BDA Hessen

Ein Generalist ohne Scheuklappen

Der BDA Hessen hat in einer Feierstunde am 24. November 2012 in Kassel Jochem Jourdan, BDA-Mitglied seit 1971, die Ehrenmitgliedschaft verliehen und damit sein lebenslanges Engagement für Bau- und Stadtbaukultur gewürdigt.

Geboren am 23. September 1937 in Gießen, studiert Jourdan 1957 – 65 Architektur an der TH Darmstadt. 1969 gründet er mit Bernhard Müller in Darmstadt das Büro „PAS – Projektgruppe Architektur und Städtebau“, das seinen Sitz 1980 nach Frankfurt am Main verlegt, wo es als Jourdan & Müller PAS bis heute besteht. 1971 – 72 ist Jochem Jourdan Lehrbeauftragter der staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Kassel, 1972 wird er Professor für Entwerfen und Denkmalpflege an der neu gegründeten Gesamthochschule Kassel (später Universität Kassel), 1978 – 2002 ist er Leiter des Fachgebiets Entwerfen, Bauerhalt und Denkmalpflege.

Schon die frühe Phase zeigt den stilsicheren und fundierten Umgang mit historischer Bausubstanz: 1970 – 72 wird das Hoechster Schloss modernisiert, von 1974 – 88 wird unter der Leitung des Büros die Altstadt von Grebenstein behutsam saniert. Die Baugeschichte ist für Jourdan bis heute die maßgebliche Referenz und wichtigste Leitlinie für das Bauen, das er ohne dogmatische Scheuklappen mit Blick für die Herausforderungen der Zukunft betreibt. Geschichte ist ihm Element und Wahrnehmungsebene des Aktuellen, nicht dessen Gegensatz. Beides wurde annähernd idealtypisch verbunden in der ehemaligen Landeszentralbank an der Taunusanlage in Frankfurt 1986. Sie ist eine an Vorbildern der Geschichte – Jourdan nennt explizit John Soane – entwickelte Neuerfindung. Hier wurde Stadtreparatur geleistet und gleichzeitig für die Menschen gut nutzbarer Stadtraum ebenso wie eine angenehme Arbeitswelt geschaffen.

Jochem Jourdan hat sich weder als Architekt auf eine bestimmte Bauaufgabe spezialisiert, noch ließ er sich auf starre Regeln ein – jedes Gebäude, jeder Umbau, jede Sanierung wird als Einzelfall behandelt. Die Bauten des Büros schließen exzellente Industriebauten wie das Heizkraftwerk Mitte in Berlin (1997), Bürobauten wie das Altana-Haus in Bad Homburg (2002), das Einkaufshaus City-Point in Kassel (2002), Wohnhäuser und Wohnanlagen, etwa das mehrfach ausgezeichnete Schlossquell-Areal und das Quartier am Turm in Heidelberg (1997–2010) ein. Der Wettbewerb für die documenta-Hallen (1992 fertiggestellt) wird gewonnen, weil das Büro die Auslobungsbedingungen anders interpretiert – eine für Architekten heute leider so gut wie ausgeschlossene Option. Viele der Bauten erhalten Auszeichnungen, einige mehrfach. Neben Neubauten finden sich im Œuvre des Büros großartige Arbeiten im Bestand. Dazu gehören der Umbau und die Sanierung des Industriedenkmals Adlerwerke in Frankfurt am Main (1997), das heute für Büroräume genutzt wird. Das Kunstmuseum Städel wird 1999 um einen gläsernen Neubau zwischen den beiden Seitenflügeln ergänzt. Altes und Neues bleibt deutlich voneinander unterscheidbar; beim Haus am Dom (2006) in Frankfurt verbinden sich hingegen Neubau und denkmalgeschützter Bestand zu einem neuen Ganzen.

Und damit nicht genug – auch städtebaulich hat Jochem Jourdan gewirkt. Den Stadtteil Kirchberg in Luxemburg verwandelt er mit dem Landschaftsarchitekten Peter Latz von 1990 bis 2008 vom autogerechten zu einem urbanen Quartier. Jourdan, jahrelang Mitglied im Städtebaubeirat der Stadt Frankfurt, entwickelte den Hochhausrahmenplan 2000 für Frankfurt, später ein Konzept für die IBA Rhein-Main, die die polyzentrische Struktur der Region, als Landschaftsstadt verstanden, stärken sollte, die die Region erlebbar und durch architektonische und städtebauliche Qualität befördert, sinnfällig miteinander verknüpfen sollte. Dazu kamen zwischenzeitlich Wohnbauprojekte in China wie Spring´s Vitality in Beijing sowie Wohnquartiere in Nanjing und Tianzin.

Jourdans Offenheit für Anregungen und die Arbeit anderer zeigt sich wohl am trefflichsten darin, dass die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstlern stets eine wichtige Rolle bei Entwurf und Planung spielt, dass er Künstler in die Arbeit in einem Stadium einbezieht, die andere Möglichkeiten öffnet als die einer nach Fertigstellung zu erfolgenden Applikation. Beispielhaft dafür sind die Projekte am Heizkraftwerk Mitte in Berlin von Dan Graham, Peer Kirkeby, Ayse Erkmen und Thomas Bayrle und am Heizkraftwerk Römerbrücke in Saarbrücken mit Fischli und Weiss, Thomas Schütte, Katharina Fritsch und Edward Allington. Bayrle, erst kürzlich mit dem Arnold-Bode-Preis auf der dOCUMENTA (13) ausgezeichnet, gestaltete auch die Fassade des City-Point-Kaufhauses in Kassel. Hier wurden auf transluzente Glas-paneele viele kleine Fotos der Stadt Kassel gedruckt, die von weitem den Einruck eines Pixelbilds erwecken.

Auch als Lehrer und Forscher hat Jourdan gewirkt. Er erstellte den Werkkatalog Ferdinand Kramers, dessen bedeutendste Frankfurter Universitäts-Bauten akut vom Abriss bedroht sind – Jourdan spricht sich dafür aus, die Anlage der Universität Bockenheim, Kramers Werk, unter Ensembleschutz zu stellen, plädiert für den Erhalt eines „der bedeutendsten Dokumente der Frankfurter Nachkriegsgeschichte“.

In der zu seiner Emeritierung verfassten Schrift der Universität Kassel wird aus einer Veröffentlichung von 1990 zitiert. Dort hatte Jourdan geschrieben: „Praxis, Forschung und Lehre sind für mich keine autonomen Begriffe, erst die Verknüpfung dieser Disziplinen hat in der Architektur bedeutende Ergebnisse hervorgebracht.“ Dieser Haltung ist er bis heute treu geblieben. Um die Zukunft ist ihm nicht bange. Sein offener Geist bewahrt ihn vor pessimistischen Einschätzungen. Dem Redakteur einer Frankfurter Tageszeitung, die ihn kürzlich zum 75. Geburtstag würdigte, ließ er wissen: „Es wird immer Architekten geben, die subversiv genug sind, um das Diktat des Geldes zu überwinden.“
Christian Holl

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