Gespräche mit Susanne Wartzeck

Im Luftbad

Wenngleich die documenta in Kassel immer wieder für Skandale sorgte, hat die 15. Ausgabe – auch abseits von den Antisemitismusvorwürfen – in besonderem Maße mit den Erwartungen gebrochen. Zum einen ist es keine Einzelperson, sondern ein Kollektiv, das das Kuratorium für die Ausstellung bildet. Zum anderen hat sich dieses weitgehend gegen klassische Kunst im westlichen Sinne entschieden sowie gegen die großen erwartbaren Künstlernamen. Viele der geladenen Künstlergruppen sind mit einer politischen Agenda unterwegs und lösen sich von einem interpretationsoffenen, zweckbefreiten Kunstverständnis. Für dieses Gespräch trafen sich BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck und Die Architekt-Redakteurin Elina Potratz am Luftbad, einem der Pausenorte der documenta, der für die stadtgesellschaftlichen Qualitäten des Flusses Fulda sensibilisieren soll.

Elina Potratz: Inwieweit sehen Sie auch in der Architektur die Tendenz, sich vom Anspruch einer künstlerischen Autonomie zu befreien und sich angesichts vieler Krisen hauptsächlich anderen Aspekten, etwa sozialen oder ökologischen, zuzuwenden?

BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck, Foto: Klaus Hartmann

Susanne Wartzeck: Ich denke, dass auch mit Blick auf die Architektur neue Sehgewohnheiten und Ideen entwickelt werden müssen, um mit dem Bestand und mit gebrauchten Materialien umzugehen. Wir werden davon wegkommen, zu sagen: So hätte ich es gerne. Das Idealbild der Kunst oder des künstlerischen Ausdrucks in der Architektur stellt man mehr und mehr infrage. Und wenn sich das so weiterentwickelt und wir ernsthaft soziale und nachhaltige Aspekte in den Vordergrund stellen, wird sich der Ausdruck verändern. Auch gibt es ein zunehmendes Bewusstsein für kollektives Arbeiten, nicht nur im eigenen Büro, sondern auch mit anderen Fachleuten, die alle notwendig sind, um ein gutes Ergebnis zu erzielen.

Für einige ist damit vielleicht die Sorge verbunden, dass zugunsten eines guten Prozesses, etwa die Arbeit im Kollektiv, wichtige Aspekte zurücktreten – vor allem mit Blick auf das gebaute Ergebnis und dessen ästhetische Qualität…
Grundsätzlich würde ich sagen, dass ein guter Prozess meist auch ein gutes Werk hervorbringt. Wenn alle an einem Strang ziehen, etwas wollen und sich ernsthaft bemühen, ist das für Projekte nie nachteilig, sondern eigentlich immer positiv. Aber es ist in der Tat so, dass irgendwann ein Punkt kommt, an dem alles auf dem Tisch liegt und schließlich eine Gestaltung stattfinden muss. Ein Punkt also, an dem Personen gemäß ihres Metiers und ihrer Leidenschaft gestalterische Entscheidungen treffen müssen, und zwar weiterhin „einsam“ – das heißt für sich oder im Team. Es muss ein eindeutiger Ausdruck zustande kommen, der genau passt für das, was die Umstände einem Projekt abverlangen. Der künstlerische Ausdruck ist hierbei weiterhin notwendig, um Orientierung und Identifikation zu bieten oder auch, so wie hier, Orte, an denen wir uns gerne in die Sonne setzen, um uns zu unterhalten.

Wenn Kunst nicht mehr die Flucht vom Ballast des Rationalen, des Zweckgebundenen bedeutet – ist das auch ein Verlust?
Auch das gehört zur Freiheit, die Kunst erst einmal hat. Ich möchte keinen Gegensatz aufmachen und diese beiden Kunstauffassungen auch nicht gegeneinander aufwiegen. Ich finde die documenta deswegen interessant, weil sie einen ganz anderen Blick von uns verlangt. Aber deshalb ist natürlich die europäische oder das, was wir als typisch westliche Kunst begreifen, nicht abgeschafft oder in ihrer Bedeutung bedroht.

Markus Hanisch und Annika Seitz (punkt 4 architekten bda dwb) / Alexander Reichel, Nicola Seelbach und Sarah Metwally-Sadowsky (Reichel Architekten BDA DWB) / Michael Volpert (LK Argus Kassel), Luftbad, Kassel 2022, Foto: Reichel Architekten

Kommen wir zu den „Reflecting Points“ – das sind kleine temporäre Architekturen, die im Rahmen der documenta an vielen Stellen im Stadtraum zum Pausieren einladen und deren Planung vom BDA Kassel begleitet wurde…
Die Reflecting Points bieten einerseits Orte, an denen man ein wenig innehalten kann und stellen gleichzeitig jedes für sich ein kleines Statement dar. Ob das gestapelte Kohlebriketts sind, die im krassen Gegensatz zu einer grünen Natur stehen, oder eine kleine Vollholz-Pyramide, die abschirmt von dem Gewusel, oder eine Hütte aus Weidengeflecht an der Fulda, in der man kurz unbemerkt in die Badehose schlüpfen kann und die auf ein ehemaliges Flussbad anspielt. All das sind eigenständige und stimmungsvolle Beiträge unserer Kasseler Kolleginnen und Kollegen, die über die documenta fifteen große Aufmerksamkeit erzeugen.

Neben den Reflecting Points spielt der Stadtraum Kassels auch insgesamt bei der documenta immer wieder eine Rolle – er fließt an vielen Stellen in die Kunst ein und wird dabei immer wieder kritisch diskutiert. Dennoch scheint Architektur insgesamt auf der documenta eher als Randnotiz auf. Zwar ist die documenta keine Architektur-Ausstellung, dennoch stellt sich die Frage, warum Architektur im Gegensatz zur Kunst so viel weniger gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhält. Müsste Architektur auch innerhalb des Kunstdiskurses größeren Raum einnehmen?
Für mich ist die Frage entscheidend: Was kann eine Kunstausstellung? Ich finde spannend bei dieser documenta, dass sie ganz anders ist als eine klassische, westlich geprägte Kunstausstellung. Es geht deutlich weniger darum, sich im bürgerlichen Sinne erbauen zu lassen. Damit bildet diese Art der Ausstellung vielleicht sogar eine Brücke zu unserem Metier, weil es viel mehr darauf ankommt, wie man mit Gesellschaft in Kontakt tritt, welche Position man sich in der Gesellschaft erarbeitet, wie man sich beteiligt an gesellschaftlichen Prozessen und wie man versucht, sie nach seinen Möglichkeiten zu verbessern. Auch wir bauen ja keine Gebäude um ihrer selbst willen, sondern sie sollen – abgesehen von ein paar Sonderformen – einen Nutzen haben und den Menschen dienen, für die sie gemacht sind.

Was nehmen Sie persönlich von der documenta fifteen mit?
Auf jeden Fall, dass es sich lohnt, in Kollektiven zu arbeiten, auch und gerade in schwierigen Situationen. Auch der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten ist ja getragen vom Glauben, dass man im Verbund weiter kommt als allein. Die documenta zeigt, dass daraus großartige Projekte entstehen können, die in den Ländern, in denen sie entstanden sind, große gesellschaftliche Relevanz haben.

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