editorial

wippe und kreuz

Mit der nationalstaatlichen Symbolik hat sich die Bundesrepublik immer schwer getan. Unvergessen, wie man in den frühen 1990er Jahren dem Bundesadler aus dem Bonner Plenarsaal ausgerechnet in der Herzgegend eine ordentliche Materialprobe entnommen hatte, um zu sehen, ob das Tier den Umzug nach Berlin überleben würde. Das Foto, das damals vom herzlosen Adler entstand, der wegen seiner Leibesfülle „Fette Henne“ genannt wurde, bleibt unvergesslich. Und den Umzug hat der Vogel, den Ludwig Gies 1953 entworfen hatte, auch nicht mitgemacht. Sein heutiges Pendant im Reichstag ist jetzt Version No.5 und trägt sein Gefieder etwas ordentlicher als der absichtlich zerzauste Gies-Vogel. Hatte man sich im Bundestag jedenfalls zeitweise bemüht, dem Adler durch gezielte Asymmetrie alles Martialische auszutreiben, was seiner Darstellung seit mehr als 2000 Jahren anhaftet, so blieb das Amt des Bundespräsidenten von solchen Zweifeln frei. Auch Frank-Walter Steinmeiers gepanzerter Dienst-Benz S-Klasse fährt noch mit fast derselben Adler-Standarte („schwebend, nach der Stange gewendet“) wie weiland der Herr Reichspräsident Hindenburg – jedenfalls bis 1934. Danach gab es bis 1945 nur noch die Personalunion mit Hakenkreuz.

Aber inzwischen brechen neue Zeiten an. Nach Jahren leicht inflationärer Gedenkkultur, angesichts deren Fülle man sich die gleiche Anzahl an gesetzlichen Feiertagen wünschte, um nie wieder arbeiten zu müssen, geht es jetzt zu neuen Ufern. Seit vielen Jahren – na gut, seit 2007 – und zwei Wettbewerben 2009 und 2010 wird über ein Denkmal diskutiert, das an die deutsche Einheit, an die Freiheit und an die Bürgerinnen und Bürger erinnern soll, die den Mauerfall 1989 möglich gemacht haben. Während 2009 ein Jurymitglied das Gros der Einsendungen noch als „kompletten Schrott“ bezeichnet hatte, muss irgendwann nach dem zweiten Wettbewerb jemand entschieden haben, dass der Entwurf der Choreographin Sasha Waltz und der Event-Agentur Milla und Partner gewinnen soll. Dessen Vertreter Sebastian Letz entwarf unter dem Titel „Bürger in Bewegung“ das Denkmal als begehbare Schale mit einer Länge von 50 Metern, 700 Quadratmetern begehbarer Fläche und 150 Tonnen Gesamtgewicht. Auf der Oberseite der Schale sollen sich die Losungen der Montagsdemonstrationen zur Zeit des Mauerfalls finden: „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.“ Damit nicht genug: Auf der vergoldeten Unterseite sollen Bilder aus der Wendezeit angebracht werden. Ins Laufen kommt die Chose, wenn sich auf einer Schalenhälfte mindestens zwanzig Personen mehr zusammenfinden als auf der anderen. Dann neigt sich nämlich die Schale nach der schwereren Seite. Bis zu 1400 Menschen können bei diesem ansonsten alternativlosen Ja / Nein-Abstimmungsversuch mitwirken.

Foto: Andreas Denk

Foto: Andreas Denk

Seit der Entscheidung haben Baukosten, denkmalpflegerische Streitfragen und wieder einmal die gelobten Fledermäuse einen Baubeginn verhindert. Inzwischen hat sich Sasha Waltz vom Projekt verabschiedet. Doch der Bund bleibt sich treu und baut. Sieht man von der künstlerischen Belanglosigkeit der „Einheitswippe“ einmal ab, bleibt die Frage nach dem Sinn: Hier entsteht offenbar ein falsches Symbol. Gibt es wirklich kein besseres Bild für die Demokratie als ein entertainiges öffentliches Spielmöbel, das das Maß und die Dimension politischer Entscheidung auf rechts oder links reduziert? Den ersten Spatenstich für dieses intellektuelle und künstlerische Desaster unternahm Monika Grütters am 27. Mai 2020. 2021 darf angeblich erstmals gewippt werden.

Noch schlimmer sieht es beim Kultbau Berlins schlechthin aus: Der Kuppel des sogenannten Humboldt-Forums (vulgo: Berliner Schloss) hat man am 28. Mai 2020 ein zwölf Meter hohes und 16 Tonnen schweres vergoldetes Kreuz aufgesetzt. Und damit nicht genug: Schon seit einiger Zeit ziert auch ein Spruchband den Kuppelrand, auf dem zu lesen ist, dass nur „im Namen Jesu …Heil“ sei und „dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“. Den Spruch hat seinerzeit Kaiser Friedrich Wilhelm IV höchstselbst aus zwei Bibelstellen zusammengebastelt – jetzt ziert er wieder den staatlich finanzierten Aushängebau. Für die katholische Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist auch das kein Problem: Sie sieht das Kreuz als Zeichen für „Nächstenliebe, Freiheit, Weltoffenheit und Toleranz.“ Das könnte so sein, war – und ist – aber oft nicht so. Und: Irgendwo und irgendwann gab es in dieser Demokratie die schlaue Idee einer Trennung von Staat und Kirche. Seit der Weimarer Republik definierte man das als „weltanschauliche Neutralität“ des Staates. Das hat weiland schon der Söder Markus bei seinem Kreuzerlass in Bayern vergessen. Da die Bauherrin Stiftung Humboldtforum durch einen Stiftungsrat vertreten wird, dem zu mehr als 50 Prozent Vertreter der Bundesrepublik angehören, darf man hier wohl von einem staatlichen Bauvorhaben sprechen. Ob es sich die Bundesrepublik leisten kann, unter dem Zeichen des Kreuzes und „im Namen Christi“ Kultur zu betreiben, dürfte sogar verfassungsrechtlich zu diskutieren sein. Vielleicht ist das neue Kreuz ein Zeichen gelingender Denkmalpflege – ein Symbol für ein zukunftsgerichtetes, weltoffenes und kulturenverbindendes Haus ist es jedenfalls nicht.
Andreas Denk

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