Neubauer studierte Architektur an der RWTH Aachen und der TU Berlin. Nach dem Master 2014 arbeitete sie als Architektin im Büro Max Dudler, ab 2018 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet für Entwerfen und Baukons­truktion der TU Berlin. 2020 schloss sie dort ihre Doktorarbeit zum Thema Datenspeichergebäude im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Bedeutung und räumlicher Präsenzlosigkeit ab. Seit Anfang 2022 arbeitet sie als Architektin im Büro Schneider & Schneider in Aarau, ab September 2022 ist sie Gastdozentin für Entwurf und Konstruktion an der Hochschule Luzern.

Fußnoten

1 Thomas Sieverts: Zwischenstadt. Zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land, Basel 2008 (1997), S. 110.

2 Florian Rötzer: Wo wohnt das Internet?, in: Baumeister, Jg. 111, Heft 8, 2014, S. 74 – 85.

3 Alexander Taylor: The Infrastructural Excess of the Data Centre Industry, in: Failed Architecture, 2018, www.failedarchitecture.com/failover-­architectures-the-infrastructural-excess-of-the-data-centre-industry/, Seitenaufruf: 22.03.2019.

4 Tung-Hui Hu: A prehistory of the cloud, Cambridge 2015, S. XIII, XVII.

5 Titel der 2019 erschienenen Ausgabe von Architectural Design: „Machine Landscapes. Architectures of the Post-Anthropocene“.

6 Vgl. Rem Koolhaas, 2017, www.strelkamag.com/en/article/koolhaas-and-bratton, Seitenaufruf: 17.09.2018.

7 Die Betrachtung von Rem Koolhaas bezieht sich auf einen amerikanischen Kontext. Die Ausdehnung der amerikanischen Landfläche ist auch im Zusammenhang zur Bevölkerungsdichte wesentlich größer als in Europa. Trotzdem lassen sich seine Überlegungen als globale Veränderung verstehen, die sich auch auf einen europäischen Kontext übertragen lassen.

8 Vgl. Koolhaas, Rem (wie Anm. 6) und: Ich würde gern Gebäude für Maschinen bauen, in: brand eins, Jg. 21, Heft 5, 2019, S. 32 – 39.

9 Vgl. Benjamin H. Bratton: Further Trace Effects of the Post-Anthrophocene, in: Architectural Design, Jg. 257, 2019, S. 15 – 19.

10 Ebd., S. 18.

11 Sieverts (wie Anm. 1), S. 18.

12 Vgl. Dennis Pfeiffer-Goldmann: Digitalpark in Frankfurt. Das sind die Pläne für die alte Neckermann-Zentrale, in: Frankfurter Neue Presse, 29.08.2021, www.fnp.de/frankfurt/frankfurts-­alte-neckermann-zentrale-hat-eine-digitale-zukunft-90946723.html, Seitenaufruf: 13.08.2022.

13 Thomas Sieverts: Die verstädterte Landschaft – die verlandschaftete Stadt. Zu einem neuen Verhältnis von Stadt und Natur, in: Wolkenkuckucksheim, Jg. 4, Heft 2, 2000, www.cloud-cuckoo.net/openarchive/wolke/deu/Themen/992/Sieverts/sieverts.html, Seitenaufruf: 10.08.2022.

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