kritischer raum

Katechetische Schatulle

Katholische Propsteikirche St. Trinitatis in Leipzig von Schulz und Schulz Architekten, Leipzig, 2012–2015

Gute Architektur ist – heute mehr denn je – eine soziale Kunst. So ist es vielleicht die gedankenvolle, raumbildende Setzung in einem städtischen oder landschaftlichen Kontext, die sie bemerkenswert macht. Es ist vielleicht das um Beruhigung der Sinne und Einprägsamkeit bedachte Zusammenspiel von Körpern, Räumen und ihren Wirkungen, das dem Bauwerk einen komplexen Sinn gibt. Und es ist vielleicht die Logik des Sozialen, die sich in den Verbindungen und Trennungen verschiedenartiger Räume ausdrückt, die den architektonischen Ausdruck des Hauses prägt.

In Leipzig zeigt der Neubau der Trinitatis-Kirche von Ansgar und Benedikt Schulz die zeitgenössischen Möglichkeiten, aber auch die Beschränkungen, denen Architektur dabei unterliegt. Eine wechselvolle Geschichte hat die Propstei-Gemeinde von einer im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörten Kapelle über mehrere Gaststationen – und ein heute nur noch als Provisorium geführtes DDR-Gebäude – zu einem ambitionierten Neubau geführt. Der Gedanke, dass in Leipzig, das wie alle ostdeutschen Großstädte nicht gerade unter einer Überkatholisierung leidet, der Missionsgedanke und die Gemeindekatechese eine besondere Rolle spielen könnten, liegt nahe. Diese Ziele verfolgen die reformatorischen Teile der katholischen Kirche heutzutage natürlich nicht mehr mit Zwangsbeglückungen, sondern durch das Angebot der Teilhabe an einer Gemeinschaft. Die Aufgabe der Architekten war es, der programmatischen Öffnung der Institution in die Gemeinde und in die Öffentlichkeit einen architektonischen Ausdruck zu geben.

Diese zunächst städtebauliche Aufgabe haben die Architekten gut gelöst, in dem sie dem gesamten trapezförmigen Grundstück direkt gegenüber dem Neuen Rathaus eine architektonische Fassung gegeben haben. Kirchenraum und Turm bilden dabei zwei Hochpunkte, die im Westen die Einmündung der Nonnenmühlgasse in den Ring, und im Osten die Ecke der bislang architektonisch weitgehend ungefassten Kreuzung am Wilhelm-Leuschner-Platz markieren. Turm und Kirche werden nördlich und südlich durch zwei Spangen verbunden, die den öffentlich begehbaren Pfarrhof mit den westlich angrenzenden Gemeindeeinrichtungen rahmen. Das  Erdgeschoss des Komplexes ist zum Martin-Luther-Ring hin eingezogen und glasgefasst, so dass sich eine Schaufensterseite zur City hin ergibt, die zum Nähertreten einlädt und zur Benutzung des Pfarrhofes als Abkürzung zum angrenzenden Quartier anleitet. Zum Süden hin öffnet sich der Hof über eine kleine Treppenanlage zu einem kleinen Park, dessen sinnvoller Erhalt allerdings in Frage steht.

Eine entscheidende Rolle für die städtebauliche und architektonische Wirkung spielt indes nicht nur das Volumen, sondern auch das Material der Anlage. Die Architekten haben für die Verkleidung der Stahlbetonkonstruktion den roten Porphyr aus dem sächsischen Rochlitz gewählt, der in der Leipziger Architekturgeschichte immer wieder eine Rolle gespielt hat. Die Fassade ist in drei Ebenen reliefiert, die untereinander sorgfältig und nachvollziehbar proportioniert wurden. Das umlaufende Bandrelief, das dabei entsteht, versöhnt die Massigkeit des fast vollständig geschlossenen Kirchenkubus mit der horizontalen Erstreckung der durch Fensterbänder durchbrochenen Längsseiten und der Vertikalität des nur mit Schallschlitzen gegliederten Turms. Das Ensemble bekommt so mit fast spanischer Raffinesse eine monolithische und zugleich elegante Wirkung. Der Hof, den man vom Stadtkern aus an einem Wasserbecken mit Wasservorhang  vorbei betritt, hat nicht nur die Funktion einer Passerelle, sondern ist genauso interner Verteiler, der die Kirche im Osten, die Gemeinderäume und Priesterwohnungen im Westen und die Unterrichts- und Gruppenräume in den Längsspangen erschließt.

Während noch das nordwestlich untergebrachte Café der Gemeinde als sinnfälliger, räumlich schön mit Hof und Straßenraum verschliffener öffentlicher Treffpunkt dient, enttäuscht der äußerst bescheiden ausgefallene Zugang zu den Sälen und Verwaltungsräumen, denen man mehr Pragmatik als Raumwirkung konstatieren muss. Selbst die zeichenhafte Öffnung des Pfarrsaals zum Eingang des Rathauses vermag nicht die Banalität aufzuwiegen, die sich die Gemeinde offensichtlich bei der Gestaltung und Ausstattung der Räume auferlegt hat.

Zentrum des Interesses ist also der Raum der Kirche: Deren Hoffassade wird geprägt durch das große, glasgefasste Kreuz, das dem heiligen Ort seine Widmung gibt. Die schaufensterartige Öffnung der Nordfassade ist hier um die Ecke geführt und zu einem verglasten Gang erweitert, der das große, ornamental-symbolisch mit Dreiecken reliefierte Hauptportal und den kleineren Alltagseingang aufnimmt. Der Eindruck beim Betreten des Kirchenraums ist wie das Öffnen einer Schatulle: Der Schale aus rotem Porphyr ist ein heller, offen und frei wirkender Raum mit weißem Putz und heller Holzausstattung einbeschrieben. Die lichte Höhe des Raums, seine Querausrichtung und die Anordnung der Bestuhlung um den Altar herum wirken zusammen wie eine architektonische Geste, der man mit einer körperlich spürbaren Erhebung folgen mag.

Die in sechs Segmente aufgeteilte Bankordnung eröffnet fünf Wege von liturgischen Orten der Kirche zu deren Mitte: Indem der Boden ganz leicht zum stufenlos aufgestellten Altar hin abfällt, wird jene „schwellenlose“ Teilhabe der Gläubigen an Gebet und Eucharistie symbolisiert, auf die es der Gemeinde ankommt. Der Altar steht mitten im Licht, das durch einen über die ganze Wandbreite gezogenen Schacht von oben einfällt. Die liturgische Orientierung variiert das katholische Circumstantes-Motiv der sich um den Altar herum versammelnden Gläubigen, ermöglicht aber durch die variable Möblierung auch andere Gottesdienstformen. Dafür verwendbar sind auch die Sängerempore, die über beidseits des Eingangs ansteigende Treppen erreichbar ist, und die Orgelempore im Norden des Raums. Zur Rechten sind die Sakristei als eigenes Geviert und – fast über die ganze Länge des Raums – die Tageskapelle als niedrigerer Teil des Kirchensaals angeschlossen, der ebenfalls indirekt von oben beleuchtet wird.

Die Feinheit des Entwurfs von Schulz und Schulz zeigt sich indes nicht nur in der Raumwirkung der Kirche, die die neue Katechese nicht in Beeindruckungsarchitektur, sondern als befreiendes Erlebnis übersetzt. Die Kreuzwegstationen, die in den Boden eingelassen sind, die Ölgefäße, die inszeniert vor der Wand stehen, das Altarkreuz als materielle Spiegelung des „Lichtkreuzes“ in der Westwand geben hinreichend Hinweise auf den Gedankenreichtum, der in den Entwurf der Trinitatiskirche eingeflossen ist. Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, dass die im Sinne der offenen, sozialen Gemeinde zielführende architektonische Idee eines „Kirchenfensters“ am Martin-Luther-Ring durch einen künstlerischen Eingriff zunichte geworden ist: Statt zwischen dem inneren Raum der feiernden Gemeinde und dem äußeren Raum – wie von den Architekten beabsichtigt – einen unmittelbaren Sichtkontakt herzustellen, entschied sich die Jury des Wettbewerbs für eine hermetische Lösung: Der Leipziger Künstler Falk Haberkorn hat hier den gesamten Text der Bibel als Kommunikationsangebot zwischen Gemeinde und Stadtöffentlichkeit auf mehreren Glasschichten hintereinander wiedergegeben, die aber eine unmittelbare Einsehbarkeit der Kirche verhindern.

Eine andere Klasse hat die Gestaltung der Ausstattung der Kirche durch den Künstler Jorge Pardo. Sie zeigt, welche Möglichkeiten das Zusammenspiel von Architektur und Kunst tatsächlich haben kann: Altar, Taufbecken, Altarkreuz, Ewiges Licht und Sakramentskapelle sind minimalistisch interpretiert und mit einem feinen farbigen Ornament versehen, das der lichten Kühle des Raums einen eigenartigen, fast folkloristischen Kontrapunkt hinzufügt. Sie bereichern die strenge Ordnung um eine spielerische Tätowierung, die die Belastungsfähigkeit der Raumgestaltung und damit die Richtigkeit des architektonischen Konzepts eindrücklich unter Beweis stellt.

Andreas Denk

Fotos: David Kasparek

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