Drei Thesen zu Architektur, Moral und Ethik

Guter Wille reicht nicht

Von Martin Düchs

„Endlich sei noch gesagt, dass die Beständigkeit, das Ansehen und die Zier eines Gemeinwesens am meisten des Architekten bedürfe, der es bewirkt, dass wir zur Zeit der Muße in Wohlbehagen, Gemütlichkeit und Gesundheit, zur Zeit der Arbeit zu aller Nutz und Frommen, zu jeder Zeit aber gefahrlos und würdevoll leben können.“ ¹ So beschreibt Leon Battista Alberti im Jahr 1452 einen Umstand, der vor ihm gegolten hat und der bis heute gilt: In der Architektur steht für das Leben der Menschen viel auf dem Spiel. Philosophisch gesagt: Sie ist eine Bedingung der Möglichkeit des guten Lebens für jedes Individuum und die Gesellschaft als Ganzes. ² Damit ist die Frage nach der moralischen Relevanz von Architektur schnell beantwortet.

„Es geht eben nicht nur um ein irgendwie geartetes Dach über dem Kopf, sondern um Orte, an und in denen wir in einem philosophisch tief verstandenen Sinn wohnen (…)“, Foto: Riklef Rambow

Allen, die im Bereich Architektur tätig sind, kommt große moralische Verantwortung zu. Es geht eben nicht nur um ein irgendwie geartetes Dach über dem Kopf, sondern um Orte, an und in denen wir in einem philosophisch tief verstandenen Sinn wohnen, das heißt in einer dem Menschen als Menschen gemäßen Art und Weise sein können. ³ Architektinnen und Architekten wissen das und sie bekennen sich zu ihrer Verantwortung. ⁴ Dennoch sind die Themen Moral und Ethik im Architekturdiskurs überraschend wenig präsent. Bis dato wurden die Mittel und Methoden der Ethik als der relevanten wissenschaftlichen Disziplin zur Diskussion moralischer Fragen vonseiten der Architektur kaum genutzt, und umgekehrt haben auch (Moral-)Philosophen die Architektur bis dato weitgehend vergessen. ⁵ Das ist zwar erklärbar, ⁶ aber dennoch – wie zu zeigen sein wird – bedauerlich und sollte nicht so bleiben. Als Beitrag zu einer moralphilosophischen Debatte werde ich daher drei Thesen zum Thema Architektur und Ethik entwickeln. Diese sind:

Erstens: Guter Wille reicht nicht; Architektinnen und Architekten sollten über ein Bekenntnis zu ihrer moralischen Verantwortung hinaus die Ethik als Instrument zur Strukturierung, Anleitung und rationalen Rechtfertigung des eigenen moralischen Handelns verstehen und entsprechend einsetzen. Die Angst vor Bevormundung ist unbegründet, wenn die Ethik als Instrument zur Stärkung der eigenen Position begriffen wird.

Zweitens: μηδὲν ἄγαν! Nichts zu sehr! Eine Ethik der Architektur sollte die moralische Pluralität der Lebenswelten und des architektonischen Ethos abbilden können, ohne dass dies in einen moralischen Relativismus mündet. Die aus der Medizin bekannte Prinzipienethik könnte trotz philosophischer Kritik hier einen für die Praxis gut gangbaren Mittelweg darstellen.

Drittens: 7up! Sieben Prinzipien für eine Ethik der Architektur. Gerechtigkeit, Autonomie, Nicht-schaden, Sorge, Nachhaltigkeit, Schönheit und Wahrheit – diese sieben Prinzipien (beziehungsweise Ideale) können gleichsam als Bohrpfähle ein ethisches Fundament bilden, auf dem die moralische Verantwortung in der Architektur sicherer steht als auf dem wackeligen Boden der intuitiven Moralvorstellungen jedes einzelnen.

Moral und Ethik

Der Kabarettist Gerhard Polt lässt eine seiner Figuren – einen bayerischen Politiker – den wunderbaren Satz sagen: „Ich brauche keine Opposition – weil ich bin bereits Demokrat!“ Ähnlich argumentieren manche Architektinnen und Architekten, wenn sie eine spezielle Ethik für ihr Tun als unnötig erachten, weil man sich der Verantwortung, die der Beruf mit sich bringe doch ohnehin bewusst sei.

„Guter Wille reicht nicht“, Foto: mju-Fotografie, Marie Luisa Jünger

Dabei ist der letzte Teil dieser Aussage tatsächlich nicht falsch: Architektinnen und Architekten in Deutschland und Europa bekennen sich explizit zu ihrer Verantwortung. Sie haben erkannt, dass ihnen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung drängender gesellschaftlicher Probleme zukommt und zumindest intuitiv wissen sie auch, dass Architektur eine Bedingung der Möglichkeit des guten Lebens ist. Lektion verstanden, alles gut? Leider ist das nicht der Fall. The road to hell is paved with good intentions! Guter Wille reicht nicht aus, um eine moralisch gerechtfertigte Handlungsweise sicherzustellen.

Das hat unter anderem damit zu tun, dass moralische Verantwortung aus Sicht der Ethik sekundär ist. Es handelt sich um einen mehrstelligen Zuschreibungsbegriff, der für seine Geltung auf das Vorhandensein eines normativen Systems angewiesen ist. ⁷ Verantwortung kann man (auch sich selbst) nur zuschreiben, wenn dafür eine normative Grundlage vorhanden ist. Diese kann dabei eine Moral sein oder eine kodifizierte Form annehmen, wie beispielsweise bei einem Gesetzeswerk oder eben einer Ethik. Verantwortung auf Grundlage einer Moral (sich selbst) zuzuschreiben ist problematisch, weil Moral subjektiv, relativ schnell veränderlich und häufig inkonsistent ist. Salopp gesagt: Moral ist das, was sich gehört. Offensichtlich aber sind die Überzeugungen dazu sehr unterschiedlich und relativ schnell wandelbar. Das führt zu moralischen Konflikten, und das wiederum ruft die Ethik auf den Plan, die versucht, moralische Konflikte unter Rückgriff auf objektive Gründe rational zu lösen. Ethik ist also das wissenschaftliche Nachdenken über das, was sich gehört und die Suche nach rationalen und objektiven Antworten auf die Frage: „Warum gehört sich das?“ ⁸

Damit kehren wir zu der These zurück, dass guter Wille in der Architektur (und im Prinzip in jedem Bereich menschlichen Handelns) nicht ausreicht: Der Boden der individuellen Moral (und des zum Teil etwas weniger volatilen berufsständischen Ethos) ist zu schwankend, als dass er die immens wichtige Verantwortung in der Architektur tragen könnte. Das gilt zumal in einer Zeit, in der ein größer werdender moralischer Pluralismus in einer zunehmend globalisierten Welt und einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft auch moralische Konflikte wahrscheinlicher macht. Wenn alle sich darüber einig wären, was sich gehört, wäre die Ethik unnötig. Das aber ist immer weniger der Fall und eine Ethik, die (auch) der Versuch ist, im Fall von moralischen Konflikten ein objektives, rational begründetes und intersubjektiv vermittelbares Urteil zu fällen, kann in dieser Situation ein hilfreiches Werkzeug sein, genauso wie Tragwerkstabellen oder Formeln zur Berechnung des Wärmedurchgangs.

Eine Ethik der Architektur ⁹ könnte also gleichsam als belastbares Fundament der Verantwortungszuschreibung in der Architektur dienen. Im Idealfall ergibt sich so ein Weg, der von der Verantwortung der Architektinnen und Architekten ausgehend zu einer rational begründbaren und intersubjektiv vermittelbaren Ethik führt, und von da wieder zurück zu der konkreten, selbstbestimmten Wahrnehmung der Verantwortung. Diese kann dann aber auf dem sicheren Fundament einer Ethik gleichsam als Verantwortung 2.0 erfolgen.

Kurzum: In einer Zeit, in der das moralische Urteil nicht mehr selbstverständlich aufgrund einer geteilten Moral erfolgt, sollte die nicht genau bestimmbare und letztlich individuell-subjektive Moral durch eine Ethik ergänzt werden, die rational und intersubjektiv-vermittelbar begründet ist.

μηδὲν ἄγαν! Nichts zu sehr!

„Stuck between a rock and a hard place“, Foto: mju-Fotografie, Marie Luisa Jünger

μηδὲν ἄγαν – nichts zu sehr! Diese Inschrift stand angeblich über dem Tempel von Delphi. Die Mahnung, das rechte Maß zu halten, ist also nicht mehr ganz brandneu, aber nach wie vor aktuell. Beim Aufbau des Gedankengebäudes einer Architektur-Ethik kann sie als Richtschnur dienen. Bei der Konzeption einer solchen Ethik findet man sich nämlich unverhofft in einer unangenehmen Lage wieder: Um es mit den Rolling Stones zu sagen: stuck between a rock and a hard place.

Der Fels ist dabei eine der „klassischen“ ethischen Theorien: Konsequentialismus, Deontologie, Tugendethik. ¹⁰ Alle diese Theorien beruhen auf grundlegenden und absolut nachvollziehbaren moralischen Intuitionen, die im Übrigen auch alle in unserem moralischen Alltag und im Ethos der Architektinnen und Architekten vorkommen. Darauf aufbauend bildet jede dieser Ethiken einen einzigen mehr oder weniger abstrakten (formalen) Obersatz, von dem aus in einem Top-Down-Verfahren, zumindest in der Theorie, alle Einzelfälle zu lösen sind. ¹¹

Da insbesondere eine Bereichs-Ethik im Ethos des relevanten Bereichs „verankert“ sein sollte, ¹² wäre es plausibel, sich für eine der drei großen ethischen Theorien zu entscheiden und zweifellos haben sie auch alle ihre Berechtigung. Allerdings: Wenn man sich für eine entscheidet, verwirft man die anderen und damit auch deren grundlegende Intuitionen, die eben auch das Ethos der Architektinnen und Architekten und die damit zusammenhängenden moralischen Intuitionen bestimmen. Außerdem haben alle großen ethischen Theorien aufgrund ihres abstrakt-theoretischen Charakters Probleme mit dem konkreten „moralischen Alltag“. Ihre strikte Anwendung führt leicht zu kontraintuitiven Konsequenzen, die man logisch nicht als Gegenargument gegen die Theorie sehen muss, wohl aber kann. Darüber hinaus haben alle ethischen Theorien Probleme mit ihrer letztendlichen Rechtfertigung. Insgesamt droht somit zumindest die Gefahr, dass eine Architektur-Ethik, die auf einer der großen Theorien aufgebaut ist, einen Zug ins Ideologische entwickelt und dass sie dem gelebten moralischen Alltag nicht gerecht wird.

Auf der anderen Seite befindet sich allerdings „a hard place“, eine Alternative also, die für die Konzeption einer Architektur-Ethik ebenfalls nicht wirklich hilfreich ist. Wenn es nämlich offensichtlich verschiedene ethische Theorien gibt und alle Schwierigkeiten mit ihrer Letztbegründung haben, könnte man auch den Schluss ziehen, dass es so etwas wie das richtige Handeln gar nicht gibt. Man nimmt damit die Position des moralischen Relativismus ein: Alle moralischen Sichtweisen sind gleichermaßen richtig.

Auch diese Alternative führt nicht weiter, da auch sie unserer moralischen Alltagserfahrung widerspricht und auch keine Hilfe oder Perspektive bietet. ¹³ Man kann höchstens noch im Sinne eines kasuistischen Vorgehens einzelne Fälle besprechen und hoffen, dass sie eine exemplarische Hilfe sein können. In einem übergeordneten Sinn muss man hier nicht mehr nach richtigen Entscheidungen suchen. Alles in allem also eine ziemlich unangenehme Position zwischen zwei unattraktiven Optionen.

Eine Lösung bietet die sogenannte Prinzipienethik. Sie ist zwar metaethisch problematisch, für die Praxis aber aufgrund ihrer Flexibilität und ihrer Nähe zur moralischen Lebenswelt vorteilhaft. Das besondere Merkmal der Prinzipienethik ist, dass es hier nicht nur ein übergeordnetes abstraktes Prinzip wie den kategorischen Imperativ bei Kant oder die Idee des größten Glücks im Utilitarismus gibt. Stattdessen gibt es mehrere verschiedene Prinzipien auf einer halbabstrakten Ebene, wobei diese zunächst – die Philosophie sagt hier prima facie – alle gleichermaßen und ohne Reihenfolge gültig sind.

Die Prinzipienethik wurde Ende der 1970er-Jahre von Tom Beauchamp und James Childress im Bereich der Medizinethik entwickelt und hat sich als sehr erfolgreich erwiesen, vor allem, weil sie den Menschen, die in medizinischen Berufen arbeiten, tatsächlich hilft. ¹⁴ Das tut sie, weil die Prinzipien auch komplexe moralische Felder systematisieren und strukturieren, die relevanten Faktoren identifizieren und schließlich Handlungen anleiten können, ohne dass eine einzige Handlung oder Lösung für ein moralisches Problem als richtig definiert wird. Das Modell hilft also, überlässt die Entscheidungsfreiheit aber denjenigen, die in der Praxis tatsächlich mit moralischen Problemen konfrontiert sind. ¹⁵ Aus diesen Gründen scheint die Prinzipienethik als Hilfe für die Praxis der Architektur besonders geeignet.

7up! Prinzipien für eine Ethik der Architektur

Die klassische Prinzipienethik kennt vier gleichrangige Prinzipien, die alle in angepasster Form auch für die Architektur einschlägig sind: Gerechtigkeit, Autonomie, Sorge und das Nicht-schaden-Prinzip.

Gerechtigkeitsfragen sind Fragen des Ausgleichs, und da Architektur als öffentliche Kunst eine Menge an stakeholdern betrifft, gibt es hier jede Menge auszugleichen.

Foto: mju-Fotografie, Marie Luisa Jünger

Ein Satz von Peter Smithson zeigt, dass es sich bei der Autonomie auch in der Architektur um ein relevantes Prinzip handelt: „Wir fühlen uns verpflichtet (…), die bestmögliche Qualität zu liefern, unabhängig davon, was die Leute erwarten (…).“ ¹⁶ Noch 1970 konnte hier im Brustton der Überzeugung und mit bestem Gewissen eine paternalistisch-bervormundende Aussage getroffen werden, die mit dem Prinzip der Autonomie nicht vereinbar ist. Auch an solchen Beispielen zeigt sich, dass ethische Überlegungen ein geeignetes Korrektiv der eigenen Intuitionen sein können.

Sorge sollte als Prinzip des Umgangs mit baukulturellen Werten, der Natur und vor allem mit anderen Menschen gleich in mehrfacher Weise das Handeln in der Architektur bestimmen.

Das Nicht-schaden-Prinzip bedarf kaum einer weiteren Erläuterung. Es ist relevant auf physiologischer wie psychischer Ebene. Nachhaltigkeit ist aus ethischer Sicht „nur“ eine in Zeit und Raum ausgeweitete Gerechtigkeitsforderung. Es geht um Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen und Menschen, die von unserem Handeln betroffen sind, obwohl sie räumlich weit entfernt leben. Angesichts der immer dramatischer werdenden Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen bezieht sich die Frage danach, was wir schulden, vor allem auf die Ökologie.

Das Ideal der Wahrheit hat zwar – anders als Ehrlichkeit – moralisch keine Valenz. In der Architekturgeschichte wurde aber vielfach nicht zwischen beiden Begriffen unterschieden und eine moralisch aufgeladene Forderung nach Wahrheit hat in der Architektur immensen Einfluss auf die Entwicklung der (mindestens) letzten 150 Jahre. Daher müsste dieses Prinzip ausführlich diskutiert werden.

Schönheit schließlich – und zwar egal, ob man ein enges oder weites Verständnis zugrunde legt – scheint ein Grundbedürfnis des Menschen zu sein, und dieses zu erfüllen wird, wenn es in der Macht einer Architektin oder eines Architekten steht, zu einer moralisch gesollten Aufgabe.

Zusammengenommen können diese Prinzipien ein Raster bilden, mit dem man das moralische Feld der Architektur strukturieren, die relevanten Faktoren identifizieren und die Handlungen leiten kann. Dabei werden ideologische Vorannahmen vermieden und die Architektinnen und Architekten behalten die Freiheit, ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Eine so konzipierte Prinzipienethik der Architektur könnte dazu beitragen, etwas zu erreichen, das man „strukturierte Verantwortung“ oder „Verantwortung 2.0“ nennen könnte: Verantwortung, die nicht mehr auf moralischen Intuitionen, sondern auf ethischen Überlegungen und einer ethischen Struktur beruht.

Ausblick

Foto: mju-Fotografie, Marie Luisa Jünger

„Quand on n’a pas de caractère, il faut bien se donner une méthode.“ ¹⁷ Diesen Satz legt Albert Camus einer seiner Figuren im Roman „La Chute“ in den Mund. Er passt auch für die Situation der Architektinnen und Architekten, aber nicht, weil es ihnen an Charakter fehlen würde. Das mag zwar bisweilen der Fall sein, häufig ist aber eher das Gegenteil zu beobachten: hohe Ideale und ein hoher moralischer Anspruch an das eigene Handeln. Allerdings ist es eben auch in der Welt der Architektur so wie in der Welt aller: Die moralische Sicherheit im eigenen Tun kommt uns angesichts der zunehmenden Diversifikation aller Lebensbereiche abhanden. In dieser Situation „moralischer Konfusion“ sollten wir nicht zögern, unser professionelles Handeln auch in moralischer Hinsicht zu professionalisieren. Im Sinne Camus’ ist die Ethik als Wissenschaft dazu eine geeignete méthode und innerhalb der Ethik ist die Prinzipienethik ein Modell, das besonders geeignet erscheint, die Verantwortung in der Architektur auf das Fundament eines Systems begründeter normativer Aussagen zu stellen. Dabei bilden die genannten sieben Prinzipien gleichsam die Bohrpfeiler, auf denen die Verantwortung sicher stehen kann.

Prof. Dr. Martin Düchs ist Architekt und Philosoph. Er hat die Professur für Kunst- und Kulturwissenschaften / Geschichte und Theorie der Architektur und des Designs an der New Design University St. Pölten (AUT) inne. Er studierte Architektur in München, Göteborg und Paris und Philosophie in München. 2011 wurde er in Philosophie an der LMU München mit einer Arbeit zur Ethik des Architekten mit summa cum laude promoviert. 2007 bis 2014 führte Martin Düchs ein eigenes Architekturbüro in München: Blockrandbebauung – Architektur + Philosophie. 2019 habilitierte er sich an der Universität Bamberg mit einer Arbeit zum Thema „Architektur und Menschenbild“. Zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich Architekturphilosophie, Ethik und philosophischer Anthropologie.

Anmerkungen

1 Leon Battista Alberti: Zehn Bücher über die Baukunst (De re aedificatoria) (1452 / 1485 / 1512), 2. Aufl., Darmstadt 2005 (Nachdruck Wien, Leipzig 1912), S. 13.

2 Der Ausdruck „gutes Leben“ ist dabei nicht mit Luxus zu verwechseln; er ist vielmehr in einem philosophischen Sinn zu verstehen als „Lebensglück“ oder umfassend gelingende Lebensführung.

3 Der klassische Ort für diesen Gedanken: Martin Heidegger, Bauen Wohnen Denken, in: Otto Bartning (Hrsg.): Mensch und Raum. 2. Darmstädter Gespräch 1951, unter Mitarbeit und hrsgg. im Auftrag des Magistrats der Stadt Darmstadt und des Komitees Darmstädter Gespräch 1951, Darmstadt 1952, S. 72 – 84. Davon ausgehend als luzider Kommentar: Karsten Harries, The Ethical Function of Architecture, London 1997.

4 Vgl. z. B. Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA: Das Haus der Erde. Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land, Berlin 2019.

5 Diese Einschätzung wird von vielen Autoren geteilt und beklagt: „(…) contributions that attempt explicitly to address ethical issues associated with the built environment have thus far been few and far between, whether they have come at this topic from the philosophical side or design and architecture side.“ (Ethics And The Built Environment, hrsgg. v. Warwick Fox, London / New York 2000, S. 4) oder: „Very little theoretical or practical work has been done in the area of the morality of building. (…) few authors have attempted to link the design profession to an ethical framework.“ (David Greusel / Eric Jacobsen / Michael Metzger: Architecture as Moral Art. Surveying the Moral Dimensions of Architecture, in: Wolkenkuckucksheim, Heft 1 / 2007.) Oder: „Given its importance, it is surprising that moral philosophy has also paid almost no attention to the built environment.“ (Christian Illies / Nicholas Ray: Philosophy of Architecture, in: Philosophy of technology and engineering sciences, hrsgg. v. Anthonie Meijers, Amsterdam 2009, S. 1199 – 1256, hier S. 1227). Ein wichtiger Grund für das weitgehende Fehlen einer Ethik der Architektur liegt im Wesen der Architektur selbst. Es ist eine Disziplin, die Elemente verschiedenster „Spezialdisziplinen“ wie der Kunst, der Ingenieur- und Sozialwissenschaften oder der Ökonomie enthält. Das macht es schwierig, eine bereits existierende ethische Theorie „anzuwenden“. Daneben könnte ein weiterer Grund für das Fehlen einer Tradition des moralphilosophischen Nachdenkens über Architektur auch darin liegen, dass Moralphilosophen eher über das „fertige Produkt“ und weniger über den Entstehungsprozess von Architektur nachgedacht haben.

6 Vgl. dazu ausführlich: Martin Düchs: Von der Verantwortung zur Ethik des Architekten – und zurück. Ein Vorschlag in vier Leistungsphasen gem. HOAI, in: Achim Hahn (Hrsg.): Ausdruck und Gebrauch. Themenheft: Positionen einer Architektur- und Planungsethik, Herzogenrath 2014.

7 Kurt Bayertz: Eine kurze Geschichte der Herkunft der Verantwortung, in: Ders. (Hrsg.): Verantwortung. Prinzip oder Problem? Darmstadt 1995, S. 3 – 71. Oder: Konrad Ott: Technikethik, in: Julian Nida-Rümelin (Hrsg.): Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung, 2. Aufl., Stuttgart 2005, S. 569 – 640.

8 Philosophisch ausgedrückt: „Moral“ bezeichnet die Sitten, Normen und Gebräuche, die in einer Gesellschaft gelten, ohne dass sie explizit begründet wären. „Ethik ist (…) die philosophische Untersuchung des Bereichs der Moral; sie ist die philosophische Disziplin, die nach der Begründung der Moral fragt. Anstelle von Ethik gebraucht man auch die eindeutigere Bezeichnung Moralphilosophie.“ (Friedo Ricken: Allgemeine Ethik, 3. Aufl., Stuttgart / Berlin / Köln 1998, S. 14). Vgl. daneben z. B.: Wilhelm Vossenkuhl: Die Möglichkeit des Guten, München 2006. „Ethos“ ist analog zu verstehen, wobei sich die Geltung der Normen, Sitten und Gebräuche hier aber nur auf ein näher zu bestimmendes gesellschaftliches Subsystem bzw. eine gesellschaftliche Gruppe bezieht. Die bisweilen kontrovers diskutierte Frage, ob Ethik als Wissenschaft zu verstehen sei, beantworte ich dabei mit Verweis auf Ausführungen von Julian Nida-Rümelin mit „Ja, in einem schwachen Sinn“. Vgl.: Julian Nida-Rümelin: Theoretische und angewandte Ethik. Paradigmen, Begründungen, Bereiche, in: Ders. (Hrsg.): Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung, Stuttgart 2005, S. 2 – 87, hier S. 56 – 57. Eine weitere ethisch interessante Frage betrifft die Reichweite einer Ethik für Architektinnen und Architekten. Normalerweise wird man davon ausgehen, dass sie das Handeln von Architektinnen und Architekten als solche betrifft. Fraglich bleibt hier aber, ob sich das Handeln als Architektin oder Architekt vom Handeln „als Privatperson“ abgrenzen lässt. In der Geschichte und in Berufsordnungen wurde und wird das häufig verneint. Hier wird von Architektinnen und Architekten eine insgesamt untadelige Lebensführung im Allgemeinen, also nicht nur in der beruflichen Rolle verlangt.

9 Ich unterscheide hier nicht zwischen einer Ethik der Architektur und einer Ethik für Architektinnen und Architekten, was genau genommen aber nötig wäre. Für genauere Ausführungen dazu: Düchs 2014 (wie Anm. 6) oder Martin Düchs: Architektur für ein gutes Leben. Über Verantwortung, Moral und Ethik des Architekten, Münster 2011.

10 Man könnte hier auch den Kontraktualismus als grundlegende Form ansehen, man kann in kontraktualistischen Theorien aber auch nur eine spezielle Methode der Ausformulierung und Letztbegründung einer Ethik sehen. An dieser Stelle spielt diese Frage aber keine Rolle.

11 Konsequentialistische Theorien wie etwa der Utilitarismus basieren auf der Annahme, dass das relevante Kriterium für die moralische Beurteilung einer Handlung deren Konsequenz ist, also der Zustand der Welt nach Abschluss der Handlung. Wenn Handlungen die Welt zu einem besseren Ort machen, sind sie moralisch in Ordnung. Deontologische Theorien hingegen gehen davon aus, dass Handlungen an sich moralisch gut oder schlecht sind, ohne die Folgen zu berücksichtigen. Und tugendethische Theorien verorten den „Hebelpunkt“ für eine moralische Beurteilung im Handelnden selbst. Im Übrigen finden sich alle genannten grundlegenden Intuitionen auch in der Architektur, im Ethos der Architektinnen und Architekten und übersetzt dann auch in Gesetzen und Verordnungen wieder. Das in Landesbauordnungen zu findende Verbot von zu niedrigen Aufenthaltsräumen lässt sich beispielsweise letztlich nur mit dem „deontologischen Gedanken“ erklären: dass es prinzipiell unwürdig ist, Menschen in solchen Räumen leben zu lassen (vgl. z. B. BayBO Art. 45). Die Enteignungsparagraphen des BauGB sind dagegen konsequentialistisch begründet, da hier davon ausgegangen wird, dass die mit der Enteignung einhergehenden Möglichkeiten so wichtig für die Gesellschaft sind, dass eine an und für sich schlechte Sache wie die Enteignung in Kauf genommen wird (vgl. BauGB § 85ff.). Tugendethische Intuitionen schließlich finden sich in den Berufsordnungen, die Architektinnen und Architekten in gewisser Weise als moralische Vorbilder idealisieren (vgl. z. B. Berufsordnung der Bayerischen Architektenkammer).

12 Jede Ethik sollte kohärent und konsistent sein. Konsistenz meint dabei die logische Widerspruchsfreiheit. Das Merkmal der Kohärenz verstehe ich als eine deutliche „Nähe zum verhandelten Gegenstand“. Das heißt die durch eine Ethik eingeführten Normen und Werte sollten auch tatsächlich für den entsprechenden Bereich relevant sein. Vgl. dazu Vossenkuhl 2006 (wie Anm. 8), der feststellt, dass jede Ethik zu Konsistenz und Kohärenz verpflichtet sei und dies folgendermaßen erläutert: „Erstere ist theoretischer Natur und verpflichtet zu einer widerspruchsfreien Argumentation, Letztere baut darauf auf und gewährleistet in praktischer Hinsicht einen sinnvollen, vernünftigen Zusammenhang der ethischen Fragen und Antworten. Ethisch begründet ist die Verpflichtung zur Kohärenz, weil weder ein einzelnes Urteil noch eine einzelne Handlung gut sein kann, wenn sie nicht im Ganzen gesehen gut ist.“ (S. 17)

13 Darüber hinaus kann man einen starken Relativismus auch logisch nicht widerspruchsfrei vertreten.

14 Vgl. Tom L. Beauchamp / James F. Childress: Principles of Biomedical Ethics, 6. Aufl., New York 2009. Und für die Diskussion dieses Ansatzes z. B. Oliver Rauprich / Florian Steger (Hrsg.): Prinzipienethik in der Biomedizin. Moralphilosophie und medizinische Praxis, Frankfurt a.M. 2005.

15 Die klassischen Ethik-Theorien würden das moralische Feld der Architektur aus dem Elfenbeinturm der Philosophie betrachten, der so hoch ist, dass sie einzelne Pflanzen nicht erkennen könnten. Die kasuistischen Theorien hingegen schauen aus der Perspektive der Ackerkrume und sehen von da aus nur einzelne Pflanzen. Die Prinzipienethik dagegen sucht sich eine Trittleiter, so dass sie das ganze Feld und einzelne Pflanzen darauf erkennen kann.

16 Peter Smithson in: The Smithsons on housing, Film von B. S. Johnson, 1970.

17 Albert Camus: La chute (1956), Paris 2008, S. 15.

Titelfoto: mju-Fotografie, Marie Luisa Jünger

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