Buch der Woche

Entdekorierung

Eduard Führ seziert Cäsar Pinnau – und architekturtheoretische Begrifflichkeiten

Dieses Buch über den Hamburger Architekten Cäsar Pinnau (1906-1988), ist eine längst überfällige „Entdekorierung“ vom Architektennimbus und von glorifizierenden Werkverzeichnissen am konkreten Beispiel. Der Titel mag auf den ersten Blick etwas gestelzt klingen: „Identitätspolitik. ‚Architect Professor Cesar Pinnau‘ als Entwurf und Entwerfer“, triff aber zielgenau die Intention dieses Buches. Es ging in den drei Gesellschaftsordnungen, die Pinnaus Architektengeneration durchlebt hat, immer um neue Identitätsfindung sowie um Abgrenzung zur vorangegangenen Architektur und Architekturpolitik.

Anhand von Originalzeichnungen und Briefen aus den Archiven beleuchtet Führ die Selbstinszenierung eines Architekten und seiner Architektur. Dabei geht es auch um vorgebliche Hauptbeteiligung an ausgeführten Entwürfen namhafter Gebäude sowie um die mediale Präsenz mit diesen: Sie erscheinen in Porträts des Architekten im Hintergrund – oder werden auf der offiziellen Internetseite Pinnaus als Emblem benutzt. Der Autor hinterfragt und klärt auf, warum bei Architekten das Urheberrecht ein berufsimmanentes Problem ist.

Darüber hinaus gelingt es Führ in einer schrittweisen Analyse, diesen Präzedenzfall Pinnau in den Kontext der Architekturtheorie zu stellen und zeitbezogene architekturpolitische Begrifflichkeiten des 20. Jahrhunderts neu zu beleuchten und in Frage zu stellen.

So ist die Arbeit eine notwendige Erklärung zu den Jubelschriften auf den „unpolitischen Baukünstler“ Pinnau, publiziert von dessen Ehefrau Ruth Pinnau und einem seiner Bauherren – Joachim Fest – aus den 1970er Jahren sowie eine Ergänzung der aktuellen Ausstellung über Cäsar Pinnau, die bis Ende März 2017 in Hamburg gezeigt wird.

Das Buch reiht sich ein in die umfassenden Aufarbeitungen über Architekten in den gesellschaftspolitischen Wechseln im 20. Jahrhundert, wie sie in den letzten Jahren zum Beispiel zu Herbert Rimpl und Rudolf Wolters erschienen sind. Letzteren erkennt auch Führ als wichtigen architekturpolitischen Hintermann und Präzedenzfall an, indem er als Beispiel dessen Entlastungsversuch – publiziert bereits durch Anna Teut – zitiert und wiederum seziert. Wolters architekturpolitisches Manifest der NS-Architektur „Vom Beruf des Baumeisters“ (1944) – eine der wenigen aussagekräftigen Schriften dieser Zeit – ist nicht aufgeführt, dafür aber sind Primärquellen von Hans Stephan und Gerdy Troost in die Publikation eingeflossen.

In diesem Zusammenhang verändert Führ aktiv den Fokus der architekturhistorischen und -politischen Debatte: Während in der Bundesrepublik bis in die 1980er Jahre gerne das Bild vom dienstbeflissenen Architekten gesehen wurde, der die Propagandamaschinerie im Nationalsozialismus – die er mit voran trieb – eigentlich ablehnte, stellt Eduard Führ auch das Wirken der Architekten in den Kontext der Massenvernichtung von Menschen durch den NS-Staat.

Zielorientiert und mit Akribie widerlegt Führ auch an ausgewählten Beispielbauten Pinnaus deren bis dato in Fachkreisen gelobte Harmonie von Grundriss und Fassade. Man erkennt die innen vor den Fenstern abgewinkelten Wände oder Verschnittflächen im Oktogon des von Pinnau selbst entworfenen eigenen Wohnhauses. So erhält der Leser das Handwerkszeug, um auch die weiteren Werke des gepriesenen Dialogs von Innenraum und äußerem Erscheinungsbild kritisch betrachten zu können, wie die Großaufträge Pinnaus von Albert Speer oder Aristoteles Onassis. Führ kommentiert und ergänzt die zum Teil unwissenschaftlichen Darstellungen in den Publikationen von Ruth Pinnau und Joachim Fest vom „schönsten Segler der Welt“ und entlarvt die Legendenbildung um den angeblich von Pinnau entworfenen „Olympic Tower“ in New York. Das geschieht an einigen wenigen Stellen etwas medizinisch und zäh, etwa in einer wissenschaftlich-akribischen Porträtanalyse Pinnaus, oder wird sehr persönlich, wenn er die anonymen Webdesigner der Internetseite von Cäsar Pinnau aufruft, sich der Diskussion zu stellen, macht aber insgesamt klar, mit welcher Sorgfalt hier recherchiert wurde.

Unmissverständlich analysiert der Autor die klassizistische Fassade des alten Potsdamer Stadtschlosses im Vergleich zum Mittelrisalit der Gartenfront der Neuen Reichskanzlei von Albert Speer. In diesem Zusammenhang wirft er nicht nur die Frage auf, warum die Rossplastiken von Josef Thorak dem Arbeitszimmer Hitlers ihre Hinterteile zukehren, sondern weist die Schwächen der klassizistischen Anleihen zum propagierten Vorbild sukzessive nach.

Basierend auf einem umfangreichen wissenschaftlichen Apparat rückt die Publikation den maßgebenden Entwerfer des Generalbauinspektors Albert Speer für „Große Hotel- und Theaterbauten“ und Leiter einer OT-Dienststelle in einen Blickwinkel, der neben seinen weltweit anerkannten und jetzt ausgestellten Entwürfen auch den Architekten als NSDAP-Mitglied und seinen wie auch unseren Umgang damit thematisiert. Somit ergänzt dieses Buch die objektiven und auch kritischen Betrachtungen des Werkes von Pinnau, die jüngst erschienen sind (Ulrich Höhns: Zwischen Avantgarde und Salon Cäsar Pinnau 1906-1988, Hamburg 2015; und Hans-Jörg Czech, Vanessa Hirsch, Ullrich Schwarz: Cäsar Pinnau. Zum Werk eines umstrittenen Architekten, Hamburg 2016). Ausführliche Quellenverweise und eine straffe Inhaltsstruktur geben diesem architekturtheoretischen Werk einen festen Rahmen. Den Umgang mit diesen Denkanstößen legt uns Eduard Führ mit seinem Schlusssatz nahe: „Was ein Text ist, was ein Autor, was ein Leser, was Lesen ist, dazu gibt es in der Literatur und in der Literaturwissenschaft eine Fülle kluger Analysen. Daraus kann die Architekturwissenschaft in Analogie lernen.“

André Deschan

Eduard Führ: Identitätspolitik. „Architect Professor Cesar Pinnau“ als Entwurf und Entwerfer, 212 S.,  24,99 Euro, transcript Verlag, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8376-3696-3

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Ein Gedanke zu “Entdekorierung

  1. Es freut mich, dass Herr Führ sich die Arbeit gemacht hat, aus seinem beeindruckendem Vortrag bei der 2015er Konferenz im Vorfeld zur Altonaer Ausstellung 2016-2017 eine Publikation zu machen. Dieses Buch interessiert mich um einiges mehr als der offizielle Katalog, die Website und die Ausstellung, die die angebotene Gelegenheit nicht wahr nahmen, auf die schon in Herrn Führs Konferenzbeitrag aufgeführten Widersprüche einzugehen.
    Zu Pinnaus Part an der Entwurfs-Vorgeschichte des Olympic Towers frage ich mich, wie er überhaupt ein Einreisevisum in die USA bekommen – geschweige denn denken konnte dort überhaupt zu bauen, wo er doch auf dem Einreiseformular die Frage nach seiner Parteimitgliedschaft wahrheitsgemäß hätte beantwortet haben müssen? Auch schon vor der Lektüre des besprochenen Buches scheint hier einer in Sacher PR sehr großzügig mit der Wahrheit umgegangen zu sein und die dann kursierenden Irrtümer auch nachher nie wieder eingefangen zu haben. Vielleicht schaute sich Pinnau diese Strategie ja bei seinem Arbeitgeber von 1930-37, Fritz August Breuhaus „de Groot“ ab. Dieser hatte seinen Namenszusatz „de Groot“ in Publikationen ab 1929 lanciert, um eine Verwandtschaft mit einem bekannten holländischen Maler zu suggerieren, die es gemäß Elisabeth Schmiedle 2006 eindeutig nicht gab. Beide haben ihre PR-Mythen konstruiert, lanciert und am Ende selbst geglaubt.

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