Transmediale 2015

Digitale Auflösung

„We are all digital slaves.“ Jennifer Lyn Morone, die mit diesem Satz ihr Video beginnt, will mit ihrem Konzept der digitalen Überwachung ein Schnippchen schlagen und die Hoheit über ihre Daten und deren kommerzielle Verwertung zurückerobern: Da wir ohnehin beständig ausgespäht und unsere persönlichen Daten weiterverkauft werden, sagt sie, sei es nur folgerichtig, dass wir auch etwas vom finanziellen Gewinn haben wollen. Auf ihrer Website kann man sich nun Anregungen zur Umsetzung holen und eine App herunterladen, die alle digitalen Äußerungen und gespeicherten Informationen sammelt und thematisch ordnet – etwa zu den Clustern Gesundheit, zur kriminellen Vergangenheit, zum Kaufverhalten, zur finanziellen Situation – je sensibler die Daten, desto höher ist der Paketpreis, für den man sie anschließend an interessierte Unternehmen verkaufen kann. Jennifer Lyn Morone wird zum menschlich-unternehmerischen Hybriden. Mehr oder weniger freiwillig.

Themen wie diese klingen in der gesamten Transmediale-Ausstellung an, die am Mittwoch im Haus der Kulturen der Welt eröffnet wurde. Im Ausstellungsparcours, der von Raumlabor aus Berlin mittels semitransparent verhüllter Bauzäune auf der Grundform von aufgebrochenen Hexametern installiert wurde, finden sich unzählige Querverweise. Immer wieder sind es die Themen Überwachung, Ausspähung, Zerstreuung, Ablenkung, das Selbst und der Apparat, das Leben mit Tools und Gadgets, Algorithmen und Datenbanken. Und der Frage, wie weit das System noch gestört werden kann. Die Trennung zwischen analog und digital funktioniert ohnehin schon lang nicht mehr. Aber was macht das mit den Menschen, mit Kaufverhalten, Kommunikation, Arbeitsorganisation? Wie beeinflusst es das Denken, wenn wir es Suchalgorithmen und Bilderkennungs-Apps überlassen, und was wissen Computer über menschliche Gefühle und Intimität, fragt unter anderem Erica Scourti in der Arbeit „Body Scan“?

In einem anderen Ausstellungsteil dreht sich alles um das Thema Arbeit. Allie Harrison hatte die diffuse Gefühl, immer „auf Arbeit“ zu sein und wollte dieser Empfindung, die wahrscheinlich viele Freelancer kennen, auf den Grund gehen. Über Jahre hinweg dokumentierte sie all ihre Aktivitäten, codierte sie („Haushalt“, „Jobsuche“, „Künstlerische Arbeit“ usw.) und bannte sie auf einem Zeitstrahl. Herausgekommen ist eine farbig changierende Leiste, die im Grunde zeigt, dass eine säuberliche Trennung zwischen „Arbeit“ und „Freizeit“ schlicht nicht möglich ist. Da war es in den 1980er Jahren noch einfacher: Die Stechuhr dokumentierte punktgenau, wann die Arbeiter zur Schicht antraten. Der Künstler Tehching Hsieh griff diese Form der Kontrolle auf und bediente 1980/81 über ein Jahr an jeder Stunde des Tages eine Stempeluhr und machte ein Foto von sich. Der entstandene Film komprimiert jeden Tag in eine Sekunde und somit das Jahr in ungefähr sechs Minuten. Die vergehende Zeit erkennt man lediglich an den wachsenden Haaren von Tehching Hsieh. Man sieht, wie Menschen in das Korsett eines streng diktierten Arbeitsablaufs gepresst werden –  und man sieht den Künstler, der sich einer scheinbar sinnlosen Aufgabe bis zur Selbstausbeutung stellt. Heute sind es andere Mechanismen, die das Leben strukturieren. Sie bieten vordergründig mehr Flexibilität – jedoch nicht mehr Freiheit.

Mercenary Cubiclists von Tobias Revell, Foto: Tobias Revell

Es ist eine utopische Welt, die gezeigt wird, die schnell ins Dystopische kippt. Wenn man mittels Algorithmen Aussagen treffen kann über individuelles Verhalten, gar Identität, und Voraussagungen über zukünftiges Kaufverhalten, wie weit ist es dann noch, bis man tatsächlich die Zukunft vorhersehen kann, fragt die Gruppe Art is Open Source. Die meisten künstlerischen Arbeiten und Konzepte übersteigern nur bereits vorhandene Realitäten. Alles scheint nah und möglich, nicht unglaublich, sondern absolut vorstellbar. Wie zum Beispiel die smart city Galtham in einer Installation von Tobias Revell. In ihr sind alle Bewohner überwacht und connected, ihre einzige Aufgabe besteht darin, die reale Welt in Computersprache zu übersetzen. Dafür erhalten sie Punkte, die sie dann gegen Wasser und Nahrung tauschen können.

Aber Maschinen sind störungsanfällig und imperfekt, wie sich in einem Moment auf der Ausstellung zeigt: Ein Videospiel, das vom eingeblendeten Spieler live kommentiert wird, zeigt eine Welt á la Simcity, bloß, dass Hackerteams die Helden sind, die Gegner sind Nachrichtendienste und die Ressourcen Viren. Doch plötzlich verschwindet das Bild vom Screen, der Stream ist unterbrochen und ein Schriftzug wird eingeblendet: „Sorry, not available“. Das wäre doch eine schöner Elitsatz für eine – wenigstens temporäre – digitale Abstinenz.

Juliane Richter

Transmediale. Festival für Medienkunst und digitale Kultur
Öffnungszeiten Info Counter
Donnerstag 29. Januar – Sonntag 01. Februar: 10.00 – 21.00 Uhr
Öffnungszeiten HKW
Do 29. – Sa 31. Januar 10.00 – 24.00 Uhr
So 1. Februar 10.00 – 23.00 Uhr
Ticketpreise

Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
D-10557 Berlin

Abbildungen: Tehching Hsieh, Camille Blake, LaTurbo Avedon, Ilona Gaynor, Tobias Revell

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