der schöne gebrauch

Vom Mittelpunkt des Hauses zum Riesen-iPad: Was ist nur aus dem Herd geworden?

Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Küche als rein auf funktionale Abläufe ausgerichteter Raum ist passé. Die von Planern und Planerinnen wie der großen Margarete Schütte-Lihotzky erdachten und auf ein Minimum an Raum und Grundfläche reduzierten, maximal optimierten „dienenden“ Arbeitskabinette haben ausgedient. Ob man nun die Party vom letzten Wochenende oder doch noch einmal Gottfried Semper bemüht, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Küche ein Raum zum Leben und Wohnen ist und nicht nur zum Arbeiten, spielt dabei eine nur untergeordnete Rolle.

Die Betrachtung Sempers jedoch verdeutlicht heute noch, wie wichtig ausgerechnet der Herd innerhalb dieses Wohnraums ist. Für Semper war der Herd „das moralische Element der Baukunst“ und damit das erste eigenständige der insgesamt vier Urelemente der Architektur: „Das erste Zeichen menschlicher Niederlassung und Ruhe nach Jagd, Kampf und Wanderung in der Wüste ist heute wie damals, als für die ersten Menschen das Paradies verloren ging, die Einrichtung der Feuerstätte und die Erweckung der belebenden und erwärmenden, Speisen bereitenden Flamme.“ Die drei weiteren Elemente in Form von Dach, Umfriedung und Erdaufwurf gruppieren sich um diese Feuerstätte und schützen mithin nicht nur die lodernde Flamme, sondern auch all jene, die sich um eben diese versammeln.

Gaggenau, CX480110

Gaggenau, CX480110

Im Rahmen dieser Entwicklung von der Wärmequelle des (einzig) beheizten Raums des Hauses – und Quelle gegarten Essens – zum schnöden Baustein unter vielen in der Elemente-Küche des funktionalen Modernismus, zurück zum frei im Raum stehenden Küchenblockherd, haben es vor allem Einrichter und Hersteller geschafft, den Herd entsprechend emotional aufzuladen. Diese emotionelle Zuweisung des Objekts macht es erst möglich, ihm eine gesonderte Rolle zukommen zu lassen, es also planerisch wie gestalterisch mit besonderer Zuwendung zu bedenken.

Wäre den Nutzern dieser besondere Wert nicht vor Augen geführt, so wäre die aktuelle Entwicklung des Herds zum Lifestyle-Objekt weder denk- noch erklärbar. Beredtes Beispiel ist der Trend zu sündhaft teuren, vollflächigen Induktionskochflächen. Deren grundlegende Neuerung, als die schon vom Ceran-Kochfeld bekannte, gläsern schimmernde Fläche zunächst noch mit eindeutigen Einzeichnungen für Töpfe und Pfannen daherkam, steht inzwischen in voller Gänze zum Kochen bereit. Bis zu fünf Töpfe, so preisen die Hersteller an, können nun (wieder) völlig frei auf der gesamten Fläche angeordnet werden – oder eben eine Riesenpfanne.

Siemens, EH 875 KU 11 E

Siemens, EH 875 KU 11 E

Dies kommt uns heute vor allem deswegen als grandiose Neuerung vor, weil wir alte Herde mit einer einzigen gusseisernen Platte über dem Feuer gar nicht mehr vor Augen haben. Der Schritt zur Einzelplatte machte wegen der größeren Gerichtetheit der Wärmeentwicklung auf den kleineren Einzelplatten des E- oder Gas-Herdes durchaus Sinn – dies übernimmt heute eben die Induktion, was den „Rückschritt“ in die Vollfläche wieder zulässig macht. Problematisch für den Nutzer – toll für die Hersteller – ist, dass die alten Edelstahltöpfe und -pfannen auf einem Induktionskochfeld nichts taugen. Gleiches gilt für Gefäße aus Aluminium oder Kupfer.

Gut hingegen lassen sich Tiefzieh- und Gusseisentöpfe benutzen. Grund dafür ist die grundlegende Funktionsweise der Induktion, die auf ferromagnetische Materialien als Gegenstück angewiesen ist, denn – verkürzt dargestellt – wird hier Hitze durch die Entwicklung eines magnetischen Feldes erzeugt. Die Art und Weise, wie solche Kochfelder inzwischen aussehen und was sie dabei können, sieht ein wenig so aus, als hätte der legendäre Set-Designer Ken Adam sich eines Riesen-iPads bedient, um einen Herd für einen James-Bond-Filmbösewicht zu entwerfen.

Miele FlexTouch

Miele FlexTouch

So ist es möglich, unterschiedlich große Töpfe und Pfannen in verschiedenen Formen frei auf der Kochfläche zu platzieren und ihnen Kochzeiten und -temperaturen zuzuweisen, die sich der Herd „merkt“, auch wenn man Topf oder Pfanne verschiebt. Bedient wird das alles natürlich nicht mehr mit schnöden mechanischen Drehschaltern, sondern mittels berührungsempfindlicher TFT-Displays, die wir von Smartphone und Tablet-Computern kennen. Wer sich die Werbevideos der Hersteller ansieht, muss zwangsläufig an eine Art iPhone-isierung des Herdes denken.

Das alles hat natürlich seinen Preis. Das Modell von Gaggenau mit dem prägnanten Namen CX480110, das mit 48 Mikroinduktoren bis zu vier Töpfe spielerisch aufnimmt, kostet knapp 4.000 Euro, gleiches gilt für das sehr schöne und ähnlich eingängig benannte EH 875 KU 11 E von Siemens. Bis zu fünf Töpfe kann dagegen das Riesenkochfeld von De Dietrich aufnehmen. Das macht sich sowohl im Namen als auch im Preis bemerkbar: Das DTIM-1000C Piano mit 250.000-Pixel-TFT-Display ist für schlanke 5.000 Euro zu haben.

De Dietrich, DTIM-1000C Piano

De Dietrich, DTIM-1000C Piano

Versucht man, diese Summen für ein einzelnes Kochfeld auf den Gesamtpreis der ganzen Küche umzurechnen, bewegt man sich schnell in Größenordnungen, die daran denken lassen, den Herd als Mittelpunkt des Hauses nicht nur mittels Dach, Umfriedung und Erdaufwurf zu schützen, sondern womöglich auch noch mit Stacheldraht und Überwachungskamera.
David Kasparek

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