Andreas Feldtkeller im Gespräch mit Christian Holl

Es wurde zu wenig experimentiert

Andreas Feldtkeller, 1932 in Berlin geboren, studierte Architektur an der TH Stuttgart und der TU Berlin. Er war im Bereich von Planung, Forschung und Lehre in Stuttgart, Köln und Kingston-upon-Thames tätig. Von 1963 bis 1969 war Feldtkeller Mitarbeiter bei der regionalen Planungsgemeinschaft der Region Neckar-Alb, bevor er 1969 bei der Stadt Tübingen als Planer angestellt wurde. Dort leitete er von 1972 bis 1997 das Stadtsanierungsamt. Er war verantwortlich für die Altstadtsanierung und danach für die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen „Stuttgarter Straße / Französisches Viertel” in der Tübinger Südstadt. Das Projekt wurde 2001 mit dem Deutschen Städtebaupreis und 2003 mit dem Europäischen Städtebaupreis ausgezeichnet. Seit 1997 ist er als freiberuflicher Planer tätig. Christian Holl sprach mit Andreas Feldtkeller in Tübingen, über Baugemeinschaften, die Rolle der Alltagstauglichkeit in der Stadt, und wie das Leitbild der Mischung in den letzten Jahren verstanden und behandelt wurde.

Von der Ergänzung der Baunutzungsverordnung um die Kategorie „Urbanes Gebiet“ versprechen sich manche, dass das Leitbild der gemischten Stadt in der Praxis besser umgesetzt werden kann. Ist das „Urbane Gebiet“ ein Fortschritt?
Ich sehe es eher als eine verpasste Chance, vor allem wenn man das, was nun beschlossen wurde, mit dem Referentenentwurf vergleicht. Denn der war sehr mutig. Dort ging es noch um eine kleinräumliche Mischung, um Gebäude, in denen Wohnen und Gewerbe miteinander auskommen müssen. Kleinräumliche Nutzungsmischung kommt nun im Text nicht mehr vor. Statt dessen heißt es, Nutzungsmischung müsse nicht gleichgewichtig sein. Man kann also auch 80 Prozent für Wohnen und für die anderen 20 Prozent etwa ein Ärztehaus vorsehen – das ist eigentlich ein Wohngebiet und kein gemischtes. Viele Planer wissen nicht, dass Mischnutzung eigentlich Gleichberechtigung meint. Das heißt nämlich, dass nicht nur das Gewerbe auf die Bewohner, sondern auch die Bewohner auf das Gewerbe Rücksicht nehmen sollen. Darüber müsste man viel mehr diskutieren: Was bedeutet das eigentlich, wenn man sich vornimmt, gemeinsam Zukunft zu schaffen, gemeinsam ein Zusammenleben nicht nur mit Gleichgesinnten, sondern mit Fremden zu organisieren?

So wie das „Urbane Gebiet“ jetzt beschlossen wird, geht es im Grunde nur um Wohnungsbau in den größeren Innenstädten. Was in den Regionen passiert, bleibt ausgeklammert. Etwa 80 Prozent der Stadtbevölkerung leben aber in den Bereichen, die in den letzten 60 Jahren entstanden sind und wo eben keine städtischen Strukturen hergestellt worden sind. Und diese Bereiche muss man jetzt nachurbanisieren, wie das der Stadt- und Verkehrsplaner Hans-Hennig von Winning nennt.

Warum geschieht das nicht?
Da kommt vieles zusammen. Die Wirtschaft möchte in Ruhe gelassen werden und sich nicht mit der Bevölkerung auseinandersetzen. Und umgekehrt wollen die Bewohner eine Wohlfühl-Oase, wie es so schön heißt. Im Grunde diskutieren wir nicht mehr, wozu eigentlich eine Stadt da ist. Mit der Vorstellung, man müsse alles, was ein bisschen dreckig oder unbequem ist, vergraben oder wegschieben, entsteht keine Stadt.

Französisches Viertel, Tübingen, um 1980, Luftbild: Manfred Grohe/Stadtsanierungsamt Tübingen

Französisches Viertel, Tübingen, um 1980, Luftbild: Manfred Grohe/Stadtsanierungsamt Tübingen

Ginge es bei einer solchen Nachurbanisierung darum, das Versprechen der gleichwertigen Lebensverhältnisse einzulösen?
Das Ziel muss sein, Möglichkeiten zu schaffen, dass die Menschen nicht unbedingt nach Stuttgart oder nach Freiburg ziehen müssen. Man müsste regionale Netzwerke und nicht jede Stadt separat für sich entwickeln. Und Netz heißt: Verknüpfung in viele Richtungen, nicht nur verbesserte Anbindung der Zentren. Leider wurde in den letzten 20 bis 30 Jahren viel zu wenig experimentiert. Wir haben nicht darüber nachgedacht, wie man städtische Strukturen dort schaffen kann, wo nur eine relativ dünne Besiedlung vorhanden ist. Hätte man das gemacht, dann wüssten wir, wo man den Hebel ansetzen muss, dann hätten die Regierungen eine Basis, auf der sie gezielt Modelle fördern und weiterentwickeln könnten.

Ist es zu spät, um mit Experimenten zu beginnen?
Es wird immer schwerer. Die meisten denken, dass die Entwicklung der letzten 60 Jahre normal war und alles andere anormal und ungewöhnlich ist. Ich bin der Meinung, dass 50 Prozent der Bevölkerung sich für Mischgebiete entscheiden würden, wenn sie die Wahl hätten. Aber wir können ohne reales Angebot die Nachfrage nicht einmal abschätzen.
Nutzungsmischung heißt zuerst Wohnen und Arbeiten, nicht Wohnen und Versorgen. Wichtig sind gerade die Betriebe, die nicht unmittelbar etwas mit der Wohnbevölkerung zu tun haben.

Heute geht jeder Gewerbetreibende lieber ins Gewerbegebiet, dort bekommt er die Grundstücke billig, dort kann er das Auto einstellen wo er will, da muss er keine Rücksicht auf Bewohner nehmen. Solange die Städte diese Konkurrenz nicht auflösen, werden wir auch mit der interessanten und inklusiven Nutzungsmischung nicht weiterkommen. Das sieht man auch in Tübingen. Das Französische Viertel ist inzwischen ein Exot. Alles was danach gemacht wurde, ist Nutzungsmischung light.

Französisches Viertel, Tübingen 1992–2008, Luftbild: Manfred Grohe/Stadtsanierungsamt Tübingen

Französisches Viertel, Tübingen 1992–2008, Luftbild: Manfred Grohe/Stadtsanierungsamt Tübingen

Dabei war doch Mischung das dominierende Leitbild der letzten Jahrzehnte.
Ja, aber eben nicht ihre effiziente Umsetzung. Meiner Meinung nach haben das auch die Soziologen verschlafen, die interessieren sich nur für die soziale Mischung. Im Buch „Soziale Mischung in der Stadt“ von Tilman Harlander, Gerd Kuhn und der Wüstenrot Stiftung von 2012 kommt das Thema Arbeiten überhaupt nicht vor. Es ist eine ganz große Schwierigkeit, über die Schwelle hinwegzukommen, die die Leute daran hindert, selbst etwas anderes auszuprobieren. Das gilt für Politiker und Planer genauso wie für die Bevölkerung. Die Bevölkerung allein ist natürlich überfordert, Politik und Planung müssen hier am selben Strang ziehen.

Wie könnten Sie jemanden ermutigen, dem eine andere Stadt wichtig ist?
Ich kann nur sagen, wie es in Tübingen gelaufen ist. Man muss jemanden in der Verwaltung finden, der einen unterstützt. In Tübingen bestand der große Vorteil, dass schon in den sechziger Jahren der damalige Baudirektor Richard Jäger ein eigenes Büro für die Altstadtsanierung eingerichtet hat, das ihm direkt zugeordnet war und parallel zum Planungsamt operieren konnte. Das bot dann in den neunziger Jahren – als Gabriele Steffen die Erste Bürgermeisterin unter anderem mit der Zuständigkeit für Soziales und Kultur war – die Möglichkeit, die Idee der Nutzungsmischung dezernatsübergreifend anzugehen. Das war ein Glücksfall. Die lokalen Bauträger waren an diesem Thema nicht interessiert. Aber es gab interessierte Bauwillige und Architekten, die boten an, sich um die Mischung und um Gewerbe in den Erdgeschossen zu kümmern, vorausgesetzt, die Stadt bietet ihnen die entstehenden Baugrundstücke und zum Umbau vorgesehene Altbauten auf den Kasernenarealen an. So ergab sich die Erfindung der Baugruppe. Sie brauchen im Grunde jemanden, der Fantasie aufwenden und Möglichkeiten ergreifen will. Städte und deren Planer haben sich zu stark von der Immobilienwirtschaft abhängig gemacht. Und: Keine der politischen Parteien engagiert sich wirklich für so etwas wie das Thema Nachurbanisierung.

Die Kritik an den Baugemeinschaften heute lautet, dass es vor allem darum gehe, an eine Eigentumswohnung zu kommen.
Klar, aber bei uns war ja der Witz, dass auf diese Weise Gewerbe ins Quartier kam. Und das belebt und qualifiziert erst den öffentlichen Raum. Ich bin der Meinung, dass man endlich einmal diskutieren müsste, welche gesellschaftlichen Folgen der städtebauliche Fordismus mit der obligaten Sortierung von Wohnen und Arbeiten mit sich gebracht hat. Was sind die gesellschaftlichen Defizite, die sich aus der Funktionstrennung ergeben haben? Ich bleibe dabei, dass es diese Diskussion nicht gibt und dass sie dezidiert nicht gewollt ist.

Französisches Viertel, Tübingen 1992 – 2008, Foto: Stadtsanierungsamt Tübingen

Französisches Viertel, Tübingen 1992 – 2008, Foto: Stadtsanierungsamt Tübingen

Inzwischen engagieren sich viele Gruppen für eine andere Immobilienwirtschaft. Das Mietshäusersyndikat oder das Bündnis Immovielien wollen Immobilien auf Dauer vor Renditeinteressen schützen. In Tübingen wurde eine Verpflichtung zur Eigennutzung über 15 Jahre eingeführt. Sind das positive Signale?
Es wird sich nur auf lange Sicht etwas verändern lassen. 15 Jahre sind im Nu vergangen.
Der enorme Häuserbesitz in Wien geht auf die zwanziger Jahre zurück. Man müsste die gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften wieder einführen. Die neuen Bewegungen haben das Thema Wohnen und Arbeiten wieder nicht auf dem Schirm. Das Mietshäusersyndikat ist eine reine Wohnbewegung. Man müsste wesentlich weiter gehen. Interessant ist doch, dass auch der aufkommende Populismus sich darauf gründet, alles Fremde und Unangenehme aus dem Sichtfeld zu schaffen. Man will alle Störungen vermeiden, das Ziel ist eben eine ,Wohlfühl-Oase‘.

Wir haben nun viel über verpasste Chancen geredet. Gibt es auch Chancen, die man genutzt hat, die sich als vorteilhaft erwiesen haben?
Das Denken hat sich etwas verändert, aber man kann nicht sagen, dass so etwas wie eine Wende in der Stadtentwicklung stattgefunden hätte.

In Ihrem Buch „Zur Alltagstauglichkeit unserer Städte“ äußern Sie die These, dass der städtebauliche Fordismus (die Top-Down vorgeschriebene Trennung von Wohnen und Arbeiten) zu einem unnötig überbordenden und bevormundenden Wohlfahrtsstaat führt. Sollten die Städte den Leuten im Alltag mehr zumuten?
Zum alltäglichen Handeln gehört für mich die Wirtschaft, in der sich die Einzelnen betätigen und engagieren. Nehmen wir das Beispiel der Kleinkindbetreuung. Ich halte es für ein Problem, dass sie inzwischen als staatliche Aufgabe verstanden wird. Warum kann das nicht im Quartier eine Aufgabe von selbstorganisierter Wirtschaft und Bevölkerung sein? Oder ein anderes Beispiel: Die Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen. Im Vordergrund stehen Integrations- und Sprachkurse. Neulich las ich in der FAZ: „Flüchtlinge müssen arbeiten!“ Vielleicht funktioniert Integration viel besser dort, wo Flüchtlinge in der Nachbarschaft Arbeit finden. „Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt und bleiben will, den erwartet ein Maßnahmen-Marathon. Dabei wäre es viel wichtiger, direkt in den Job zu kommen“. Was uns fehlt sind Quartiere, in denen das Nebeneinander von Beruf und Familie oder die Integration im Alltag quasi selbstverständlicher Teil sind.

Wo sind die Wissenschaftler, die über die fatalen gesellschaftlichen Nebenwirkungen informieren, die aus der als normal angenommenen Trennung von Wohnen und Arbeiten resultieren? Es geht nicht darum, den Leuten im Alltag mehr zuzumuten. Aber man muss ihnen erlauben, sich selbst mehr zuzumuten.

Französisches Viertel, Tübingen 1992 – 2008, Foto: Stadtsanierungsamt Tübingen

Französisches Viertel, Tübingen 1992 – 2008, Foto: Stadtsanierungsamt Tübingen

In Ländern wie Großbritannien ist es dem Gesundheitssystem oder dem Wohnungsmarkt nicht gut bekommen, dass sich der Staat von Aufgaben zurückgezogen hat, für die er zuvor zuständig war. Wie stellt man sicher, dass das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird?
Sie haben recht, man muss sich fragen, wie sich Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat ergänzen können, man muss eine Balance finden. Ich möchte ja auch nicht, dass Nutzungsmischung zum alleinigen Zukunftsprogramm wird. Heute sind 90 Prozent in den Stadtagglomerationen nutzungsgetrennt, da wäre es doch gut, wenn der Anteil gemischt genutzter Strukturen zunächst mal wieder auf 20 oder 30 Prozent stiege. Mir geht es darum, den Menschen die Chance zur Auswahl zu geben, und ich meine, dass sie darauf ein Recht haben. Wenn Planungsentscheidungen der Obrigkeit vorbehalten bleiben, wird ihnen dieses Recht genommen.

Was müsste sich in der Ausbildung ändern?
Es könnte ein Weg sein, mit den Universitäten ,Baukästen‘ zu entwickeln, wie Nutzungsmischung verwirklicht werden kann, und darauf aufbauend Studierende entwerfen zu lassen. Es geht um ein anderes Verständnis von „form follows function“. Zuerst muss man die Funktion in Ordnung bringen, dann kommt die Form dazu.

Ich persönlich bin der Meinung, man sollte den Praxisanteil in der Ausbildung erhöhen. Vieles, was ich mir im Lauf der Zeit angeeignet habe, war im Studium kein Thema. Und wir brauchen eine andere Form der Weiterbildung, die nicht als Unterricht funktioniert, sondern als eine gemeinsame, kritische und interdisziplinäre Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, vor denen wir stehen.

Das Programm „Die soziale Stadt“ ist ein solcher interdisziplinärer Ansatz.
Das stimmt. Aber man hat meiner Meinung nach versucht, die „soziale Stadt“ auf fordistisch geprägte Gebiete aufzupfropfen. Das funktioniert nicht. Die Mittel wurden mit der Gießkanne gestreut und man hat in Gebietskulissen operiert, die für die wirtschaftlichen Akteure unangenehm sind, weil sie dort mit sozialen Herausforderungen konfrontiert sind, für die die Gebiete nicht vorgesehen sind. Man vertraut zu wenig auf eine Umgebung, in der sich die Menschen selbst helfen können.

Französisches Viertel, Tübingen 1992 – 2008, Foto: Stadtsanierungsamt Tübingen

Französisches Viertel, Tübingen 1992 – 2008, Foto: Stadtsanierungsamt Tübingen

Brauchen die Menschen, um sich selbst helfen zu können, nicht einen verlässlichen Adressaten in der Verwaltung?
Man muss vor allem Spielräume lassen und nicht jede Form der Eigeninitiative sofort unterbinden. Denken wir darüber nach, welche Freiräume wir einräumen können, die im Moment nicht bestehen.

Stehen die ästhetischen Aspekte zu sehr im Vordergrund?
Die Schönheit kommt nicht allein von dem, was der Architekt macht. Das ist für Architekten schwer zu akzeptieren. Es gilt, die Schönheit dessen zu entdecken, was der Architekt nicht entschieden hat. Stadtplaner haben da eine Chance, weil sie nicht selbst entwerfen müssen, sondern die Leute machen lassen können.

Das größte Defizit besteht doch darin, dass man sich zu wenig mit den Folgen seines Handelns auseinandersetzt. Und ich frage mich, ob man sich bei einer Erneuerung des Städtebaus jeweils zunächst mal auf eine Sache konzentrieren sollte. Man muss nicht immer gleich alle Probleme (ökologische Herausforderungen, Ästhetik, soziale Integration) zugleich lösen wollen – dann fällt immer die Nutzungsmischung hinten runter, weil sie konfliktbehaftet ist. Aber genau deswegen ist sie ja interessant. In der Erklärung der Bundesregierung zur Habitat 1996 wird präzise formuliert, dass Nutzungsmischung aus funktionaler, sozialer und gestalterischer Mischung besteht. Und es werden die Vorteile von kleinräumiger Nutzungsmischung erläutert: Sie sorgt für Weltoffenheit und Lebendigkeit im Quartier, zugleich können die Bedürfnisse der benachteiligten Gruppen besser berücksichtigt werden. Nutzungsmischung wird mit Wirkungen in Verbindung gebracht, es wird nicht nur gesagt, dass das „halt besser“ ist.

Französisches Viertel, Tübingen 1992 – 2008, Foto: Stadtsanierungsamt Tübingen

Französisches Viertel, Tübingen 1992 – 2008, Foto: Stadtsanierungsamt Tübingen

Was ist für Sie ein wichtiges Gedankengut der jüngeren Vergangenheit, auf dem man aufbauen kann?
Ich würde Christopher Alexander und Jane Jacobs nennen oder jetzt neu Charles Montgomery. Alle drei reden über Wirkungen der Stadtstrukturen im Alltag, etwa wie in wirklich urbanen Quartieren unter Fremden Vertrauen entsteht. Und es gibt immer mehr fantastische Architektur, die viel mit Selber-Machen zu tun hat.

Eines Ihrer Bücher – „Die zweckentfremdete Stadt“ von 1995 – hat den Untertitel „Wider die Zerstörung des öffentlichen Raums“. Wie ist es heute um den öffentlichen Raum bestellt?
Viele Planer und Architekten denken immer noch, der öffentliche Raum seien die Wege und Straßen, die der Stadt gehören. Das reicht aber nicht aus, man muss Lebendigkeit und Öffentlichkeit schaffen, und das hängt wieder mit der Nutzungsmischung zusammen. Wenn sich in der Nutzungsmischung nichts tut, tut sich auch im öffentlichen Raum nichts. Der Alltag der Kinder ist ein guter Maßstab.

Gibt es eine Stadt, die Sie als vorbildlich ansehen würden?
Man kann überall dort lernen, wo es gelungen ist, das sektorale und das Top-Down-Denken zu überwinden. Ich habe eine Enkelin, die in Verona studiert. Dort ist mir aufgefallen, dass Verona noch eine ganz andere urbane Substanz hat als Venedig. Je schöner alte Städte sind, desto mehr liefern sie sich dem Tourismus aus. Viel Alltagskultur ist auch aus den schönen alten Stadtkernen längst verschwunden, die Handwerker hat man in die Peripherie gelockt. Und wie alltagstauglich sind diese Peripherien selbst in den berühmtesten Städten?

Wir stehen vor großen Herausforderungen: Klimaveränderungen, demographischer Wandel, Migration – sind wir gerüstet?
Nur teilweise. Wir müssten längst besser gerüstet sein.

Dipl.-Ing. Christian Holl studierte Kunst und Germanistik in Stuttgart und Münster sowie Architektur in Aachen, Florenz und Stuttgart. Zwischen 1998 und 2004 war er Redakteur der db deutsche bauzeitung, seit Oktober 2004 ist er als freier Autor Partner von frei04 publizistik, wo er gemeinsam mit Ursula Baus und Claudia Siegele das Online-Magazin „Marlowes“ herausgibt. Nach verschiedenen Lehraufträgen in Darmstadt, Stuttgart, Wuppertal und Kaiserslautern war Holl von 2005 bis 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart. Seit 2007 ist er Kurator und Mitglied im Ausstellungsausschuss der architekturgalerie am weißenhof, seit 2010 Geschäftsführer des BDA Hessen. Christian Holl lebt und arbeitet in Stuttgart und Frankfurt.

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