Houston, we have a problem

Holistisches Dorf

Stiftungsdorf „Neuer Ellener Hof“, Bremen

Mit dem Jahresthema „Kulisse und Substanz“ nimmt der BDA sich 2019 den drängenden Fragen rund um die Themen Ökologie und Verantwortung an. Dabei steht die Diskussion im Vordergrund, welche Maßnahmen uns dabei helfen können, die Effekte des Klimawandels zu gestalten, und welche Eingriffe, Postulate oder Moden nur Kulisse bleiben. Im Dezember letzten Jahres hat der architekt gemeinsam mit dem BDA und dem Deutschen Architektur Zentrum DAZ den Call for Projects „Houston, we have a problem“ gestartet und um Einreichung solch substanzieller Beiträge gebeten. Bis Ende Januar 2019 sind rund 150 gebaute und gedachte Projekte zusammengekommen. Im Wochentakt stellen wir an dieser Stelle ausgewählte Beiträge vor.

Südlich der Großwohnsiedlung Blockdiek im Bremer Osten plant das Team von De Zwarte Hond und RMP Landschaftsarchitekten seit 2016 eine Dorfanlage nach klassischem Vorbild. Auf dem Gelände eines ehemaligen Kinderheims entsteht bis 2020 eine kleinteilige homogene Bebauung rund um einen Dorfanger; viele Bäume und bestehende Bauten werden erhalten. Diese städtebauliche Grundkonzeption für das neue Stiftungsdorf wurde in einem kooperativen Wettbewerb entwickelt – ein erstes Momentum, in dem die in der Hansestadt seit Dienstantritt von Senatsbaudirektorin Iris Reuther praktizierte „multiple Autorenschaft“ aufscheint.

De Zwarte Hond, RMP Landschaftsarchitekten, Stiftungsdorf „Neuer Ellener Hof“, Bremen 2016–2020

Auftraggeberin und Initiatorin des Projekts ist die Bremer Heimstiftung, die als Eigentümerin die rund zwölf Hektar Grund und Boden ausschließlich in Erbpacht vergibt. Neben dem Ziel, hier 400 bis 500 Wohnungen zu realisieren, stehen ausdrücklich auch soziale Aspekte im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik auf der Agenda des Projekts. Die Stellplätze für Autos wurden reduziert, die für Fahrräder, Radanhänger und Spezialräder erhöht. Der Erhalt von Insekten- und Vogelweiden, heimatlichen Obstbäumen, Sträuchern und Hecken sowie die Minimierung neuer versiegelter Flächen leisten einen relevanten Beitrag im Kampf gegen die Biodiversitätskrise. Die Freiräume zwischen den Bauten fungieren als sukzessive abgestufte Zwischenzonen zwischen dem inklusiven Öffentlichen des Angers und dem exklusiven Öffentlichen der kleinen, privaten Gärten. So bieten sie die notwendigen Räume des graduell differenzierten sozialen Miteinanders einer Gemeinschaft, ohne dabei eine rigide Trennung zwischen Öffentlichkeit auf der einen und Privatheit auf der anderen Seite zu diktieren.

De Zwarte Hond, RMP Landschaftsarchitekten, Stiftungsdorf „Neuer Ellener Hof“, Bremen 2016–2020

Trotz des Erhalts von rund achtzig Prozent des Baumbestands entsteht ein relativ dichtes Gebiet, das von mehrheitlich dreigeschossigen Holzbauten geprägt ist, die sich um die Bestandsbauten – zwei davon Pflegeheime – gruppieren. Für die einzelnen Baufelder werden inzwischen nach und nach individuelle Architekturwettbewerbe ausgelobt. Um auch hier eine in puncto Effizienz und Planungs- sowie Ausführungsgeschwindigkeit nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, wurden in einem Werkstattverfahren mit vier – im Umgang mit nachwachsenden Baustoffen erfahrenen – Architekturbüros fünf verschiedene serielle Gebäudetypen entworfen: als Holzbau und bis Leistungsphase 4 durchgeplant. Die Ergebnisse und Erfahrungen aus der Werkstatt wurden in ein Gestaltungshandbuch überführt, das für die insgesamt 15 Baufelder Qualitätsmaßstäbe setzt, Bauhöhen und -weisen definiert, gleichzeitig aber Spielräume der Bauordnung, des Brandschutzes und des Einsatzes von natürlichen und nachwachsenden Baustoffen für Dämmung, Fassade und Konstruktion offenlässt.

De Zwarte Hond, RMP Landschaftsarchitekten, Stiftungsdorf „Neuer Ellener Hof“, Bremen 2016–2020

Wie unterschiedlich ein solch klar abgesteckter Rahmen schließlich gefüllt werden kann, zeigen schon die Vorentwürfe für ein „Neues Bremer Haus“, die im Februar und März 2019 in einem weiteren Werkstattverfahren erarbeitet wurden. Sie übersetzen das typische Bremer Reihenhaus in Holzbau und machen vor dem Hintergrund akuter Ressourcenknappheit „fit fürs 21. Jahrhundert“. Die Entwürfe von Clemens Bonnen, Steffen Eilers, Gräfe Schonhoven Architekten, Püffel Architekten, Vorrink / Wagner Architekten, Dennis Winkler und Dennes Janßen Architekten sowie Wirth Architekten fasst die Bremer Heimstiftung in einer Broschüre zusammern und wirbt derzeit dafür, sich als Bauherrengemeinschaft auf eines der für dieses Verfahren vorgesehenen 23 Grundtücke zu bewerben. Verschiedene Konstellationen des Zusammenlebens und der Kombination von Wohnen und Arbeiten werden hier expliziet gefördert. Ein lokales Nahwärmeversorgungsnetz mit Kraft-Wärme-Kopplung soll in Verbindung mit der Fernwärmeversorgung zudem eine effiziente und umweltverträgliche Versorgung sichern.

Von der Grundstücksvergabe über die Planung und Konstruktion der Gebäude, die Nutzung des Bestands und den Erhalt überlebensnotwendiger Pflanzenwelt bis hin zu Verkehrs- und Energieversorgungskonzeption kann hier im Bremer Osten also ein sozial-ökologisches Modellprojekt entstehen, das tatsächlich ganzheitlich gedacht und umgesetzt wird. In der Konsequenz dieses holistischen Ansatzes – bei gleichzeitigem Offenhalten individueller Möglichkeitsräume in Planung wie Nutzung – setzt das Projekt zum derzeitigen Stand Maßstäbe.
David Kasparek

Stiftungsdorf „Neuer Ellener Hof“, Bremen 2016–2020
Programm: Städtebaulicher Entwurf / Wohnen / Soziale Einrichtungen
Auftraggeber: Bremer Heimstiftung
Umfang: 12 ha / 400 bis 500 Wohnungen
Städtebaulich-Freiraumplanerischer Entwurf: De Zwarte Hond, RMP Landschaftsarchitekten
Fachplaner Holzbau: Ziegert|Roswag|Seiler Architekten Ingenieure
Architekten Hochbau: Ziegert|Roswag|Seiler Architekten Ingenieure,  Atelier pk, gruppeopm Architekten, Tilgner & Grotz Architekten
Projektsteuerung: protze + theiling
Verkehrsplaner: M+O Bremen
Abb.: De Zwarte Hond, Lemons Bucket / Bremer Heimstiftung

Status: realisiert

weitere Projekte aus dem Call for Projects „Houston, we have a problem“ können Sie in der Übersicht hier einsehen.

Auf dem 15. BDA-Tag in Halle an der Saale stellten Iris Reuther und Matthias Rottmann das Stiftungsdorf „Neuer Ellener Hof“ vor:

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